Nachruf auf den Differenzeinwand
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- Helene Holzmann
- vor 8 Jahren
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1 Nachruf auf den Differenzeinwand Die comdirect bank AG, die Direktbank-Tochter der Commerzbank AG, bietet ihren Kunden seit September 2011 an, sogenannte contracts for difference (CfDs) zu handeln. 1 Schon vorher hatte der Sparkassen-Ableger S-Broker im Februar des letzten Jahres damit begonnen, seinen Kunden den Handel mit diesen Finanzprodukten zu ermöglichen. Mit CfDs wird eine Wette auf den Kurs eines Basiswerts abgeschlossen, etwa einer bestimmten Aktie. Der Gewinn oder Verlust bei einer solchen Wette entspricht der Veränderung des Kurses des Basiswerts zwischen Beginn und Ende der Vertragslaufzeit. Steigt beispielsweise der Kurs der betreffenden Aktie, so erhält der Kunde die Differenz ausgezahlt. Sinkt hingegen der Kurs, muss er die Differenz an die Bank zahlen. Bei einem solchen Hebelprodukt kann der Gewinn um ein Vielfaches höher sein als das eingesetzte Kapital. Das soll ein einfaches Beispiel illustrieren: Es wird angenommen, für den Kauf eines CfDs müssen zehn Prozent des Basiswerts hinterlegt werden und der Kurs der als Basiswert dienenden Aktie beträgt 100 Euro. Steigt der Kurs der Aktie um fünf Prozent, so hat der Inhaber des CfDs einen Gewinn von 50 Prozent erzielt. Umgekehrt kann allerdings auch der Verlust um ein Vielfaches höher sein, und ein Totalverlust lässt sich nicht ausschließen. Im obigen Beispiel führt ein Verlust von fünf Prozent der Aktie zu einem Verlust von 50 Prozent des eingesetzten Kapitals. Fällt der Aktienkurs um zehn Prozent, erleidet der CfD-Inhaber bereits einen Totalverlust. Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg ist daher zu dem Schluss gekommen:»wer Totalverlustrisiken schultern kann und Spaß an der Spekulation hat, für den sind CfDs vielleicht eine Alternative zum herkömmlichen Spielcasino. Beiden ist gemein, dass Anleger langfristig mit hoher Wahrscheinlichkeit ihren Geldeinsatz komplett verlieren.«2 Damit kommt er zu einer ganz anderen Einschätzung als René Diehl, Vorstand der Wertpapierhandelsbank Cefdex, die CfD-Transaktionen unter anderem für S-Broker abwickelt. Er ist der Ansicht, mit einem 22 JAN FRIEDEBORN myops 16/2012
2 Spielcasino habe das alles nichts zu tun:»die Anleger sind sehr gut informiert und setzen CfDs sehr bewusst ein.«3 Gewinner ist in jedem Fall die Bank. Denn sie kann ihr Risiko vollkommen absichern, indem sie bei Vertragsabschluss die betreffenden Aktien erwirbt und bei Vertragsende wieder verkauft. Ein eventueller Kursanstieg, der sie zur Zahlung verpflichtet, wird durch den Gewinn aus dem Aktiengeschäft ausgeglichen. Die Bank profitiert also risikofrei von den vom Anleger gezahlten Gebühren. Was haben CfDs nun mit dem Differenzeinwand zu tun? Wer im BGB den Titel»Unvollkommene Verbindlichkeiten«aufschlägt, wird nach Spiel und Wette, Lotterie- und Ausspielvertrag zu 764 BGB nur den Hinweis»weggefallen«lesen. Bis 2002 war dort der Differenzeinwand zu finden, dessen Satz 1 lautete:»wird ein auf Lieferung von Waren oder Wertpapieren lautender Vertrag in der Absicht geschlossen, daß der Unterschied zwischen dem vereinbarten Preise und dem Börsen- oder Marktpreise der Lieferungszeit von dem verlierenden Teile an den gewinnenden gezahlt werden soll, so ist der Vertrag als Spiel anzusehen.«dem Wortlaut nach musste ein Differenzvertrag auf die Lieferung von Waren gerichtet sein. Rechtsprechung und Literatur haben aber auch darüber hinaus Vertragskonstruktionen unter diese Vorschrift subsumiert, bei denen eine Warenlieferung im Ergebnis von vornherein ausgeschlossen war. 4 Forderungen aus einem Vertrag, bei dem nur die Differenz des Preises zwischen Anfang und Ende der Vertragslaufzeit zu zahlen war, ohne dass eine Lieferung der Ware oder der Wertpapiere erfolgen sollte, waren demnach zu Zeiten des 764 BGB nicht einklagbar. CfDs erfüllen zentrale Merkmale des Differenzgeschäfts, da die Differenz zwischen dem Einstands- und dem Schlusspreis zu zahlen ist, ohne dass Wertpapiere übertragen werden sollen. Der Rechtsgedanke, der in 764 BGB seinen Niederschlag gefunden hat, hätte daher auch den CfDs zum Verhängnis werden können. Wortlaut und systematische Stellung des 764 BGB a. F. lassen nicht unbedingt vermuten, dass es sich hierbei um eine für den Finanzmarkt äußerst brisante Vorschrift gehandelt hat. Das Bürgerliche Recht hat mit ihr allerdings einer Vielzahl von Derivateverträgen wie CfDs, welche mittlerweile einen signifikanten Anteil der Finanzmarkttransaktionen ausmachen, die gerichtliche Durchsetzbarkeit versagt. Die Tragweite der Norm wird klar, wenn man sich das Finanzvolumen der im Umlauf befindlichen Derivate vor Augen führt. Laut der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, einer internationa- myops 16/2012 Glücksspiel 23
3 len Organisation, deren Mitglieder die Zentralbanken der Nationalstaaten sind, belief sich das Volumen der nicht börsengehandelten Derivate im ersten Halbjahr des Jahres 2011 auf 708 Milliarden Dollar. 5 Schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als die Entwürfe für ein Bürgerliches Gesetzbuch und ein Börsengesetz auf der Tagesordnung standen, war die Daseinsberechtigung des Differenzeinwands umstritten. Im ersten Entwurf für ein BGB von 1888 war noch keine Regelung über Differenzgeschäfte enthalten, was Otto von Gierke zu Kritik veranlasste. 6 Und Max Weber hat sich in seinem Bericht über die Börsenenquête-Kommission von 1892 intensiv mit dem Differenzeinwand und insbesondere mit den ihm zugrundeliegenden Differenzgeschäften auseinandergesetzt, die als Mittel zur Spekulation einen schlechten Ruf hatten. 7 In 69 Börsengesetz 1896 wurde zunächst bestimmt, dass der Differenzeinwand nicht geltend gemacht werden konnte, wenn derjenige, der sich auf ihn beruft, bei Abschluss des Geschäfts im Börsenregister eingetragen war. Dies war die Geburtsstunde der Termingeschäftsfähigkeit als Voraussetzung für juristisch durchsetzbare Ansprüche aus Termingeschäften. Termingeschäfte sind im Gegensatz zu Kassageschäften mit zeitlicher Verzögerung zu erfüllen und umfassen auch Differenzgeschäfte. Die Eintragung in das Börsenregister war bei vielen Privatbankiers allerdings unbeliebt, weil sie mit ihr gegenüber ihren Kunden zusätzliche Pflichten übernehmen mussten, selbst aber keine Vorteile davon hatten. Aufgrund starker Kritik aus Bank- und Börsenkreisen insbesondere gegen das Börsenregister, 8 das auch als»spekulationsregister«bezeichnet wurde, ist bereits 1908 mit einer Börsenrechtsnovelle der Zugang zum Terminhandel liberalisiert worden. 9 Damit ist auch der verbindliche Abschluss von Differenzgeschäften erleichtert worden. In den folgenden achtzig Jahren gab es mehrere historische Zäsuren. Der Terminhandel ist aber erst 1989 wieder Gegenstand gesetzgeberischer Aktivität geworden. Mit einem Änderungsgesetz wurde in 53 BörsG a.f. die Termingeschäftsfähigkeit kraft Information eingeführt. 10 Damit konnte jeder Termingeschäfte verbindlich abschließen, wenn eine Aufklärung über die damit verbundenen Risiken stattgefunden hat. Deregulierung war en vogue. Im Jahr 2002 ist dann mit Inkrafttreten des 4. Finanzmarktförderungsgesetzes 764 BGB ersatzlos gestrichen und das grundsätzliche Unklagbarkeitsverdikt durch wertpapierhandelsrechtliche Aufklärungspflichten in 24 JAN FRIEDEBORN myops 16/2012
4 37b WpHG ersetzt worden. Der Schutz geschäftlich unerfahrener Menschen soll ausschließlich durch Information gewährleistet werden. 11 Wird jedoch ein Vertrag zu Spekulationszwecken abgeschlossen, bleibt zunächst noch der Spieleinwand aus 762 BGB 12 den 37e WpHG allerdings ausschließt, wenn einer der Vertragspartner ein Unternehmen ist, das Finanztermingeschäfte abschließt oder vermittelt. Im Fall von CfDs also Glück für die comdirect. Und auch mit den Informationspflichten ist es neuerdings nicht mehr allzu weit her. Bis 2007 galten spezielle Aufklärungspflichten hinsichtlich der Risiken bei Termingeschäften. 13 Seitdem besteht gemäß 31 Abs. 3 WpHG nur noch eine allgemeine Informationspflicht 14 mit dem Inhalt,»Kunden rechtzeitig und in verständlicher Form Informationen zur Verfügung zu stellen, die angemessen sind, damit die Kunden nach vernünftigem Ermessen die Art und die Risiken der ihnen angebotenen oder von ihnen nachgefragten Arten von Finanzinstrumenten oder Wertpapierdienstleistungen verstehen und auf dieser Grundlage ihre Anlageentscheidungen treffen können«. Fazit: Der Differenzeinwand ist abgeschafft. Sein Zweck wird lediglich noch durch allgemein gehaltene Informationspflichten verwirklicht. Juristisch ist damit verbindlich, was der Sache nach Glücksspiel ist. 15 Angesichts neuer Finanzprodukte wie CfDs, die jeder Bankkunde der comdirect nun ohne Weiteres handeln kann, kann dem Regelungsgehalt des 764 BGB a. F. nur nachgetrauert werden. Daher soll an eine Feststellung des Reichsgerichts in einem Urteil vom 29. Dezember 1894 zu Differenzgeschäften erinnert werden:»das objektive Recht hat gute Gründe, dieses [sic] Spielgeschäft, bei welchem von vornherein die effektive Erfüllung zwischen den Kontrahenten vertragsmäßig ausgeschlossen ist, bei seiner volkswirtschaftlichen Nutzlosigkeit und sozialen Gefährlichkeit die Klagbarkeit zu versagen.«16 JAN FRIEDEBORN myops 16/2012 Glücksspiel 25
5 Anmerkungen 1 ( ). 2 Handelsblatt vom :»Banken verführen Kleinanleger zum Zocken«. 3 Handelsblatt vom :»Ein Ritterschlag für CFDs«. 4 Norbert Engel in: Staudingers Kommentar zum BGB, , Berlin 2002, 764 Rn. 7 ff. 5 Bank for International Settlement: OTC derivatives market activity in the first half of 2011, November 2011, S Otto von Gierke: Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs und das deutsche Recht, Leipzig 1889 (Nachdruck Goldbach 1997), S Max Weber: Die Ergebnisse der Deutschen Börsenenquete (Schluß), ZHR 45 (1896), S. 69 (114 ff., 139 ff.). 8 Rainer Gömmel: Entstehung und Entwicklung der Effektenbörsen im 19. Jahrhundert bis 1914; in Hans Pohl [Hrsg.]: Deutsche Börsengeschichte, Frankfurt am Main 1992, S. 133 (176 f.). 9 Eberhard Schwark in: Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 4. Aufl., München 2010, Börsengesetz, Einleitung Rn Andreas König in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, Handelsgesetzbuch, Band 2, 2. Aufl., München 2009, Bank- und Börsenrecht Rn. VIII20; Hans-Peter Schwintowski/Frank A. Schäfer: Bankrecht, Köln 1997, 13 Rn Regierungsbegründung zum 4. Finanzmarktförderungsgesetz, BT-Drucks. 14/8017, S Regierungsbegründung zum 4. Finanzmarktförderungsgesetz, BT-Drucks. 14/8017, S. 131; Mathias Habersack in: Münchener Kommentar zum BGB, 5. Aufl., Band 5, München 2009, 764 Rn Andreas König (Fn. 10), Rn. VIII Andreas König (Fn. 10), Rn. VIII Norbert Engel in: Staudingers Kommentar zum BGB, , Berlin 2008, 764 Rn RGZ 34, S. 82 (86). 26 JAN FRIEDEBORN myops 16/2012
6 Westwall, Panzersperre, fünfzügige Höckerlinie bei Hollerath
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