18 Die Farben des Denkens
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- Maike Hoch
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1 18 Die Farben des Denkens Mein Freund Thomas 1 ist wie eine nicht so ganz kleine Minderheit der Männer rot-grünblind. Ich glaube, ich habe einen grünen Pullover an, er könnte aber auch rot sein so oder so ähnlich höre ich ihn manchmal schmunzelnd über seine Krankheit reden. Ihn stört es nicht weiter und er weiß auch nicht, wie man sich den Unterschied vorstellen soll. Blau und gelb kennt er schon, aber rot und grün sehen irgendwie gleich aus, je nach Helligkeit. Was ihm auf jeden Fall fehlt, sind Farbassoziationen zur Wahrnehmung von rot und grün, also etwa Blut und Gefahr bzw. Wald und Ruhe, wenn die entsprechenden Farben vorliegen. Vielleicht ist er aber genau deswegen auch kaum aus der Ruhe zu bringen. Anders geht es uns Normalfarbensichtigen: Die Farbe Rot macht uns aufmerksam (deswegen sind wichtige Schilder in rot), lässt uns Gefahr wittern und bereitet uns auf Kampf oder Flucht bzw. Vermeidungsverhalten vor. Wenn die rote Lampe angeht, vermeiden wir das Risiko. Grün sind Blätter und Bäume, blau sind der Himmel und das Meer. Diese Farben stehen daher eher für Aufgeschlossenheit, Ruhe und Frieden, wie sich nicht zuletzt mittels Wortassoziationstest nachweisen lässt. Zwar ist die Sache nicht ganz konsistent (rot ist auch die Liebe; grün das Gift; der Blues ist depressiv), aber es überwiegen die genannten Effekte doch deutlich (Abb. 18-1). Wenn die Farben Rot und Blau diese Assoziationen haben, dann sollte sich dies nicht nur auf die Inhalte des Denkens auswirken (2 8; s. auch Kap. 10 Unordnung ist nicht Ordnung, S. 89 und Kap. 8 Seid nett zu den Alten!, S. 79), sondern auch auf dessen Form: Sind Ruhe und Frieden im Gehirn aktiv, dann sollte sich eine entsprechende Motivationslage (man könnte auch von Neuromodulationszustand sprechen) einstellen, die das weiß man aus der Kreativitätsforschung weites Assoziieren und damit Kreativität fördert. Wir verhalten uns annäherungsorientiert. Ganz anders bei 1 Name nach Rücksprache mit Thomas ( das weiß doch eh jeder ) nicht geändert. 175
2 Abb Was fällt ihnen zur Farbe Rot (Blau) ein? Schriftliche Antworten von 23 (15 weiblich) kanadischen Probanden (durchschnittlicher Prozentwert der von jeder Einzelperson generierten Assoziationen, nach Kategorien geordnet) im Alter von 17 bis 38 Jahren (nach 1). Gefahr, die wir zu vermeiden suchen. Um dies effektiv zu tun, müssen wir genau sein, uns auf das Wichtige beschränken und alles Unnötige ausblenden. Die entsprechenden sich körperlich und geistig einstellenden Änderungen sind ein Produkt der Evolution und recht gut erforscht: Wer sich angesichts des Säbelzahntigers entspannt zurücklehnte, das Problem erst einmal auf sich wirken ließ, um es dann kreativ zu lösen... gehörte nicht zu unseren Vorfahren. Umgekehrt gilt aber auch: Wer satt unter blauem Himmel mit gutem Ausblick vor Augen und einer Felswand im Rücken (mit Höhle) nicht auch einmal loslassen, die Gefahren vergessen und einmal weiter denken konnte, um den Pflug, das Rad oder die Schrift zu erfinden, ist auch nicht unser Vorfahre. Um den Auswirkungen der Farben Rot und Blau auf den kognitiven Stil (die Form des Denkens) empirisch nachzugehen, führten Ravi Mehta und Juliet Zhu von der University of British Columbia 176
3 im kanadischen Vancouver eine Reihe von Experimenten an 689 Studenten durch, die im Folgenden kurz beschrieben werden. Im ersten Experiment mussten die Studenten jeweils zwölf Wort-Anagramme lösen, also Buchstaben in die richtige Reihenfolge bringen, sodass ein Wort aus ihnen wurde. Drei der Lösungswörter waren annäherungsorientiert (Abenteuer, Fortschritt, Olympiade), drei vermeidungsorientiert (Verpflichtung, verhindern, Garantie) und sechs weitere waren im Hinblick auf die experimentelle Fragestellung neutral (Geige, Getränk, Telefon, zählen, Computer, Farm). Experimentell verändert wurde der Bildschirmhintergrund, der bei jedem Studenten in randomisierter Reihenfolge entweder durchgängig rot, blau oder weiß (neutral) war. Wenn die Farbe des Bildschirmhintergrundes einen Einfluss auf den Denkstil hat, dann sollte sich dies in der Zeit zeigen, in der die Anagramme korrekt gelöst wurden: Ein roter Hintergrund sollte das Finden von Gefahr-Wörtern erleichtern, ein blauer Hintergrund hingegen sollte es erleichtern, auf Wörter der Annäherung zu kommen. Dass es tatsächlich so war, zeigt Abbildung Abb Zum Lösen der Anagramme gebrauchte Zeit (nur korrekte Lösungen) in Sekunden in Abhängigkeit von der Bedeutung der Lösungswörter (Vermeidung, Annäherung oder neutral) und der Farbe des Bildschirmhintergrundes (rot, blau, weiß). Rot bahnt Vermeidung (Mitte), blau bahnt Annäherung (links). Ein weißer (neutraler) Hintergrund hatte keinen differenziellen Effekt (nach 1). Die Interaktion zwischen Farbe und motivationalem Hintergrund war mit p < 0,001 hochsignifikant. 177
4 Die Anagramme mit Annäherungslösungswörtern wurden von denjenigen Studenten vergleichsweise signifikant schneller gelöst, die vor einem blauen Bildschirmhintergrund arbeiteten als von Studenten vor rotem (p < 0,01) oder weißem (p < 0,03) Bildschirmhintergrund. Umgekehrt wurden Wörter der Vermeidung leichter vor einem roten Bildschirmhintergrund gefunden als vor einem blauen (p < 0,01) oder weißen (p < 0,01). Die Studenten hatten eine zweite Aufgabe mit ähnlicher dahinter steckender Logik zu lösen und mussten die Beschreibung von drei Produktpaaren (Produkte A und B) lesen und die Produkte hinterher danach bewerten, wie gut sie ihnen im Vergleich zueinander gefallen. Sie hatten ihre Bewertung hierzu auf einer Skala von eins (ziehe A vor) bis sieben (ziehe B vor) anzugeben. Jeweils eines der beiden Produkte wurde mit der Vermeidung eines negativen Effekts beworben (Beispiel Zahncreme: gegen Karies ), das andere mit der Herbeiführung eines positiven Effekts ( für weiße Zähne ). Die anderen beiden Produktpaare waren Snacks ( schmeckt gut vs. ist gesund ) und Autos ( sportlich vs. sicher ). Wieder zeigte sich ein Effekt der Farbe des Bildschirmhintergrundes in dem Sinne, dass bei der Darbietung der Produkte vor blauem Hintergrund das Produkt mit dem vermeintlich positiven Effekt (Motivation der Annäherung) signifikant besser bewertet wurde als das Produkt, das einem bei der Vermeidung eines negativen Effekts half (Abb. 18-3). Zwei weitere Experimente hatten den Einfluss der Farben Rot und Blau auf die Gedächtnisleistung (diese sollte durch Vermeidung mit gleichzeitiger Aufmerksamkeit auf Details, also durch die Farbe Rot, eher gestärkt werden) und auf kreative Prozesse (diese sollten durch die Farbe Blau mit ihrer Annäherungsmotivation eher verstärkt werden) zum Gegenstand. Der Gedächtnistest bestand darin, eine Liste von 36 Wörtern zwei Minuten lang zu lernen, die dann nach 20 Minuten abgefragt wurde ( erinnern Sie bitte soviel Wörter wie möglich ). Bei rotem Bildschirmhintergrund war die Leistung in diesem Test besser als bei blauem. Darüber hinaus führte ein blauer Bildschirmhintergrund zu mehr Fehlern (false recalls) als ein roter oder ein weißer (Abb. 18-4). 178
5 Abb Bei drei Vergleichen jeweils zweier Produkte, von denen das eine eher gekauft wurde, um etwas zu vermeiden (Karies, Krankheit, Unfall) und das andere eher, um etwas zu erreichen (weiße Zähne, Genuss, Fahrvergnügen), hatte der Bildschirmhintergrund einen deutlichen Effekt: Ein roter Hintergrund führte zur Bevorzugung von Produkten der Vermeidung, ein blauer zur Bevorzugung von Produkten der Annäherung (nach 1). Abb Auswirkung der Farbe des Bildschirmhintergrundes auf die Gedächtnisleistung. Rot macht sie besser (links), blau macht zusätzlich mehr falsche Erinnerungen (rechts; nach 1). Der Kreativitätstest bestand aus der Frage, wofür man einen Ziegelstein neben dem üblichen Verwendungszweck noch alles gebrauchen könnte (Instruktion am Computer mit unterschiedlichem Bildschirmhintergrund). Es handelt sich um ein in der Kreativitätsforschung recht häufig verwendetes und damit gut 179
6 untersuchtes Testverfahren. Man kann die Gesamtzahl der Ideen bestimmen, den mittleren Kreativitätswert der einzelnen vorgeschlagenen Verwendungen sowie die Gesamtzahl sehr kreativer Lösungen (jeweils durch unabhängige Bewerter anhand klarer Regeln eingestuft). Wie in Abbildung 18-5 dargestellt, führte die Farbe Blau sowohl zu einem höheren Kreativitätswert der Lösungen als auch zu mehr wirklich kreativen Lösungen. Ein Test zum Korrekturlesen auf Fehler zeigte erneut, dass die Hintergrundfarbe Rot die Aufmerksamkeit auf Details verbessert und Fehler vermeiden hilft (Abb links). Beim Test für indirekte Assoziationen ebenfalls Standard in der Kreativitätsforschung wird ein Wort gesucht, das mit drei vorgegebenen Wörtern in engem Zusammenhang steht (Abb. 18-6). Es wird gemessen, für wie viele von insgesamt fünf solcher Wort-Tripel der Kandidat eine Lösung findet. Ein blauer Hintergrund steigerte die Kreativität (Abb rechts). Um die Auswirkungen der Farben Rot und Blau in einer einzigen Aufgabe zu zeigen (und um damit spezielle, hier nicht interessierende Effekte auszuschließen und die Ergebnisse noch robuster zu machen), erhielten 42 Probanden die Aufgabe, aus 20 Teilen, die auf einem Blatt entweder in roter oder blauer Farbe abgebildet waren, fünf auszuwählen, um damit ein Spielzeug für ein fünf- bis Abb Auswirkung der Farbe des Bildschirmhintergrundes auf die Kreativität, die durch blau signifikant gefördert wird, sowohl im Mittelwert (links) als auch im Hinblick auf die Zahl kreativer Lösungen (rechts; nach 1). 180
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