Minderjährige Flüchtlinge

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1 (Hrsg.) Minderjährige Flüchtlinge Sozialisations bedingungen, Akkulturationsstrategien und Unterstützungssysteme Leske + Budrich, Opladen 2003

2 Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier- Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz für die Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich ISBN ISBN (ebook) DOI / Leske + Budrich, Opladen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfaltigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Satz: DTP-Studio schwarz auf weiss, Berlin

3 Inhalt Vorwort... 9 Bilde von Balluseck Einführung I. Rahmenbedingungen für die Sozialisation junger Flüchtlinge Bilde von Balluseck Flüchtlingskinder und -jugendliche im System der Sozialen Ungleichheit Erich Peter Die Rechtsstellung der Flüchtlingskinder in Deutschland Bilde von BallusecklAndreas Meißner Formen und Auswirkungen von Traumatisierung bei minderjährigen Flüchtlingen Identitätskonstruktionen und Akkulturationsversuche von Kindern und Jugendlichen mit unsicherem Aufenthaltsstatus A. Kinder und Jugendliche in Familien Bilde von Balluseck Vorbemerkung

4 Asylbewerberfamilien als primäre Sozialisationsinstanz Der Aufenthaltsstatus als wesentliche Variable für Akkulturationsprobleme llutta Ringel Innerfamiliale Gewalt Folter und die Folgen Dirk Liebenow Das Trauma Srebrenica lutta Ringel/Dirk Liebenow Sekundäre Traumatisierung durch den Aüchtlingsstatus B. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge Andreas Meißner Zur besonderen Situation unbegleiteter junger Flüchtlinge Stella aus Angola Dirk Liebenow John aus dem Kosovo Exkurs: Zwei junge Männer im Abschiebegewahrsam III. Unterstützungssysteme Grundlagen lutta Ringel/ Die Schule

5 Nele Kleyer-Zey Berufsorientierung junger Flüchtlinge Instanzen. der Sozialen Arbeit Andreas Meißner Einrichtungen für unbegleitete Minderjährige ljutta Ringel Exkurs: Der Abschiebegewahrsam... '" Politische Initiativen IV. Zusammenfassung und Ausblick Literaturverzeichnis Abkürzungsverzeichnis Zu den AutorInnen

6 Vorwort Kinder und Jugendliche, die - allein oder mit Eltern und Geschwistern - nach Deutschland fliehen - haben sehr spezifische Sozialisations bedingungen. Politik, Recht und gesellschaftliche Strukturen vermitteln ihnen auf den verschiedensten Ebenen, dass sie nicht willkommen sind und ihr Verbleib in Deutschland ungewiss ist. Diese Unsicherheiten im politischen und rechtlichen Status haben Auswirkungen auf die Identitätsbildung. Identität auszubilden ist für Kinder und Jugendliche in der heutigen Gesellschaft ohnehin mit vielen Komplikationen verbunden. Diese Komplikationen erhalten eine besondere Schärfe bei MigrantInnen, und hier wiederum in spezieller Weise bei Flüchtlingen. Die Institutionen der deutschen Gesellschaft stehen alle unter dem Primat des Rechts, das den Flüchtlingen eine marginalisierte Position zuweist. Das Recht bestimmt den Spielraum von Institutionen und Personen, und zwar differenziert nach der Phase des Aufenthalts, in der sich diese befinden. Dennoch sind die Reaktionen höchst unterschiedlich. Schule und Ausbildungssystem haben aufgrund ihrer Strukturen große Schwierigkeiten, der besonderen Situation junger Flüchtlinge gerecht zu werden, während das mittlerweile hoch komplexe System der Sozialen Arbeit mit seinen verschiedenen Trägerstrukturen und Helferpersönlichkeiten viele Möglichkeiten der Unterstützung bereit stellt. Aber auch die Möglichkeiten dieser Akteurlnnen sind durch die gesetzlichen Vorgaben beschränkt. Nur in seltenen Fällen entsteht das Gefühl der Zufriedenheit mit der eigenen Arbeit, wenn Kinder und Jugendliche gut auf den Weg gebracht wurden. Die Beiträge in diesem Band kreisen um zwei Fragen. Die erste Frage ist, welche spezifischen Sozialisations bedingungen durch einen unsicheren Aufenthaltsstatus für Kinder und Jugendliche entstehen, welcher Aktionsradius Kindern und Jugendlichen unter diesen spezifischen Bedingungen bleibt und wie sie mit den Herausforderungen umgehen. Wir beantworten diese Fragen im Hinblick auf unbegleitete und begleitete Flüchtlinge. Mit der Bearbeitung dieses Aspekts leisten wir einen Beitrag zur Erforschung der Sozialen Ungleichheit in der deutschen Gesellschaft und zur wissenschaftlichen Wahrnehmung der Sozialisationsbedingungen einer besonderen Teilgruppe von jungen MigrantInnen. Die zweite Frage ist die nach den 9

7 Möglichkeiten und Grenzen der Unterstützung für diese Gruppe von Kindern und Jugendlichen. Die Institutionen und Helferinnen werden dabei von ihrer Aufgabensteilung her betrachtet, nicht nach den in ihnen tätigen Professionen. So stellen wir Bildungssystem und das System der Sozialen Arbeit nebeneinander, sprechen von hochspezialisierten Lehrerinnen und SozialarbeiterInnen wie von ehrenamtlichen Kräften. Viele Beiträge dieses Bandes sind Resultate einer vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung finanzierten Studie im Rahmen des Programms für anwendungsorientierte Forschung an Fachhochschulen. In dieser Studie wurden neun Mädchen und zehn Jungen im Alter von zwölf bis 19 Jahren in elf Familien zu ihren Erfahrungen und Erwartungen befragt. Gespräche mit den Eltern gingen diesen Interviews meist voraus und folgten ihnen. Zusätzliche Informationen gewannen wir durch Interviews mit Lehrerinnen und SozialarbeiterInnen sowie durch Einsicht in einige Akten. In vielen Fällen wurden die Kontakte zur Abklärung offener Fragen nach mehreren Monaten wieder aufgenommen, so dass bei mehreren Kindern und Jugendlichen schon ein gewisser Verlauf ihrer Entwicklung festgestellt werden konnte. Es wurden ferner vier unbegleitete Jugendliche befragt, die sich in Einrichtungen der Jugendhilfe aufhielten, sowie zwei junge Männer im Abschiebegewahrsam. Die Interviews fanden unter sehr heterogenen Bedingungen statt. Die eigentlich geplante narrative Methode ließ sich in den wenigsten Fällen durchhalten - zu stark war das Bemühen der jungen flüchtlinge um Präsentation des Flüchtlingsschicksals gegenüber den deutschen InterviewerInnen. Ein Leitfaden stützte die Interviews ab. Darüber hinaus gewannen wir viele Eindrücke durch teilnehmende Beobachtung während unserer mehrfachen Besuche in den Familien und bei den Jugendlichen. Die Flüchtlinge stammten zumeist aus Palästina, Bosnien und dem Kosovo. Eine Familie stammt aus Aserbeidschan, eine aus Syrien. Die unbegleiteten Flüchtlinge stammen aus dem Kosovo, dem Irak, der Türkei und Angola. Die beiden Flüchtlinge im Abschiebegewahrsam warteten auf ihre Abschiebung nach Algerien und Sierra Leone. Durch die starke Repräsentanz von muslimischen Kindern und Jugendlichen in unserem Sampie spielt das Thema der Interaktion zwischen islamischem und hiesigem Kulturkreis in den folgenden Beiträgen eine große Rolle. Der andere Strang unserer Studie waren Besuche in Institutionen, die mit Flüchtlingen arbeiten und ausführliche Leitfadeninterviews mit den SozialarbeiterInnen und ehrenamtlichen MitarbeiterInnen. Die Ergebnisse dieser 15 Gespräche in zehn Institutionen bzw. Projekten geben die Vielfalt der 80- zialarbeiterischen Ansätze und Institutionen ebenso wieder wie die Grenzen der Arbeit mit Flüchtlingen. Durch die Gespräche mit den betroffenen Kindern und Jugendlichen, ihren Eltern und ihren Bezugspersonen in der Sozialarbeit, z.t. auch in der 10

8 Schule, entsteht ein komplexes Bild der Situation der Flüchtlinge, ihrer Identitätskonstruktionen und der Ansatzpunkte von Hilfssystemen. Ergänzt wird die Darstellung der Untersuchungsergebnisse durch Artikel zur rechtlichen Situation (Erich Peter), zur Berufsorientierung (Nele Kleyer Zey) sowie zu unbegleiteten Flüchtlingen (Andreas Meißner). Der vorliegende Band enthält drei Teile, die jeweils einen unterschiedlichen Zugang zum Thema und damit verschiedene Perspektiven ermöglichen. Zu Beginn stellen wir die Rahmenbedingungen für die Sozialisation junger Flüchtlinge dar. Dies sind zum einen die gesellschaftlichen Bedingungen, von denen wir die Soziale Ungleichheit und die Details und Auswirkungen des Rechts darstellen. Zu den Rahmenbedingungen gehören aber auch die innerpsychischen Traumatisierungen von Eltern und Kindern bzw. Jugendlichen, die in allen Sozialisations- und Akkulturationsprozessen eine Rolle spielen. Im zweiten Teil wird die Innenperspektive der Minderjährigen in den Kontext ihrer Familiengeschichte und ihrer Lebenssituation in Deutschland gestellt. Durch die Einbeziehung der Herkunftskultur, der Familiendynamik und der Erlebnisse in Deutschland werden die sehr unterschiedlichen Akkulturationsstrategien von und zwischen den einzelnen Kindern und Jugendlichen, zwischen den Angehörigen verschiedener Kulturen, und zwischen Mädchen und Jungen deutlich. Im dritten Teil stellen wir die Institutionen und Personen dar, die die Sozialisation junger Flüchtlinge flankieren und - mehr oder weniger erfolgreich - fördern. Die Chancen, die junge Flüchtlinge dadurch erhalten, werden e benso reflektiert wie die Grenzen, die sich den Institutionen zum einen durch die rechtlichen Restriktionen, zum anderen durch die Strukturmerkrnale der Institutionen selbst entgegenstellen. Auf diese Weise werden gesamtgesellschaftliche, innerpsychische und familiendynamische sowie institutionelle Bedingungen zu einem farbigen Bild der Lebenssituation und Entwicklungschancen von jungen Flüchtlingen zusammengesetzt. Ich danke den Kindern, Jugendlichen und Familien, die uns Einblicke in ihr Leben gaben, und den SozialarbeiterInnen, die offen über ihre Motive und Arbeitsbedingungen gesprochen haben. Christiane Hartmann-Kraatz hat zur Durchführung der Studie insofern beigetragen, als sie mich von der Bedeutung des Themas überzeugte. Ohne die Förderung durch das BMBW wäre diese Studie allerdings nicht zustande gekommen. Drei AutorInnen außerhalb des Forschungsprojekts (Erich Peter, Nele Kleyer-Zey und Andreas Meißner), bereichern den Band durch ihre Beiträge. Für ihre Bereitschaft zur Mitarbeit danke ich herzlich. Während der Forschungsarbeit hatte ich immer wieder die Möglichkeit, im Vorstand des Fachverbandes Soziale Dienste für junge Flüchtlinge in Berlin-Brandenburg Fragen zur Praxis der Arbeit mit jungen Flüchtlingen zu stellen. Diese KollegInnen, vor allen Elke Bierbach, haben mit ihrer Bereit- 11

9 schaft, mir Auskunft zu geben, zum Entstehen dieses Buches beigetragen. Unterstützt wurde das Projekt auch während der gesamten Laufzeit und ganz besonders in der Phase der Endformatierung vom Rektorat und der Verwaltung der Alice-Salomon-Fachhochschule. Zur Begriffsklärung: Der Begriff "MigrantIn" wird in diesem Buch als Oberbegriff für MigrantInnen mit allen unterschiedlichen Formen des Aufenthaltsstatus verwendet. Es gehören also sowohl eingebürgerte Migrantlnnen der "Gastarbeitergeneration" dazu, wie AussiedlerInnen und Flüchtlinge. Der Begriff "Flüchtlinge" wird für diejenigen MigrantInnen verwendet, die mit unsicherem Aufenthaltsstatus in Deutschland leben. Die Flüchtlinge, die als solche anerkannt sind und eine Arbeitserlaubnis haben, werden nicht dazu gerechnet, sondern fallen nach dieser Definition unter den Begriff der MigrantInnen. Berlin, im Februar 2003 HUde von Balluseck 12