Sprachsensibel unterrichten in der Grundschule. Prof. Dr. Anja Wildemann Universität Koblenz-Landau
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- Anton Siegel
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1 Sprachsensibel unterrichten in der Grundschule Prof. Dr. Anja Wildemann Universität Koblenz-Landau
2 Lernen ist eine Frage von Angebot und Nutzung Das gilt für das fachliche und für das sprachliche Lernen. Aber: Fachliches Lernen kann durch sprachliche Hürden behindert oder gar verhindert werden. 2
3 Angebots-Nutzungs-Modell nach Helmke mit Erweiterung um den Aspekt «Sprache», Wildemann & Fornol 2016, S. 13 3
4 Wann und wie handeln Sie im Unterricht sprachförderlich? 4
5 Checkliste für die sprachliche Orientierung im Fachunterricht Ich prüfe die sprachlichen Fähigkeiten meiner Schüler(innen), z.b. durch gezielte Beobachtungen. Ich achte auf meine eigene sprachliche Ausdrucksweise und setze diese gezielt ein. Ich gebe differenzierte Aufgabe und Aufgabenstellungen. Ich führe neue Wörter (nicht nur Fachbegriffe) ein, die meinen Schüler(innen) vermutlich nicht bekannt sind. 5
6 siehe auch Wildemann & Fornol 2016, S. 234 Sprachförderliches Lehrer_innenhandeln Gruppierung der Lehrkräfte in Handlungstypen nach Riebling (2013, S. 166ff.) Typ A: explizit sprachorientierter Typ (6) Der Unterricht wird sprachlich kaum entlastet, ist aber insgesamt bildungssprachlich anspruchsvoll, bei Transparenz sprachlicher Anforderungen und dem Ziel der Vermittlung von fachbezogenen Strategien. Typ B: entlastender sprachorientierter Typ (5) Nach eigenen Angaben gestalten diese Lehrkräfte ihren Fachunterricht bildungssprachlich, realisieren aber auch sprachliche Entlastung durch sprachliche Vereinfachung und vereinfachte Unterrichtsmaterialien. Sie orientieren sich stark an den sprachlichen Voraussetzungen ihrer Schüler/- innen. 6
7 Typ C: ausschließlich entlastender Typ (20) Lehrkräfte dieses Typs reagieren auf sprachliche Heterogenität mit ausgeprägter sprachlicher Entlastung, d.h. sie verringern das sprachliche Anforderungsniveau. Ihr Unterricht ist dabei jedoch nicht sprachbildend konzipiert. Typ D: wenig sprachorientierter Typ (96) Weder entlasten die Lehrkräfte ihren Unterricht sprachlich noch ist dieser bildungssprachlich ausgerichtet. Es findet somit keine Passung zwischen sprachlichen Lernvoraussetzungen und Unterrichtsgestaltung statt. Eher wird ein gewisses sprachliches Können vorausgesetzt. 7
8 Typ A: explizit sprachorientierter Typ (6) sprachlich kaum entlastet, bildungssprachlich anspruchsvoll, Transparenz sprachlicher Anforderungen Vermittlung von fachbezogenen Strategien Typ B: entlastender sprachorientierter Typ (5) bildungssprachlich, sprachliche Entlastung Orientierung an den sprachlichen Voraussetzungen ihrer Schüler/-innen. bildungssprachlich fachlich schülerorientiert sprachsensibel 8
9 Welche Schwierigkeiten haben Ihre Schüler/innen beim Schreiben a. in der Zweitsprache Deutsch? b. von Texten im Fachunterricht? 9
10 Mögliche Schwierigkeiten beim Schreiben in der Zweitsprache (aus Wildemann & Rathmann 2015, S. 39, Grundschule Deutsch, Nr. 49/2016, Material) Buchstabenebene Der Transfer von Lauten in Buchstaben gelingt nicht, da nicht alle deutschen Sprachlaute bekannt sind. Interferenzen zwischen beiden Lautsystemen treten auf, d.h. Sprachlaute aus der Erstsprache werden in die Zweitsprache eingefügt und Sprachlaute aus dem Deutschen weggelassen. Laute werden mit Buchstaben aus der Erstsprache (z.b. ş für sch bei Kindern mit türkischer Erstsprache) verschriftet. 10
11 Wortebene Die Einhaltung von Wortgrenzen gelingt nicht, da Wörter nicht bekannt sind. Wörter können nicht aus dem Lautstrom herausgefiltert werden, weil sie nicht bekannt sind. Wissen zur Wortbildung im Deutschen (morphologisches Wissen) ist lückenhaft, insbesondere in Bezug auf die Flexion der Verben und Nomen, Steigerung der Adjektive, Prä- und Suffixe. Artikel werden aufgrund von Unterschieden zwischen Erst- und Zweitsprache fehlerhaft gebraucht. 11
12 Satzebene Verbstellung in Hauptsätzen und Nebensätzen wird aufgrund abweichender Strukturen in der Erstsprache und Besonderheiten im Deutschen fehlerhaft verwendet. Die Unterscheidung von trennbaren und untrennbaren Verben ist nicht bekannt. Modalverben/Hilfsverben (wollen, können, sollen, müssen, mögen, dürfen) werden in Verbindung mit Vollverben (z.b. Ich möchte Ball spielen.) fehlerhaft verwendet. Komplexe Satzgefüge können nicht realisiert werden, weil Wissen über Verknüpfungen fehlt. 12
13 Textebene Kohärenzbildung gelingt nicht, weil satz- und textverknüpfende Elemente wie plötzlich, danach, schließlich sowie Pronomen nicht beherrscht werden. Text kann inhaltlich und formal nur eingeschränkt gestaltet werden, da noch zu viel Augenmerk auf die Schreibhandlung gelegt werden muss. Exposition (Einführung und Entwicklung einer Handlungskette mit Auflösung am Schluss) in narrativen Texten fehlt, aufgrund fehlenden Sprachwissens. Aussagen zu den Gedanken und Gefühlen der Protagonisten fehlen, aufgrund fehlender narrativer Kompetenzen. Viele Wortwiederholungen, weil der Wortschatz unzureichend ausgebildet ist. Schwierigkeiten bei der Textüberarbeitung, da Fehler nicht selbst erkannt werden. 13
14 Kartei für Lehrerinnen und Lehrer (Friedrich Verlag 2016) 14
15 Anforderungen beim Schreiben von Texten im Fachunterricht Wildemann & Fornol
16 Wildemann & Fornol 2016, S
17 Wildemann & Fornol 2016, S
18 Bildungssprachlich korrekt fachlich nicht! Wildemann & Fornol 2016, S
19 Sprachsensibel unterrichten- Grundsätzliches 1. Sprachvorbild sein 2. Scaffolding 3. Modellierungstechniken nutzen 4. Unterricht fachliche und sprachliche planen 19
20 1. Sprachvorbild sein Sprechen Sie angemessen laut und deutlich (aber nicht überbetont). Achten Sie auf Ihre Wortwahl. Beispiel: Jeder nimmt ein Arbeitsblatt. NICHT: Jeder nimmt einen Zettel Setzen Sie unterstützend nonverbale Kommunikationsmittel wie Mimik und Gestik ein. Gliedern Sie Ihre Anweisungen in kurze, prägnante Aussagesätze. Beispiel: Nimm das Ergebnis der Rechnung. Schreibe die Zahl in das Kästchen links. Addiere sie mit der anderen Zahl. NICHT: Die Zahl, die du als Ergebnis erhältst, wird in das Kästchen links geschrieben und mit der anderen Zahl addiert. 20
21 Formulieren Sie Anweisungen in der Reihenfolge, in der sie von den Kindern durchgeführt werden sollen. Beispiel: Schreiben die Hausaufgaben ab. Danach kannst du deine Sachen einpacken. NICHT: Du kannst jetzt deine Sachen einpacken. Vorher musst du aber noch die Hausaufgaben abschreiben. Formulieren Sie offene Fragen. Beziehen Sie dabei auch Sprachhandlungen mit ein. Beispiele: Warum? ; Wieso ; Du kannst uns bestimmt erklären, warum ; Erzähl uns doch, was du beobachtet hast. ; Berichte uns von dem, was wir in der letzten Stunde gemacht haben. NICHT: Ist das so richtig? ; Hat Gretel die Hexe überlistet? Warten Sie einige Zeit (mindestens drei Sekunden), nachdem Sie eine Frage gestellt haben. 21
22 2. Scaffolding durch Wildemann & Fornol 2016, S. 257 Einbeziehung des fachlichen Vorwissens, der Vorerfahrungen und des aktuellen (bildungssprachlichen) Sprachstands der Schüler_innen Auswahl geeigneter (Zusatz-)Materialien in Abhängigkeit der ermittelten Fach- und Sprachkompetenzen der Lernenden Dies beinhaltet auch die Eingliederung von Unterrichtsphasen, in denen die Schüler(innen) sich konkret mit dem Unterrichtsgegenstand auseinandersetzen können. Sequenzierung der Lernaufgaben, sodass diese die Entwicklung von einer alltags- zu einer bildungssprachlichen Ausdrucksweise durch die Auseinandersetzung des Inhalts von der konkreten Anschauung bis zu einer abstrakteren Ebene ermöglichen Festlegung von Lern- und Arbeitsformen, die im Sinne des kooperativen Lernens sprachliche Aktivierung ermöglichen 22
23 Scaffolding durch Wildemann & Fornol 2016, S. 257 Auswahl verschiedener Darstellungsformen, mit deren Hilfe (neue) Inhalte präsentiert werden Einsatz von vermittelnden Texten, die eine Brückenfunktion übernehmen Diese können eingesetzt werden, wenn die im Schulbuch vorhandenen Texte zu anspruchsvoll für die Lerngruppe sind Lieferung von sprachlichem Input, der über dem sprachlichen Kompetenzniveau der Schüler(innen) liegt und es ihnen dadurch ermöglicht, ihre eigenen Kompetenzen weiterzuentwickeln Berücksichtigung von metasprachlichen und metakognitiven Phasen im Unterricht, da diese den Lernfortschritt fördern können 23
24 Bedeutung des Scaffoldings zur Erreichung der nächsten Entwicklungszone (in Anlehnung an: Victoria State Government, unveröffentlicht, in: Wildemann & Fornol 2016) 24
25 3. Modellierungstechniken nutzen Modellhaftes Sprechen Die gewünschten sprachlichen Zielstrukturen werden wiederholend angeboten, z.b. auf Papierstreifen. Alternativfragen Die Lehrerin oder der Lehrer überlegt sich im Vorfeld alternative Fragen zu einzelnen Unterrichtssituationen, um den Lernenden eine zusätzliche sprachliche Lösungsmöglichkeit anzubieten. Erweiterung Eine unvollständige Äußerung wird aufgegriffen und erweitert. Korrektives Feedback Die Äußerung der Lernenden wird in der richtigen Zielstruktur wiedergegeben. 25
26 Modellhaftes Sprechen Einer Schülerin fällt es noch schwer, im Falle einer Inversion das Subjekt nach dem finiten Verb anzuführen. Sie formuliert Sätze wie: Danach sie gehen nach Hause. Der Gebrauch der Inversionsstellung sollte von der Lehrkraft wiederholend angeboten werden: Jetzt brauchst du dein Heft. Als erstes lesen wir die Geschichte im Buch. Inversion: Wenn die normale Abfolge eines Satzes verändert wird, sodass das Verb nach Vorne rückt, z.b. vor das Subjekt (Danach gehe ich nach Hause). 26
27 Alternativfragen Ist das Mädchen wütend oder ist es enttäuscht? Versteckt sich die Katze auf dem Baum oder hinter dem Baum? Erweiterung Kind: In der vierten ist auch noch eins! Lehrkraft: Genau, in der vierten Zeile ist noch ein Reimwort. Korrektives Feedback Kind: Auf dem Bild ist eine Hund. Lehrkraft: Richtig, auf dem Bild ist ein Hund. 27
28 4. Unterricht fachlich und sprachlich planen Checkliste für einen sprachsensiblen Unterricht Grundsätzliches Vor dem Unterricht Während des Unterrichts 28
29 29
30 30
31 31
32 Beispiel 1: Tabellen verstehen 32
33 Beispiel 2: Begriffe entschlüsseln 33
34 Downlaodmaterial Mathematikunterricht Deutschunterricht Grundsätzliches Deutschunterricht 34
35 Sachunterricht Mathematikunterricht Sachunterricht 35
36 Literatur Ehlich, Konrad, Bredel, Ursula & Reich, Hans H. (2008): Sprachaneignung Prozesse und Modelle. In: Ehlich, Konrad, Bredel, Ursula & Reich, Hans H. (Hrsg.) (2008): Referenzrahmen zur altersspezifischen Sprachaneignung. Band 29/I, hrsg. vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Berlin, S Gogolin, Ingrid u.a. (2011): Durchgängige Sprachbildung. Qualitätsmerkmale für den Unterricht. Waxmann: Münster. Gogolin, Ingrid & Lange, Imke (2010): Durchgängige Sprachbildung. Eine Handreichung. FÖRMIG Material, Band 2. Waxmann: Münster. Grießhaber, Wilhelm (2010): Spracherwerbsprozesse in der Erst- und Zweitsprache. Eine Einführung. Universitätsverlag Rhein-Ruhr. Oomen-Welke, Ingelore (2000): Umgang mit Vielsprachigkeit im Deutschunterricht Sprachen wahrnehmen und sichtbar machen. In: Deutsch lernen, 2. S Wildemann, Anja (2015): Heterogenität im Sprachlichen Anfangsunterricht. Von der Diagnose bis zur Unterrichtsgestaltung. Klett, Kallmeyer: Seelze. Wildemann, Anja & Fornol, Sarah (2016): Sprachsensibel unterrichten in der Grundschule. Anregungen für den Deutsch-, Mathematikund Sachunterricht. Klett, Kallmeyer: Seelze. Mit Downloadmaterial. Wildemann, Anja & Rathmann, Claudia (2015): Sprachlicher Anfangsunterricht. Band 4: Deutsch als Zweitsprache. Finken: Oberursel. Mit Material-CD. (Bestellnr. 1814). Wildemann, Anja & Rathmann, Claudia (2015): Sprachlicher Anfangsunterricht. Band 5: Sprachförderung und Sprachbildung. Finken: Oberursel. Mit Material-CD. (Bestellnr. 1815) 36
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