Serie: Alkoholismus. Schlüsselwörter: Alkohol, Alkoholabhängigkeit, Arbeitswelt, psychische Schäden, Delinquenz. Summary
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- Simon Pohl
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1 Michael Soyka Serie: Alkoholismus Psychische und soziale Folgen chronischen Alkoholismus Zusammenfassung Psychische und soziale Schäden gehören zum klinischen Bild des chronischen Alkoholismus. Zu den häufigsten Folgeschäden zählen neben einer hirnorganischen Leistungsminderung Beeinträchtigungen von Gedächtnis, Aufmerksamkeit, kognitiver Leistungsgeschwindigkeit, visuell räumlicher Wahrnehmung und Abstraktionsvermögen sowie organische Persönlichkeitsveränderungen im Sinne einer zunehmenden Entdifferenzierung und Nivellierung (Deprivation). Häufig übersehen wird die Komorbidität von Alkoholismus mit psychischen Störungen, zum Beispiel affektiven Erkrankungen, Angsterkrankungen oder Schizophrenie. Die sozialen Auswirkungen betreffen insbesondere die Bereiche Familie, Arbeit und Öffentlichkeit. Familien Alkoholkranker sind häufig zerrüttet; den Kindern fehlen positive Leitfiguren. Neben alkoholassoziierten Arbeitsunfällen führt chronischer Alkoholismus im Berufsleben zu häufigen Krankheitstagen. Entlassungen und Arbeitslosigkeit sind oft die Folge. Besonders markant ist die Bedeutung des chronischen Alkoholismus auf die Delinquenz, einschließlich Verkehrsdelikten. Etwa jede vierte Gewalttat und 17 Prozent der tödlichen Verkehrsunfälle erfolgen unter Alkoholeinfluss. Zu einer effektiven Diagnostik und Therapie des Alkoholismus ist neben der Feststellung somatischer Befunde die Erfassung psychischer und sozialer Folgen, auch für die Langzeitprognose, bedeutsam. Schlüsselwörter: Alkohol, Alkoholabhängigkeit, Arbeitswelt, psychische Schäden, Delinquenz Summary Psychiatric and Social Consequences of Chronic Alcoholism Psychiatric and social consequences of chronic alcoholism are frequent complications in the course of the disorder. Cognitive dysfunction with impairment of memory and attention, among others, and changes of personality with decline of personal integrity and deprivation are severe consequences of alcoholism as are the social consequences for family, employment, public and delinquency. The comorbidity of alcoholism with affectice disorder, anxiety or schizophrenia is frequently overlooked. Both family members and collegues at the workplace may on one hand function as a co-alcoholic in a desperate effort to control the alcohol intake and avoid negative consequences for the individual and on the other hand may suffer from the consequences of continuous alcohol intake. Children of alcoholics often grow up in broken homes without orientation. Alcoholism has major impact on delinquency and traffic safety. Approximately every fourth violent act is committed under the influence of alcohol with significant higher rates for homicide and manslaughter. 17 per cent of fatal accidents are a result of alcohol intoxication. For diagnosis and treatment of alcoholism the detection of psychiatric and social consequences of alcoholism are of great importance. They are also of relevance for the patient s prognosis. Key words: alcohol, alcoholism, working place, psychiatric consequences, delinquency Bei der Alkoholabhängigkeit handelt es sich um eine in aller Regel chronische oder chronisch rezidivierende Erkrankung, die nicht nur durch eine übersteigerte Trinkmenge, sondern gerade auch durch die körperlichen, somatischen und sozialen Folgeschäden charakterisiert ist (18, 20, 21). So führen sowohl ICD-10 (Diagnose: Abhängigkeitssyndrom F10.2) sowie das DSM-IV der American Psychiatric Association unter den diagnostischen Leitlinien psychische und soziale Folgeschäden als ein diagnostisches Kriterium auf. Die ICD-10 nennt dazu unter anderem fortschreitende Vernachlässigung anderer Vergnügen oder Interessen zugunsten des Substanzkonsums... anhaltender Substanzkonsum trotz Nachweises eindeutiger schädlicher Folgen... ; das DSM-IV führt an: Wichtige soziale berufliche oder Freizeitaktivitäten werden aufgrund des Substanzmissbrauchs aufgegeben oder eingeschränkt... Die einzelnen bei Alkoholkonsum auftretenden Folgeschäden sind so zahlreich, dass sie sich auch einer summarischen Aufzählung fast entziehen (3, 18, 20). Im Folgenden wird eine kurze Synopsis der wichtigsten sozialen und psychischen Folgen gegeben. Psychische Folgen Die durch Alkohol induzierten psychischen Verhaltensstörungen sind zahlreich. Einige distinkte neuropsychiatrische Folgeschäden, wie sie bei Alkoholismus häufig auftreten, sind von komorbid vorliegenden psychischen Störungen sowie eher generellen psychosozialen Folgen des Alkoholismus zu differenzieren. Zu nennen sind die verschiedenen Formen von Alkoholintoxikationen, Psychiatrische Klinik (Direktor: Prof. Dr. med. Hans-Jürgen Möller) der Ludwig-Maximilians-Universität, München Entzugssyndrome mit und ohne Delir, Krampfanfälle, psychotische Störungen, durch Alkohol bedingte anamnestische Syndrome (Synonym: Korsakow-Syndrom) sowie andere, seltener diagnostizierte Folgeschäden, wie zum Beispiel affektive Störungen oder kognitive Beeinträchtigungen. Die organpathologischen Veränderungen, die mit chronischem Alkoholismus einhergehen, wurden bereits im Zuge dieser Serie in dem Beitrag Alkoholassoziierte Organschäden von Singer und Teyssen in Heft 33 dargelegt. Komorbidität mit psychischen Störungen Zur Frage der Komorbidität von Alkoholabhängigkeit mit psychischen Störungen liegen eine Reihe recht genauer Untersuchungen vor. In der breit angelegten US-amerikanischen epidemiolo- A 2732 Deutsches Ärzteblatt½Jg. 98½Heft 42½19. Oktober 2001
2 Grafik 1 Täterkriterien beim aufgeklärten Fall: Alkoholeinfluss 1997 (aus 16) gic catchment area (ECA) study wiesen 37 Prozent der Personen mit Alkoholabhängigkeit oder -missbrauch eine komorbide psychische Störung auf (15). Untersuchungen in klinischen Kollektiven ergaben vermutlich aufgrund eines Selektionsbias noch erheblich höhere Prävalenzraten für psychische Störungen (16). Klinisch relevant ist die Differenzierung in primäre (zeitlich dem Alkoholismus vorangehende) oder sekundäre psychische Störungen. Die retrospektive Einschätzung ist häufig schwierig. Einige Befunde deuten darauf hin, dass Depressionen bei Alkoholabhängigkeit häufig eher sekundär auftreten, Angststörungen dagegen öfter primär (2). Die Übergänge sind aber fließend, und die Datenlage ist sehr heterogen (10, 19). Recht genaue Erkenntnisse zur Häufigkeit psychischer Störungen bei Alkoholabhängigkeit lieferte die Münchener Follow-up-Studie (1), die auf einer ursprünglich 1974 gezogenen Bevölkerungsstichprobe basiert. Ein Teil dieser Stichprobe wurde 1981 für eine zweite Untersuchung herangezogen (n=455). Dabei ergaben sich folgende Häufigkeiten für komorbide psychische Störungen bei Alkoholabhängigkeit: Phobien traten bei 14,7 Prozent der Alkoholabhängigen auf, Panikstörungen bei 8,7 Prozent, Dysthymien bei 6,8 Prozent, majore Depressionen bei 9,8 Prozent, (andere) Substanzstörungen bei 5,9 Prozent, Somatisierungsstörungen bei 2,0 Prozent, Zwangsstörungen bei 1,0 Prozent. 29 Prozent der Personen mit Alkoholmissbrauch und -abhängigkeit wiesen mindestens eine weitere psychische Störung auf im Vergleich zu 22,5 Prozent der Kontrollen. Auffallend erhöhte Prävalenzen ergaben sich gegenüber den nichtalkoholkranken Personen insbesondere für Panikstörungen (Vergleichsgruppe 1,3 Prozent), Dysthymien (Vergleichgruppe 3,3 Prozent) und Substanzstörungen (Vergleichsgruppe 1,5 Prozent). Andere Befunde deuten darauf hin, dass Patienten mit Schizophrenie ein überaus gesteigertes Risiko für Substanzmissbrauch haben. Dies wurde sowohl in klinischen Kollektiven als auch in epidemiologischen Untersuchungen wie zum Beispiel der oben erwähnten ECA-Studie gefunden. Dabei betrug die Prävalenzrate für Alkoholmissbrauch und -abhängigkeit bei Schizophrenen über 30 Prozent und war gegenüber der übrigen Bevölkerung etwa vierfach erhöht. Auch andere klinische und epidemiologische Untersuchungen stützten diesen Befund (21). Laufende Untersuchungen wie die Studie early developmental stages of psychopathology (EDSP) in München sowie die Studie transitions in alcohol consumption and smoking (Tacos) in Lübeck können weitere Erkenntnisse zur Komorbidität von Alkoholismus mit psychischen Störungen liefern. Neben affektiven Störungen können eine Reihe von kognitiven Defiziten nach chronischem Alkoholkonsum auftreten. Aus einer Vielzahl von Untersuchungen ist bekannt, dass Alkohol zu ausgeprägten strukturellen und funktionellen Veränderungen im Nervensystem führt, insbesondere zur Schädigung im Bereich des Großhirns, einer Volumenverminderung im Marklager und kortikalen Schädigungen, die sich auch neuroradiologisch (CCT, NMR) darstellen. Volumenminderungen im Marklager und Kortex korrelieren nur bis zu einem gewissen Umfang mit Einbußen der kognitiven Leistungen (11). Bei ausgeprägten Schädigungen können Störungen des Gedächtnisses und der Feinmotorik auftreten. Die neuropsychologischen Defizite sind keinem spezifischen Schädigungsmuster des Gehirns zuzuordnen. Die Summe der Befunde spricht für eine leicht- bis mäßig ausgeprägte eher globale Verschlechterung der Hirnfunktion ( mild generalized dysfunction hypothesis, 14). Kognitive und visomotorische Defizite sind unter Abstinenzbedinungen, teilweise aber nicht immer, reversibel. Dazu gehören zum Beispiel Gedächtnisdefizite, Beeinträchtigungen von Aufmerksamkeit und kognitiver Leistungsgeschwindigkeit sowie Abstraktionsvermögen und visuell-räumliche Wahrnehmung (12, 14). Einige andere bei Alkoholabhängigkeit vorliegende psychosoziale Folgeschäden lassen sich quantitativ nur schwer erfassen, spielen aber für die Prognoseeinschätzung und Therapie Alkoholkranker eine große Rolle. Dazu gehören vor allem bei chronischen Alkoholikern eine zunehmende Deprivation sowie Änderungen der Persönlichkeit im Sinne einer zunehmenden Entdifferenzierung und Nivellierung ( entkernte Persönlichkeit ). Chronische Alkoholkranke fallen häufig durch eine Vielzahl von psychischen Verhaltensänderungen auf, ohne dass zum Beispiel differenzierte testpsychologische Untersuchungen klare Beeinträchtigungen etwa im Bereich der Kognition ergeben. Zu diesen typischen Verhaltensmerkmalen gehören eine Einengung der persönlichen Interessen auf Aufrechterhaltung der Sucht, die bereits angesprochene Vernachlässigung anderer Interessen und Vergnügen, Defizite im Bereich Körperpflege und Hygiene, eine affektive, mitunter auch sexuelle Enthemmung, auch unabhängig von dem jeweiligen Grad der Intoxikation. Schließlich kann zu den psychischen Störungen im weitesten Sinne auch eine erkennbar gesteigerte Ag- Deutsches Ärzteblatt½Jg. 98½Heft 42½19. Oktober 2001 A 2733
3 gressionsbereitschaft durch Verminderung hemmender psychischer Mechanismen sowie eine mehr oder weniger ausgeprägte Delinquenz kommen. Soziale Auswirkungen Soziale Störungen in Folge von Alkoholismus zeigen sich insbesondere in den Bereichen Familienleben, Arbeit, Öffentlichkeit und Delinquenz. Familie Die Wirkung eines chronischen Alkoholkonsums auf die Partnerbeziehung und die Familie insgesamt ist sehr komplex. Die Häufigkeit und das Ausmaß sozialer Störungen bei Abhängigen ist bislang vorwiegend in der Beratung und Behandlung Abhängiger thematisiert und untersucht worden, etwa im Kontext der Einleitung einer Rehabilitationsmaßnahme, die der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit dient. Befunde von Simon und Palazetti (17) zeigen, dass 75 Prozent der weiblichen und 45 Prozent der männlichen Alkoholkranken ein oder mehrere Kinder haben, und dass in 45 Prozent beziehungsweise 30 Prozent der Fälle diese Kinder auch im Haushalt der Betroffenen leben. 43 Prozent der Alkoholikerinnen und 37 Prozent der Alkoholiker sind verheiratet, 23 Prozent beziehungsweise 19 Prozent geschieden. Sichere Zahlenangaben zum Ausmaß psychischer Störungen bei Kindern von Alkoholkranken liegen nicht vor. Überträgt man skandinavische Schätzungen auf Deutschland so würden hier etwa bis 1,6 Millionen Kinder alkoholkranker Eltern leben (16). Partner und vor allem Partnerinnen Alkoholkranker, aber auch andere Familienangehörige (Kinder, Eltern) übernehmen bei chronischen Abhängigkeitsentwicklungen oft die Führung und Verantwortung für die Familie. Parallel zum Abhängigkeitsprozess des Betroffenen entwickeln die Partner häufig ein so genanntes Koverhalten (Koabhängigkeit, Koalkoholiker), indem sie das Verhalten des Betroffenen stützen, versuchen den Konsum zu kontrollieren, eventuell auch mithelfen, das Grafik 2 Alkoholunfälle mit Personenschäden Vergleich alte versus neue Bundesländer und Ostberlin (aus 16) tatsächliche Verhalten zu verschleiern und gegebenenfalls auch für den Partner lügen. Dies alles führt zu erheblichen Belastungen für die betroffenen Familienmitglieder und bedingt nicht selten eigene psychische und physische Erkrankungen der Angehörigen. Besonders betroffen sind Kinder Alkoholkranker, die oft in einem Klima plötzlicher Stimmungsumschwünge, chronischer Verunsicherung und Angst aufwachsen und es schwer haben, eigene tragfähige Beziehungen aufzubauen, da ihnen das Erleben von Verlässlichkeit fehlt. Häufig werden die Kinder damit überfordert, indem sie früh Verantwortung für das betroffene Elternteil übernehmen oder überhaupt in eine Erwachsenenrolle hineingedrängt werden, der sie nicht gewachsen sind. Typischerweise ist die Situation der Kinder Alkoholkranker geprägt durch Unsicherheit, soziale Isolation und einem Gefühl der Ohnmacht. Es muss nicht eigens betont werden, dass die eigentlichen Erziehungsaufgaben von alkoholkranken Eltern häufig nur ungenügend oder gar nicht wahrgenommen werden können. Nicht nur das innerfamiliäre Gefüge ändert sich, auch Freundschaften gehen verloren, soziale Kontakte werden reduziert. Kontrollversuche, Enttäuschung und Misstrauen prägen die sozialen Interaktionen. Familienangehörige Alkoholkranker sind zudem oft Opfer von Gewalttaten. Sehr stark diskutiert wird in den letzten Jahren die Häufigkeit von sexuellem Missbrauch gerade in Familien von Suchtkranken. Dabei kann der sexuelle Missbrauch später wiederum Bedeutung für einen Substanzmissbrauch oder andere psychische Störungen der Kinder haben. Gesichert ist, dass Alkoholkonsum häufig zur Enthemmung und vermehrter Aggression führt (8). Mebes und Jeuck (13) nehmen an, dass 50 Prozent der Mädchen, die von sexuellem Missbrauch durch einen Mann in der Familie betroffen sind, gleichzeitigen Alkoholmissbrauch von Familienangehörigen erleben. Schätzungen der Mitarbeiter der Suchtkrankenhilfe zufolge sind 30 bis 35 Prozent der alkoholabhängigen Frauen auch sexuell missbraucht worden. Die Datenlage in diesem Bereich ist aber außerordentlich komplex. Ein besonderes Problem stellt das fetale Alkoholsyndrom (alkoholische Embryopathie) dar, das in westlichen Ländern mit Prävalenzraten zwischen 1:100 und 1:1 000 noch vor dem Down-Syndrom die häufigste Ursache einer geistigen Retardierung darstellt. Das Risiko für Alkoholikerinnen, die während der Schwangerschaft trinken, ein Kind mit einer alkoholischen Embryopathie zur Welt zu bringen liegt bei 32 bis 43 Prozent, abhängig von der zugeführten Alkoholmenge und dem Stadium der Chronizität (9). Leitsymptome der alkoholischen Embryopathie sind der pränatale Minderwuchs, verschiedene körperliche Anomalien, insbesondere im Gesichtsbereich sowie ZNS- und Verhaltensstörungen, insbesondere eine geistige Retardierung, die häufig sehr ausgeprägt sein kann. Aufgrund eines hohen Informationsdefizits in der Öffentlichkeit, aber auch im ärztlichen Bereich ist davon auszugehen dass viele alkoholische Embryopathien nicht oder nicht rechtzeitig erkannt werden. Für Deutschland wird nach Angaben des Gesundheitsberichts (16) seit 1998 mit immerhin Kindern pro Jahr mit Alkoholembryopathie gerechnet. A 2734 Deutsches Ärzteblatt½Jg. 98½Heft 42½19. Oktober 2001
4 Arbeitswelt Die Bedeutung des Alkoholkonsums für Störungen am Arbeitsplatz ist evident, und Arbeitslosigkeit ist ein häufiges Problem für Alkoholkranke. Circa acht Prozent der Erwerbstätigen trinken täglich während der Arbeit Alkohol, vier bis sieben Prozent aller Berufstätigen sind alkoholabhängig (6). Es lassen sich aufgrund empirischer Studien einige Berufsfelder mit besonders hohem Risiko für die Entwicklung eines Alkoholismus definieren. Dabei handelt es sich zum einen um Berufe, die mit der Produktion und dem Vertrieb alkoholischer Getränke zu tun haben, um ungelernte Arbeiter, um so genannte Durstberufe (Gießer, Köche, Heizer, Glasbläser, Drucker), aber auch um Metallberufe, Arbeit im Hafenbereich, so genannte Kontaktberufe (Vertreter, Journalisten, Werbebranche), nicht zuletzt aber auch um Freiberufler, einschließlich Ärzte und Apotheker (3). Aus betriebsärztlicher Sicht ist die frühe Diagnose eines Alkoholismus besonders wichtig im Rahmen von Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten sowie bei Arbeiten mit Absturzgefahr (6). Die klinische Erfahrung zeigt, dass zumindest in Großfirmen, die häufig eigene Suchtberater haben, Alkoholkranke am Arbeitsplatz angesprochen und entsprechende therapeutische Hilfen angeboten und eingeleitet werden. Bei chronischem Alkoholismus mit häufigen Krankheitstagen und nachlassender Arbeitsleistung kommt es, trotz betrieblicher Suchtprogramme aber oft zu Kündigungen und Arbeitslosigkeit. Auch die Zahl der Arbeits- und Hausunfälle unter Alkohol ist erheblich. Alkoholkonsum vermindert die psychische und kognitive Leistungsfähigkeit, insbesondere die motorische Geschicklichkeit, Koordination und Reaktionsvermögen. Unfälle und Verletzungen sind häufige Folgen. Klare Zahlen liegen dabei vor allem für Verkehrsunfälle vor. Zur Beeinträchtigung der Arbeitswelt durch Alkoholismus können nur sehr ungefähre Schätzungen angegeben werden. Nach einer Statistik des Bundesdisziplinaranwaltes von Els (5) sind arbeitsrechtlich von nicht förmlichen Verfahren wegen Alkoholverfehlungen eingeleitet wurden, von den 460 förmlichen Verfahren 277 aufgrund von Alkoholdelikten. Im Jahr 1997 wurden wegen Alkoholabhängigkeit oder Alkoholpsychose (ICD-10-Diagnose) Männer und Frauen frühberentet. Es ist allerdings davon auszugehen, dass bei vielen Berentungen oft nicht die primäre Grunderkrankung sondern körperliche Folgeerkrankungen angeben werden (zum Beispiel Leberschädigung). Die Zahl der Arbeitsunfähigkeitsfälle wegen Alkoholpsychosen oder Alkoholabhängigkeit betrug nach Angaben des Bundesministerium für Gesundheit 1993 rund Feuerlein (4) stellt fest, dass die berufliche Situation des Alkoholikers in vielfältiger Weise ungünstig beeinflusst wird. Die durch Alkohol verursachte Hirnschädigung und die damit verbundene Wesensänderung führen zu einer Verlangsamung des Psychomotorik und des Denkvermögens, zu einem Mangel an Konzentrationsvermögen, zu einem Nachlassen der sensorischen und motorischen Funktionen. Ferner kommt es zu einer Reduktion der Initiative und der Aktivität und zu weiteren Persönlichkeitsveränderungen wie Unzuverlässigkeit, mangelnde Sorgfalt, Gleichgültigkeit, Gereiztheit und depressive Verstimmung. Andererseits wirken sie vielfach (in ihrem Bemühen nicht aufzufallen und das teilweise selbst begangene Fehlverhalten zu kompensieren) oft überangepasst. Die Einengung des Interessenhorizonts auf den Alkohol führt zu einer Ablenkung von der beruflichen Tätigkeit und einer Verschlechterung der Identifikation mit dem Beruf. Damit ist eine vermehrte Unfallhäufigkeit und ein vermehrtes unentschuldigtes Fernbleiben von der Arbeit verbunden. Die Folgen für den Betrieb sind eine Verlangsamung des Arbeitstempos, ein hoher Verschleiß an Werkzeugen und Material, eine Verminderung der Produktion in quantitativer und qualitativer Hinsicht. Schließlich sind auch noch die erheblichen zwischenmenschlichen Spannungen zu bedenken, die infolge des geschilderten Fehlverhaltens im Betrieb entstehen. Dies alles führt zu einer Verunsicherung der Beziehungen mit den nichtalkoholabhängigen Mitarbeitern und Vorgesetzten, die dann zu gleichzeitiger Angst und Ablehnung führen kann. Kollegen und andere Mitarbeiter können in ihrem Versuch durch Alkoholmissbrauch bedingte Fehlzeiten des Betroffenen zu decken häufig in die Rolle eines Koalkoholikers gedrängt werden. Der Alkoholiker verliert im Verlauf dieses oft kaskadenförmig fortschreitenden Desintegrationsprozesses seine Autoritätsposition, er wird schließlich zum Gegenstand einer negativen Stereotypposition, schließlich kommt es zum beruflichen und sozialen Abstieg, der besonders deutlich in qualifizierten Berufen in Erscheinung tritt. Es kann daher nicht überraschen, dass Arbeitslosigkeit bei Alkoholismus ein häufiges Problem ist und die Kosten für die teilweise lang dauernde Arbeitsunfähigkeit bei Alkoholkranken auf 3,2 Milliarden DM geschätzt wurden (7). Der volkswirtschaftliche Gesamtschaden durch Alkoholismus wurde sogar auf bis zu 50 bis 80 Milliarden DM geschätzt (7). Zur Vermeidung alkoholbedingter betriebswirtschaftlicher Schäden fördern vor allem Großfirmen und Verwaltungen Alkoholprogramme insbesondere im Hinblick auf Prävention und Früherkennung. Diese beinhalten Informationsveranstaltungen, Kontaktaufnahme mit Fachkrankenhäusern und niedergelassenen Psychiatern, Aufbau von innerbetrieblichen Suchtberatungsstellen, Änderung der innerbetrieblichen Trinkgewohnheiten (Alkoholausschank!) und Normen (zum Beispiel Verbilligung alkoholfreier Getränke) sowie im Zusammenwirken der Unternehmensleitung und des Betriebs- und Personalrats auch ein Alkoholverbot (6). Tatsächlich stellt die alkoholbedingte Beeinträchtigung der Arbeitsleistung eine Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten des Arbeitnehmers dar, wobei der Krankheitscharakter des Alkoholismus zu berücksichtigen ist, dieser aber nicht grundsätzlich von den arbeitsrechtlichen Konsequenzen entbindet. Alkoholismus ist sozialrechtlich als Krankheit anerkannt. Für Entgiftungsmaßnahmen zahlt der Krankenversicherungsträger, die Kosten von Entwöhnungsmaßnahmen übernimmt in der Regel der Rentenversicherungsträger, allerdings nur auf Antrag. Eine absichtliche Herbeiführung der Rehabilitationsbedürftigkeit kann zu einer Deutsches Ärzteblatt½Jg. 98½Heft 42½19. Oktober 2001 A 2735
5 Ablehnung der Kostenübernahme durch die Rentenversicherung führen. Wichtig ist auch, dass im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung kein Versicherungsschutz besteht, wenn der Alkoholeinfluss die überwiegende Unfallursache darstellt. Delinquenz und Verkehr Umfassende Angaben gibt es zur Bedeutung von Alkoholismus für die Delinquenz und den Zusammenhang von Alkohol und Gewalt. Klein (8) schätzt, dass täglich mindestens drei Tötungsdelikte in Deutschland verübt werden, bei denen der Tatverdächtige unter Alkoholeinfluss steht. Fragen der Alkoholbelastung spielen bei Schuldfähigkeitsbegutachtungen entsprechend eine große Rolle. Relativ genaue Daten gibt es zur Häufigkeit von Alkoholeinfluss bei verschiedenen Straftaten (Grafik 1) sowie bei Unfällen mit Personenschäden (Grafik 2). Der Anteil aller aufgeklärten unter Alkoholeinfluss begangenen Straftaten liegt bei etwa sieben Prozent, wobei etwa jede vierte Gewalttat direkt unter Alkoholeinfluss geschieht (24,3 Prozent aller aufgeklärten Gewaltdelikte im Jahr 1997). Schwere Delikte, insbesondere Tötungsdelikte sind in noch höherem Ausmaße mit dem Einfluss von Alkohol assoziiert. 8,6 Prozent aller Verkehrsunfälle mit Personenschäden passieren unter Alkoholeinfluss, wobei die Zahl der bei Verkehrsunfällen mit Alkoholeinfluss getöteten Personen 16,9 Prozent beträgt (Abbildung 2). Alkoholismus spielt also vor allem bei schweren Unfällen, insbesondere mit letalem Ausgang, eine große Rolle. Die Anzahl der Führerscheinentzüge aufgrund von Trunkenheit im Straßenverkehr zeigt in Ost- und Westdeutschland gegenläufige Trends. So wurden in den neuen Bundesländern pro Einwohner 261 Entzüge der Fahrerlaubnis wegen Trunkenheit im Straßenverkehr ausgesprochen gegenüber 148 in den alten Bundesländern. Bezieht man die Zahl der Unfälle, bei denen Alkohol eine Rolle spielte, auf die Bevölkerungszahl, so zeigen sich in den neuen Bundesländern durchgehend höhere Werte. Auch die Zahl der Alkoholunfälle mit Personenschäden ist in den alten Bundesländern stark rückläufig (1975: ; 1997: ), in den neuen Bundesländern dagegen stark ansteigend (1975: 3 247; 1997: 8 716) (16). Die enorme Bedeutung von Alkoholmissbrauch und -abhängigkeit zeigt sich insgesamt in vielen Lebensbereichen. Besonders auffällig ist die Beeinträchtigung von Familien- und Arbeitswelt und der Zusammenhang von Alkohol und Gewalt. Verbesserte Prävention und Therapiemöglichkeiten bei Alkoholismus dürften auch zu massiven Kosteneinsparungen im Sozialsystem führen. Zitierweise dieses Beitrags: Dt Ärztebl 2001; 98: A [Heft 42] Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser und über das Internet ( erhältlich ist. Anschrift des Verfassers: Prof. Dr. med. Michael Soyka Psychiatrische Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität München Nußbaumstraße München Michael.Soyka@psy.med.uni-muenchen.de In der Serie Alkoholismus sind bisher erschienen: Alkoholmissbrauch und Alkoholabhängigkeit Prof. Dr. med. Rainer Tölle Dt Ärztebl 2001; 98: A 1957 [Heft 30] Das Alkoholproblem in der Medizingeschichte Prof. Dr. med. Dr. phil. Heinz Schott Dt Ärztebl 2001; 98: A [Heft 30] Alkoholassoziierte Organschäden Befunde in der Inneren Medizin, Neurologie und Geburtshilfe/Neonatologie Prof. Dr. med. Manfred V. Singer, Priv.-Doz. Dr. med. Stephan Teyssen Dt Ärztebl 2001; 98: A [Heft 33] Neurobiologie der Alkoholabhängigkeit Prof. Dr. med. Karl Mann Dt Ärztebl 2001; 98: A [Heft 36] Missbrauch oder Abhängigkeit von Alkohol Frühdiagnostik und Frühintervention in der Praxis Prof. Dr. phil. Ulrich John Dt Ärztebl 2001; 98: A [Heft 38] Beziehung von Alkoholismus, Drogen und Tabakkonsum Priv.-Doz. Dr. med. Anil Batra Dt Ärztebl 2001; 98: A [Heft 40] Referiert Screening für familiäre Hypercholesterinämie Gezielte Screeningprogramme, basierend auf DNA-Analysen und Cholesterinwertbestimmungen, sind äußerst effektiv und sinnvoll, um möglichst früh Patienten mit familiärer Hypercholesterinämie und deren ebenfalls betroffene Angehörige erkennen und adäquat behandeln zu können. Niederländische Forscher veröffentlichten in ihrer Studie die Ergebnisse eines über fünf Jahre durchgeführten Screening, in dessen Rahmen sie Verwandte von 237 Patienten mit familiärer Hypercholesterinämie auf krankheitsspezifische LDL-Rezeptormutationen und erhöhte Cholesterinspiegel untersuchten. Insgesamt wurden Mutationsträger identifiziert, und die Therapierate konnte nach Diagnosestellung innerhalb eines Jahres von 39 Prozent auf 93 Prozent gesteigert werden. Die DNA-Analysen erwiesen sich als wichtiges diagnostisches Kriterium 18 Prozent der neu entdeckten Fälle wären nach Bestimmung der Cholesterinwerte allein nicht entdeckt worden. Während genetische Screeningprogramme und deren mögliche Konsequenzen für den Arbeitsalltag und Versicherungsoptionen potenziell kranker Personen oftmals auf Ablehnung stoßen, so die Autoren, waren in diesem Fall nur zehn Prozent der möglichen Studienteilnehmer mit der Untersuchung nicht einverstanden. goa Umans-Eckenhausen MAW et al.: Review of first 5 years of screening for familial hypercholesterolaemia in the Netherlands. Lancet 2001; 357: Marina A W Umans-Eckenhausen, Foundation for the Identification of Persons with Inherited Hypercholesterolaemia, Paasheuvelweg 15, Amsterdam, Niederlande. A 2736 Deutsches Ärzteblatt½Jg. 98½Heft 42½19. Oktober 2001
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