Lysosomale Speicherkrankheiten
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- Dirk Kaufer
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1 Michael Beck Therapie lysosomaler Speicherkrankheiten Zusammenfassung Lysosomale Speicherkrankheiten stellen eine große Gruppe von genetischen Stoffwechselerkrankungen dar, die sich durch einen progressiven Verlauf, Manifestation an unterschiedlichen Organsystemen und eine große phänotypische Variabilität auszeichnen. Nach klinischen und pathophysiologischen Kriterien lassen sich Mukopolysaccharidosen, Glykoproteinosen, Gangliosidosen und Lipidosen unterscheiden. Zur Behandlung lysosomaler Speicherkrankheiten standen bisher lediglich symptomatische Maßnahmen zur Verfügung. Ein völliges neues Behandlungsprinzip stellt die Enzymersatztherapie dar, die sich bei M. Gaucher bereits sehr gut bewährt hat. Erste klinische Studien zur Enzymsupplementation bei M. Fabry, Glykogenose Typ 2 (M. Pompe) und Mukopolysaccharidose Typ 1 lassen hoffen, dass diese Therapieform auch hier angewendet werden kann. Eine andere Möglichkeit, lysosomale Störungen zu behandeln, besteht darin, die Synthese der Speichersubstanz durch Inhibitoren zu hemmen. Auch durch Vektoren vermittelter Gentransfer eröffnet neue therapeutische Perspektiven. Schlüsselwörter: lysosomale Speicherkrankheit, Enzymersatz, Substrathemmung, Gentransfer, Speichersubstanz Summary Treatment of Lysosomal Storage Disorders Lysosomal storage disorders represent a large group of genetic metabolic diseases characterized by progressive course, manifestation of several organ systems and variable phenotypic expression. According to clinical and pathophysiological criteria these disorders are divided in mucopolysaccharidoses, glycoproteinoses, gangliosidoses and lipidoses. Until recently, affected individuals received palliative treatment only. But in the last ten years enzyme replacement therapy has been developed for treatment of patients with Gaucher disease. Presently, clinical studies are performed in patients with Fabry disease, Glykogenosis type 2 (Pompe disease), and Mucopolysaccharidosis type 1 to assess the effect of enzyme supplementation also in these diseases. In addition, in lysosomal storage disorders drugs are tested that may withdraw the storage material by inhibiting its synthesis. In the future gene transfer may become the treatment of choice. Key words: lysosomal storage disorder, enzyme replacement, substrate inhibition, gene Lysosomale Speicherkrankheiten stellen Stoffwechselstörungen dar, die durch einen genetisch bedingten Defekt saurer Hydrolasen hervorgerufen werden. Diese Enzyme sind für die Degradation hochmolekularer Substanzen (Lipide, Proteine, Glykoproteine, Glykosaminoglykane) verantwortlich; ein durch einen Gendefekt hervorgerufener Verlust an Aktivität eines oder mehrerer Enzyme führt zur Speicherung der entsprechenden Substrate innerhalb der Lysosomen. Die Akkumulation der hochmolekularen Substanzen hat zunächst Funktionsstörungen, schließlich den Untergang der Zelle zur Folge. Die Speicherphänomene innerhalb der Zelle zeigen bei der histologischen Untersuchung, und vor allem auch im elektronenmikroskopischen Bild, charakteristische Muster, die häufig eine Verdachtsdiagnose erlauben (M. Gaucher, M. Fabry). Die meisten lysosomalen Speicherkrankheiten werden autosomal rezessiv vererbt, eine Ausnahme sind die Mukopolysaccharidose (MPS) Typ 2 (M. Hunter) und der M. Fabry, die dem X- chromosomalen Erbgang folgen. Eine pränatale Diagnose ist in allen Fällen durch Enzymmessung in kultivierten Amnionzellen, teilweise auch in Chorionzellen, möglich. In den letzten Jahren wurden nicht nur in der Erforschung der biochemischen und molekularbiologischen Grundlagen der lysosomalen Speicherkrankheiten große Fortschritte erzielt, sondern auch neue Therapieformen (zum Beispiel Enzymersatz) entwikkelt, die hoffen lassen, dass auch diese Krankheiten einmal zu den behandelbaren Stoffwechselstörungen gehören werden. Klinik der Speicherkrankheiten Mukopolysaccharidosen Unter dieser Bezeichnung werden Krankheiten zusammengefasst, deren gemeinsames Merkmal eine Störung im lysosomalen Abbau komplexer Kohlenhydrate, der Mukopolysaccharide, ist. Mukopolysaccharide, die im Gewebe als Proteoglykane an Proteine gebunden sind, stellen in einer Reihe von Organen (zum Beispiel Leber, Knorpel, Universitäts-Kinderklinik (Leiter: Prof. Dr. med. Fred Zepp), Johannes Gutenberg-Universität, Mainz Gehirn) wesentliche Strukturelemente dar und erfüllen im Organismus vielfältige Funktionen. Nach klinischen und biochemischen Merkmalen lassen sich sechs Formen der Mukopolysaccharidosen (MPS) unterscheiden, die wiederum in verschiedene Subtypen unterteilt werden (Tabelle). Vor zwei Jahren wurde ein Krankheitsbild beschrieben, das als Mukopolysaccharidose Typ 9 bezeichnet wurde (13). Der M. Hurler (MPS I-H, Iduronidase-Defekt) stellt die klassische Form einer Mukopolysaccharidose dar mit groben Gesichtszügen, Makroglossie, verdickter Haut, Hornhauttrübung, Hepatosplenomegalie, Gelenkkontrakturen, disproportioniertem Minderwuchs und mentaler Retardierung. Patienten mit der leichten Form des Iduronidase-Defektes (M. Scheie, MPS I-S) sind normal groß und in ihrer geistigen Entwicklung nicht gestört. Der M. Hunter (MPS II) wird X- chromosomal vererbt und weist ebenfalls eine große klinische Variabilität auf: Der schwere Typ ist in seinem klinischen Bild mit dem M. Hurler vergleichbar, wobei jedoch eine Hornhauttrübung fehlt (Abbildung 1). Bei Erwachsenen zeigen sich Gelenkkontrakturen, A 2188 Deutsches Ärzteblatt½Jg. 98½Heft 34 35½27. August 2001
2 Schwerhörigkeit und Organvergrößerung bei normaler intellektueller Entwicklung. Vier verschiedene Enzymdefekte (Typ 3A-D) führen zu dem einheitlichen Krankheitsbild des Morbus Sanfilippo, der durch einen raschen zerebralen Abbau mit häufig nur geringer Dysmorphie gekennzeichnet ist. Die Kinder werden im dritten bis fünften Lebensjahr durch umtriebiges Verhalten, Sprachstörungen und Verlangsamung der Lernfähigkeit auffällig. Später entwickeln sich Krampfanfälle und eine Spastik. Der Tod tritt nach einem vegetativen Stadium meist vor dem 20. Lebensjahr ein. Bei dem M. Morquio (Mukopolysaccharidose 4) stehen die Skelettveränderungen im Vordergrund des klinischen Bildes (Abbildung 2a und b): Schwere Deformierungen der Wirbelsäule und des Thorax führen zu einem disproportionierten Minderwuchs, die Patienten erreichen eine Körperlänge von etwa 120 cm. Es sind jedoch auch hier leichte Verlaufsformen mit einer fast normalen Körpergröße bekannt. Die geistige Entwicklung der Patienten ist normal. Die beiden Typen A und B werden durch unterschiedliche Enzymdefekte hervorgerufen. Patienten mit einem M. Maroteaux-Lamy (MPS 6) bieten äußerlich ein klinisches Bild, das mit dem M. Hurler vergleichbar ist, sie zeigen jedoch eine normale intellektuelle Entwicklung. Auch hier werden eine Abbildung 1: 8 Jahre alter Junge mit Mukopolysaccharidose Typ 2 (M. Hunter). Kontrakturen der großen Gelenke, Abdomen durch Hepatosplenomegalie vorgewölbt. Tabelle C C Übersicht über die Mukopolysaccharidosen Mukopolysaccharidose Eponym Enzymdefekt Genlokalisation MPS 1 M. Hurler a-iduronidase 4p16 M. Scheie MPS 2 M. Hunter Iduronat-Sulfatase Xq28 MPS 3 A M. Sanfilippo A Sulfamidase 17q25 MPS 3 B M. Sanfilippo B N-Acetyl-a-Glukosaminidase 17q21 MPS 3 C M. Sanfilippo C N-Acetyltransferase MPS 3 D M. Sanfilippo D N-Acetylglukosamin-6-Sulfatase 12q14 MPS 4 A M. Morquio A N-Acetylgalaktosamin-6-Sulfatase 16q24 MPS 4 B M. Morquio B b-galaktosidase 3p21 MPS 6 M. Maroteaux-Lamy Arylsulfatase B 5q13 MPS 7 M. Sly b-glucuronidase 7q21 MPS 9 Hyaluronidase 3p21.3 schwere und eine leichte Form unterschieden. Von der Mukopolysaccharidose Typ 7 (M. Sly) sind nur relativ wenig Fälle beschrieben. Die Patienten weisen ein ähnliches Symptommuster auf wie beim M. Hurler. Weiterhin kann sich die MPS 7 wie auch die Sialidose und andere lysosomale Speicherkrankheiten in Form eines letalen Hydrops fetalis manifestieren. Andererseits sind auch extrem leichte Manifestationsformen mit nur geringen Skelettveränderungen bei normaler mentaler Entwicklung und normaler Lebenserwartung beschrieben worden. Glykoprotein-Speicherkrankheiten, Mukolipidose 2 und 3 Glykoprotein-Speicherkrankheiten (a- Mannosidose, ß-Mannosidose, a-fukosidose, Sialidose, Aspartylglukosaminurie) haben viele Symptome mit Mukopolysaccharidosen gemeinsam, wie zum Beispiel Hepatosplenomegalie, vergröberte Gesichtszüge, Dysostosis multiplex und progressiven mentalen Abbau. Der Mukolipidose 2 und 3 liegen ein besonderer pathogenetischer Mechanismus zugrunde: Die Aktivität der lysosomalen Enzyme ist ungestört; da den Enzymen jedoch aufgrund eines Gendefektes (Defizienz einer Phosphotransferase) ein spezieller Zucker (Mannose-6- Phosphat) fehlt, werden sie nicht in das zugehörige Kompartiment, das Lysosom, aufgenommen, sondern in den extrazellulären Raum sezerniert. Deshalb lässt sich bei den betroffenen Patienten im Serum eine hohe Aktivität unterschiedlicher lysosomaler Enzyme nachweisen, während innerhalb der Zelle die katalytische Aktivität stark vermindert ist. Klinisch werden eine schwere Form mit mentaler Retardierung (Mukolipidose 2, I-Cell Disease) und eine leichtere Form mit normaler geistiger Entwicklung (Mukolipidose 3) unterschieden. Glykogenose Typ 2 Der Glykogenose Typ 2 (M. Pompe) liegt ein Defekt des Enzyms a-glucosidase zugrunde. Die Glykogenspeicherung führt zu Funktionsstörungen des Herzens und der Muskulatur. Die klinische Ausprägung ist äußerst variabel: Bei der infantilen Form entwickeln sich bereits in den ersten Lebenswochen eine hypertrophe Kardiomyopathie und eine Muskelschwäche, die Kinder sterben meistens bereits im ersten Lebensjahr. Bei der juvenilen und adulten Form steht die Muskelschwäche im Vordergrund, die in den späteren Lebensjahrzehnten zu Atemstörungen führen kann. Deutsches Ärzteblatt½Jg. 98½Heft 34 35½27. August 2001 A 2189
3 Lipidosen a Der M. Gaucher ist eine relativ häufige Lipidspeicherkrankheit, die durch den genetischen Defekt des Enzyms Glucocerebrosidase hervorgerufen wird. Durch den Enzymdefekt akkumuliert Glucocerebrosid (ein Glykolipid) in den verschiedenen Geweben. Morphologisches Korrelat sind die histiozytären Speicherzellen (Gaucher-Zellen), die sich in Leber, Milz und anderen Organen nachweisen lassen (Abbildung 3). Führendes klinisches Symptom bei der viszeralen Form (Typ 1) ist eine mäßige bis extreme Vergrößerung von Leber und Milz. Der Hypersplenismus führt zu Anämie und Thrombopenie. Auch am Skelettsystem manifestiert sich der Krankheitsprozess in Form von krisenhaften Gelenkschmerzen (besonders Hüften) und auch osteolytischen Herden. Die akut neuropathische Form (Typ 2) des M. Gaucher ist durch einen raschen zerebralen Abbauprozess gekennzeichnet, der zum Tode der Kinder innerhalb der ersten drei Lebensjahre führt. Der Typ 3 stellt eine intermediäre Verlaufsform dar, wobei neben der Organvergrößerung und hämatologischen Veränderungen auch neurologische Symptome wie Krampfanfälle und eine mentale Retardierung auftreten. Der M. Fabry stellt eine X-chromosomal erbliche Speicherkrankheit dar, die viszerale Organe, das Nervensystem und die Blutgefäße befällt. Der Stoffwechseldefekt liegt im Katabolismus von Ceramiden (Glykosphingolipiden), die Komponenten verschiedener Organe darstellen. Durch die fehlende Aktivität der a-galaktosidase kommt es bei Patienten mit M. Fabry zur Akkumulation eines bestimmten Glykosphingolipids, des Ceramid-Trihexosids, im Endothel von Gefäßen, Epithelien vieler Organe (besonders der Nieren) und Zellen der glatten Muskulatur. Das ubiquitäre Vorkommen der Speichersubstanzen erklärt die Manifestation der Erkrankung in vielen Organsystemen. Die Krankheit verläuft chronisch, erste Symptome sind Schmerzen und Parästhesien in den Extremitäten, oft besteht eine Hypohidrosis. Pathognomonisch sind Angiokeratome (kleine, rötliche bis blauschwarze Gefäßektasien), woraus sich der Krankheitsname Angiokeratoma corporis diffusum ableitet. Im Erwachsenenalter manifestiert sich der M. Fabry am Herzen und den Nieren: Es können Herzrhythmusstörungen auftreten, häufig entwickelt sich eine Kardiomyopathie. Aufgrund einer Niereninsuffizienz werden die Patienten häufig dialysepflichtig. Auch zerebrovaskuläre Symptome werden beobachtet. Systematische klinische Untersuchungen der Arbeitsgruppe des Autors belegen, dass die Überträgerinnen des M. Fabry häufiger und schwerer betroffen sind, als bisher angenommen wurde (16). Weitere Speicherkrankheiten, wie zum Beispiel Gangliosidosen, M. Niemann-Pick, konnten in dieser Übersichtsarbeit nicht berücksichtigt werden Therapie b Symptomatische Behandlung Abbildung 2: a) 10 Jahre alter Junge mit Mukopolysaccharidose Typ 4 A (M. Morquio A): Thoraxdeformität, kurzer Hals, Genua valga, schlaffe Hand- und Fußgelenke. b) Röntgenaufnahme der Hand (MPS 4A): Strähnige Knochenstruktur, deformierte Metakarpalia, so genannte Zuckerhut-Phalangen, V-förmige Stellung von Radius und Ulna. Die Behandlung der meisten lysosomalen Speicherkrankheiten beschränkt sich derzeit noch auf symptomatische Therapiemaßnahmen. Mukopolysaccharidosen und Glykoproteinosen erfassen als Systemerkrankung das gesamte Skelett, sodass durch korrigierende Maßnahmen nur Teilsymptome eines komplexen Geschehens behoben werden können. Bezüglich invasiver Maßnahmen ist deshalb prinzipiell Zurückhaltung geboten. Tritt jedoch durch eine Instabilität im Atlanto- Axialgelenk (Mukopolysaccharidose Typ 4: M. Morquio) oder Verdickung der Dura (Mukopolysaccharidose Typ 1 Scheie, Mukopolysaccharidose Typ 6) eine Kompression des Rückenmarks mit konsekutiver Querschnittslähmung auf (3), ist eine Entlastungsoperation (mit oder ohne Stabilisierung) unumgänglich. Ein Karpaltunnel-Syndrom (häufig bei M. Scheie) kann durch einen einfachen chirurgischen Eingriff behoben werden, Rezidive lassen sich jedoch nicht immer vermeiden. In vielen Fällen (zum Beispiel Mukopolysaccharidose Typ 2, Typ 3, a-fucosidose, Sialidose) bestimmt der progressive, oft schubweise Verlust der zerebralen Funktionen den Krankheitsverlauf. Die Behandlung von Krampfanfällen kann sich an den allgemeinen Richtlinien der Epilepsietherapie orientieren. Die erethischen Zustände und Schlafstörungen, die vor allem bei Kindern mit M. Sanfilippo beobachtet werden, sind nur wenig zu beeinflussen: Die üblichen sedierenden Medikamente bringen meist nur eine vorübergehende Besserung oder sind sogar völlig wirkungslos. Befriedigende Ergebnisse können manchmal mit Melatonin oder Präparaten erzielt werden, die beim hyperkinetischen Syndrom verordnet werden, wie beispielsweise Methylphenidat. Bei kardialer Manifestation lysosomaler Speicherkrankheiten sind regelmäßige echokardiographische Untersuchungen unumgänglich, um Verdickungen der Herzklappen oder eine Kardiomyopathie rechtzeitig zu erkennen (17). Durch einen Herzklappenersatz kann das Leben erwachsener Patienten mit Mukopolysaccharidose 6 oder Mukopolysaccharidose 1 (M. Scheie) signi- A 2190 Deutsches Ärzteblatt½Jg. 98½Heft 34 35½27. August 2001
4 fikant verlängert werden. Eine Hornhauttrübung (unter Umständen in Verbindung mit einem Glaukom) kann bei Patienten mit M. Scheie oder M. Maroteaux-Lamy zur Erblindung führen. Deshalb sollte rechtzeitig eine Hornhauttransplantation durchgeführt werden, auch wenn meist ein Rezidiv nicht zu vermeiden ist. Für Patienten mit M. Fabry bedeuten die oft unerträglichen Schmerzen eine große Belastung, die sogar zum Selbstmord führen kann. Zur Linderung dieser Beschwerden haben sich Carbamazepin und Phenytoin bewährt, in letzter Zeit besonders auch Gabapentin (4). Organtransplantation Bevor die Möglichkeit der Enzymersatztherapie bestand, wurde bei einigen lysosomalen Speicherkrankheiten versucht, durch eine Organtransplantation eine klinische Besserung zu erreichen, zum Beispiel bei M. Niemann-Pick und M. Gaucher (12). Dieser schwerwiegende Eingriff ist bei der jetzt bestehenden Möglichkeit zur Enzymersatztherapie bei M. Gaucher nicht mehr vertretbar. Jedoch stellt die terminale Niereninsuffizienz bei Patienten mit M. Fabry eine Indikation zur Nierentransplantation dar; in dem transplantierten Organ kommt es aufgrund der normalen Aktivität der a- Galaktosidase zu keinen Lipidablagerungen mehr. Auf die Manifestation der Erkrankung am kardiovaskulären System hat eine Nierentransplantation jedoch kaum einen Einfluss. Auch über eine Herztransplantation bei einem Patienten mit M. Fabry wurde berichtet (6). Bei einer Vielzahl von lysosomalen Speicherkrankheiten wurde allogenes Knochenmark transplantiert (9). Dies hat in einigen Fällen zu einer Stabilisierung des Zustandes und (wenigstens teilweise) auch zu einer klinischen Besserung geführt. Bei einer Manifestation der Erkrankung am Zentralnervensystem ist dieser Eingriff jedoch weitgehend wirkungslos. Enzymersatztherapie Abbildung 3: Gaucher-Zelle (Milz) Ein großer Durchbruch in der Behandlung lysosomaler Speicherkrankheiten gelang mit der Einführung der Enzymersatztherapie des M. Gaucher: Rekombinante ß-Glucocerebrosidase wird durch enzymatische Abspaltung von verschiedenen Zuckern so modifiziert, dass das Enzym über endständige Mannosereste mit hoher Affinität an Makrophagen, die Speicherzellen des M. Gaucher, gebunden wird. Durch die Enzymsubstitution kommt es zu einer Rückbildung der Hepatosplenomegalie und zu einer Normalisierung von Hämoglobin und Thrombozyten. Verlaufsbeobachtungen der letzten Jahren haben gezeigt, dass die Enzymersatztherapie zu einer Verbesserung nicht nur der viszeralen Symptomatik, sondern auch der Skelettmanifestation beiträgt. Durch die Behandlung wurde auch eine Stabilisierung und teilweise auch Rückbildung der neurologischen Symptomatik bei Patienten mit M. Gaucher Typ 3 beobachtet (14). Versuche an Tiermodellen haben die Voraussetzung dafür geschaffen, klinische Versuche auch bei anderen lysosomalen Speicherkrankheiten zu initiieren. Brady und Schiffmann führten an 26 Patienten mit M. Fabry eine doppelblinde, placebokontrollierte Studie mit rekombinanter a-galaktosidase A durch (4): Unter der Infusion von 0,2 mg/kg KG Enzym (im Abstand von zwei Wochen) kam es innerhalb von sechs Monaten zu einem signifikanten Rückgang der Schmerzsymptomatik und einer Verbesserung der Kreatinin-Clearance. Derzeit werden weltweit und auch in Deutschland weitere klinische Studien zur Enzymsubstitution bei Patienten mit M. Fabry durchgeführt, deren Ergebnisse noch nicht veröffentlicht sind. Einen weiteren, Erfolg versprechenden Kandidaten für die Enzymsupplementierung stellt die Glykogen-Speicherkrankheit Typ 2 (M. Pompe) dar: Van den Hout und Mitarbeiter (15) infundierten vier Säuglingen mit M. Pompe rekombinante a-glucosidase (15 bis 40 mg/kg KG), die aus Milch von transgenen Kaninchen gewonnen wurde. Während der Infusionsbehandlung normalisierte sich die Aktivität der a-glucosidase in der Muskulatur, die motorische Funktion der Kinder verbesserte sich, sodass eine Ateminsuffizienz verhindert werden konnte. Auch auf das Herz wirkte sich die Enzymsubstitution positiv aus: Der linksventrikuläre Massenindex nahm auf 30 Prozent des Ausgangswertes ab. Therapeutische Fortschritte sind auch auf dem Gebiet der Mukopolysaccharidosen zu verzeichnen. Versuche zur Enzymersatztherapie wurden zunächst an Tieren durchgeführt. Für die MPS 1 (Iduronidase-Defekt) existiert ein Hundemodell, an dem die Wirkung einer wöchentlichen Infusion von Iduronidase getestet wurde (10). Nach einer 13 Monate dauernden Behandlung war vor allem eine Verbesserung der Gelenkbeweglichkeit zu verzeichnen, und histologische Untersuchungen verschiedener Organe (Leber, Niere, Lymphknoten) zeigten einen signifikanten Rückgang der Speichersubstanz. Über die ersten klinischen Versuche an Patienten mit MPS 1 (Typ Hurler/Scheie und Typ Scheie) wurde in diesem Jahr zum ersten Mal berichtet (11). Unter einer wöchentlichen Infusion von rekombinanter a-iduronidase bildete sich die Hepatosplenomegalie zurück, die Gelenkbeweglichkeit und die Herzfunktion verbesserten sich. Weitere Kandidaten für eine Enzymersatztherapie sind die MPS 2 und MPS 6 (5). In welchem Maße Patienten mit einer Mukopolysaccharidose von einer Enzymersatztherapie wirklich profitieren, kann erst durch Langzeitbeobachtungen über mehrere Jahre beurteilt werden. Substrathemmung Ein völlig anderer therapeutischer Ansatz zur Behandlung lysosomaler Krankheiten geht von der Überlegung aus, die Synthese der Speichersubstanz Deutsches Ärzteblatt½Jg. 98½Heft 34 35½27. August 2001 A 2191
5 durch Inhibitoren wie zum Beispiel 1- phenyl-2-palmitoylamino-3-pyrrolidino-1-propanol oder N-butyldeoxynojirimycin partiell zu hemmen (Substrat- Deprivation). In-vitro-Studien, die von Abe und Mitarbeitern (1) durchgeführt wurden, belegen, dass durch Zusatz von verschiedenen Inhibitoren der Glucosylceramid-Synthase die Konzentration von Globotriaosylceramid in Lymphozyten von Fabry-Patienten signifikant gesenkt werden kann. Durch Enzyminhibitoren werden jedoch auch das Processing (posttranslationale Modifikation von Proteinen) und damit auch die Aktivität der a-galaktosidase verbessert (8). Bei Patienten mit M. Gaucher liegen bereits erste klinische Erfahrungen mit dem Enzyminhibitor N-butyldeoxynojirimycin vor: Zwölf Probanden nahmen ein Jahr lang die Substanz oral ein; nach diesem Versuchszeitraum war ein signifikanter Rückgang der Größe von Leber und Milz zu verzeichnen, die hämatologischen Parameter besserten sich jedoch nur geringfügig (7). Ob die Behandlung mittels Substratdeprivation der Enzymersatztherapie gleichwertig oder überlegen ist, kann derzeit noch nicht beurteilt werden. Eine Gentherapie erscheint gerade bei lysosomalen Speicherkrankheiten aus verschiedenen Gründen besonders erfolgversprechend: Über verschiedene Rezeptoren (zum Beispiel Mannose-6-Phosphat, Mannose) gelangen die Enzyme in ihre Zielzellen. Die lysosomalen Enzyme unterliegen keinen komplexen Regulationsvorgängen. Eine Enzymaktivität von etwa 20 bis 30 Prozent der Norm scheint auszureichen, um einen therapeutischen Effekt zu erzielen. Klinische Versuche zur Gentherapie wurden bei Patienten mit M. Gaucher in die Wege geleitet (2), eine endgültige Bewertung dieser doch eingreifenden Behandlung wird erst in einigen Jahren möglich sein. Während Nutzen und Gefahren einer (somatischen) Gentherapie in der Öffentlichkeit derzeit sehr kontrovers diskutiert werden, setzen die direkt Betroffenen auf diese Behandlung große Hoffnungen. Zitierweise dieses Beitrags: Dt Ärztebl 2001; 98: A [Heft 34 35] Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser und über das Internet ( erhältlich ist. Anschrift für die Verfasser: Prof. Dr. med. Michael Beck Universitäts-Kinderklinik Mainz Langenbeckstraße Mainz Beck@kinder.klinik.uni-mainz.de Referiert Elektrokrampftherapie bei therapieresistenten Depressionen Referiert Familiäre Hypercholesterinämie Gemäß einer amerikanischen Studie bietet eine an die Elektrokrampftherapie anschließende Kombinationstherapie aus Nortriptylin und Lithium mit einer Rückfallrate von 39 Prozent den zuverlässigsten Behandlungserfolg. Bisher zur Verfügung stehende Studien zeigten, dass etwa die Hälfte aller depressiven Patienten, die sich einer Elektrokrampftherapie unterzogen hatten, innerhalb der ersten sechs Monate nach Beendigung des Therapiezyklusses einen Rückfall erlitten. Sackeim et al. therapierten daraufhin 84 erfolgreich mit Elektrokrampftherapie behandelte Patienten randomisiert, doppelt verblindet und placebokontrolliert entweder mit Nortriptylin allein (therapeutischer Plasmaspiegel 75 bis 125 ng/ml) oder mit einer Kombination aus Lithium (0,5 bis 0,9 meq/l) und Nortriptylin oder nur mit Placebo. Nach einer 24-wöchigen Behandlungsdauer erlitten 84 Prozent der mit Placebo behandelten Patienten einen Rückfall. Unter der Nortriptylin-Monotherapie kam es in 60 Prozent der Fälle zu einem Rückfall und erst die Kombination aus Lithium und Nortriptylin senkte die Rückfallrate auf 39 Prozent. Da sich fast alle Rückfälle innerhalb der ersten fünf Wochen nach Elektrokrampftherapie ereigneten, vermuten die Autoren, dass entweder durch Verteilung der Elektrokrampftherapie auf mehrere Wochen die vulnerable Periode überwunden werden kann oder der Beginn einer medikamentösen antidepressiven Therapie schon während der Elektrokrampftherapie erfolgen und nach Abschluss derselben unter Kombination mit Lithium fortgeführt werden muss. goa Sackeim H A et al: Continuation pharmacotherapy in the prevention of relapse following electroconvulsive therapy. JAMA. 2001; 285: Harold A Sackeim, Departement of Biological Psychiatry, New York State Psychiatric Institute, New York, USA. Eine Untersuchung aus den Niederlanden konnte anhand eines genau recherchierten Familienstammbaumes mit entsprechender Familienanamnese interessante Aspekte zur familiären Hypercholesterinämie aufzeigen. Es stellte sich heraus, dass Träger des familiären Hypercholesterinämie-Gens im 19. und frühen 20. Jahrhundert keine erhöhte Sterblichkeit gegenüber Kontrollpersonen aufwiesen. Die Mortalität stieg erst nach 1915 an, erreichte zwischen 1935 und 1964 ihr Maximum und fiel dann wieder ab. Die Mortalität war auffälligerweise bei den zwei verschiedenen Zweigen dieser Familie unterschiedlich erhöht. Laut Meinung der Autoren unterstreichen diese Beobachtungen die Bedeutung von Umweltfaktoren bei genetischer Suszeptibilität. acc Sijbrands EJG et al.: Mortality over two centuries in large pedigree with familial hypercholesterinaemia: family tree mortality study. BMJ 2001; 322: Dr. Sijbrands: nrexpert@euronet.nl A 2192 Deutsches Ärzteblatt½Jg. 98½Heft 34 35½27. August 2001
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