Daten und Fakten zur muslimischen Bevölkerung
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- Otto Vogt
- vor 7 Jahren
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2 kulturelle Elemente Eingang in das Krankheitsverständnis und prägen es bei vielen Muslimen bis heute. Im christlich geprägten Kulturkreis ist das Verhältnis von Heilung und Heil viel diskutiert worden und vor allem durch eine gewisse Aufgabenteilung zwischen Arzt und Seelsorger geprägt, die vom Gegensatz»Kranker Sünder«bzw.»unfrei frei«bestimmt wird. Diese Unterscheidung ist im therapeutischen Alltag muslimischer Ärzte und Therapeuten und auch bei Entscheidungen der Rechtsgelehrten zwar wichtig, spielt im Koran aber nicht die dominierende Rolle, da es hier um das Grundsätzliche im Menschen, also um seine Beziehung zu Gott geht. Da es im Islam keinen»seelsorger«(als Spezialist für die Seele bzw. das Seelenheil) mit irgendwie gearteten priesterlichen Funktionen gibt, übernehmen der Arzt oder ein Fachgelehrter (vergleichbar mit einem Rabbiner) gegebenenfalls diese beratende Funktion. Daten und Fakten zur muslimischen Bevölkerung Die rund vier Millionen Muslime machen etwa 5 Prozent der Bevölkerung in Deutschland aus, in Österreich und der Schweiz stellen sie jeweils ca. 4 Prozent der Einwohner. Sie stammen ursprünglich aus rund vierzig Ländern, etwa aus der Türkei (1,8 Mio.), Bosnien-Herzegowina ( ), Iran ( ), Marokko (80.000) und Afghanistan (70.000). Hinzu kommen rund eingebürgerte Muslime sowie zum Islam konvertierte Deutsche ohne Migrationshintergrund (Bundesministerium des Innern 2008). Auch die religiöse Vielfalt ist groß: Die Mehrheit von über 80 Prozent zählt zur sunnitischen Glaubensrichtung, daneben gibt es Schiiten (3 Prozent), (vorwiegend türkische) Aleviten (17 Prozent) und Anhänger der Ahmadiyya (1,4 Prozent). 18
3 Inhaltlich reicht das Spektrum von orthodox-sunnitischen Orientierungen wahhabitischer Prägung (»Salafisten«), eher konservative Anhänger unterschiedlicher Rechtsschulen über Mitglieder mystischer Richtungen bis hin zu Befürwortern von Laizismus und solchen Muslimen, denen der Islam nur noch Kultur ist. Hinzu kommen die unterschiedlichsten Grade der persönlichen Religionsausübung. Entsprechend dieser ethnischen und religiösen Vielfalt sind die Muslime in Deutschland auch in unterschiedlichen Gruppen und Verbänden organisiert. Eine 2001 erfolgte Umfrage der Konrad-Adenauer-Stiftung (Wilamowitz-Moellendorff 2001) unter in Deutschland lebenden Türken ergab über deren politische Einstellung ein überraschendes Bild. Die Hälfte der Befragten fühlte sich mit Deutschland eng verbunden, die gleiche Zahl würde Deutschland mit der Waffe verteidigen, falls es von einem islamischen (!) Land angegriffen würde. 90 Prozent meinen, in einer gerechten oder zumindest teilweise gerechten Gesellschaft zu leben, 80 Prozent sind mit der Demokratie in Deutschland zufrieden (gegenüber 74 Prozent der Deutschen!). Nahezu 90 Prozent halten die Demokratie für die beste Staatsform und fast ebenso viele glauben, dass in einer Demokratie alle friedlichen Aktivitäten und Meinungsäußerungen erlaubt sein müssen. Eine Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung Religionsausübung 9 (»Religionsmonitor«von 2014) zur Religiosität der in Deutschland lebenden Muslime ergab, dass 90 Prozent der Muslime über 18 Jahre als religiös einzustufen sind, 41 Prozent davon sogar als»hochreligiös«. 86 Prozent essen kein Schweinefleisch, 58 Prozent trinken keinen Alkohol, 59 Prozent der Männer und 79 Prozent der Frauen verrichten ihre Ritualgebete regelmäßig, Moscheebesuch und Freitagsgebet haben für jeden Dritten eine hohe Bedeutung. Auch im Alltag macht sich die Religion bemerkbar: Für 45 Prozent der Muslime hat der Islam auf die Partnerwahl und die Partnerschaft, für 51 Prozent auf die Erziehung der Kinder und für 36 Prozent auf 19
4 die Sexualität einen hohen Einfluss, jedoch nur für 16 Prozent auf ihre politische Meinung. Gleichzeitig kennzeichnet die Muslime eine hohe Toleranz gegenüber anderen Religionen. So meinen 86 Prozent, dass man gegenüber anderen Religionen offen sein solle, 76 Prozent glauben, dass jede Religion einen wahren Kern hat. Vor diesem Hintergrund stellte Rita Süssmuth, Bundestagspräsidentin a. D., ehemals Vorsitzende des Sachverständigenrats für Zuwanderung und Integration, fest:»bislang wurde beispielsweise die Religiosität der Muslime als sehr politisch wahrgenommen, doch tatsächlich spielen bei den Muslimen Politik und die politische Einstellung eine sehr untergeordnete Rolle«(ebd.). MERKE d Die Religiosität der Muslime in Deutschland ist sehr ausgeprägt, jedoch weitestgehend unpolitisch bzw. politisch sehr tolerant. Einheit und Vielfalt bei Muslimen Im Gegensatz zur öffentlichen Wahrnehmung, bei der häufig von»den Muslimen«und»dem Islam«die Rede ist, ist die Situation der Muslime in Deutschland von einer großen ethnischen und religiösen Vielfalt geprägt. Die Muslime in Deutschland sind nicht nur national, Sunniten 9 sondern auch religiös heterogen. Die Anhänger der sunnitischen Richtung des Islam stellen mit nahezu 90 Prozent die größte Gruppe. Sie folgen den vier traditionellen islamischen Rechtsschulen als Repräsentanten der prophetischen Tradition und der Gemeinschaft der Muslime. Die normalerweise geringfügigen Unterschiede in diesen Rechtsschulen können sich jedoch bei einzelnen Rechtsbestimmungen, etwa im Familienrecht, durchaus bemerkbar machen. Unter den sunnitischen Türken in Deutschland gehören die meisten der sogenannten hanafitischen Rechtsschule an. 20
5 Ein weiteres Kennzeichen der sunnitischen Richtung des Islam ist die Anerkennung der ersten vier»rechtmäßigen Kalifen«nach dem Tode des Propheten als Führer der islamischen Gemeinschaft. Im Gefolge der politischen Auseinandersetzungen um Schiiten 9 die Nachfolge des Propheten entstand die schiitische Richtung (arab. Shî c at c Alî =»Partei Alis«), die heute gut 10 Prozent aller Muslime ausmachen und mit der größten Gruppe, der sogenannten Zwölferschia, überwiegend im Iran, Irak und auf dem indischen Subkontinent vertreten sind. In Deutschland leben etwa Schiiten, ihr Zentrum ist die Imam-Ali-Moschee in Hamburg. Die Schiiten lehnen die drei ersten Nachfolger des Propheten ab und halten einzig den vierten Kalifen, c Alî ibn Abî Ţâlib, für dessen rechtmäßigen Nachfolger. Aus dessen Familie müssen auch alle weiteren Kalifen stammen. Ein weiterer wichtiger Unterschied zu den Sunniten ist die Lehre vom Imamat, der Führung der Gemeinschaft durch einen göttlich geleiteten Imam. In der täglichen Religionspraxis unterscheiden sich Schiiten allerdings kaum von den Sunniten. In Deutschland ist die Gruppe der Aleviten ebenfalls Aleviten 9 stark vertreten, die hauptsächlich im Rahmen der Arbeitsmigration aus der Türkei nach Deutschland kamen. Die alevitische Glaubensrichtung ist in Zentralanatolien im 13. Jahrhundert entstanden und stark vom mystischen Islam beeinflusst. Auch hier gibt es ein breites Spektrum von Einstellungen bis hin zum Verständnis des Alevitentums als Kultur ohne Bezug zu religiösen Elementen oder Gott. Aleviten unterscheiden sich in vielem von Sunniten:»Die Aleviten beten individuell abends und donnerstagsabends in der Gemeinde, der Cemversammlung. Sie gehen nicht in die Moschee, sie haben in der Regel eine eigene Kultstätte (Cemevi). Der Kult der Aleviten ist durch gegenseitige Versöhnung, Musik und Tanz beider Geschlechter ausgezeichnet. Die Aleviten fasten nicht im Monat Ramadan, 21
6 sondern zwölf Tage im Monat Muharem. Die Aleviten pilgern nicht nach Mekka«(Sökefeld 2008, S. 199). Die Aleviten bringen c Alî ibn Abî Ţâlib, dem Vetter des Propheten und vierten Kalifen, höchste Verehrung entgegen. Sie gehen davon aus, dass sie die Scharia als erste Stufe zum»vollkommenen Menschen«bereits überwunden haben, und lehnen diese als für sie nicht verbindlich ab. Da die Scharia auch das Gebet, das Fasten, die Pilgerfahrt, die Kleiderordnung, Speiseregeln etc. behandelt, fühlen sich Aleviten auch nicht an die meisten der»fünf Säulen«gebunden (Glaubensbekenntnis, Gebet, Fasten, Sozialsteuer / Zakah und Pilgerfahrt), die Bestandteile des sunnitischen und schiitischen Islam sind. Aus diesem Grunde ist ihnen ein größeres Maß an Assimilation an die deutsche Gesellschaft möglich. In der psychiatrischen Klinik und Ambulanz spielen daher religiös begründete Ausnahmen in Diagnostik und Therapie nicht die Rolle wie bei Sunniten oder Schiiten. Innerhalb der Aleviten wird eine intensive Diskussion darüber geführt, ob das Alevitentum in erster Linie eine Kultur ist, eine eigenständige Religion darstellt oder sich als eine Richtung des Islam versteht. Nach Meinung der überwiegenden Mehrheit der Sunniten ist derjenige ein Muslim, der das islamische Glaubensbekenntnis mit voller Absicht und Überzeugung ausspricht. Darüber hinaus besteht allerdings bei den meisten Konsens darüber, dass ein Muslim unter anderem die fünf Säulen anerkennen muss, um als Muslim zu gelten. Daher bewegen sich Aleviten nach Ansicht vieler Sunniten außerhalb des Minimalkonsenses und werden häufig als Häretiker verunglimpft, was besonders in der Türkei, wo sie bis zu 15 Prozent der Bevölkerung ausmachen, zu Schwierigkeiten bis hin zu Verfolgungen geführt hat trat im heutigen Pakistan Mirza Ghulam Ahmadiyya 9 Ahmad ( ) mit dem Anspruch auf, ein islamischer Reformer, der christliche Messias und der islamische Mahdi in einer 22
Gott und Mensch im Islam
lieferung ist der»hadith«. Muslime empfinden es zumeist als sehr verdienstvoll, dem Vorbild des Propheten mittels der Sunna auch in vielen Alltagsangelegenheiten zu folgen. g Hausbesuche, Seiten 93 ff.
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