Nicht alles Leben ist heilig Peter Singers präferenzutilitaristische Antworten zur Bioethik. Voransicht
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- Edwina Mann
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1 1 Nicht alles Leben ist heilig Peter Singers präferenzutilitaristische Antworten zur Bioethik David Sandmaier, Neuhausen Bild: Peter Singer. dpa/picture-alliance. Klasse: 12 Dauer: 8 Stunden Arbeitsbereich: Moralphilosophie / Ansätze philosophischer Ethik Menschliches Leben ist nicht heilig. Mit dieser These leitet Peter Singer sein Buch Leben und Tod ein. Es ist die Position eines Utilitarismus, der das Nutzenkalkül Jeremy Benthams rigoros anwendet. Zwei Konsequenzen ergeben sich aus dieser These: erstens die Forderung nach gleicher Berücksichtigung der Interessen von Tieren; zweitens die Abkehr vom Begriff der Menschenwürde. Nur wer über Rationalität und Selbstbewusstsein verfügt, dem kommt laut Singer ein Recht auf Leben zu. Welche Konsequenzen hat Singers Position in Tierrechtsfragen? Kann Embryonen oder Komapatienten das Recht auf Leben abgesprochen werden? Ist ein Leben mit Behinderungen weniger lebenswert? Diese Reihe stellt die Position Singers vor und zeigt Beurteilungsmöglichkeiten auf.
2 7 Materialübersicht Sequenz 1 Stunde 1 M 11 (Tx) Stunde 2 Ethik ohne Menschenwürde? Der Begriff der Menschenwürde ein philosophisches Puzzle Menschenwürde ein Begriff mit Geschichte Wissenschaft und Technik verändern das Menschenbild eine Zeitreise M 12 (Fo) Ebenbild Gottes oder Verwandter der Schimpansen? Unser Bild vom Menschen M 13 (Tx) Was ist der Mensch? Stufen der Erschütterungen seines Selbstbildes Stunde 3 Wieso sollte der Mensch mehr Rechte haben? M 14 (Bd) Haben Mensch und Tier dieselben Rechte? M 15 (Tx) Das Prinzip der gleichen Interessenabwägung die Überwindung des Speziesismus Sequenz 2 Stunde 4 M 16 (Fo) M 17 (Tx) Stunde 5 Haben Tiere keine Rechte? Ein kritischer Blick auf Tierversuche Tierversuche pro und kontra Stellen Sie sich vor, Ihnen geschähe dasselbe! Für und wider Tierversuche wie argumentieren die Befürworter? Haben Tiere ein Recht auf Leben? M 18 (Bd) M 19 (Ab) M 10 (Tx) Sequenz 3 Stunde 6 Menschenfleisch in der Supermarkttheke eine Tierschutz-Aktion Übersichtstabelle: Warum wird getötet? Die Tötung von Nichtpersonen wir verschaffen uns Übersicht Fragen zu Leben und Tod menschlicher Personen Was würden Sie in diesem Falle tun? Ein Rollenspiel M 11 (Tx) Stunde 7 Wir diskutieren in der Schwangerschafts-Beratungsstelle Ist Leben unterschiedlich wertvoll? Ein sensibles Thema M 12 (Tx) Lebensverlängerung oder Lebensqualität was ist Behandlungsziel der Medizin? Sequenz 4 Stunde 8 M 13 (Tx) Leistungskontrolle und Abschluss der Reihe Singer auf dem heißen Stuhl eine Diskussion zum Abschluss Pro und kontra Singer wir bereiten eine Diskussion vor
3 17 M 4 Haben Mensch und Tier dieselben Rechte? Bilder: picture-alliance/dpa. Aufgaben (M 4) 1. Bild 1: Beschreiben Sie, was auf dem Bild dargestellt ist. 2. Bild 1: Wie empfinden Sie die Darstellung? 3. Bild 2: Beschreiben Sie, was auf dem Bild dargestellt ist. 4. Bild 2: Wie empfinden Sie die Darstellung? 5. Erklären Sie die unterschiedlichen Antworten auf die Fragen.
4 18 C Problemfelder der Moral Beitrag 13 S II M 5 Das Prinzip der gleichen Interessenabwägung die Überwindung des Speziesismus Singers Werk Praktische Ethik erschien 1979 erstmals in deutscher Sprache. In diesem Buch skizziert Singer seinen präferenzutilitaristischen Ansatz und nimmt Stellung zu ausgewählten Problemfeldern der angewandten Ethik: der Tierethik, bioethischen Themen und der Frage nach dem Lebenswert von Embryonen. Nicht nur in Deutschland sorgte sein Buch für heftige Diskussionen um den Wert menschlichen Lebens. a) Vom Begriff des Menschen zum Begriff der Person Wenn gesagt wird, Leben sei heilig, so meint man menschliches Leben. Aber weshalb sollte menschliches Leben einen besonderen Wert haben? [...] Die Ansicht, wonach menschliches Leben einen einzigartigen Wert habe, ist tief in unserer Gesellschaft verwurzelt und in unserem Recht verankert. [...] Hier ist die Frage angebracht, was wir mit Begriffen wie menschliches Leben und menschliches Wesen meinen. [...] Selbstbewusstsein, Sinn für Zukunft, Sinn für Vergangenheit, die Fähigkeit, mit anderen Beziehungen zu knüpfen, sich um andere zu kümmern, Kommunikation und Neugier. Diese Bedeutung des Begriffs haben wir vor Augen, wenn wir von jemand sagen, er sei ein wirklich menschliches Wesen oder zeige wahrhaft menschliche Eigenschaften. [Ich werde] den Begriff menschlich vorübergehend aufgeben und zwei verschiedene Begriffe dafür einsetzen, die den beiden verschiedenen Bedeutungen von menschlich entsprechen. Für die erste, biologische Bedeutung werde ich den [...] Begriff Mitglied der Spezies Homo sapiens verwenden, für die zweite den Begriff Person. [...] b) Das Prinzip der gleichen Interessenabwägung Es gibt keinen logisch zwingenden Grund für die Annahme, dass ein Unterschied in den Fähigkeiten zweier Menschen einen Unterschied in dem Maß der Beachtung findet, die wir ihren Interessen schenken. Gleichheit ist ein grundlegendes moralisches Prinzip, nicht eine Tatsachenbehauptung. [Wenn ich] ein moralisches Urteil fälle, [muss ich] über einen persönlichen oder partikularistischen Standpunkt hinausgehen und die Interessen aller Betroffenen berücksichtigen [...]. Dies verschafft uns ein grundlegendes Prinzip: das Prinzip der gleichen Interessenabwägung Das Wesentliche am Prinzip der gleichen Interessenabwägung besteht darin, dass wir in unseren moralischen Überlegungen den ähnlichen Interessen all derer, die von unseren Handlungen betroffen sind, gleiches Gewicht geben. [...] [Es] funktioniert wie eine Waagschale: Interessen werden unparteiisch abgewogen. [...] Das Prinzip der gleichen Interessenabwägung verbietet es, unsere Bereitschaft, die Interessen anderer Personen abzuwägen, von ihren Fähigkeiten oder anderen Merkmalen abhängig zu machen außer von dem einen: dass sie Interessen haben. [...] Ein relativ einfaches Beispiel: das Interesse an der Linderung körperlicher Schmerzen. Man stelle sich vor, ich treffe nach einem Erdbeben auf zwei Opfer, das eine mit zerquetschtem Bein, im Sterben begriffen, das andere mit einem verletzten Oberschenkel und leichten Schmerzen. Ich habe nur zwei Morphiumspritzen übrig. [...]
5 37 M 11 Wir diskutieren in der Schwangerschafts-Beratungsstelle Versetzen Sie sich in die Rolle von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einer Schwangerschafts- Beratungsstelle. Das Aufsuchen einer solchen Einrichtung ist Voraussetzung für einen legalen Schwangerschaftsabbruch, der Inhalt der Beratung aber nicht verbindlich. Nach dem Gespräch mit der zu beratenden Frau erörtern Sie den Fall mit Ihren Kollegen. Arbeiten Sie in Kleingruppen und diskutieren Sie Ihren Fall. Stellen Sie den Fall und Ihr Ergebnis der Klasse anschließend in einem kurzen Rollenspiel vor. Situation 1 Gruppe 11 Eine im dritten Monat schwangere Frau hat von ihrem Arzt nach einer Untersuchung erfahren, dass der Fötus, den sie in sich trägt, durch die Einnahme eines Medikamentes so geschädigt worden ist, dass die Lebensqualität des zukünftigen Kindes beträchtlich verringert sein wird. Das Kind wird eine sehr viel intensivere Pflege und Betreuung erfordern als ein gesundes Kind. Soll die Frau die Schwangerschaft abbrechen? Situation 2 Gruppe 21 Eine im dritten Monat schwangere Frau hat von ihrem Arzt nach einer Untersuchung erfahren, dass der Fötus, den sie in sich trägt, durch die Einnahme eines Medikamentes so geschädigt worden ist, dass die Lebensqualität des Kindes erheblich verringert sein wird. Das Kind würde sein Leben lang unter starken Schmerzen leiden. Pflege und Betreuung des kranken Kindes wären äußerst intensiv. Soll die Frau die Schwangerschaft abbrechen? Situation 3 Gruppe 31 Eine im dritten Monat schwangere Frau hat von ihrem Arzt nach einer Untersuchung erfahren, dass der Fötus, den sie in sich trägt, durch die Einnahme eines Medikamentes so geschädigt worden ist, dass die Lebensqualität des zukünftigen Kindes eventuell erheblich verringert sein wird. Das Kind könnte unter starken Schmerzen leiden. Pflege und Betreuung des kranken Kindes wären dann äußerst intensiv. Darüber hinaus hat der Arzt der Frau mitgeteilt, dass er ein Medikament kenne, dessen Einnahme das Entwicklungsproblem des Fötus beheben würde. Soll die Frau das Medikament nehmen? Versetzen Sie sich in die Rolle einer Gynäkologin bzw. eines Gynäkologen. Beraten Sie die im Folgenden beschriebene Patientin. Arbeiten Sie in Gruppen und diskutieren Sie Ihren Fall. Stellen Sie den Fall und Ihr Ergebnis der Klasse anschließend in einem Rollenspiel vor. Situation 4 Gruppe 41 Eine Frau mit Kinderwunsch kommt zu einer ärztlichen Untersuchung. Sie stellen fest, dass die Frau durch die Einnahme eines Medikamentes im Falle einer Schwangerschaft innerhalb der nächsten zwölf Monate voraussichtlich ein Kind austragen würde, dessen Lebensqualität sehr eingeschränkt wäre. Das Kind würde vermutlich unter starken Schmerzen leiden. Pflege und Betreuung des kranken Kindes wären äußerst intensiv. Dieser Zustand wird nur zwölf Monate dauern. Von da an wäre die Entwicklung gesunder Kinder mit durchschnittlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Die Frau, die gerade ihr Studium abgeschlossen hat, möchte allerdings so schnell wie möglich schwanger werden, um schon bald in das Berufsleben einzusteigen. Soll die Frau auf eine Schwangerschaft zunächst verzichten?
6 43 M 13 Pro und kontra Singer wir bereiten eine Diskussion vor Thesen gegen Singer: Wer bestimmten Gruppen von Menschen die Menschenwürde und das Lebensrecht bestreitet, stellt sich außerhalb der demokratischen Kultur, die allen Menschen Meinungsfreiheit garantiert. Eine Gesellschaft, die eine Debatte über die Freigabe der Tötung eines Teils ihrer Mitglieder in deren Abwesenheit zulässt, hebelt ihr eigenes Fundament aus. Hubert Hüppe, MdB, CDU/CSU Singer denkt seine Gedanken in ungewöhnlicher Radikalität zu Ende gerade deshalb gilt er vielen als Vordenker einer Welt, in der Menschen zum Objekt einer wachsenden biomedizinischen Industrie werden und ihre Würde immer weniger gilt. Spiegel Online Herr Professor Singer, nehmen wir an, Ihre Tochter wäre schwanger, und der Frauenarzt eröffnet ihr: Das Baby wird unter Hämophilie, der Bluterkrankheit, leiden. Würden Sie ihr zur Abtreibung raten? Spiegel Online Nicht das Leben des Embryos, nicht das des Fötus, sondern das des Neugeborenen, also das ist wohl unstreitig eines Menschen, wird hier von Singer mit Hilfe eines utilitaristischen Konzepts, welches das Lebensrecht an die Fähigkeit bindet, Wünsche, Interessen und Präferenzen zu haben, in einer unfassbaren Weise degradiert. Nur: Dahin gelangt man eben, wenn man sich auf die schiefe Ebene der ethischen Differenzierung von Embryonen, Föten, Menschen und Personen begibt. Josef Bordat Beitrag in Katholisches Magazin für Kirche und Kultur 64 Jahre nach zigtausendfachem Mord an Menschen mit Behinderungen in Deutschland darf offensichtlich das Lebensrecht behinderter, schädelhirnverletzter und auch schwerstpflegebedürftiger alter Menschen wieder öffentlich in Frage gestellt werden. Dies ist ein Angriff auf die Menschenwürde, die das Grundgesetz allen Menschen zuerkennt! Und es ist ein Schlag gegen die Grundlagen des christlichen Menschenverständnisses, das zu den Grundfesten des demokratischen Deutschland gehört! Klaus-Dieter Kottnik, Vorsitzender des Bundesverbandes evangelische Behindertenhilfe Thesen für Singer: Peter Singers Argumente im Rahmen der sogenannten Euthanasie-Debatte sind ausgesprochen rational. Die Reaktionen darauf sind aber ausgesprochen emotional, oft sogar irrational. Helmut F. Kaplan, österreichischer Tierrechtsphilosoph Je pluralistischer die Werte einer Gesellschaft und je relativistischer ihre Art und Weise, über diese Werte zu denken, desto dringender scheint das Bedürfnis nach Tabus zu werden, die ihr einen wie immer schmalen Rest an Identität sichern. In Deutschland übernimmt der Begriff der Menschenwürde einen Teil dieser Tabuisierungsfunktion. Vielleicht ist das einer der Gründe für seine Absolutheit und die Intensität der mit ihm verknüpften Emotionen. Dieter Birnbacher, Moralphilosoph Leider hat die moralische Einsicht gegen Bequemlichkeit und liebe Gewohnheiten anzukämpfen. Mit Aufrufen zum Boykott oder zur Einschränkung stößt man meist auf Widerstand. Ethik und Ökonomie scheinen dabei in einen Widerspruch zu geraten. Klaus-Peter Rippe, Zürich
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