Wissenswert Joseph Maria Olbrich. Architekt des Jugendstils. Von Gudrun Rothaug. Hessischer Rundfunk hr2-kultur Redaktion: Dr.

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1 Hessischer Rundfunk hr2-kultur Redaktion: Dr. Arne Kapitza Wissenswert Joseph Maria Olbrich Architekt des Jugendstils Von Gudrun Rothaug Sendung: , 08:30 Uhr, hr2-kultur Regie: Burkhard Schmid Zitator: (p) Wiwe JMO* COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der Empfänger darf es nur zu privaten Zwecken benutzen. Jede andere Ver-wendung (z.b. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verteilung oder Zurverfügungstellung in elektronischen Medien, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors/ der Autoren zulässig. Die Verwendung zu Rundfunkzwecken bedarf der Genehmigung des Hessischen Rundfunks. Seite 1

2 Musikakzent Zitator (Zit. Olbrich) Eine Stadt müssen wir erbauen, eine ganze Stadt! Alles andere ist nichts! Das heißt noch nichts, wenn einer bloß ein Haus baut. Wie kann das schön sein, wenn daneben ein hässliches ist? Was nützen drei, fünf, zehn schöne Häuser, wenn die Anlage der Straße keine schöne ist? Was nützt die schöne Straße mit schönen Häusern, wenn darin die Sessel nicht schön sind oder die Teller nicht schön sind? schrieb Joseph Maria Olbrich im Jahre Auf der Mathildenhöhe in Darmstadt wollte der junge Architekt und Gestalter eine Gegenwelt schaffen: eine Welt, in der Kunst und Leben eine Einheit bilden. Ein Gesamtkunstwerk mit fließenden Linien und stilisierten Pflanzen- und Tiermotiven, die Fassaden gestalten, Wände und Möbel, bis zum Sofakissen und Essbesteck. Olbrich entwarf das städtebauliche Konzept der Jugendstil-Anlage, die Künstlervillen und das Ausstellungsgebäude. Sein weltberühmter Hochzeitsturm weist voraus auf den kommenden Expressionismus und die Sachlichkeit der 20er Jahre Joseph Maria Olbrichs Werk war geprägt vom kulturellen Aufbruch Ende des 19. Jahrhunderts. Die Industrialisierung hatte die Welt verändert. Doch in der Architektur griff man zunächst auf frühere Baustile zurück, von der Romanik über den Barock bis zum Klassizismus. Diesem Epochen- und Stilmix, der auch Historismus genannt wird, versuchten Künstler Ende des 19. Jahrhunderts etwas Neues entgegenzusetzen, und die Antwort hieß Art nouveau oder Jugendstil. An Olbrichs Schaffen lässt sich diese baugeschichtliche Umbruchphase vom Historismus zum neuen, sachlichen Bauen gut nachvollziehen: Formatiert: Schriftart: DIN-Regular O-Ton 1 ( Regina Stephan) Seite 2

3 Er kommt ja aus dem Wien der 80/90 er Jahre und wirft immer mehr Ballast ab von seiner Arbeit, und in den 10 Jahren entwickelt er sich zu der stark vom Ornament geprägten Arbeitsweise immer mehr hin zu klaren strengen Formen. Regina Stephan, Professorin für Architekturgeschichte an der Fachhochschule Mainz, stellt in der von ihr kuratierten Darmstädter Ausstellung dar, wie groß der Einfluss Olbrichs auf die Architektur und das Kunstgewerbe war. Studiert hat Olbrich unter anderem an der Akademie der Künste in Wien. Der Architekt Otto Wagner war von den Zeichnungen und Aquarellen des jungen Künstlers so begeistert, dass er ihn einstellte. Gemeinsam mit Wagner entwarf Olbrich dann die Wiener Stadtbahnhaltestellen, die damals als modernste Moderne gefeiert wurden. Spektakulär und irritierend war 1898 das Gebäude, das Olbrich für die Wiener Sezession baute. Für die Ausstellungshalle dieser von ihm mit gegründeten Künstlervereinigung fand Joseph Maria Olbrich eine völlig neue Architektursprache. Das Gebäude aus massiven weißen Kuben und einer kugelförmigen Kuppel aus bronzenen, glänzenden Lorbeerblättern, machte ihn auf einen Schlag bekannt. Auch der junge Großherzog Ernst Ludwig zu Hessen-Darmstadt war begeistert: Zitator (Zit. Ernst Ludwig: ) Ich sah seine Zeichnung für die Sezessions-Ausstellung in Wien, ganz persönlich und anders als die damalige Richtung. Ich fühlte sofort, da ist etwas Frisches und ganz zu mir Passendes, etwas Sonniges, was ich bei allen anderen nicht spürte. Er kam sofort auf meinen Ruf, [ ] wir beide fingen sofort Feuer. Dabei fühlte ich, dass dem deutschen Geist etwas mehr Leichtigkeit und Geschmack von Nöten war, und dass gerade er der Richtige war. Großherzog Ernst Ludwig war ein Enkel von Queen Victoria und mit den Reformbemühungen des englischen Kunsthandwerks und der Architektur bestens vertraut. Er holte Olbrich und sechs weitere Künstler 1899 nach Seite 3

4 Darmstadt, mit dem Auftrag, in einer Künstlerkolonie den Traum eines neuen Lebensentwurfs zu verwirklichen. In kurzer Zeit entstand auf Quadratmetern Fläche ein Ensemble mit acht Künstlervillen und dem Ernst- Ludwig Haus mit den Ateliers. Die Bauausstellung wurde 1901 eröffnet und trug den Titel Ein Dokument deutscher Kunst. Das große Darmstädter Jugendstilprojekt hatte das volkspädagogische Ziel, der Bevölkerung ein neues Bewusstsein für das Schöne zu geben. Aber es war auch eine kluge Art der Wirtschaftsförderung, erzählt Werner Durth: O-Ton 2 (Werner Durth) Mein Hessenland blühe und die Kunst in ihr war der Sinnspruch von Ernst Ludwig, und das war wenn man so will, eine sehr kluge langfristige Investitionsstrategie, die er mit dieser großen Kunstausstellung und Gewerbeausstellung auf der Mathildenhöhe verbunden hat. Die Besucher konnten über die Anlage und durch die Häuser gehen und auch gleich in ausliegenden Katalogen Einrichtungsgegenstände und Handwerksleistung bestellen. Auch auf den großen Weltausstellungen jener Zeit machte Joseph Maria Olbrich mit seinen Inneneinrichtungen Werbung für hessische Firmen. Sein hessisches Zimmer auf der Weltausstellung in Turin 1902 gewann sogar den ersten Preis. Die Zusammenarbeit des jungen Regenten Ernst Ludwig mit dem jungen Architekten Olbrich war überaus fruchtbar und auch ein wichtiger Schritt in Richtung modernes Industriedesign. O-Ton 3 (Regina Stephan) Das Spannende bei Olbrich in Darmstadt ist, dass es zum ersten Mal gelungen ist, vor der allgemeinen Entwicklung in Zusammenarbeit zwischen den Entwerfern, Architekten, Gestaltern und den Firmen, ein adäquates Design zu finden, das industriell gefertigt werden konnte. So dass man jetzt künstlerischen Entwürfe für die Allgemeinheit zugänglich macht. Seite 4

5 Die neuen Formfindungen auf der Mathildenhöhe förderten immer das Zusammenwirken von Kunst, Handwerk und Industrie, so Regina Stephan, die Kuratorin der Olbrich-Retrospektive. In diesem wichtigen Punkt war Hessen England auf dem Weg in die Moderne voraus. Dort war die Reform des Kunstgewerbes schon Mitte des 19. Jahrhunderts ein Ziel der sogenannten Arts and Crafts Bewegung, aber O-Ton 4 (Regina Stephan) Es gibt ja einen großen Denkfehler des Arts and Crafts, dass sie die Maschine abgelehnt hat. Sie sagen, wir gehen zurück zum Mittelalter und wir machen alles per Hand, was aber die Sachen sehr verteuert hat. Es ist keine Richtung, die sich in die Breite entwickeln konnte. Anders hat der Werkbund propagiert, die Veredelung der gewerblichen Arbeit, er setzt die Maschinen ein man macht das in Firmen. Der Deutsche Werkbund wurde 1907 in München begründet, eine wirtschaftskulturelle Vereinigung zur Förderung qualitätsvollen Kunstgewerbes. Joseph Maria Olbrich war Gründungsmitglied und gab auch hier wichtige Impulse. Musikakzent Zitator (Zit. Kritiker 1901) Das war ein unbezahlbarer Einfall, statt des üblichen Kunstjahrmarktes (...) einmal die Vorführung von Kunstwerken auf Grundlage ihrer praktischen Verwendung im Leben zu veranstalten. Fertig eingerichtete Häuser, statt bilderbepflasterter Wände und kunstgewerbliche Rumpelkammern: das hatte uns noch niemand geboten. schrieb ein begeisterter Kritiker 1901 über die Eröffnung der ersten Ausstellung auf der Mathildenhöhe. O-Ton 5: Werner Durth: Seite 5

6 Es gibt hymnische Beschreibungen von dem damals sehr einflussreichen Kunstschriftsteller, wie er genannt wurde, gleichzeitig dem Direktor der Hamburger Kunsthalle, Alfred Lichtwark, der sagte, dass hier ein völlig neues Lebensgefühl vermittelt würde, dass die Menschen, die hier hinkommen, zum ersten mal die Idee haben, wie sich richtig leben ließe, in den neuen Häusern. Er betonte beispielsweise die Öffnung der Häuser durch die horizontalen Fensterfronten. Und schreibt so schön, warum haben wir denn immer hochrechteckige Fenster vor Augen, denn die Landschaft, in die wir schauen hat ja kein Hochformat. Ja, dieser Blick nach außen, das Vermitteln der Innenleben der Häuser mit dem Garten, mit den Ausblicken, das sind schon ganz große Entdeckungen gewesen, die auch gewürdigt wurden. Die Anlage der Künstlerkolonie wurde allerdings von manchen Kritikern auch als elitär und luxuriös kritisiert. Bei einer weiteren Ausstellung im Jahre 1904 zeigte Olbrich dann auch einfachere Einfamilienhäuser und 1908 ein Arbeiterhaus für Opel. War doch der Bau bezahlbaren modernen Wohnraums für viele schon eine dringliche Bauaufgabe zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Doch auf der Mathildenhöhe standen architektonisch kühne Formentwürfe im Vordergrund. O-Ton 6 (Regina Stephan) Die Ausstellung 1901 bis 1904 und 1908, an denen Olbrich an führender Position beteiligt war, die war ja immer auch durch temporäre Bauten ergänzt. Da gab es Restaurantbauten wunderbare Eingangsbauten, es gab ne kleine Bühne, Theater Spielhaus, eine Haus für Blumen. Und diese Häuser waren von der Form her sehr interessant, weil es ja nicht für die Dauer gedacht war, da kann man ja spielerischer arbeiten. Die Ausstellung 1901 in der Künstlerkolonie Mathildenhöhe war die erste auf Dauer angelegte Bauausstellung überhaupt und damit auch ein Vorbild für das berühmt gewordene Projekt der Bauhaus-Architekten 1927 in Stuttgart. O-Ton 7 (Werner Durth:) Dieser Gedanke der Bauausstellung wurde vom Deutschen Werkbund aufgenommen und weiterentwickelt, zu deren Gründern Olbrich und Behrens und Seite 6

7 auch van der Velde gehörten, die nach dem 1. Weltkrieg mit der später legendären Ausstellung der Weißenhofsiedlung in Stuttgart weiterführten und dann vor allem in der Darstellung technisch und auch ökonomischen Rationalisierung des Wohnungsbaus in ganz anderen Formen weiterentwickelten. Aber der Gedanke der Bauausstellung war in Darmstadt zum ersten Mal realisiert worden und ging dann in eine Kette von Bauausstellungen weiter. Musikakzent Zitator (Zit. Joseph August Lux: ) 1907 bis 1908 drängte eine Arbeit die andere. Kaum ist der Hochzeitsturm mit den Kunstausstellungsgebäuden vollendet, taucht schon der visionäre Umriss des Düsseldorfer Monumentgebäudes in den Träumen des Künstlers auf und findet die erste skizzenhafte Niederschrift. [ ] Jetzt haben die zu Köln und am Niederrhein ihr Herz entdeckt, Olbrich ist ihr Mann. Jeder will ein Haus von ihm haben, zumindest eine Einrichtung, Aufträge über Aufträge...hielt Olbrichs Biograf Joseph August Lux fest. Joseph Maria Olbrich war in Darmstadt quasi Hofkünstler von Großherzog Ernst Ludwig. Doch bei Wettbewerben für wichtige Gebäude in der Stadt wurde er nicht berücksichtigt. Er bekam große Aufträge im Rheinland und baute dort Villen und das große Warenhauses Tietz in Düsseldorf. Als Olbrich im Alter von 40 Jahren an Leukämie erkrankte, riss ihn der Tod aus vielen Projekten konnte er das streng kubisch konstruierte Ausstellungsgebäude in Darmstadt fertig stellen und den Hochzeitsturm, der so Werner Durth, in Form und Material auf den Expressionismus und die Sachlichkeit der 1920er Jahre voraus weist. O-Ton 8 (Werner Durth) Der Hochzeitsturm wurde gerade für die nachfolgende Generation, man kann sagen, ein Leuchtturm an Innovationen, so wie er dort verschiedene Materialien kombinierte wie er die über Eck laufenden Fensterbänder einsetzte, die später zu einem Schlüsselmotiv der modernen Architektur der 20er Jahre wirken. Seite 7

8 Er hat eine unglaubliche Faszination auf die nachfolgende Generation der ab 1880 geborenen ausgeübt. Junge Architekten pilgerten zur Mathildenhöhe, studierten die Anlage und ließen sich anregen. Darunter auch Ernst May, der ab 1925 für seinen neuen Wohnungsbau in Frankfurt bekannt wurde. Er nahm, wie so viele andere Bauhaus-Architekten, Olbrichs über Eck laufendes Fenster-Band auf. Auch Bruno Taut war von der Architektur Olbrichs begeistert und beeinflusst. Er prägte ab 1916 den Begriff der Stadtkrone, die Olbrich schon 1908 durch die markante Silhouette des Hochzeitsturms als Darmstadts Markenzeichen realisiert hatte. O-Ton 9: Regina Stephan: Le Corbusier kommt ja auch auf seiner Deutschlandreise nach Darmstadt und beschreibt das in seinen Skizzen, Tagebüchern. Das ist sehr interessant, wie das weitergeführt wird. Der Architekt Erich Mendelsohn hob besonders Olbrichs Umgang mit verschiedenen Materialien hervor; er würdigte die kühne, sinnliche und kontrastreiche Kombination von Backstein, Beton und die schwarz-violett glasierten Ziegeln, aus denen die abschließenden fünf Bögen des 48 Meter hohen Hochzeitsturms gestaltet sind. Nach der Retrospektive von 1983 wird in der großen Ausstellung des Jahres 2010 herausgearbeitet, welchen Einfluss Olbrich auf die Architektur- und Kunstgeschichte hatte und noch hat. Zu lange wurden Olbrichs Innovationen auf den mit Gold und Ornamenten spielenden Jugendstil reduziert. Mit seiner künstlerischen Vielseitigkeit und seiner Formensprache, resümiert der Architekturhistoriker Werner Durth, gab Joseph Maria Olbrich der Moderne wegweisende Impulse. O-Ton 10 (Werner Durth:) Seite 8

9 Man kann sich diesen Olbrich nur als ein unglaubliches kompaktes Bündel von Begabungen und Fähigkeiten vorstellen, mit einer Lust am Spiel am Improvisieren mit dem sich einlassen auf ganz unterschiedliche Aufgaben und Fragestellungen. Und die Zuschreibung, ihn nur als Jugendstilarchitekt zu bezeichnen, greift viel zu kurz. Und es zeigt sich ja auch in seiner kurzen Lebensspanne, er ist ja schon 1908 gestorben, auch eine ganz breite Vielfalt an unterschiedlichen stilistischen Auftritten seiner Architektur. Er gehört aus meiner Sicht zu den unterschätztesten Architekten des 20. Jahrhunderts. Musikschluss Seite 9