Inhalt. Zur Situation der Vernehmung traumatisierter Opferzeugen
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- Sabine Fiedler
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1 10. Gemeinsame Fachtagung Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes bei Fällen der Gewalt in engen sozialen Beziehungen Mainz Inhalt Zur Situation der Vernehmung traumatisierter Opferzeugen Prof. Dr. Markos Maragkos Department Psychologie Lehrstuhl Klinische Psychologie & Psychotherapie Ludwig-Maximilians-Universität München Bezüge zur Psychotraumatologie/PTBS PTBS-Symptome vs. Vernehmung(ssituation) Bezüge zur Neuropsychologie Trauma, Gedächtnis und Amygdala Erinnerungen im Allgemeinen vs. Trauma-Erinnerungen Kurzer Exkurs: Die Dissoziative Identitätsstörung (DIS) Hilfestellung bei der Vernehmung Folie 2 1 2
2 Was ist ein traumatisches Ereignis? Tatsächliche oder drohende Konfrontation mit Tod schwerer Verletzung oder sexueller Gewalt in Form von direkter Erfahrung oder persönlicher Zeugenschaft oder bei nahestehenden Menschen oder in Form (beruflich bedingter) wiederholter Konfrontation mit aversiven Details Symptome einer PTBS Ungewolltes Wiedererleben (Intrusionen/Flashbacks) Gedanken Bilder Gerüche Vermeidung extern intern Negative Veränderungen in Gedanken und Stimmung Erinnerungslücken Eindruck der Unwirklichkeit (Dissoziation) Schuld-, Scham-, Ekelgefühle, Körperliche Übererregung Konzentrationsstörungen Ein-/Durchschlafstörungen Reizbarkeit Übertriebene Wachsamkeit (Hypervigilanz) 3 Folie 3 Folie 4 4
3 Allgemeine Aussagetüchtigkeit Konzentrationsfähigkeit Auffassungsgabe wahrgenommen/ real erlebt Wahrnehmung Kognitive Kompetenzen Sprach- und Frageverständnis Realitätskontrolle s.a. Mohrbach (2003); Greuel (2001) Speicherung Reproduktion vorgestellt (Pseudo- Erinnerungen) PTBS-Symptome vs. Vernehmung Ungewolltes Wiedererleben Überflutung durch Blitzlicht-Erinnerungen Hot Spots Vernehmungssituation kann Triggerreiz sein Extremfall: Reviktimisierung inhaltliche Diskontinuität Vermeidung Widerstände (im Allgemeinen) Aussageverweigerung (im Besonderen) Negative Veränderungen in Gedanken und Stimmung Erinnerungslücken (Hypermnesien und Amnesien) Widersprüche dissoziative Zustände während der Befragung Aussageverweigerung aufgrund von Schuld-, Scham- oder Ekelgefühlen Körperliche Übererregung Konzentrationsstörungen (bspw. aufgrund starker Erschöpfung/fehlender Erholung) Reizbarkeit & Schreckhaftigkeit während der Vernehmung 5 Folie 5 Folie 6 6
4 Erinnerungen im Allgemeinen Netzwerke sind kein simpler ganzheitlicher Prozess Enkodierung - Konsolidierung - Retrieval Stand & Sachsse (2007) werden nicht komplette, separate Informationspakete abgespeichert Aufteilung im Gehirn als Netzwerke (verschieden verortet) Rekonstruktion beim Retrieval sind keine Foto-Aufnahmen selektiver Prozess ausschlaggebend: subjektive Aufmerksamkeitsprioritäten weisen zwei Grund-Formen auf: explizit vs. implizit können beeinflusst, manipuliert, verzerrt und ergänzt werden von te unterscheiden sich von normalen Erinnerungen s.a. Maercker & Michael (2009) Folie 7 Folie 8 7 8
5 Trauma, Gedächtnis & Amygdala Das traumatisierte Gehirn LeDoux (2003) sensorischer Kortex obere Route langsam aber genau sensorischer Thalamus untere Route schnell aber unscharf Amygdala emotionaler Reiz emotionale Reaktion Folie 9 Folie
6 Und jetzt...? Zeugenaussagen Folie 11 Folie
7 Erinnerungen: Prof. Elisabeth Loftus Prof. Elisabeth Loftus Folie 13 Folie
8 Was ist eine Dissoziation? allgemein: ein Zustand der Unwirklichkeit Eine zeitlich begrenzte oder andauernde Trennung der integrativen Funktionen von: Bewusstsein Gedächtnis Identität Wahrnehmung Kurzer Exkurs: Die DIS Vorhandensein von zwei oder mehr unterscheidbaren Identitäten oder Persönlichkeitszuständen übernehmen wiederholt die Kontrolle über das Verhalten der Person Unfähigkeit, sich an wichtige persönliche Informationen zu erinnern Ausmaß der Störung ist zu umfassend, um durch gewöhnliche Vergesslichkeit erklärt zu werden Host/Grundpersönlichkeit vs. Alter-Persönlichkeiten Wechsel der Persönlichkeitszustände: switch Folie 15 Folie
9 DIS-Bsp. ( Ein Körper mit System ) Die Aussagetüchtigkeit bei DIS-PatientInnen ist aufgehoben (Mohrbach, 2003) 17 Folie 17 Wahrnehmung ist ein subjektiver Prozess Temperament, Persönlichkeit, Konstitution, Lerngeschichte, Beruf aktueller Schwerpunkt der Aufmerksamkeit (Fokus) - bspw.: für eine Mutter, ihre Kinder wichtiges Merkmal: Suggestibilität traumatische Ereignisse können i.d.r. teilweise oder vollständig erinnert werden vergessen und wiederentdeckt werden - Alter zum te sehr wichtig als fiktive Erinnerung auftreten Aussagen 18 Mögliche Auslöser für Wieder-Erinnern: Fernsehsendungen Lesematerial ähnliche Situationen Gespräche Aktuell keine Möglichkeit, vergessene Erinnerungen mit Sicherheit wieder zu (re-)aktivieren Achtung bei Therapieerfahrung des Befragten! Erinnerungsexperimente sind nicht mit traumatischen Ereignissen gleich zu setzen s.a. Stand & Sachsse (2007) Folie 18
10 Normale vs. traumat. Erinnerungen Ehlers (2007) Normale autobiographische Erinnerungen Prozess des Erinnerns ist bewusst Emotionen sind weniger stark Details haben Kontext Sind selten spontan Wenn sie spontan sind: sehr spezifische Trigger Erinnerungen im Rahmen von Intrusionen Erinnerungen sind nur eingeschränkt bewusst; haben Jetzt -Charakter Original-Emotionen (physiologisch, verhaltensmäßig) Details haben keinen Kontext; sind nicht aktualisiert Sind leicht ungewollt auslösbar Große Spanne der Auslöser; ausreichend sind: sensorische Ähnlichkeit und teilweise Übereinstimmung Simulation oder nicht? es werden sehr früh, ungefragt und ausführlich typische Lehrbuchsymptome einer PTBS berichtet es werden nur wenig unterschiedliche Erlebnisqualitäten berichtet auf Nachfrage können keine konkreten Trauminhalte berichtet werden bzw. es wird ein immer wiederkehrender völlig gleichartiger Inhalt des Alptraumes berichtet es wird eine komplette Amnesie angegeben, wobei es mit zeitlichem Abstand zum Trauma oft sogar zu einer Ausweitung der amnestischen Lücke kommt es werden kaum therapeutische Anstrengungen unternommen; der Beginn einer Therapie steht in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit einer gerichtlichen Auseinandersetzung es werden überhaupt keine Effekte einer durchgeführten Therapie berichtet Vermeidungsverhalten in der Untersuchungssituation z.t. sehr vage Darstellungen der Symptomatik es werden Wahrnehmungen für unterschiedliche Sinnesqualitäten angegeben es werden sehr komplexe Erlebnisse berichtet die Berichtsform ist oft im Präsens in der Explorationssituation lassen sich Zeichen vegetativer Erregung und affektiver Anspannung direkt beobachten, wenn über Flashbacks berichtet wird bei Alpträumen wird der Trauminhalt erinnert und es wird auch eine wechselnde Häufigkeit und wechselnde Inhalte derselben angeben dissoziative Amnesie sind dadurch gekennzeichnet, dass oft gewisse Erinnerungsinseln für das Geschehene existieren Dreßing & Meyer-Lindenberg (2008) Folie X Folie
11 Simulation oder nicht? II Was hilft bei der Vernehmung? schildern ein völlig unproblematisches Leben bis zum Zeitpunkt des Traumas während die traumatische Situation und deren angeblichen Folgen von den Probanden sehr ausführlich geschildert werden, bleibt die Darstellung der Lebensgeschichte für die Zeit vor dem Trauma merkwürdig blass die gesamte Symptomatik wird monokausal auf die traumatische Situation geschoben, alternative oder zusätzliche ätiologische Faktoren werden kategorisch, teilweise auch aggressiv abgelehnt neigen zu eher offenen, teilweise auch aggressiv vorgebrachten Schuldvorwürfen gegenüber dem Trauma-Verursacher oder anderen externen Institutionen es werden keine Schuld-Gefühle berichtet mit zunehmendem zeitlichen Abstand zum traumatischen Erlebnis ist es eher wahrscheinlich, dass die amnestische Lücke kleiner wird es wird auch über Probleme, Konflikte und belastende Situationen berichtet, die sich vor dem Trauma im Leben ereignet haben und durchaus werden auch diese persönlichen, traumaunabhängigen Erlebnisse in einen kausalen Zusammenhang mit der jetzigen Symptomatik gestellt Neigung, die Schuld für das Eintreten der traumatischen Situation und deren Folgen bei sich selbst zu suchen; der Zeiger der Schuld ist also auf sich selbst gerichtet sofern andere Personen bei dem Trauma ums Leben gekommen sind, findet sich sehr häufig ein Schuldgefühl, die Situation selbst überlebt zu haben ( survivor guilt ) Dreßing & Meyer-Lindenberg (2008) evidence-informed-elemente (Hobfoll et al., 2007) promote sense of safety promote calming promote sense of self- and collective efficacy promote connectedness promote hope Zeit lassen Primärbedürfnisse befriedigen Struktur, Information & Transparenz Respekt für das Erlebte und Empfundene zeigen Perspektiven schaffen ( Brückenfunktion ) Kulturelle Faktoren Beziehungsorientierte Vernehmung Folie 20 Folie
12 Das kognitive Interview Tulving & Thomson (1973), Geiselmann et al. (1985) Realkennzeichen nach Steller & Köhnken (1989) Zurückversetzen in den ursprünglichen Wahrnehmungskontext: gedanklich in die ursprüngliche Situation sich der damaligen Gefühle und Gedanken vergegenwärtigen Alles berichten: nichts auslassen möglichst detailreich berichten Wechsel der Erzählreihenfolge: chronologische als auch umgekehrte Schilderung hierdurch Aktivierung weiterer Assoziationsketten Wechsel der Perspektive: Ereignis aus der Perspektive anderer Personen erzählen 10. Gemeinsame Fachtagung. Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes. Mainz Vernehmung traumatisierter Opferzeugen. Maragkos Folie Gemeinsame Fachtagung. Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes. Mainz Vernehmung traumatisierter Opferzeugen. Maragkos Folie
13 Traumaleitfaden, S. 87 Hilfe bei Dissoziation Identitätsstiftende Fragen stellen Name Geburtsdatum, -ort, -zeit Telefonnummer Geburtsdaten von Kindern... Boden spüren festen Punkt fixieren Hot & Cold Pack AMMOLA 10. Gemeinsame Fachtagung. Möglichkeiten und Grenzen des Opferschutzes. Mainz Vernehmung traumatisierter Opferzeugen. Maragkos Folie 24 Folie
14 Literatur I Literatur II Folie 26 Folie
15 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Prof. Dr. Markos Maragkos Department Psychologie Lehrstuhl Klinische Psychologie & Psychotherapie Ludwig-Maximilians-Universität München 29
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