Haftpflicht- und Versicherungsrecht Prüfung (Master) 15. Juni 2011
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- Reinhold Hase
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1 Prof. M. Kuhn und Prof. A.K. Schnyder Haftpflicht- und Versicherungsrecht Prüfung (Master) 15. Juni 2011 Teil I (Bewertung 50 %) Frage 1 a) Herr X, Schweizerbürger mit Wohnsitz in Bern, möchte in der Schweiz eine Lebensversicherungsgesellschaft mit Sitz in Zürich gründen. Welche Voraussetzungen und Bedingungen muss Herr X erfüllen? b) Was bedeutet der Grundsatz der Spartentrennung? Er muss eine Bewilligung der FINMA zur Ausübung der Geschäftstätigkeit haben (Art. 3 Abs. 1 VAG). Diese wird erteilt, wenn die gesetzlichen Anforderungen erfüllt und die Interessen der Versicherten gewahrt sind (Art. 6 Abs. 1 VAG). Rechtsform: AG oder Genossenschaft (Art. 7 VAG). Einreichung eines Geschäftsplanes (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 lit. a-r VAG). Mindestkapital zwischen CHF 3 20 Mio. (Art. 8 VAG). Nachweis ausreichender freier und unbelasteter Eigenmittel bezüglich der gesamten Geschäftstätigkeit (Art. 9 Abs. 1 VAG): Solvabilitätsspanne bzw. Solvabilität I. Seit auch Solvabilität II: Berücksichtigung sämtlicher Risiken des Unternehmens. Bildung eines Organisationsfonds (Art. 10 VAG). Bildung von versicherungstechnischen Rückstellungen (Art. 16 VAG). Gewähr für eine einwandfreie Geschäftstätigkeit (Corporate Governance Regel, vgl. Art. 14 VAG). Bildung eines gebundenen Vermögens zur Sicherstellung der Ansprüche aus Versicherungsverträgen (Art. 17 VAG). Bestellung eines verantwortlichen Aktuars (Art. 23 Abs. 1 VAG). max. 4 P., wobei für Einzelaspekt
2 Versicherungen, welche die direkte Lebensversicherung betreiben, dürfen ausser der Invaliditäts-, der Unfalltod- und der Krankenzusatzversicherung sowie der Kranken- und Invaliditätsversicherung keine weiteren Versicherungszweige betreiben. Diese Bestimmung liegt darin begründet, dass die Lebensversicherer grosse Deckungskapitalien verwalten, die während der ganzen Laufzeit des Vertrages gegen Zweckentfremdung geschützt werden sollen. In der Schweiz gewähren die Lebensversicherer in der Regel eine Tarifgarantie während der Laufzeit des Vertrages. Demgegenüber ist das Nicht-Lebensversicherungsgeschäft kurzfristiger ausgerichtet. Frage 2 a) Welche zwei Arten von Versicherungsvermittlern unterscheidet das Gesetz? b) Wann gilt ein Vermittler als an einen Versicherer gebunden? Das Gesetz unterscheidet zwischen gebundenen und ungebundenen Versicherungsvermittlern (Art. 43 VAG; Art. 183 Abs. 1 lit. a-e sowie Abs. 2 lit. a und b AVO). Ein Versicherungsvermittler gilt als gebunden, wenn er (vgl. Art. 183 Abs. 1 AVO) während eines Kalenderjahres Provisionseinnahmen mehrheitlich mit einem oder zwei Versicherungsunternehmen realisiert; vom Versicherungsunternehmen Entschädigungen oder andere geldwerte Vorteile erhält, die nicht der geschäftsüblichen Entschädigung für die Versicherungsvermittlung entsprechen und deshalb seine Unabhängigkeit beeinträchtigen könnten; mit einem Versicherungsunternehmen Zusammenarbeits- oder andere Vereinbarungen eingegangen ist, die seine Freiheit, auch für andere Versicherungsunternehmen tätig zu werden, beeinträchtigen; oder eine leitende Funktion in einem Versicherungsunternehmen innehat oder auf andere Weise auf den Geschäftsgang eines Versicherungsunternehmens Einfluss ausüben kann. Ferner gilt ein Versicherungsvermittler als gebunden (Art. 183 Abs. 2 AVO), wenn ein Versicherungsunternehmen am Gesellschaftskapital des Versicherungsvermittlers oder der Versicherungsvermittlerin direkt oder indirekt mit mehr als 10 Prozent beteiligt ist; 2
3 eine leitende Funktion bei einem Versicherungsvermittlungsunternehmen innehat oder auf andere Weise auf den Geschäftsgang des Versicherungsvermittlers oder der Versicherungsvermittlerin Einfluss ausüben kann. max. 2 P., wobei für Einzelaspekt Frage 3 a) Ein Patient bietet seinen Hausarzt auf, weil er unter schwerem Kopfweh leidet. Dieser tastet den Kopf des Patienten ab, ohne in den Körper des Patienten Eingriff zu nehmen. Ist zwischen Arzt und Patient ein Vertrag zustande gekommen? b) Welche Arten von Spitalaufnahmeverträgen unterscheidet man? Welches sind die wesentlichen Unterschiede zwischen den einzelnen Arten? Ja. Nimmt ein Hausarzt routinemässige Untersuchungsbehandlungen, die nicht invasiv sind, vor und wendet sich der Patient nicht dagegen, so kann von einem stillschweigend bzw. konkludent abgeschlossenen Arztvertrag (für routinemässige Untersuchungen, etc.) gesprochen werden. Der Spital- bzw. Spitalaufnahmevertrag lässt verschiedene Varianten zu. Einheitlicher Spitalaufnahmevertrag: Tritt dem Patienten gegenüber ausschliesslich das Spital als Vertragspartner auf, so spricht man von einem einheitlichen oder totalen Spitalaufnahme- bzw. Krankenhausaufnahmevertrag. Hier verpflichtet sich das Spital gegenüber dem Patienten nicht nur zur Pflege und Fürsorge, sondern ist selber in direkter Weise auch für die sachgemässe medizinische Betreuung zuständig. Gespaltener Spitalaufnahmevertrag: Im medizinischen Auftragsverhältnis steht dem Patienten in der Regel der Arzt als Vertragspartner gegenüber. Wird der Vertrag zwischen Patient und privatem Krankenhaus abgeschlossen, so ist dieses vertraglich auch für die medizinische Betreuung verantwortlich. Im Rahmen eines Spital- bzw. Spitalaufnahmevertrages ist nun insofern eine Aufspaltung möglich, als Spital und Arzt selbstständige, abgrenzbare Leistungsfunktionen erfüllen. In diesem Fall stehen dem Patienten zwei Vertragspartner gegenüber (gespaltener Spitalvertrag). Neben dem Rechtsverhältnis zum Spital, das die Pflege und Fürsorge umfasst, besteht parallel dazu eine direkte Vertragsbeziehung zum privatärztlich tätigen Arzt. Frage 4 a) Gegen was bieten die in der Schweiz tätigen D&O Versicherer in der Regel Versicherungsdeckung? 3
4 b) Kann im Zusammenhang mit D&O Versicherung auch der Versicherungsnehmer versicherte Person sein? Der D&O Versicherer deckt berechtigte Schadenersatzansprüche von Geschädigten, die auf einer gesetzlichen Haftpflicht beruhen (Befreiungsanspruch), und übernimmt gleichzeitig die Abwehr. Ja, aber gemäss den AVB der in der Schweiz tätigen D&O Versicherer in der Regel nur, wenn der Versicherungsnehmer das versicherte Organ schadlos gehalten hat. Ist dies der Fall, so wird oftmals vereinbart, dass der Anspruch auf Versicherungsleistung aus dem Versicherungsvertrag im Umfang der Schadloshaltung auf die versicherte Gesellschaft bzw. den Versicherungsnehmer übergeht. Teil II (Bewertung 50 %) Frage 5 Wie lautet nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung das Beweismass und wen trifft die Beweislast mit Bezug auf: a) rechtmässiges Alternativverhalten; b) Anforderungen an den hypothetischen Kausalzusammenhang bei Unterlassungen? Ein ins Recht gefasster Schädiger bzw. Haftpflichtiger hat den Entlastungsbeweis betreffend rechtmässiges Alternativverhalten zu erbringen. Der Entlastungsbeweis muss strikt erbracht werden. Er scheitert, wenn sich ergibt, dass der Schaden auch bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt möglicherweise eingetreten wäre. Beweismass: Hätte ein (pflichtgemässes) Handeln mit sehr grosser bzw. hoher Wahrscheinlichkeit den Eintritt des Erfolgs verhindert? 4
5 Grundsätzlich trifft die geschädigte Person die Beweislast mit Bezug auf die Bejahung des Kausalzusammenhangs. Frage 6 a) Was ist unter einem integralen Regressrecht zu verstehen? b) Steht ein solches den Sozialversicherern zu; den Arbeitgebern bei Leistung einer Lohnfortzahlung; den privaten Haftpflichtversicherungsunternehmen? Für einen in einem Schadenfall Leistenden bedeutet dies, dass der Regress umfassend, d.h. gegen sämtliche Ersatzpflichtigen möglich ist; - unabhängig davon, ob diese kausalhaftpflichtig sind, aus Verschulden oder aus Vertragsverletzung haften. Sozialversicherer: ja; heute vorgesehen in Art. 72 ATSG. Arbeitgeber: ja; allerdings nicht in direkter, sondern lediglich analoger Anwendung von Art. 51 Abs. 2 OR, da der Arbeitgeber nicht zum Kreis der gemäss Art. 51 OR Haftpflichtigen zählt. Haftpflichtversicherungen: in der Regel nicht integral; vgl. z.b. Art. 72 VVG. Frage 7 a) Steht nach einem Strassenverkehrsunfall der geschädigten Person ein direktes Forderungsrecht gegen den Haftpflichtversicherer des Schädigers zu? b) Kann der Haftpflichtversicherer in einem solchen Fall auf den Versicherungsnehmer Rückgriff nehmen? Wenn ja, gestützt worauf und in welchen Fällen? Ja; gestützt auf Art. 65 Abs. 1 SVG. 5
6 Ja; gestützt auf Art. 65 Abs. 3 SVG; i.v.m. Art. 14 VVG. Kein Rückgriff bei leichter Fahrlässigkeit des Schädigers: Art. 14 Abs. 4 VVG. Frage 8 a) Was schlägt der Bundesrat de lege ferenda mit Bezug auf den Regress des Haftpflichtversicherers gegen den haftpflichtigen Motorfahrzeughalter vor? b) Wenn mehrere Motorfahrzeughalter in einen Unfall verwickelt sind: Wie wird der Schaden im Innenverhältnis verteilt? Besteht im Innenverhältnis Solidarität? Was hat zu geschehen, wenn im Verhältnis mehrerer Solidarschuldner einer nicht zahlungsfähig ist? Neuer Art. 65 Abs. 3 zweiter und dritter Satz SVG: Verpflichtung des Versicherers, bei grobfahrlässig begangener Verkehrsregelverletzung Rückgriff zu nehmen. Der Umfang des Rückgriffs soll dem Verschulden und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Rückgriffsverpflichteten Rechung tragen. Variante 1: Art. 60 Abs. 2 Satz 2 SVG; Kriterien der Verteilung: individuelles Verschulden der Beteiligten, wenn und sofern Betriebsgefahren der involvierten Fahrzeuge nicht eine andere Verteilung gebieten. Variante 2: Art. 61 Abs. 1, Kriterien der Verteilung: individuelles Verschulden der Beteiligten, wenn und sofern Betriebsgefahren der involvierten Fahrzeuge nicht eine andere Verteilung gebieten. Nein; Art. 60 Abs. 1 SVG (Variante 1) oder Art. 61 Abs. 3 SVG (Variante 2) betreffen das Aussenverhältnis. Zahlungsunfähigkeit eines Solidarschuldners: Art. 148 Abs. 3 OR; was von einem nicht erhältlich ist, "haben die übrigen gleichmässig zu tragen". Total: 30 P. 6
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