Schutz durch Nutzung ein Mythos? von Hermann Spellmann Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt
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- Renate Friedrich
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1 Schutz durch Nutzung ein Mythos? von Hermann Spellmann Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt
2 300 Jahre forstliche Nachhaltigkeit Jede Zeit will ihre Antworten Nachhaltigkeit der Holzerzeugung Nachhaltigkeit der Vielfachnutzungen Nachhaltigkeit der Holzerträge Nachhaltigkeit der Gelderträge Sustainable Forest Management 1713 v. Carlowitz 1795 Hartig 1841 Heyer 1931 Oswald 1972 Speidel 2003 MCPFE 2013 Bedeutung des Waldnaturschutzes 300 Jahre Forstliche Nachhaltigkeit
3 Gesamteuropäische Kriterien und Indikatoren einer nachhaltigen Forstwirtschaft (MCPFE WIEN 2003) Kriterium I Kriterium II Kriterium III Kriterium IV Kriterium V Kriterium VI FORSTLICHE RESSOURCEN Waldfläche nach Waldgesellschaften Holzvorrat Alters- bzw. Durchmesserstruktur Kohlenstoffvorrat GESUNDHEIT UND VITALITÄT Deposition aus der Luft chem. Bodenzustand Nadel-/Blattverluste Waldschäden (abiotisch, biotisch; Bewirtschaftung) PRODUKTIONS- FUNKTION Zuwachs und Nutzung Rundholz (Wert und Menge) Nichtholzprodukte (Wert und Menge) vermarktungsfähige Dienstleistungen Fläche mit FE-Planung BIOLOGISCHE DIVERSITÄT Baumartenzusammensetzung Anteile versch. Verjüngungstypen Naturnähe der Wälder Anbaufläche fremdl. Baumarten Totholz (Vorrat stehend / liegend) SCHUTZ- FUNKTIONEN Schutzwälder (Boden, Wasser) Schutzwälder (Klima, Lärm, Immissionen, Sicht) SOZIO- ÖKONOMISCHE FUNKTIONEN Eigentümerstruktur Anteil am Brutto- Inlandsprodukt Reinertrag der Forstbetriebe Investitionen in die Forstwirtschaft Beschäftigte in der Forstwirtschaft Genressourcen Landschaftsdiversität Anzahl gefährdeter Waldarten Vorrangflächen Naturschutz Arbeitsunfälle im Wald Holzverbrauch pro Kopf Holzhandel (Import / Export) Energiegewinnung aus Holz Recyclingrate für Papierprodukte Erholungswald Kultur- und Naturdenkmale
4 (MANTAU 2003) Holzrohstoffbilanz Deutschland ,1 Mio. Fm 100 % Holzverwendung 134,4 Mio. Fm 100 % (MANTAU 2012) ca. 40 % Anteil des Energieholzes an der Endenergiebereitstellung aus erneuerbaren Energien 2011 (BMU 2012) 41,9 Mio. Fm 77,5 % stoffliche Verwendung 67,1 Mio. Fm 49,5 % 13,2 Mio. Fm 22,5 % energetische Verwendung 68,4 Mio. Fm 50,5 % Sägeindustrie 27,5 % Hausbrand Holz- Werkstoffe 12,5 % Zellstoff und Holzschl. 7,8% sonst. stoffl. Verw. 1,7 % sonst. energ. Verw. 3,5 % 25,0 % energ. Verw. < 1 MW 5,3 % energ. Verw. > 1 MW 16,7 % 54,3 % 13,1 % 7,5 % 1,3 % 19,4 % 3,4 % 1,0 %
5 Akkumulierter C-Vorrat in Niedersachsen in der lebenden Biomasse der vier Hauptbaumarten und den Holzprodukten, Szenario naturnaher Waldbau nach 30 Jahren Simulation (Laubholzspeicher: hellgrau, Nadel-holz-speicher: dunkelgrau) Laubholz 25,0 Mio. t C Nadelholz 58,9 Mio. t C (WÖRDEHOFF et al. 2011)
6 Erlebnis- und Erholungsraum Wald seit 1975 freies Betretungsrecht kostenfreie Nutzung Ort der Erholung und Entspannung für waldnahe Bevölkerungsgruppen Ort der Umweltbildung adaptive Präferenzen der Besucher (aufgeräumt/wild, Laub-/Nadelwald) ca km Fahrwege* km Fuß-/Reit- und Radwege* * bezogen auf Deutschland
7 Wald in Deutschland Naturschutzsicht Forstsicht ca. 2/3 nicht naturnah, 57 % Nadelbäume, nur 16,7 % Buche ca. 50 % einschichtig aufgebaut nur 2,3 % > 160 Jahre Anteil historischer Wälder < 1 % Tier-, Pflanzen- und Pilzarten, die auf typische Strukturen naturnaher Wälder spezialisiert sind, sind überproportional stark gefährdet, geringe Totholzvorräte 5 % nutzungsfreie Wälder, 10 % Vertragsnaturschutz im Privatwald Laub- u. Mischwaldvermehrung (73 %), nur 25% gesicherter Ndh- Nachwuchs mehr als 50 % zwei- u. mehrschichtig Altholzüberhang u. Risikozunahme Spiegelbild der Waldgeschichte naturnächste terr. Lebensräume, hohe Biodiversität, Waldarten weniger gefährdet als Offenlandarten, Defizite in der Alters- und Zerfallsphase große Schutzgebietskulisse, Hotspots-Konzept Wirksamkeit (HÖLTERMANN, 2008)
8 Waldentwicklung in Niedersachsen - Grundlage des Waldnaturschutzes - Niedersachsen um 1800 Eichenwald Niedersachsen Kiefernpflanzung mit Hirt um und Herde Gemälde Waldgut von in PASCHA Lopau bei WEITSCH Munster 1780 Moor Heide Wald (aus KLEINSCHMIT 2007) (HECKENROTH 1985)
9 Kriterien des Naturschutzes Naturnähe Welches Leitbild? Welche Vielfalt Ziele? Welche Seltenheit Wege?
10 Ziele und Verantwortung des Waldnaturschutzes Leitbild: Natur und Landschaft sollen als Lebensgrundlagen des Menschen nachhaltig gesichert werden. Es sollen elementare Bedürfnisse des Menschen befriedigt werden, was nicht ausschließt, dass Teile der Natur sich selbst überlassen bleiben (BNatSchG). Ziele: Erhaltung bzw. Wiederherstellung einer typischen Entwicklung autochtoner und kulturhistorisch gewachsener Lebensgemeinschaften. Verantwortung:
11 Aussagen zur Gefährdung der Biodiversität im Wald (MEYER 2013) Bezug Aussage Quelle Keiner der 11 Lebensraumtypen befindet sich in einem günstigen Erhaltungszustand. FFH-Waldlebensraumtypen atlantische Region Biotoptypen FFH-Waldlebensraumtypen kontinentale Region Farn- und Blütenpflanzen Vögel gesamt Vögel Normallandschaft Holzkäfer Mehr als 60 % der Wald-Biotoptypen sind gefährdet. 5 von 16 Lebensraumtypen (darunter die großflächig vertretenen Hainsimsen- und Waldmeister-Buchenwälder) befinden sich in einem günstigen Erhaltungszustand. Wälder haben einen vergleichsweise geringen Anteil gefährdeter Arten. Positiver Trend bei den Waldvogelarten Lebensraum Wald schneidet relativ positiv ab. deutlich weniger gefährdete Xylobionte als 1998 (Ursachen: Methodik, Klimawandel) BFN (2007) Riecken et al BFN (2007) Korneck et al. (1998) Südbeck et al BMU (2010) Köhler (2011)
12 Strategien des Naturschutzes statische Ziele (im Anhalt an SCHERZINGER 1996) Schutz ohne Nutzung Sonderbiotope z. B. Quellbereich abschirmen Nationalpark Primärbiotope Primärbiotope Sekundärbiotope Sekundär- u. Tertiärbiotope Wacholderheide gestalten naturnaher Wald dynamische Ziele
13 Mindestanforderungen und zulässige Maßnahmen in nutzungsfreien Wäldern (Definition NWE5-Projekt) Schutzgebietskategorien (überlagerungsfrei) Kernzonen Nationalparke Kernzonen Biosphärenreservate Naturschutzgebiete Naturwaldreservate Habitatbaumgruppen Eigenbindung NLF Hot-Spot-Flächen Bewertungskriterien Naturnähe Habitatkontinuität Vollständigkeit Repräsentanz Seltenheit / Gefährdung Konnektivität
14 Zunehmender Trockenstress in der Vegetationszeit - Risikoabschätzung anhand klimatischer Wasserbilanz (KWB) und nutzbarer Feldkapazität (nfk) - Fichte Buche Eiche Kiefer
15 Grundzüge des Hotspots-Konzeptes Effizienter Naturschutz - Konzentration auf verbliebene Biodiversitätszentren Alte Waldstandorte in der Lüneburger Heide potenzielle Hotspots Arten als Indikatoren der Alters- und Zerfallsphase Hotspot Hainköpen nds. FoA Sellhorn Osmoderma eremita Sachdaten als Hilfsgrößen Forsteinrichtung Waldgeschichte Biotopkartierung... Demonstration Area Laubwald Forest Land 1990 seit 1780 Broadleaved stands since 1780 Nadelwald Coniferous seit stands 1780 since 1780 Woodland 1780 Wald Woodland seit Woodland 1990 Wald seit 1900 Wald 1990 Habitateigenschaften abgreifen
16 Vollständiger Lebenslauf eines europäischen Laubwaldes (verändert nach EMBORG 1998) Wirtschaftswald Naturwald Naturwald Baumhöhe (m) Aufbauphase Optimalphase Alterungsphase Verjüngungsphase Zerfallsphase Umsetzung von Totholz- und Habitatbaumkonzepten
17 Strategien des Naturschutzes statische Ziele (im Anhalt an SCHERZINGER 1996) Schutz ohne Nutzung Sonderbiotope z. B. Quellbereich abschirmen Nationalpark Primärbiotope Primärbiotope Sekundärbiotope Sekundär- u. Tertiärbiotope Wacholderheide gestalten naturnaher Wald Schutz durch Nutzung dynamische Ziele
18 Sekundärbiotop Flechten-Kiefernwald Restauration im NFA Göhrde Biosphärenreservat Elbtalaue c b a Abplaggen manuell ca. 9 m 2 je Stunde 2008: Erste Flechtenansiedlungen erkennbar
19 Sekundärbiotop Niedermoor Renaturierung in der Diepholzer-Moorniederung
20 Gestaltung von Sekundär- und Tertiärbiotopen Einfluss der räumlichen Strukturvielfalt auf die Arten- und Habitatdiversität hoch Habitat- und Artendiversität (nach BEGON et al. 1991) gering gering Steuerbare Strukturelemente Verteilungsmuster Dichte Differenzierung Durchmischung Vielfalt Strukturvielfalt hoch
21 Entwicklung der Durchmesserverteilung in Abhängigkeit von der Bestandesbehandlung - Buchen-Durchforstungsversuch Paderborn 616/ rel.h Alter 52 rel.h Alter > BHD [cm] B HD [cm] 52 >52 Nullfläche schw. Hdf Alter 119 st. Hdf rel.h >52 BHD [cm]
22 Naturwaldreservat und Vergleichsfläche Hohestein Veränderung der Anzahl Artenzahl in der Krautschicht Offenlandarten/Störanzeiger in Abhängigkeit von der Grundflächenveränderung Vergleichsfläche Naturwaldreservat
23 Naturwälder: Verjüngung Eiche und Buche Eiche 100 % Frequenz N = 10 N = 77 N = 31 N = 23 N = 9 0 Nordahner Holz Herrenholz W albecker Warte Braken Hasbruch feuchter Hainbuchen- Stieleichenwald <0.5m <2.0m >2,0m Unterschicht Mittelschicht Oberschicht Buche 100 % Frequenz Nordahner Holz Herrenholz W albecker Warte Braken Hasbruch <0.5m <2.0m >2,0m Unterschicht Mittelschicht Oberschicht
24 Schattenintensität verschiedener Baumarten
25 Schattenerträgnis von Traubeneiche und Buche
26 Sicherung der Lebensraumkontinuität von Eichenwäldern durch Naturverjüngung Stermieren-Eichen-Hainbuchenwald: Kleinkahlschlag Bodensauere Eichwälder: kurzfristiger Schirmschlag
27 Höhenwachstum gleichalter, gepflanzter Buchen und Traubeneichen in Abhängigkeit von der photosynthetisch aktiven Strahlung (PAR) Höhe (cm) (v. LÜPKE u. HAUSKELLER-BULLERJAHN, 2004) 8jährig TEiche Buche 100 TEiche Buche 5jährig PAR (%)
28 Eichen-Naturverjüngungsversuch Schlüchtern
29 Höhenwachstumsgang verschiedener Baumarten nach den Ertragstafeln I. Bonität 40 Mittelhöhe (m) Baumart WLinde Kirsche Esche Eiche Buche BAhorn Alter
30 Stammzahl- und Oberhöhenentwicklung im Oberstand mit und ohne Durchforstung Eichen-Buchen-Durchforstungsversuch Weilburg Stammzahl 40 Oberhöhe Stammtzahl (N/ha) Oberhöhe (h100 m) Alter Alter E-Grad SEi-O E-Grad Bu-O A-Grad SEi-O A-Grad-Bu-O E-Grad SEi-O E-Grad Bu-O A-Grad SEi-O A-Grad-Bu-O E-Grad = starke Hochdurchforstung A-Grad = ohne aktive Durchforstung
31 Mischungsanteile in der Wuchsreihe Buche Edellaubbäume (ALh) Forstamt Reinhausen, 2007 Fläche / Alter A9, 146 J. A8, 142 J. A7, 139 J. A6, 110 J. A5, 97 J. A4, 90 J. A3, 71 J. A2, 59 J. A1; 41 J. 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Mischungsanteil KF NW Hünstollen Bu Es BAh sonst. ALh sonst.
32 Schutz durch Nutzung ein Mythos? Die Wahrheit ist. weder im Kielwasser der Rohholzerzeugung noch im Kielwasser des Naturschutzes werden alle Funktionen des Waldes erfüllt, aber
33 die nachhaltige, multifunktionale Forstwirtschaft kommt diesem Ziel schon sehr nah!
34 Waldnaturschutz in niedersächsischen Wäldern Schutzgebietskulisse Totholzangebot Wald Wald 100 % 100 % ha LSG 43,0 % LSG 43 % Naturpark 32,7 % Naturpark 32,7 % FFH 11,0 % EU-VSG 8,1 % NSG 4,9 % > 1/4 NP 1,3 % NW 0,4 % BWI 2: 20 cm gesamt: 8,2 m³/ha liegend: 5,0 m³/ha stehend: 1,9 m³/ha Biosoil 2006: 10 cm Gesamt: 24,6 m³/ha 20 cm Gesamt: 14,4 m 3 /ha
35 für konsensfähige Lösungswege bedarf es: einer Versachlichung der Diskussion um Nutzungsverzichte und Vorrangflächen für den Naturschutz einer belastbaren Bestandsaufnahme der bisherigen Leistungen mit Hilfe geeigneter Indikatoren der Formulierung operationaler Ziele einer Loslösung von willkürlichen Prozentsätzen und einer Beurteilung naturschutzfachlicher Maßnahmen nach ihrer Wirksamkeit der Einsicht in notwendige Konsequenzen aufgrund veränderter ökologischen und ökonomischen Rahmenbedingungen Gespür für das Zumutbare, Einsicht in das Machbare und Kompromissbereitschaft
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