Zwillinge, Bären und Walfische
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- Hannelore Armbruster
- vor 8 Jahren
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1 Bilder am Himmel Dieses Buch ist für Menschen geschrieben und gezeichnet worden, die in der Lage sein wollen, zumindest die wichtigsten Sternbilder am Himmel erkennen zu können, wenn sie nachts vor die Tür gehen und nach oben schauen. Aus lauter Spaß an der Freud. Natürlich kann man sich auch an den Sternen erfreuen, ohne sie zu kennen oder zu erkennen. So, wie man ein gut zubereitetes»osso buco«genießen kann, ohne auch nur die geringste Ahnung davon zu haben, wie man so etwas zustande bringt. Aber wenn man lernt, Sterne und Sternbilder nur ein ganz klein wenig besser auseinanderzuhalten, ist der Spaß, den sie uns vermitteln, ungleich größer. Es bereitet Freude, an ihnen und ihrer Stellung die herannahende Jahreszeit abzulesen, zu wissen, wann genau sie sich abends in unser Blickfeld schieben, und ihren Lauf und Verlauf über die Jahre zu verfolgen, auf Bahnen, die zuverlässiger sind als das meiste, mit dem wir sonst so zu tun haben. Wer die Sterne kennt, weiß immer, wo er ist, und verläuft sich nicht so leicht. Sie geben uns Auskunft über die Tages- (beziehungsweise Nacht-) Zeit ebenso wie über die Himmelsrichtungen, egal ob wir uns an Land befinden, auf dem Wasser oder in der Luft. Und im zugegebener Maßen eher unwahrscheinlichen Fall, einer von uns sollte sich in den nicht allzu weit entfernten Weltraum verirren, dann wären die Sternbilder seine einzig verlässlichen Wegweiser. Und durchaus vertraute noch dazu. Kurz und gut ein wenig mehr über die Sterne zu wissen bringt nicht nur Spaß, sondern kann sogar von Nutzen sein (auch dann, wenn man nicht gerade im Weltraum 11
2 rumbummelt), und die meisten von uns hätten auch überhaupt nichts dagegen, sich da oben einigermaßen gut auszukennen das blöde ist bloß: sie tun s nicht! Das ist schon merkwürdig. Obwohl wir nur ab und zu mal in den Atlas schauen, hat fast jeder von uns ein ziemlich klares Bild von der Erde und ist in der Lage, auf dem Globus Kontinente sowie eine erkleckliche Anzahl von Ländern nicht nur zu erkennen, sondern diese auch zu benennen. Bei den Sternbildern hingegen, die wir in so gut wie jeder sternenklaren Nacht zumindest einmal intensiv betrachten und auf uns wirken lassen, ist die Trefferquote bei weitem nicht so groß! Nicht, dass wir uns nicht bemühen würden. Die meisten haben sogar schon den Versuch unternommen, sich mit Hilfe des einen oder anderen Buches aus dem Dilemma zu befreien. Und doch nur wenigen unter uns gelingt es, mehr am nächtlichen Firmament auszumachen als den Großen Wagen (und vielleicht die Kassiopeia). Dabei gibt es eine ganze Reihe von Büchern zu dem Thema. In vielerlei Hinsicht sehr brauchbare Bücher übrigens. Voller interessanter Fakten, wissenschaftlicher Erkenntnisse und faszinierender Fotos von Hubble und anderen. Bloß in einem Punkt lassen sie uns regelmäßig im Stich: in der Art und Weise, wie sie die Sternbilder darstellen. Die Sternbilder haben so wunderbar inspirierende Namen irgendwie gehen wir davon aus, dass diese vielen Bücher uns Sterngruppen zeigen, die die Umrisse von Löwen an den Himmel malen, von Walfischen, Jungfrauen usw. Aber weit gefehlt! Entweder hat man, um die Sterne, aus denen sich die einzelnen Bilder zusammensetzen, ganz willkürlich allegorische Illustrationen herumgezeichnet, die wir zwar im Buch bewundern, nicht jedoch am Himmel wiederfinden können, oder (das gilt für die meisten der neueren Publikationen) die Konstellationen präsentieren sich als mehr oder weniger abstrakte geometrische Figuren, die nach nichts Konkretem aussehen und in keinerlei Zusammenhang mit den Namen der Sternbilder stehen. Beides hilft uns nur wenig, wenn es darum geht, die Sternbilder am Himmel wiederzufinden und genau darum geht es doch eigentlich. Die Folge davon ist, dass sich die Sternbilder den meisten von uns nicht erschließen und der Himmel uns so fremd bleibt wie zuvor. 12
3 Zwillinge, Bären und Walfische Dieses Buch will dem eben geschilderten Missstand ein Ende bereiten. Es präsentiert die Sternbilder in einer neuen, anschaulichen Art und Weise, die ihren Namen beziehungsweise den Bildern, die diese in uns hervorrufen, gerecht werden. Die Gruppe von Sternen zum Beispiel, die wir als Großen Bären kennen, präsentiert es in der Form eines Bären; den Walfisch in der Form eines Wals, den Adler als Adler usw. Die Umrisse der Sternbilder prägen sich auf den ersten Blick ein, und hat man sie erst einmal auf diese Art und Weise betrachtet, findet man sie jederzeit am Himmel wieder. Um die Sache noch weiter zu erleichtern, nennen wir die Sternbilder in diesem Buch immer zuerst bei ihren deutschen und erst dann bei ihren lateinischen beziehungsweise griechischen Namen. Bezeichnungen wie Taurus, Auriga oder Cygnus sind für die intensivere Auseinandersetzung mit dem mythologischen Hintergrund der Sternbilder zwar äußerst nützlich, erweisen sich jedoch für diejenigen unter uns, denen es zunächst ausschließlich darum geht, die Sternbilder am Himmel zu entdecken, als erheblich weniger bildhaft als Stier, Fuhrmann oder Schwan (für die Benennung einzelner Sterne hingegen greifen wir auf die gebräuchlichen, meist arabischen Namen zurück). Die folgenden Abbildungen machen den Unterschied zwischen der neuen in diesem Buch angewandten Methode und der bisher üblichen deutlich. Nehmen wir zum Beispiel die Zwillinge (Gemini): Aus diesen Sternen besteht das Sternbild, wie es sich uns am Himmel präsentiert: einige von ihnen sind mehr, andere weniger hell eine unregelmäßige Formation. Abbildung 1: Zwillinge eine Ansammlung von Sternen 13
4 Bücher und Karten, die sich der allegorischen Darstellung bedienen, zeigen die Zwillinge so: Das sieht sehr hübsch aus, hat jedoch recht wenig mit der konkreten Anordnung der Sterne zu tun. Man kann das am Himmel einfach nicht sehen. Statt beim Auffinden und Wiederentdecken der Sternbilder zu helfen, sorgt diese Art der Darstellung letztendlich eher für Verwirrung. Abbildung 2: Zwillinge allegorisch In Büchern, die bei der Abbildung von Sternbildern auf abstrakt-geometrische Figuren zurückgreifen, präsentieren sich die Zwillinge in etwa folgendermaßen: Das sieht zumindest irgendwie vernünftig aus. Keine Phantasterei. Stattdessen eine Hieroglyphe, ohne jede Assoziationsmöglichkeit. Sie erinnert nicht im Geringsten an Zwillinge, und beim Versuch, ihren Umrissen am Himmel zu folgen, gerät man leicht aus der Spur. Wer behauptet, sich ein derartiges Gebilde merken zu können, verdient entweder unser Misstrauen oder unsere höchste Bewunderung. Abbildung 3: Zwillinge abstrakt geometrisch 14
5 In unserem Buch, das eine neue, anschauliche Methode einführt, Sternbilder abzubilden, sehen die Zwillinge so aus: Abbildung 4: Zwillinge anschaulich Die Verbindungslinien zwischen den einzelnen Sternen sind mit einem ganz bestimmten Bild in unserem Hinterkopf gezogen worden, dem Bild nämlich, welches dem Namen des Sternbildes entspricht. Die Stellung der Sterne ist dieselbe wie in den drei vorhergehenden Abbildungen. Kein einziger wurde verändert. Und trotzdem wird plötzlich etwas sichtbar: zwei Strichoder Streichholzmännchen, die sich bei der Hand halten Zwillinge eben. Man kann sie nun sehr gut am Himmel ausmachen, zuerst mit Hilfe der Karte, ein-, zweimal später dann schon aus dem Gedächtnis. Dieser anschaulichen Methode bediene ich mich in diesem Buch. Ich habe sie auf alle Sternbilder angewandt, bei denen das möglich war. Nur ein paar von ihnen diejenigen, die für das bloße Auge lediglich aus zwei oder drei Sternen bestehen ließ sich aus naheliegenden Gründen keine wiedererkennbare Form verpassen. Man kann eben nicht alles haben, auch nicht am Himmel. Auf den nächsten beiden Seiten folgen ein paar Beispiele, um den Unterschied zwischen der bisher üblichen Art und Weise, Sternbilder darzustellen, und der neuen, anschaulichen Methode zu verdeutlichen. 15
6 Die alte Methode Die neue Methode Großer Bär (Ursa Major) Bärenhüter (Bootes) Jungfrau (Virgo) Die Anordnung der Sterne ist in beiden Spalten identisch, bloß die Verbindungslinien sind anders gezogen. Abbildung 5: Vorher Nachher 16
7 Die alte Methode Die neue Methode Herkules Pegasus Walfisch (Cetus) Die Anordnung der Sterne ist in beiden Spalten identisch, bloß die Verbindungslinien sind anders gezogen. Abbildung 6: Vorher Nachher 17
8 In Wahrheit ist meine hier präsentierte Methode gar nicht so neu. Das menschliche Auge ist stets auf der Suche nach vertrauten Formen. Selbst ohne uns besonders darum zu bemühen, erkennen wir in Wolken, Bäumen oder in den Silhouetten von Bergen häufig Menschen, Gesichter, Tiere oder irgendwelche Gegenstände wieder. Und das ist beileibe keine bloße Freizeitbeschäftigung. Diese Art der Wahrnehmung ist tief im Menschen verwurzelt, ja wir können zu Recht davon ausgehen, dass die Menschen sich in vorgeschichtlicher Zeit eher an bestimmten Bildern orientiert haben, die sie am Himmel wiederzuerkennen glaubten, als an der unüberschaubaren Vielfalt der einzelnen Sterne. Vielleicht wiederholen wir in diesem Buch also bloß das, was in etwas anderer Form bereits ganz am Anfang aller Himmelsbeobachtung gestanden hat*. In Ägypten oder Mesopotamien, wo die meisten der heute noch gebräuchlichen Bezeichnungen für die Sternbilder vor mehr als 5000 Jahren ihren Ursprung haben, zu einer Zeit also, als noch keine Bücher mit Abbildungen irgendwelcher Art zur Verfügung standen, haben Eltern ihren Kindern die Sterne vielleicht dadurch nähergebracht, dass sie solche Figuren mit einem Stock in den Sand gezeichnet haben. Aber eigentlich ist es gar nicht so wichtig, ob sie das nun tatsächlich so gemacht haben oder anders. Unsere Altvorderen hatten ihre Methode, sich den Himmel zu erarbeiten wir haben unsere. Und sollte meine anschauliche Methode es all denen, die Lust haben, sich am Himmel besser zurechtzufinden, etwas leichter machen, hätte das Buch seinen Zweck bereits voll und ganz erfüllt. * Ein Hinweis darauf, dass unsere Vorfahren in der Tat bereits Bilder am Himmel gesehen haben dürften, ist die Tatsache, dass sich in allen germanischen Sprachen (mit Ausnahme der englischen) für Kon stellation der Begriff»Sternbild«durchgesetzt hat: Stjärnbild (Schwedisch), Stjernebilde (Norwegisch), Stjernebillede (Dänisch), Stjörnumerki (Isländisch), Sterrebbeeld (Niederländisch) und natürlich Sternbild bei uns im Deutschen. 18
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