Kann das System der USA die Trump- Präsidentschaft überstehen?

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1 Kann das System der USA die Trump- Präsidentschaft überstehen?... Experte Dr. Uwe Nerlich Region: Nordamerika 27. Juni 2017: Der Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell (mi.), verkündet die Entscheidung der republikanischen Parteiführung, die Abstimmung über das neues Gesetz zum Gesundheitswesen zu verschieben (Foto: dpa) Donald Trump hat sich über eine Wolke beschwert, die seine Präsidentschaft überschatte. Zahlreiche Beurteilungen über seine ersten 100 Tage kamen zu dem Schluss, dass Präsident Trump bereits gescheitert oder gar reif für ein Amtsenthebungsverfahren sei. Wie auch immer man diese Wolke bezeichnen will: Es stimmt ein Schatten existiert durchaus. Und er selbst hat in erheblichem Maße dafür gesorgt, dass dieser Schatten überhaupt auftauchte. Die gegen ihn voreingenommenen Medien nutzen noch stärker als die demokratische Opposition jede Gelegenheit, um dem 45. Präsidenten zu schaden. Das ist nicht ungewöhnlich. Die ersten Monate im Weißen Haus sind selten erfolgreich, wie das Beispiel von John F. Kennedy zeigt. Die Medienkampagne gegen Präsident Richard M. Nixon nach einer sehr erfolgreichen ersten Amtszeit bewogen ihn zu einem defensiven Gegenangriff, der ihm am Ende selbst Schaden SEITE 1

2 zufügte. Aber die Unnachgiebigkeit und Intensität der Jagd auf Trump ist in der Geschichte der Vereinigten Staaten, zumindest in der Neuzeit, ohne Präzedenz. Es ist noch nicht klar, wie der Kampf um das Ohr des Präsidenten ausgehen wird. Kämpferische Anti-Establishment-Ideologen wie Steve Bannon und Stephen Miller wetteifern mit Traditionalisten wie Außenminister Rex Tillerson und Verteidigungsminister James Mattis um den Einfluss auf seine Politik. Bemerkenswert ist, dass Präsident Trump sich früher als erwartet auf die internationale Bühne gewagt hat, wo eigentlich eher die Traditionalisten den Ton angeben. Inländischer Fokus Von Anfang an dominierten die innenpolitischen Notwendigkeiten die Trump-Agenda noch bevor er im Präsidentschafts-Wahlkampf mitmischte. Das ist ein wenig anders, als es bei Barack Obama oder den meisten europäischen Politikern der Fall war. Aber Trump verkomplizierte seine Aufgabe der innenpolitischen Erholung und Reformierung, indem er den Anspruch auf eine neue amerikanische Größe betonte, gleichzeitig forderte er einen Rückzug der USA aus deren globalen Verpflichtungen und einen Rückbau ihrer Allianzen. Dies erschwerte seinen Fluchtweg in die internationale Arena noch weiter. Angetrieben von der radikalen Opposition der konservativen Republikaner gegen Präsident Obama und deren Entschlossenheit, Obamas Schlüsselprojekte rückgängig zu machen, hat sich Präsident Trump vor allem auf Obamacare konzentriert. Als der Vorstoß, dieses Gesetz durch einen republikanischen Entwurf zu ersetzen, im Kongress stecken blieb, wandte er sich der Umweltpolitik zu zuerst mittels Dekreten über landesweite Projekte, einschließlich der umstrittenen Keystone-Pipeline, und dann durch den Schlagzeilen machenden Rückzug aus dem Pariser Klimaabkommen am 1. Juni 2017, das Obama erst am Ende seiner Amtszeit unterzeichnet hatte. Dieses Abkommen war so eng mit dem Erbe Obamas identifiziert worden, dass es seinen Nachhall in Trumps Wahlkampf gefunden hatte. Seine Rede im Rosengarten anlässlich des Rückzugs war ein wichtiger Sieg für Steve Bannon, da einige der engsten Vertrauten des Präsidenten eine gegenteilige SEITE 2

3 Meinung zu dem Thema hatten. Auch mehr als sechs Monate nach Beginn der Trump-Administration ist es bei weitem nicht sicher, ob sie in normaler Weise zu funktionieren beginnt. Hindernisse, Herausforderungen, Fallen und Chancen aus dem selbst verschuldeten Versagen sind reichlich vorhanden, und sie alle könnten die Präsidentschaft entgleisen lassen. Aber die wesentliche Frage ist, ob das amerikanische System auf diese Art und Weise ohne eine ernsthafte Verfassungskrise funktionieren kann, wobei eventuelle politische Errungenschaften nicht auszuschließen sind. Die Erfahrungen mit dem Gesundheitssystem und dem Umweltschutz können Hinweise darauf liefern. Test 1: Gesundheitswesen Das Gesundheitswesen ist ein ewiges Problem gewesen. Ein unter Präsident Nixon sehr vielversprechendes überparteiliches Projekt verschwand mit dem Watergate- Skandal. Das Fiasko von Hillary Clintons unglücklichem Gesundheitssicherheitsgesetz von 1993 ist noch bekannter. Barack Obamas Plan, der rasch Obamacare genannt wurde, wurde bald zum Herzstück seiner innenpolitischen Agenda. Mit der starken Unterstützung von Senator Ted Kennedy sah es danach aus, als ob das Projekt relativ schnell durch den Kongress kommen würde. Aber Kennedy starb im Jahr Und das Weiße Haus kümmerte sich nicht ausreichend um den Senats-Wahlkampf, bei dem Kennedys Sitz ersetzt werden sollte. Dieser Sitz in dem für Demokraten traditionell sicheren Staat Massachusetts ging an einen Republikaner, was Präsident Obamas politische Unterstützung im Senat infrage stellte. Seitdem bekämpften die konservativen Republikaner nur umso verbitterter die Reste von Obamas Gesundheitswesen, dem man bereits einige seiner Hauptelemente entzogen hatte. Das Flickwerk namens Patient Protection and Affordable Care Act wurde am 23. März 2010 als Gesetz angenommen und immer wieder versuchte man, es wieder aufzuheben. Innerhalb der republikanischen Partei wurde die Schlacht beigelegt, als Repräsentantenhaus-Sprecher John Boehner der bereit war, einen SEITE 3

4 Kompromiss mit dem Weißen Haus zu schließen zurücktrat, nachdem er vom Freedom Caucus, einer Vereinigung konservativer Abgeordneter innerhalb der Republikanischen Partei, massiv unter Druck gesetzt worden war. Ende März 2017 scheiterte eine vorläufige Version des von den Republikanern entworfenen American Health Care Act, der von Paul Ryan, dem Sprecher des Repräsentantenhauses, vorbereitet worden war, im Repräsentantenhaus. Eine neue Version kam am 4. Mai mit 217 zu 213 Stimmen gerade so durch, aber diese wird für eine Zustimmung im Senat noch umfassende Ergänzungen benötigen, wo es recht zweifelhaft bleibt, ob das Gesetz überhaupt durchkommt. Das neue Gesetz beinhaltet einige Elemente von Obamacare und das Weiße Haus umschmeichelt jene Demokraten mit überparteilichen Tendenzen, aber dies ging zu Lasten der Unterstützung durch den rechten Freedom Caucus. Nachdem sich ein halbes Dutzend republikanischer Senatoren gegen das neue Gesetz ausgesprochen hatte, war Mitch McConnell, der Mehrheitsführer im Senat, gezwungen, die Abstimmung zu verschieben, stattdessen wandte man sich der Steuerreform zu. Angesichts der knappen Mehrheit der Republikaner (52 zu 48 Sitze) und dem Ehrgeiz der Demokraten, den Senat bei den Zwischenwahlen 2018 zurückzuerobern, erfüllte sich der Wunsch des Weißen Hauses nicht, eine gemeinsame Arbeitsgruppe über die Gesundheitsversorgung einzurichten. Die 13 republikanischen Senatoren, die eine überarbeitete Version des Gesetzes vorbereiteten, arbeiteten unter einer so beispiellosen Geheimhaltung, dass sie den Widerstand gegen das Gesetz nur noch weiter vertieft haben. Die Demokraten sind sich einig in ihrem Widerstand, während die Republikaner gespalten sind. Sogar Präsident Trump forderte einen Plan mit Herz. Falls das republikanische Gesetz in diesem Monat doch noch beschlossen werden sollte, müsste dennoch im Kongress nachverhandelt werden. So wurde die Frage der Gesundheitsversorgung die einst die Republikaner in ihrer Opposition gegen das Erbe von Präsidenten Obama vereinte zur größten Bedrohung für den parlamentarischen Zusammenhalt unter den Republikanern. Dieses Problem dürfte durch die atemberaubende Nachwahlen-Schwäche der Demokratischen Partei mehr als aufgewogen werden: Diese hatten es geschafft, vier SEITE 4

5 Nachwahlen in Folge um vakante Sitze im Repräsentantenhaus zu verlieren. Die Niederlage am 20. Juni in Georgias 6. Kongressbezirk muss für Nancy Pelosi, der Minderheitsführerin im Repräsentantenhaus, besonders hart gewesen, die diesen Wahlkampf zu einer landesweiten Abstimmung über die Trump-Präsidentschaft stilisiert hatte. Hinter den Kulissen lauert weiterhin die Möglichkeit eines weiteren Aufstands á la Bernie Sanders aus dem linken Flügel der Partei, hinzu kommen die potenziellen Peinlichkeiten von Verweigerern aus dem Clinton-Lager (Hillary Clintons am 31. Mai abgegebenes Statement Ich gehe nirgendwo hin wurde gemeinhin als verzweifeltes Signal angesehen, wonach sie auf ein Comeback warte). Bisher lassen die Demokraten Präsident Trump die Verbindungen nach Russland nicht vergessen. Der Demokrat Adam Schiff, der ein hochrangiges Mitglied im Geheimdienstkomitee des Repräsentantenhauses ist, steht hier vor einem Foto von Trumps Treffen mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow vom 10. Mai (Foto: dpa) Die Quintessenz ist, dass Präsident Trump zwar seit über sechs Monaten im Amt ist, doch bis auf einige Regeländerungen und Finanzierungsstopps ist Obamacare noch SEITE 5

6 immer in Kraft. Dies passierte nicht wegen der harten Opposition der Demokraten, sondern wegen der Zurückhaltung und Uneinigkeit unter den Republikanern im Kongress. Trump, der eher ein Einzelgänger als ein Geschäftsmann ist, war offensichtlich nicht auf die Komplexität der Kongress-Politik vorbereitet. Die New Yorker Immobilien-Welt und der Capitol Hill befinden sich in zwei verschiedenen Universen des Diskurses. Ihm mangelte es auch an der politischen Erfahrung der ehemaligen Gouverneure oder Senatoren, die ihm vorausgegangen waren. Dieser Mangel an greifbaren Ergebnissen passte kaum zu dem schillernden Auftreten des Präsidenten und seinen Erfolgsansprüchen. Test 2: Klimawandel Bedauerlicherweise lässt sich über die internationale Erfahrung der Trump-Regierung Ähnliches berichten. Auf der ersten Auslandsreise des Präsidenten im Mai traf er mit der arabischen Führung in Riad, mit israelischen und palästinensischen Führern in Jerusalem und Bethlehem, mit Papst Franziskus in Rom zusammen, er besuchte einen informellen NATO-Gipfel in Brüssel und einen offiziellen Gipfel der G-7-Führer in Taormina (Sizilien). Diese vollgepackte Reiseroute bot natürlich immense Chancen, um sein internationales Ansehen zu verbessern dies umso mehr, da Präsident Trump einige weitgehend wohlwollend aufgenommene strategische Züge unternommen hatte, wie den Vergeltungsschlag gegen eine Luftwaffenbasis der syrischen Regierung nach einem Angriff mit Chemiewaffen oder kühne Wiederstationierungen der Marine nach nordkoreanischen Raketen-Tests. Doch das Ergebnis war bestenfalls gemischt. Was auch immer für eine Verbesserung der globalen Rolle der USA gesprochen haben könnte (und die Dinge verliefen nach dem Nahen Osten immer weniger gut), wurde von seiner Performance überschattet, sobald er nach Washington zurückkehrte. Am 1. Juni zog sich Präsident Trump offiziell aus dem Pariser Klimaabkommen zurück eine Entscheidung, die er am 9. Mai vertagt hatte, und während seiner Europa-Reise hatte er wiederholt erklärt, er SEITE 6

7 prüfe noch die Unterlagen. Genau wie bei Obamacare hatte der Rückzug vom Pariser Abkommen nur wenige unmittelbare Konsequenzen, mit Ausnahme einiger mittelfristiger finanzieller Verpflichtungen. Nach den Bedingungen des Abkommens ist ein Rückzug davon erst drei Jahre nach Inkrafttreten des Vertrages möglich, und es würde ein weiteres Jahr dauern, bevor er rechtskräftig würde das bedeutet, dass die US-Beteiligung erst am 4. November 2020 endet, nur sieben Wochen vor dem Ende von Präsident Trumps erster und möglicherweise einziger Amtszeit. Bis dahin würden die USA, genau wie die anderen Unterzeichner, weiterhin an Routineverfahren wie Emissionsmeldungen teilnehmen. Präsident Trump erklärte, die USA würden erwarten, dass das Abkommen neu verhandelt werde und die USA könnten dann wieder mitmachen, wenn die amerikanischen Bedenken ausgeräumt werden konnten. Dies entspricht seinen früheren Erklärungen über die mögliche Aufhebung anderer Verträge, wie dem Nordamerikanischen Freihandelsabkommen (NAFTA) und möglicherweise dem Atomabkommen mit dem Iran ( Joint Comprehensive Plan of Action oder JCPA). In jedem Fall wurden keine Voraussetzungen für die nachträgliche Zustimmung und kein Rahmen für mögliche Neuverhandlungen bekanntgegeben. Es wäre möglich gewesen, Nebenabkommen mit China und Indien zu schließen zwei führenden Kohlenstoff-Emittenten, die vor 2030 keine wirksamen Maßnahmen ergreifen müssen, doch nicht mit den USA. Als Präsident Trump sich entschieden hatte, seinen Rückzug aus dem Abkommen wahrzumachen, könnte er ein Druckmittel geschaffen haben, um diese Ansprüche der USA auf Nachverhandlungen doch noch zu erfüllen. Neben dem Pariser Abkommen hat Präsident Trump mehrere nationale Maßnahmen angeordnet, die im Rahmen des Pariser Abkommens echte Konsequenzen haben könnten. Eines war seine Präsidial-Order zur Abwicklung des Clean Power Act, den Obama erlassen hatte, um die Pariser Ziele zu erreichen. Allerdings war das Gesetz bereits 2016 gestoppt worden, um den Gerichten Zeit zu geben, die Anfechtungen SEITE 7

8 des Gesetzes durch mehrere Bundesstaaten unter republikanischer Führung und durch mehr als 100 Unternehmen zu begutachten. Globale Folgen Sowohl die Gesundheitsversorgung als auch die Klimaschutzvereinbarung sind politisch hochrangige Themen das erste im Inland, das zweite auf der globalen Bühne. Beide haben ernsthafte Konsequenzen für das Funktionieren der US- Regierung. Doch ungeachtet der extrem heftigen Debatten ist der American Health Care Act ein integraler Bestandteil eines komplexen Gesetzgebungspakets, zu dem auch die Steuerreform und der Bundeshaushalt gehören, und dieses Paket benötigt ein gewisses Maß an überparteilicher Kooperation und eine Menge harter Arbeit in den Niederungen des Kongresses. Es ist weder mit der Pflege politischer Extreme noch mit den schillernden Auftritten des Präsidenten kompatibel. Die US-Position zum Klimawandel dürfte auch weiterhin hitzige internationale Proteste hervorrufen, genau wie eine zunehmende Missachtung der Autorität der USA oder sogar Neuausrichtungen zwischen den großen Industriestaaten. Die europäischen Länder könnten sich an die Seite Chinas oder Indiens begeben, obwohl die beiden letztgenannten Länder bis 2030 führende CO2-Emittenten bleiben dürften. Aber die Beschränkungen des Pariser Abkommens waren immer freiwillig und unverbindlich, was einige neuartige Folgen für das US-System hat. Eine wachsende Anzahl von amerikanischen Bundesstaaten, Gemeinden und Unternehmen hat erklärt, dass sie den Bedingungen des Abkommens folgen werden, unabhängig davon, was die Bundesregierung entscheidet. Der Bundesstaat Kalifornien, ein Vorreiter beim Umweltschutz, verhandelt sogar mit China, Kanada und Mexiko über eine engere Kooperation bei der Begrenzung der CO2-Emissionen eine Initiative, die in Europa positiv aufgenommen wurde. Die gegenwärtigen kritischen Ansichten in Europa und anderswo über die Entwicklungen in der US-Politik tendieren zur Kurzsichtigkeit, und man darf erwarten, dass sie verblassen werden, sobald Amerika in folgenreicheren Angelegenheiten SEITE 8

9 unverzichtbar wird. Aber die verfassungsrechtlichen Folgen der heimischen Klimapolitik, ganz zu schweigen einer komplizierten Verfassungskrise, könnten die globale Rolle der USA erheblich beeinträchtigen. Trumps Welt Es gibt keine Möglichkeit vorherzusagen, ob und wann endlich eine politische Führung aus dem Weißen Haus zu erwarten ist. Man wird schon mehr benötigen, als die Beschwichtigungen durch Traditionalisten. Um Abraham Lincoln zu zitieren: Es war sicherlich keine kleine Verlegenheit, dass H.R. McMaster, der Nationale Sicherheitsberater, und Gary Cohn, der Direktor des Nationalen Wirtschaftsrats, es auf sich genommen haben, Donald Trumps Weltanschauung in einem Meinungsbeitrag im Wall Street Journal am 30. Mai zu erläutern. Nach Angaben seiner Berater ist die Welt des Präsidenten keine globale Gemeinschaft, sondern eine Arena, in der sich Nationen, nichtstaatliche Akteure und Unternehmen engagieren und konkurrieren. Die einzige Wahl besteht darin, ob man diese elementare Natur internationaler Angelegenheiten ablehnt oder begrüßt. Dies ist eine Entscheidung, die die USA und ihre globalen Partner erwägen müssen. Wie die globale Konfrontation in den Tagen des Kalten Krieges ist auch das Zeitalter der Globalisierung Geschichte geworden. Aber die Wettbewerbsfähigkeit und die zielgerichtete Zusammenarbeit stehen noch immer auf der Tagesordnung. Beide haben ihren Anfang in der Heimat. Aber beide erfordern auch einen anerkannten internationalen Ansatz. Was auch immer sich aus der Trump-Präsidentschaft ergibt: Es lassen sich vier Themen abzeichnen, die in den USA und rund um den Globus beobachtet werden müssen. Die Überwindung der Unordnung in der Heimat erfordert ein gewisses Maß an Überparteilichkeit von der Regierung und vor allem im Kongress. Die USA dürfen nicht erwarten, ihren übergeordneten globalen Status beizubehalten, es sei denn, sie schaffen eine innenpolitische Stabilität. SEITE 9

10 Gleichzeitig aber muss die globale Politik von mehr als der Innenpolitik abgeleitet werden, um effektiv zu sein. Da die Globalisierung kein Modell mehr für die globale Ordnung ist, stellt auch der Multilateralismus keinen Selbstzweck mehr dar. Wenn man etwas anderes behauptet, führt dies nur zu einer hohlen Symbolik. Der Rückzug oder die Unterbrechung internationaler Vereinbarungen könnten jedoch wesentliche nationale Interessen beeinträchtigen. In einer Welt, in der die Fake-News-Industrie zu einem integralen Bestandteil des politischen Prozesses geworden ist, hilft es, sich an Walter Lippmanns Forderung zu erinnern: Die Zeitungsmacher ziehen nur selten die breite Öffentlichkeit in ihr Vertrauen. Es reicht ihnen nicht, gegen große Wahrscheinlichkeiten anzukämpfen. Die Philosophie dieser Arbeit selbst muss diskutiert werden; die News über die News müssen ebenfalls berichtet werden. Denn die Nachrichten über die Regierung der Nachrichtenstruktur berühren den Kern aller modernen Regierungen. Fast ein Jahrhundert später kann kein Medium und keine Regierung von dieser Ermahnung ausgenommen werden, und zwar auf beiden Seiten des Atlantiks. Die Akzeptanz der elementaren Natur internationaler Angelegenheiten ist Voraussetzung für einen ordnungsgemäßen Wandel im In- und Ausland. Die heutigen Umstände geben besonders Anlass dazu, den klugen Ratschlägen von Arthur Schlesinger Jr. über die amerikanische Reformfähigkeit zu folgen. Wir haben die Demokratie nie als fertiges Produkt betrachtet, sondern als etwas, an dem man weiter bauen muss, schrieb er. In den kommenden Jahren kann dies der Schlüssel zum nationalen Überleben sein. Vom Kongress gerettet Sowohl für die USA als auch für Europa kann der Schlüssel zu diesem Überleben in der Wiederentdeckung der Notwendigkeit reaktionsfähiger Institutionen liegen, welche individuelle Initiativen und Führungsansprüche begünstigen, anstatt an der traditionellen politischen Symbolik festzuhalten. Auf beiden Seiten des Atlantiks sind die Partei-Regime (um einen Begriff von De SEITE 10

11 Gaulle zu verwenden) zunehmend unfähig, in der Unzufriedenheit und Empörung der Öffentlichkeit zu vermitteln. Dies ist in den USA stärker ausgeprägt, wo die beiden großen Parteien lockerer organisiert sind als ihre europäischen Pendants. Amerikanische politische Parteien spielen nur kurz vor den Wahlen und im Kongress eine Rolle. Aber weil die Partei-Vorwahlen für den Kongress für das Funktionieren der US-Regierung wesentlich sind, werden sie eine zentrale Rolle in der aktuellen Krise der Trump-Präsidentschaft spielen. 15. Juni 2017: Von links nach rechts: Repräsentantenhaus-Sprecher Paul Ryan (Republikaner/Wisconsin), Senator Chuck Schumer (Demokrat/New York), die Abgeordnete Nancy Pelosi (Demokratin/Kalifornien) und der Mehrheitsführer des Senats, Mitch McConnell (Republikaner/Kentucky), nahmen gemeinsam an einem Charity-Baseballspiel teil. Seit Beginn der Trump-Ära waren solche überparteilichen Veranstaltungen eher selten (Foto: dpa) In diesem Stadium ist das Weiße Haus durch innere Schlachten um den Einfluss auf den Präsidenten gespalten. Die Administration ist unterbesetzt, es mangelt ihr an Richtung und sie wird zunehmend durch den russischen Hacker-Skandal und die Vorwürfe von Vertuschung und Absprachen abgelenkt. Durch den geschwächten Standpunkt von Präsident Trump wird das Regieren mittels präsidialer Dekrete immer unwirksamer. Üblicherweise wird der Senat eingeschaltet, um Verträge wieder aufzuheben, und im Falle von neu ausgehandelten Versionen (einer von Präsident SEITE 11

12 Trumps Lieblings-Vorgehensweisen) oder eines neuen Gesetzes ist eine Zustimmung beider Kammern erforderlich. Angesichts dieses Sachverhalts ist ein funktionierender Kongress von entscheidender Bedeutung. Doch beide Parteien leiden unter einer schwachen Führung und internen Spaltungen in Fraktionen. Die Demokraten registrieren den Zusammenbruch des Clinton-Flügels und den Aufstieg von Bernie Sanders, der im Alter von 79 Jahren erneut für die Präsidentschaft kandidieren könnte. Ihre Hoffnung, im nächsten Jahr die Kontrolle über den Senat wiederzuerlangen und im Repräsentantenhaus Boden gutzumachen, wurde durch ihre Niederlagen bei den vier Nachwahlen in diesem Jahr zurechtgestutzt. Die Republikaner sind, wie wir gesehen haben, so gespalten, dass sie nicht einmal in der Lage sein werden, Obamacare aufzuheben und zu ersetzen. Präsident Trump hätte am meisten von der überparteilichen Zusammenarbeit zu gewinnen, doch er wird gelähmt durch sein eigenes Temperament und eine gespaltene Republikanische Partei. Donald Trump hat die erstaunliche Fähigkeit an den Tag gelegt, etablierte Normen zu stören und sich selbst politischen Schaden zuzufügen. Die größte Hoffnung, die Regierung funktionsfähig zu halten und seine Präsidentschaft zu retten, könnte der US-Kongress darstellen vorausgesetzt, dieser zeigt sich der Situation gewachsen. SEITE 12