Finanzierung, Strukturen, Organisation und Qualität der Langzeitpflege im europäischen Vergleich
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- Catharina Sommer
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1 Franziskanisches Frühjahrssymposium 12. Mai 2011 Finanzierung, Strukturen, Organisation und Qualität der Langzeitpflege im europäischen Vergleich Kai Leichsenring Europäisches Zentrum für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung European Centre for Social Welfare Policy and Research Langzeitpflege: Dramatische Prognosen Steigerungsraten Quelle: DG ECFIN/AWG, 2009 (Ageing Report): 135; 138
2 trotz immenser Fortschritte! Alterung in Österreich unter Berücksichtigung steigender Lebenserwartung Quelle: Kytir, 2008:55 Long-term care industry : Ein blühender Wirtschaftssektor Beispiel Vereinigtes Königreich: Die Langzeitpflege-Industrie ( 20 Mrd. Umsatz) konsolidiert sich momentan um eine kleine Gruppe sehr großer Akteure Hohe Renditen: bis 2008 Investitionsempfehlung, seither weitere Konsolidierung und, trotz Krise, Zunahme an privaten Anbietern Beispiel Österreich: Marktumfang 3-4 Mrd. Euro Relativ schwache und veraltete Steuerungs- und Regelungsmechanismen (Beispiel Vergütung) Hohe Wachstumsraten: Spagat zwischen der Notwendigkeit zum Investieren und der Bedrohung der steigenden Kosten (Deloitte-Studie, 2008) Quelle: Scourfield, 2007: 157; ; Laing&Buisson, 2011
3 mit fragwürdigem Image Würden Sie Ihrem Angehörigen zur Übersiedlung ins Heim raten? (in % der Antworten pflegender Angehöriger, N = 5.923) Quelle: EUROFAMCARE, 2006: 121 und Bedarf an Aufklärung! Wie messen wir Lebensqualität?
4 Ziele des Vortrags Vorstellung vergleichender Daten zur Langzeitpflege (long-term care) in Europa Definitionen Herausforderungen Hauptproblemfelder im Vergleich Steuerung: Einstufung und Finanzierung Organisation und Verantwortlichkeiten Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung Die Zukunft der Langzeitpflege European Centre for Social Welfare Policy and Research Hintergrund INTERLINKS (EU Siebtes Rahmenprogramm Forschung: ) Gesundheitssysteme und Langzeitpflege für ältere Menschen Qualitätsmanagement durch ergebnisorientierte Kennzahlen (PROGRESS, DG Employment: ) Handbuch zur Arbeit mit validierten Kennzahlen für Alten- und Pflegeheime European Quality Improvement and Innovative Learning: E-Qalin (DG Education: LLL/Leonardo da Vinci: ; ) Qualitätsmanagement in Alten- und Pflegeheimen, ambulanter Altenhilfe und in Diensten für Menschen mit Behinderung
5 Langzeitpflege als System long-term care health-social care divide Soziale Dienste Mobile Dienste Alten- und Pflegeheime Anbieter Berufsgruppen Methoden Gesetze Politik formal informal divide Long-Term Care System Gekoppelt, vernetzt, koordiniert, integriert? Identität Politische Strategien Strukturen Funktionen Prozesse Ressourcen Nutzer Informell Pflegende: Familie, Freunde, 24-Stunden-Betreuung Gesundheitssystem Primär Sekundär Tertiär Anbieter Berufsgruppen Methoden Gesetze Politik Vergleichbare Herausforderungen in Europa Steigende Ausgaben für Altenpflege prognostiziert : Steigerungsraten zwischen 60% und 200%? Reduktion der Gesundheitsausgaben angestrebt NHS England: Reduktion um 20 Mrd. bis 2014 Kritik an mangelnder Integration von Sozial- und Gesundheitsdiensten Ausbau mobiler Dienste, Vermeidung von Akutpflege und Krankenhausaufnahme Einforderung von Qualitätssicherung Quellen: Nies et al, 2010; DG ECFIN/AWG, 2009
6 Massive quantitative und qualitative Unterschiede Unterschiedliche Definitionen Nadelöhr Bedarfsfeststellung Organisation Abgrenzung zwischen Gesundheits- und Sozialdiensten, Koordination zwischen stationärer und ambulanter Versorgung Finanzierung öffentlich Sozialversicherung privat Qualität Indikatoren, Qualitätsentwicklung Anteil älterer Menschen (65+) mit festgestelltem Pflegebedarf an der Gesamtbevölkerung Quelle: Eigene Berechnungen nach DG ECFIN/AWG, 2009
7 Innovatives Beispiel Südtirol Bedarfsfeststellung im Tandem Sozial- und Gesundheitsberufe Dialog mit AntragstellerIn und Hauptpflegekraft Beratung und Information, Kontakt mit formellem Hilfesystem Erhebungsbogen VITA Starke Gewichtung von Bedarf an Hilfe aufgrund geistiger Behinderungen und psychischer Krankheiten European Centre for Social Welfare Policy and Research Organisation von long-term care Grad der Medikalisierung Abgrenzung notwendig? Reha und Prävention? Ausrichtung auf familiäre Unterstützung 24-Stunden-Pflege als glücklicher Fund Geldleistung vs. Dienstleistung Stationär vs. mobil European Centre for Social Welfare Policy and Research
8 Nutzung ausgewählter Dienste durch pflegebedürftige Menschen (in % der Antworten pflegender Angehöriger, N = 5.923) Art der Dienstleistung EL IT UK SE PL DE Medizinische und krankenpflegerische Dienste 81,2 97,6 79,1 80,3 92,6 87,7 Rehabilitation 4,6 9,8 14,9 28,7 10,4 22,8 Persönliche Hilfe 13,8 16,5 20,3 16,9 8,1 23,4 24-Stunden-Pflege (MitbewohnerInnen) 3,0 10,0 1,3 0,1 0,2 1,0 Hilfe im Haushalt 10,7 13, ,7 6,5 26,1 Tageszentren 0,7 2,0 9,2 10,1 0,3 4,2 Quelle: EUROFAMCARE, 2006: 151 Prävention und long-term care Wenig Evidenz Einbettung über Organisationsgrenzen notwendig Barrieren Integration und Koordination Geriatrisches Assessment Case Management Selbstbestimmung fördern European Centre for Social Welfare Policy and Research
9 Methoden zur besseren Koordination und Integration Multiprofessionelle Bedarfserhebung Information, Beratung, individuelle Pflegeplanung Übergangspflege Von der Akut- zur Langzeitpflege Case und care management neue Berufsbilder, adäquate Fähigkeiten Zeit und Raum für Dialog und Teamentwicklung Integration von Wohnen und Betreuung Pflegekultur im Wohnviertel Innovatives Beispiel: Case Management für Menschen mit dementiellen Krankheiten in den Niederlanden Anlaufstellen in allen Regionen Vermittlung durch Hausarzt Ganzheitliche Diagnose durch multiprofessionelle Teams 50 KlientInnen / Case ManagerIn Unabhängige Beratung und Information Sicherstellung von Übergängen Quelle: Mak, 2011
10 24-Stunden-Assistenz: Innovation der Zivilgesellschaft oder Rückkehr zum Manchester-Kapitalismus? Glücklicher Fund Billiglohnkräfte Österreich, Deutschland, Italien ( badanti ), Spanien Mangel an Diensten Ersatz für Betreuung durch Familienangehörige Reparaturmaßnahmen Gesetzliche Änderungen, Förderung, Ausbildung... Lösung mit Ablaufdatum? European Centre for Social Welfare Policy and Research Finanzierung Problem: Vergleichbarkeit von Daten Anteil der Ausgaben für Pflege am BIP: von 0,2% (SK, CZ) bis fast 4% (NL, SE) Geldleistungen vs. Sachleistungen Abgrenzung Gesundheit/Soziales Abgrenzung Kostenträger Marktvolumen und Finanzflüsse
11 Anteil der Ausgaben für Gesundheit und Langzeitpflege am BIP im Vergleich, 2008 Quellen: OECD Health Data, 2008; Allen et al, 2011; eigene Berechnungen Anteil der Ausgaben für unterschiedliche Unterstützungsformen an den Gesamtausgaben im Vergleich Quellen: Huber et al, 2009; Allen et al, 2011; eigene Berechnungen
12 Anteil unterschiedlicher Unterstützungsformen im Vergleich - NutzerInnen 65+, ca Quellen: DG ECFIN/AWG, 2009; Eurostat; eigene Berechnungen; Allen et al, 2011 Anteil der Beschäftigten in Sozialund Gesundheitsberufen an der Gesamtbeschäftigung, 2009 Quellen: European Labour Force Survey, 2009, CEDEFOP, 2010
13 Anteil von Pflegegeldzahlungen (min max) am durchschnittlichen Nettoeinkommen Quelle: Huber et al, 2009 Sachleistungen statt Geldleistungen? Pflegestufe Zahl der Pflegegeldempfänger Verteilung in % Pflegebedarf in Std. pro Jahr % % % % % % % Gesamt %
14 Langzeitpflegeausgaben nach Kostenträgern Quelle: OECD Health System Accounts, 2010 Finanzflüsse der Langzeitpflege in Österreich Bundespflegegeld Landespflegegeld Stationäre Einrichtungen und mobile Dienste 1,700 Mrd. BUND 310 Mio. BUNDESLÄNDER 870 Mio. Haushalte mit pflegebedürftigen Personen Einkommen aus Pflegegeld 2,010 Mrd. 70 Mio. 280 Mio. Mobile Dienste 500 Mio. 300 Mio. Sonstige Alten- und Pflegeheime 1,660 Mrd. 50 Mio. 90 Mio. Privates Einkommen und Vermögen 30 Mio. 400 Mio. ca. 150 Mio. ca. 300 Mio. 24-Stunden-Assistenz ca. 450 Mio. Quellen: BMSK (2008); Statistik Austria, 2009 ; eigene Berechnungen
15 Qualitätsmanagement als Chance für ständige Verbesserung und Weiterentwicklung Eine stärkere direkte Beteiligung der NutzerInnen an den Prozessen der Qualitätssicherung selbst scheint schwer durchfuehrbar zu sein, aber es sollte versucht werden. VertreterInnen der NutzerInnen sollten an der Formulierung von Zielen und Strategien, was Qualität bedeutet, beteiligt werden ( ) Avedis Donabedian, 1992 Wer sichert Qualität wie in Europa? England Care Quality Commission: Registrierung, Definition von Standards, jährliche Berichterstattung wird im Internet veröffentlicht, Inspektion Frankreich National Inspectorate for Social Affairs (IGAS) und National Agency for the Assessment of Nursing Home and Home Care Providers (ANESM): Inspektion, Definition von Standards, good practice Deutschland Pflegeversicherung (Medizinischer Dienst der Krankenkassen): Prüfkatalog, jährliche Prüfung (ab 2011); Transparenzberichte im Internet (Schulnoten) Heimaufsicht der Bundesländer: Strukturqualität, neue Entwicklungen (Bayern) Quelle: Nies et al, 2010
16 Wer sichert Qualität wie in Europa? Finnland Städte und Gemeinden: RAI Minimum Data Set, Benchmarking der Pflegequalität Niederlande Health Care Inspectorate: jährliche Berichte, Inspektion, Akkreditierung und Zertifizierung (HKZ), seit 2006: Quality Framework Responsible Care; Veröffentlichung aller Ergebnisse im Internet Österreich Heimaufsicht der Bundesländer (Städte und Gemeinden) Fakultativ: QM auf Trägerebene: ISO, QAP, E-Qalin; Nationales Qualitätszertifikat (NQZ) Quelle: Nies et al, 2010 Die wichtigsten Trends im Bereich Qualitätssicherung und QM Von der (Heim-)Aufsicht zur Selbstbewertung und Zertifizierung durch Dritte Transparenz und Veröffentlichung von Leistungsdaten Die Entwicklung von Benchmarking? Von Mindeststandards zu Exzellenz-Modellen Von Struktur- und Prozessqualität zu Kennzahlen und Ergebnisqualität Herausforderungen: Teil des Berufsbildes oder nur ein weiterer Kostentreiber? QM und Qualitätssicherung im System der Langzeitpflege Quelle: Nies et al, 2010
17 Mehr Transparenz durch Öffentlichkeit? Qualitätskriterien APH in Österreich Bundesland Personalschlüssel Personalstruktur Burgenland Eigenes Berechnungsmodell 50% DGKP : 50% PH Kärnten 1 VZÄ : 3 BewohnerInnen 30% DGKP : 60% PH : 10% Hilfsdienst Niederösterreich Oberösterreich Steiermark Tirol Wien Abhängig von Pflegegeldstufe, z.b. PGS 3 = 1 : 10; PGS 7 = 1 : 1,4 Abhängig von Pflegegeldstufe, z.b. PGS 3 = 1 : 4; PGS 7 = 1 : 1,5 Abhängig von Pflegegeldstufe, z.b. PGS 3 = 1 : 4; PGS 7 = 1 : 2 Abhängig von Pflegegeldstufe, z.b. PGS PS 3 = 1 : 3, PGS 5-7 = 1 : 1,9 Abhängig von Pflegegeldstufe, z.b. PGS 3 = 1 : 2; PGS 7 = 1 : 1 45% DGKP : 55% PH 20% DGKP, 50% Altenfachbetreuer, 30% Altenbetreuer 20% DGKP : 60% PH/AFB : 20% Sonstige Nachtdienst: Pro 30 BewohnerInnen ab PGS 3 = 2,75 bis 3,2 Beschäftigte 40% DGKP : 45% PH : 15% HH Quelle: Riess et al, 2007: Annex (Tab. A6)
18 Qualität in der Langzeitpflege komplexes Geflecht von Akteuren Kommunikationsbarrieren, Hierarchien und unklare Kompetenzverteilung Instrumente und Methoden der Darstellung von komplexen Leistungen Objektive vs. subjektive Wahrnehmung Sie verlangt Hilfe, weil sie ihr Selbstvertrauen und ihre Selbstachtung verlor. Sie verlangt Hilfe, weil sie sich nicht anstrengen will. Auf diese Weise zeigt sie ihre Dominanz. Sie verlangt Hilfe, weil sie sich wünscht, dass sich jemand mit ihr befasst. Qualitätsindikatoren als Ausgangspunkt für Reflexion Qualität der Pflege Dekubiti, Stürze, freiheitsbeschränkende Maßnahmen, Dehydrierung, Gewichtsverlust etc. Lebensqualität Subjektive Wahrnehmung, Zufriedenheitsmessung (NutzerInnen, Angehörige, MitarbeiterInnen) u.a. Führung Beschwerden, Überstunden, Krankenstand etc. Wirtschaftlichkeit Kosten, Zeit, Umsatz etc. Kontext Freiwilligenarbeit, Image, Öffnung zum Gemeinwesen
19 Verbesserung messen mit geeigneten Indikatoren Controlling und Verbesserungsstrategien Steuerung 1 (Juni 2010) Regelmäßige Kontrolle Fokus in der Pflegeplanung Steuerung 2 (September 2010) Neue Verantwortlichkeiten Bewusstsein schaffen: MitarbeiterInnen BewohnerInnen Angehörige
20 Fallstricke und falsche Anreize: Wer hat Interesse an Qualität? Das Regulierungsdilemma Zwang und Vorschriften (Mindeststandards) Anreize schaffen Veröffentlichung von Ergebnissen Lebensqualität messen NutzerInnen sind immer zufrieden Sozial- und Gesundheitsarbeit messen Qualitätsmanagement als Teil des Berufsbildes oder neue Bürokratie? Dialog zwischen Betriebswirtschaft, Aufsicht und Betreuungsarbeit Budget für transparente Qualität Die Zukunft der Altenpflege Pflegebedürftigkeit als Teil unseres Lebens Lebensqualität erhalten Normalität organisieren Alltagsmanager, Life Assistants, Alltagsbegleiter Professionalisierung heißt nicht Medikalisierung Long-Term Care als System Integration sozialer Dienste ins Wohnumfeld Nachfrage nach Arbeitskräften ernst nehmen
21 Die Zukunft der Altenpflege Altern allein erzeugt keine Gesundheits- und Pflegekosten Ausgabensteigerungen sind abhängig von politischen und fachlichen Entscheidungen Wachsende Erwartungshaltungen Neue Pflegemilieus organisation matters Koordination und Integration Die Zukunft der Altenpflege Strategische Innovation und Investition Ermöglichung sozialer Innovation statt Budgetverschiebung Kommunikation Dialog mit Nutzern und Anbietern Einbeziehung aller relevanten Akteure Lernen im System Langzeitpflege Nachdenken über traditionelle Berufsbilder Lernen lernen (individuell, im Team, in der Organisation)
22 Wer pflegt uns in Zukunft? D_La Repubblica Der globale Wettbewerb um Arbeitskräfte im Sozial- und Gesundheitsbereich hat schon begonnen Welche Anreize? Welche Kompetenzen? Welche work-life balance? European Centre for Social Welfare Policy and Research Danke für Ihre Aufmerksamkeit!
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