texte zur mathematischen forschung und lehre

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1 texte zur mathematischen forschung und lehre 78

2 texte zur mathematischen forschung und lehre 78 Anja Fried Mathematische Erfahrungen im Kindergarten Eine Fragebogenstudie in niedersächsischen Kindertageseinrichtungen Verlag Franzbecker

3 Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über < abrufbar. Bibliographic information published by Die Deutsche Bibliothek Die Deutsche Bibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographic data is available in the Internet at < Anja Fried Mathematische Erfahrungen im Kindergarten Eine Fragebogenstudie in niedersächsischen Kindertageseinrichtungen ISBN Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades Dr. rer. nat. (Mathematikdidaktik) im Fachbereich IV der Universität Hildesheim vorgelegt von Anja Fried geb. am in Gardelegen vorgelegt im November 2011 Erstgutachterin: Frau Prof. Dr. Barbara Schmidt-Thieme Zweitgutachter: Herr Prof. Dr. Jürgen Sander Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere die der Vervielfältigung und Übertragung auch einzelner Textabschnitte, Bilder oder Zeichnungen vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf ohne schriftliche Zustimmung des Verlages in irgendeiner Form reproduziert werden (Ausnahmen gem. 53, 54 URG). Das gilt sowohl für die Vervielfältigung durch Fotokopie oder irgendein anderes Verfahren als auch für die Übertragung auf Filme, Bänder, Platten, Transparente, Disketten und andere Medien by Verlag Franzbecker, Hildesheim

4 Vorwort Mein Dank für die Unterstützung gilt allen Menschen in meiner Umgebung, die in dieser Zeit für mich da waren. Ganz besonders danke ich Prof. Dr. Barbara Schmidt-Thieme und Prof. Dr. Jürgen Sander, die mich in meinem Vorhaben immer bestärkt und mir konstruktiv weitergeholfen haben. Ein herzliches Dankeschön richte ich an meine Familie und meine Freunde, die mir Rückhalt und Freiraum gegeben haben.

5 Inhalt Einleitung Frühkindliche Bildung in Deutschland Elementarpädagogik Bildung und Lernen im Kindergarten Pädagogische Handlungskonzepte Frühkindliche Bildung im Bereich der Mathematik Theoretische Überlegungen zur Mathematik im Kindergarten Kompetenzen und deren Entwicklung bei Kindern Pädagogisch-didaktische Konzeptionen Erzieherinnen und Mathematik Rahmenbedingungen der Kindertagesstätten Gesetzliche Hintergründe (Deutschland, Niedersachsen) Aufbau von Konzeptionen Erzieherinnen als Rahmenbedingung Ansehen, Anforderungen und Aufgaben Aus-, Weiter- und Fortbildung Die Fragebogenstudie MEiK Intentionen und Ziele Forschungsdesign Der Fragebogen Verlauf und Stichprobe Beschreibung des Istzustands Darstellung allgemeiner Voraussetzungen und Rahmenbedingung Mathematische Grundbildung Korrelationsanalysen Auswertung der Freitextantworten Materialien zur Förderung des mathematischen Grundverständnisses Alltagssituationen, die zu mathematischen Situationen werden Erkenntnisse aus den Freitextantworten Zusammenfassung der Ergebnisse Fortbildung für Erzieherinnen im Bereich Mathematik Modul 1: Einführung in die Mathematik

6 Intentionen und Ziele Inhalte und Methoden Modul 2: Didaktik der Mathematik im Elementarbereich Intentionen und Ziele Inhalte und Methoden Zusammenfassung und Fazit Literaturverzeichnis Tabellenverzeichnis Anhang Zugunsten der Lesbarkeit werden in der vorliegenden Arbeit meist männliche Substantive verwendet, welche die weibliche Form der Begriffe selbstverständlich mit einschließt. Wenn beispielsweise von Pädagogen die Rede ist, so sind stets Pädagoginnen und Pädagogen gemeint. Es sei denn, das Geschlecht wird explizit hervorgehoben oder Formulierungen sind als Zitat gekennzeichnet. Aufgrund der Tatsache, dass die pädagogischen Fachkräfte hauptsächlich Frauen sind, wird in diesem Fall die weibliche Formulierung benutzt. 3

7 Einleitung Einleitung Mathematisches Denken hilft uns dabei, eine komplexe Welt zu strukturieren, uns darin zurechtzufinden und viele Alltagsprobleme zu lösen. (Fthenakis et al. 2009, S. 12) Es ist also bedeutsam, Kinder so früh wie möglich mit mathematischen Strukturen in Kontakt zu bringen und das Verständnis der Welt damit zu fördern. Doch eine ganze Zeit lang blieb diese Ansicht dem Kindergarten vorenthalten, was aus der Geschichte dieser Einrichtung hervorgeht. Denn diese galt nur als Bewahranstalt, damit die Eltern ihrer Arbeit und Existenzsicherung nachgehen konnten. Fröbel war der Erste, der Materialien zum Spielen einbrachte, die lernende Erfahrungen bei den Kindern ermöglichten und der damit Bildung in den Kindergarten integrierte. Weiterhin begann er 1839, Mütter zu Spielanführerinnen und bald auch zu Kindergärtnerinnen auszubilden, um seine Konzeption der Menscherziehung fortführen zu können. Parallel zur Verbreitung der Fröbelpädagogik entwickelten einige Reformpädagogen wie Montessori und Steiner eigene Konzeptionen, welche die Fröbelidee aufgriffen, aber eigene andere Aspekte beinhalteten. Bis in die 1970er Jahre gab es keine grundlegenden Änderungen, die den Kindergarten betrafen (vgl. Kasüschke und Fröhlich-Gildhoff 2008, S ). Mit dem Strukturplan für das Bildungswesen von 1970 des deutschen Bildungsrates wurden alle Bildungsinstitutionen in den Blick genommen (die Hochschulen ausgenommen), um eine Gesamtkonzeption für die Bildung hervorzubringen. Darin bekam der Elementarbereich erstmals seinen Bildungsauftrag zugewiesen, der aber aufgrund fehlender finanzieller Mittel inhaltlich nicht weiter verfolgt wurde. Erst in den 1990ern wurde das lebenslange Lernen von Kindesbeinen an als wichtig anerkannt und die Debatte um die Bildung im Kindergarten wieder in Gang gesetzt (vgl. Wehrmann 2008, S. 38). Mit den Ergebnissen von PISA 2000, die darauf hindeuten, dass fehlende Bildungsangebote im Kindergarten einen erheblichen Beitrag zum schlechten Ergebnis bei den 15jährigen leisten, wurde die Förderung der Kinder im Vorschulalter in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt. Darauf reagierend verabschiedete die Kultusministerkonferenz gesetzliche Vorgaben über die Ländergrenzen hinweg, Gemeinsamer Rahmen der Länder für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen, sodass kurz darauf die Bildungspläne in den einzelnen Ländern veröffentlicht werden konnten. Damit wurden die Weichen gestellt für ein Umdenken im Elementarbereich: Kindertageseinrichtungen sind jetzt Bildungsinstitutionen und gehören zur Bildungsbiografie der Kinder. In Niedersachsen ist es der Orientierungsplan für Bildung und Erziehung im Elementarbereich niedersächsischer Tageseinrichtungen für Kinder 1, der 2005 vom Kultusministerium herausgebracht wurde und das Orientierungsdokument für die Bildungsarbeit in den Kindertagesstätten darstellt. Hierin findet sich auch die Mathematik als ein Lernbereich Mathematisches Grundverständnis wieder und gehört damit zu 1 im Folgenden kurz Orientierungsplan 4

8 Einleitung einer von vielen neuen Forderungen im Kindergarten (vgl. Niedersächsisches Kultusministerium ). Die Erzieherinnen stehen seitdem vor einer großen Menge an neuen Aufgaben, die es zu bewältigen gilt. Die Forschung zur Entwicklungspsychologie und der Kompetenzentwicklung bei den Kindern ist zu dem Zeitpunkt schon auf einem guten Weg gewesen und hat diese Entwicklungen, aufgrund des Aufzeigens der kognitiven Möglichkeiten der Kinder, sogar bewirkt. Erste Ideen über die Umsetzung der einzelnen Bildungsangebote waren ebenfalls vorhanden, wurden aber in den einzelnen Fachdidaktiken weiterhin zur Aufgabe, um fachspezifisch evaluierte Konzeptionen in die Kindertageseinrichtungen einzubinden. In Niedersachsen wurde schon 2006 eine Evaluationsstudie zur Umsetzung des Orientierungsplanes vom Kultusministerium in Auftrag gegeben, um den Fortschritt zu beobachten und etwaige Probleme aufgreifen zu können (vgl. Honig et al. 2006). In vielerlei Hinsicht zeigt sich, dass die pädagogischen Fachkräfte mit der Fülle an Aufgaben überfordert sind, denn in der Ausbildung sind sie nicht darauf vorbereitet worden und für die Nutzung von Fortbildungsangeboten wird Zeit benötigt (vgl. Kapitel 2.3). Die Diskussion um die Professionalisierung und die Belastung der Erzieherinnen wird heute im Jahre 2011 weiter verfolgt und mit aktuellen Studien untermauert (vgl. Gertberger et al. 2011, Autorengruppe Fachschulwesen 2011, Beher und Walter 2010, Diller und Rauschenbach 2006, u. a.). Die Mathematik(didaktik) hat ihren Platz in diesem Feld noch nicht gefunden, denn die Betrachtung der Erzieherinnen und deren Beziehung zur Mathematik, ihre Umsetzungsansätze und ihr Fachwissen sind noch weithin offen. Die in dieser Arbeit beschriebene Studie Mathematische Erfahrungen im Kindergarten (kurz MEiK) greift dies in einer Fragebogenuntersuchung auf, indem eine Momentaufnahme aus der Praxis, nämlich die Sicht der Erzieherinnen, für die Praxis, in Form von Bildungsmaßnahmen, gemacht wird. Folgende Leitfragen begleiten sowohl die theoretische Betrachtung als auch die empirische Untersuchung: 1. Wie wird die mathematische Grundbildung im Kindergarten verfolgt? 2. Welches Bewusstsein haben die Erzieherinnen über Mathematik im Kindergarten? 3. Welche Rolle spielt die individuelle Einstellung zur Mathematik der Erzieherinnen? 4. Wie können die Ergebnisse der vorliegenden Studie für Fortbildungen bzw. die Weiter- und Ausbildung genutzt werden? Als Grundlage für die mathematische Bildung bedeutend sind die pädagogischen Ansätze über Bildung und Lernen im Kindergartenalter, wobei hier in Kapitel 1.1 der Bildungsbegriff, das Bildungsverständnis und spezielle Handlungskonzepte jeweils mit ihrem Bild vom Kind Betrachtung finden. Damit erfolgt die Legitimierung der Ansätze vom Lernen mithilfe von Erfahrungen im Kindergarten. Weiterhin wird die Mathematik mit ihren methodischen und inhaltlichen Möglichkeiten dargestellt (vgl. Kapitel 1.2), um das Feld darzulegen, welches den Erzieherinnen zur Verfügung steht und letztlich, um 5

9 Einleitung Verbindungen zu den Nennungen aus der Fragebogenstudie ziehen zu können. Der Fokus wird speziell auf Forschungen gelegt, die Erzieherinnen und Mathematik betrachten, da auch hier Querverbindungen zur MEiK-Forschung gezogen werden. Weil auf die Kindertagesstätten verschiedene Rahmenbedingungen einwirken, werden diese im zweiten Abschnitt aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet. Dazu zählen die Gesetze und Vorgaben in Bund und Land, einrichtungsbezogene (meist stabile) Parameter wie Standort und Träger und mit einem großen Einfluss die Erzieherinnen, wobei letztere mit dem Blick einerseits auf Ansehen, Anforderungen und Aufgaben und andererseits auf Aus-, Weiter- und Fortbildungsmöglichkeiten betrachtet werden. Innerhalb des dritten Abschnitts steht die Studie MEiK im Mittelpunkt und wird ausgehend von Intentionen und Zielen beschrieben. Innerhalb des Forschungsdesigns werden einerseits das äußere methodische Vorgehen und andererseits die Items im Fragebogen beschrieben. Anschließend folgt die Auswertung in deskriptiver wie auch statistischer Weise, wobei die offenen Fragen in einem gesonderten Unterkapitel Betrachtung finden. Denn diese nehmen eine besondere Rolle ein, indem sie gleichzeitig Wissen bei den pädagogischen Fachkräften erfassen. Zum Schluss werden die Erkenntnisse genutzt, um Module für eine Fortbildung (eventuell auch für Weiter- und Ausbildung nutzbar) zusammenzustellen, wobei folgendes Zitat die Ausrichtung der Inhalte schon jetzt verdeutlicht: Wir müssen den Kindern nicht die Mathematik erklären und beibringen. Vielmehr müssen wir sie darin unterstützen, selbst mathematische Entdeckungen machen zu können. (Benz 2010, S. 12) Insgesamt werden mit der vorliegenden Arbeit Möglichkeiten der Mathematik im Kindergarten aus der Theorie dargestellt, die Voraussetzungen bei den Erzieherinnen aus Sicht der Forschung beleuchtet und schlussendlich eine Verbindung zur subjektiven Wahrnehmung der Erzieherinnen hergestellt. 6

10 1. Frühkindliche Bildung in Deutschland 1.1 Elementarpädagogik 1. Frühkindliche Bildung in Deutschland 1.1. Elementarpädagogik Innerhalb der Pädagogik werden Erziehung, Bildung und Lernen genauer betrachtet, um allgemeine Aussagen für Unterricht und Bildungssituationen treffen zu können. Die Elementarpädagogik ist eine Untergruppe, in der Bildung, Erziehung und Betreuung in Zusammenhang mit Kindern im Vorschulalter den Mittelpunkt der Betrachtung einnehmen. Im folgenden Kapitel werden elementarpädagogische Überlegungen, die als Grundlage für die Fragebogenstudie fungieren, dargestellt: Dazu zählen die Einigung auf ein Verständnis von Bildung und Lernen im Kindergarten sowie Möglichkeiten, diese im Rahmen von bekannten Handlungskonzepten umzusetzen Bildung und Lernen im Kindergarten Innerhalb der Pädagogik steht der Bildungsbegriff immer wieder im Mittelpunkt der Betrachtung, doch eine einheitliche und festgelegte Definition hat es in den vergangenen Jahrhunderten nicht gegeben. Auch in der heutigen Entwicklung wird die Diskussion um den Bildungsbegriff speziell in Kindertageseinrichtungen wieder aufgegriffen. Viele Autoren haben diese Entwicklung zusammengefasst und daraus Schlussfolgerungen für die heutige Debatte abgeleitet (vgl. Fthenakis und Wassilios E. 2002, Gerspach 2006, Laewen 2002, Schäfer 2005 u. a.). Für die vorliegende Arbeit wird der folgende Begriff von Senckel festgelegt: Der Begriff der Bildung bezeichnet sowohl die gedanklichen, sittlichen und ästhetischen Inhalte, die ein Mensch aufnimmt und mit denen er sich (auch in seinem praktischen Tun) auseinandersetzt, als auch den Prozeß [sic!] der sich dadurch ereignenden Persönlichkeitsformung, und schließlich das Ergebnis, den geistigseelisch-sittlich geformten Menschen. Bildung umfaßt [sic!] somit die Art des Verstehens, Wissens, Könnens, Gestaltens, Benehmens, Glaubens, des sittlichen und sozialen Verhaltens. (Senckel 2004, S. 12) Es wird deutlich, dass der Begriff in drei Aspekte aufgeteilt ist: Die Inhalte, die ein Mensch aufnimmt, verarbeitet, nutzt und vielleicht sogar weitergibt, da dieses Faktenwissen aus konventioneller Sicht grundsätzlich zur Bildung gehört. Als Zweites wird der Prozess der Persönlichkeitsformung genannt, d. h., Bildung wird als ein Vorgang bezeichnet, der unmittelbar mit der Veränderung der Persönlichkeit in Verbindung gesetzt wird. Der dritte Aspekt wird als das Ergebnis der geistig-seelisch-sittlich geformte Mensch benannt, wonach Bildung ein lebenslanger Prozess ist, der zwar in der Kindheit beginnt, nicht aber auf diese beschränkt werden kann. 7