Der Europäische Erbschein
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1 Brüssel, Internationales Erbrecht, 10./11. Mai 2004 Vorbemerkung Der Europäische Erbschein Fragen der grenzüberschreitenden Nachlassabwicklung stellen sich in allen Mitgliedsländern vermehrt. Viele Bürger besitzen ein Domizil im Ausland oder arbeiten auf der anderen Seite der Grenze, sie haben ein zweites Domizil oder eine Ferienimmobilie im Ausland oder legen ihr Geld bei einer ausländischen Bank an. Das Vermögen des Erblassers ist somit in zahlreichen Fällen nicht mehr in seinem Heimatland belegen, sondern u. U. auf mehrere Staaten verteilt. Die Erben müssten in diesen Fällen grenzüberschreitend tätig werden und sich an die zuständigen Personen bzw. Behörden wenden, um einen geeigneten Nachweis zu erlangen, um das ererbte Vermögen in Besitz nehmen zu können. Diese Problematik stellt sich in der Praxis nicht nur als zeitraubend, sondern vor allem auch als kostenintensiv dar. I. Rechtsvergleich Das materielle Erbrecht ist in den Mitgliedsländern der Europäischen Union nicht vereinheitlicht und so haben sich in den verschiedenen Ländern und Rechtskreisen unterschiedliche Mechanismen entwickelt, wie der Erbe den Nachweis der Erbenstellung erbringen kann. In Deutschland, Griechenland, Elsass-Lothringen und in Südtirol geschieht dies durch einen gerichtlichen Erbschein. In den romanisch geprägten Ländern hat sich weitestgehend der acte de notoriété als Nachweismittel entwickelt. Die skandinavischen Länder vertrauen auf einen Nachlass bzw. Inventarverzeichnis. Einen ganz anderen Weg gehen die Länder des common law. Das Vermögen geht zunächst auf eine zwischenberechtigte Person über, dem personal representative. Dieser legitimiert sich als executor durch einen grant of probate und als administrator durch einen letter of administration. II. Vorschläge Ziel eines europäischen Internationalen Erbrechts sollte eine einfache und praktikable Nachlassabwicklung über die Grenzen des Heimat- oder Aufenthaltslandes sein. Diese ist zurzeit nicht gewährt, weil sich der oder die Erben in jedem Land, in dem der Erblasser Vermögen hinterlassen hat, regelmäßig einen nach den örtlichen Gewohnheiten geeigneten Erbnachweis besorgen müssen. Dies stellt eine kosten- und zeitaufwändige Belastung der Erben dar. Wie diese Belastung verringert werden könnte, ist Gegenstand der im Gutachten gemachten Vorschläge. 1. Anerkennungsmodell In Betracht käme, im Rahmen einer europäischen Rechtsvereinheitlichung vorzusehen, dass ausländische Erbnachweise grundsätzlich auch in anderen Mitgliedsländern der EU anzuerkennen sind. Ein Modell hierfür findet sich insbesondere im schweizerischen Gesetz über das Internationale Privatrecht von In Art. 96 hat die Schweiz der Bedeutung internationaler Nachlassabwicklungen Rechnung getragen, in dem es bestimmt, dass ausländische Entscheidungen, Maßnahmen, Urkunden und Rechte anzuerkennen seien. Dementsprechend werden in der Schweiz die Befugnisse eines administrator anerkannt, die österreichische Einantwortungsurkunde, der deutsche Erbschein, aber auch die roma-
2 nischen Notariatsakte sowie die Inventarverzeichnisse nach dänischem Recht. Eine Anerkennungslösung etwa nach dem schweizerischen Muster bereitet allerdings in mehrfacher Hinsicht Probleme. Eine Anerkennung eines ausländischen Nachweises kann nur soweit gehen, wie die Wirkung im Ausstellungsstaat selbst ist. Ein Erbnachweis, der keine Legitimations- oder Gutglaubenswirkung im Ausstellungsstaat hat, kann sie folglich auch nicht im anerkennenden Staat haben. Weiter stellt sich die Frage der Gleichwertigkeit eines ausländischen Nachweises mit den nach der lex fori geforderten Nachweisen. Die Unterschiede sind insoweit zu groß. Es findet teilweise eine Ermittlung der Erben von Amts wegen durch die Gerichte statt mit einem hohen Grad an Authentizität, teilweise obliegt Notaren unter Androhung von Schadensersatz diese Aufgabe und teilweise wiederum liegt es in den Händen eines Nachlassbeteiligten selbst. Nicht zuletzt aus diesen Gründen werden bislang Erbnachweise im Ausland nicht anerkannt. 2. Europäischer Erbschein Im Rahmen der Harmonisierung des Internationalen Erbrechts in Europa sollte man daher einen Schritt weiter gehen und an die Schaffung eines einheitlichen europäischen Erbscheins denken. Dieser Gedanke ist nicht neu, er war bereits Gegenstand des Haager Übereinkommens vom über die internationale Abwicklung von Nachlässen. Dieses Abkommen sah eine Vereinheitlichung der internationalen Nachlassverwaltung durch Ausgabe eines in allen Vertragsstaaten anzuerkennenden Nachlassabwicklungszeugnisses vor. Praktische Bedeutung hat dieses Abkommen jedoch bislang nicht erlangt, da das Abkommen insbesondere nicht das anwendbare Erbrecht regelt. Ein interessantes Lösungsmodell sieht der Code de Procédure Civile der kanadischen Provinz Québec vor. Danach kann eine betroffene Person einen sog. lettre de vérification erlangen, der die Erbenstellung, das Erbteilsvermächtnis und die Abwicklerstellung bezeugt. Dieser lettre de vérification ist für den Gebrauch außerhalb Québecs bestimmt. Wie sollte nun ein europäischer lettre de vérification oder ein europäischer Erbschein aussehen. Insoweit ist vorab zu bemerken, dass diese Idee nur dann Erfolg haben kann, wenn das anwendbare Erbrecht vereinheitlicht wird, ansonsten dürfte sie das gleiche Schicksal erleiden, wie das Haager Nachlassverwaltungsabkommen von Die nachfolgenden Ausführungen gehen insoweit davon aus, dass eine Vereinheitlichung des anwendbaren Erbrechts in den Mitgliedsländern der Union vollzogen wird und eine Anknüpfung an das Recht des letzten gewöhnlichen Aufenthaltsortes des Erblassers erfolgt. Der europäische Erbschein muss zunächst die ausstellende Stelle konkret bezeichnen, um auf diese Weise Einzierung und Berichtigung der Urkunde zu ermöglichen. Des Weiteren müssen die Angaben zur Person des Erblassers zweifelsfrei aus dem Erbschein hervorgehen. In Anlehnung an den lettre de vérification Québecs sollte der Erbschein auch die Erben und ihre Erbquoten ausweisen. Insbesondere, wenn keine verfügungsberechtigte Person wie ein Testamentsvollstrecker oder ein personal representative vorhanden ist und die Erben unmittelbar Zugriff auf das Vermögen haben, gewinnt ihre Nennung große Bedeutung. Werden die Erbquoten angegeben, so können die Beteiligungsverhältnisse im Liegenschaftsregister oder Grundbuch angegeben werden und die Bank kann eine quotenmäßige Auskehrung der Geldkonten vollziehen. Raum muss in diesem Erbschein aber besonderen Ausgestaltungen des gesetzlichen Erbrechts gegeben werden, wenn etwa dem
3 überlebenden Ehegatten ein Nießbrauchsrecht eingeräumt wird, wie dies in romanischen Ländern üblich ist. Beruht die Erbfolge nicht auf Gesetz, sondern vielmehr auf Testament, so sollte im Erbschein neben den Erben und etwaigen Quoten auch die Errichtung eines formgültigen Testaments und deren Eröffnung bestätigt werden. Da ein Testament nicht immer eindeutig ist, empfiehlt es sich, eine beglaubigte Kopie dem europäischen Erbschein anzufügen. Des Weiteren müsste der europäische Erbschen Angaben zur Verfügungsberechtigung enthalten. Die Benennung einer verfügungsberechtigten Person ist insbesondere dann für ein einfaches Verfahren von großer Bedeutung, wenn die Umsetzung der gesetzlichen und der testamentarischen Erbfolge im Belegenheitsland auf Schwierigkeiten stößt, weil sie z. B. mit dem Sachenrecht oder Grundbuchrecht kollidiert. So wäre als verfügungsberechtigte Person beispielsweise der deutsche Testamentsvollstrecker zu benennen oder der überlebende niederländische Ehegatte sowie der executor oder administrator des englischen Rechts. Verfügungsberechtigt könnte in England darüber hinaus auch beispielsweise der trustee sein, wenn als testamentarischer Erbe ein trust benannt wurde. Hinsichtlich der Ausgestaltung der Verfügungsmacht bietet sich wiederum an, an das Haager Nachlassverwaltungsabkommen zu denken. Dieses sieht wahlweise vor, dass die Befugnisse mit einer Generalklausel umfassend bezeichnet werden oder aber mit bestimmten Ausnahmen versehen werden bzw. enumerativ aufgeführt werden. Vorzugswürdig ist insbesondere an eine umfassende Fremdverwaltungsbefugnis zu denken, die ggf. nur negativ eingegrenzt wird, so dass der Fremdverwalter danach im Zweifel zu allen Maßnahmen berechtigt ist, es sei denn, diese sind besonders ausgeschlossen. Diese Lösung hätte den Vorteil, dass Zweifelsfragen der Verwaltungsbefugnis weitgehend vermieden werden. 3. Wirkung eines europäischen Erbscheins a) Legitimationswirkung Ein einheitlicher europäischer Erbschein sollte die darin ausgewiesenen Personen gegenüber staatlichen Stellen legitimieren, so dass auf der Basis des Erbscheins Grundbücher berichtigt werden oder Vermögen, welches unter staatlicher Verwaltung steht, ausgehändigt wird. Im privaten Rechtsverkehr kann sich die ausgewiesene Person darüber hinaus auch z. B. gegenüber Nachlassschuldnern legitimieren. b) Gutglaubenswirkung Der Erbschein sollte darüber hinaus auch Gutglaubenswirkung besitzen, d. h., dass auf seiner Basis befreiend geleistet werden kann. Gutglaubenswirkung ist in den meisten europäischen Rechtsordnungen bereits vorgesehen für die jeweiligen Erbnachweise. c) Beweiswirkung Bis zum Beweis des Gegenteils sollte der Inhalt der Urkunde als richtig und echt angesehen werden.
4 d) Zusätzlich bestätigender Erbschein Der europäische Erbschein kann insbesondere dann Probleme mit sich bringen, wenn in ihm Rechtsinstitute benannt werden, die mit dem Sachenrecht am Belegenheitsort des Vermögens unvereinbar sind. Die fremden Rechtsinstitute müssen dann in die Sprache des Rechts am Belegenheitsort übersetzt werden. So stellt sich beispielsweise die Frage, ob der englische personal representative als Testamentsvollstrecker anzusehen ist und als solcher im Grundbuch vermerkt wird oder ob seine Stellung hinter dem eines Testamentsvollstreckers zurückbleibt. Um mehrfach Interpretationen zu vermeiden, sollte durch eine möglichst zentrale Stelle am Belegenheitsort insoweit Abhilfe geschaffen werden, indem diese Stelle ein Dokument ausstellt, welches die Rechtswirkung im Belegenheitsland auf der Basis des europäischen Erbscheins festschreibt, so dass der executor nicht am Belegenheitsort des einen Vermögens als Testamentsvollstrecker angesehen wird und am Belegenheitsort des anderen Grundstücks diese Qualifikation unterbleibt. 4. Beschränkung auf Auslandsvermögen Der europäische Erbschein soll die Nachlassabwicklung im Ausland erleichtern, er soll nicht den rein inländischen Rechtsverkehr reformieren. Wenn der europäische Erbschein allerdings auch im Inland Verwendung findet, so wäre dies gleichwohl wünschenswert, aber den nationalen Rechtsordnungen überlassen. 5. Zuständigkeit Die internationale Zuständigkeit für die Erteilung eines Erbscheins wie für die Einziehung eines etwaigen Erbscheins sollte am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers bestehen, da sich nach dem Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort auch die Rechtsnachfolge von Todes wegen richtet, so dass die zuständigen Stellen in der Regel mit ihrem eigenen Recht konfrontiert sind und auf der Basis ihres eigenen Rechts den europäischen Erbschein ohne besondere Probleme erstellen können. Die internationale Zuständigkeit ist zu regeln, nicht hingegen die örtliche oder sachliche Zuständigkeit, diese kann von jedem Mitgliedsland in eigener Regie gelöst werden. Dabei ist jedoch darauf zu achten, dass nicht sich widersprechende Erbscheine ausgehändigt bzw. erteilt werden. Dies kann wie z. B. in England durch eine elektronische Datenverarbeitung erfolgen. Soweit aber nicht das Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Erblassers berufen ist, weil der Erblasser eine Rechtswahl zugunsten seines Heimatrechts getroffen hat, wie wir sie in unserem Gutachten vorgeschlagen haben, so müsste das Gericht oder die Behörde am Ort des letzten gewöhnlichen Aufenthaltsorts des Erblassers fremdes Recht anwenden. Will man diese Problematik vermeiden, so kommt in Betracht, zum einen, dass die international zuständige Stelle die Sache an eine Stelle des Landes abgibt, dessen Recht Anwendung findet oder aber die zuständige Stelle eine Anfrage an die Behörden des Landes richtet, dessen Recht berufen ist mit dem Ziel, die Richtigkeit des Erbscheins zu überprüfen. 6. Prüfungspflicht Ein europäischer Erbschein aufgrund dessen der Schuldner befreit leisten kann und die Erben sich legitimieren dürfen, muss einen hohen Grad an Vertrauen in den Mitgliedsländern besitzen. Dieses Vertrauen erreicht man zum einen durch die Person bzw. durch
5 die Behörde, welcher diese Aufgabe übertragen wird. Zu denken ist dabei an die Gerichte und in den Ländern des lateinischen Notariats an die Notare. Allerdings sollte jedem Mitgliedsland in eigenem Interesse die Übertragung einer bestimmten Behörde oder Person überlassen bleiben. Nicht in das Belieben der einzelnen Mitgliedsländer ist hingegen das Prüfungsverfahren zu stellen. Insoweit sollte der Prüfungsumfang festgelegt werden. Dies ist notwendig, um das notwendige Vertrauen in eine derartige Urkunde zu sichern. Dabei sollte die zuständige Stelle von Amts wegen die erforderlichen Informationen beschaffen. Sie muss amtliche Dokumente wie Heiratsregister, Familienbücher und Eheverträge überprüfen und hat Anfragen an die jeweiligen Testamentsregister zu richten. Darüber hinaus sollte der Antrag auf Erteilung eines europäischen Erbscheins den Erbberechtigten und dem Nachlassabwickler zugestellt werden, damit sie hiervon Kenntnis erlangen und ggf. Einwendung erheben können. Zwingt man den Antragsteller dazu, seinen Antrag durch eidesstattliche Versicherung oder effidavit zu stellen, so wird eine weitere Sicherheit für die Richtigkeit des Rechtsverkehrs geschaffen. Ein europäischer Erbschein kann Wirkung naturgemäß nur in den Mitgliedsländern entfalten. Sofern der Erblasser in einem Nichtmitgliedsstaat mit dortigem letzten gewöhnlichen Aufenthalt verstarb, kann u. U. kein oder kein ausreichender Erbrechtsnachweis erlangt werden. In diesem Fall sollte den Gerichten oder Behörden am Ort der Belegenheit des Vermögens die Zuständigkeit zur Ausstellung eines entsprechenden Dokuments übertragen werden. Dr. Wolfgang Riering LL.M.
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