Kunstwerke erzählen. Dara Horn Die kommende Welt. Von Julika Tillmanns. hr2-kultur, , 08:30 Uhr. Länge: 7 26
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- Hede Schulz
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1 Hessischer Rundfunk hr2-kultur Redaktion: Inge Kämmerer Kunstwerke erzählen 05 Dara Horn Die kommende Welt Von Julika Tillmanns hr2-kultur, , 08:30 Uhr Länge: 7 26 Zitator: Regie: Dagmar Fulle Marc Oliver Schulze Christiane Kreiner Copyright Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der Empfänger darf es nur zu privaten Zwecken benutzen. Jede andere Verwendung (z.b. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verteilung oder Zurverfügungstellung in elektronischen Medien, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors/der Autoren zulässig. Die Verwendung zu Rundfunkzwecken bedarf der Genehmigung des Hessischen Rundfunks.
2 Musikakzent Zitator: S. 14 Auf dem Bild war eine Straße zu sehen. Die Straße war schneebedeckt und von einem niedrigen Zaun und kleinen schiefen Häusern gesäumt, deren Dächer sich neigten und in alle Richtungen Schatten warfen. Bilder können manchmal mehr ausdrücken als Worte. Im Roman von Dara Horn mit dem Titel Die kommende Welt ist es ein Gemälde von Marc Chagall, das zu uns spricht: Es handelt sich um eine Studie zu seinem Bild: Über Witebsk. Zitator: S.14 Über der Straße schwebte ein Mann mit Bart, Bündel, Hut und Stock, in einer Bewegung als liefe er als wäre er sich in seiner trüben horizontalen Lage gar nicht bewusst, dass er flog. O-Ton 01 Chagall ist jemand, der sagt, ein Bild hat immer auch ein Thema erläutert Annette Weber, Professorin für jüdische Kunst und Kultur in Heidelberg. In diesem Fall ist das Thema einer alten jiddischen Erzählung entnommen: O-Ton 02 Das ist die Geschichte eines armen Wanderbettlers, der im Schnee über die Dörfer stapft, und so am Ende seiner Kräfte auf diesem schneebedeckten Weg eigentlich halluziniert, wie es wäre, wenn er nun nach Hause käme und es ist die schöne warme Stube und seine Kinder sind da und es gibt etwas zu essen. Und das alles ist sozusagen die Einleitung zu seinem eigenen Tod, und er wird zu einem Luftmenschen, er hat also eine Existenz, die nirgendwo auf der Erde richtig verankert ist, und ich glaube, das ist hier in diesem Bild ganz wunderbar ausgedrückt. Im Roman Die kommende Welt von Dara Horn wird das Bild des Luftmenschen, dieses Sinnbild des wurzellosen Wanderers, zum Ausgangspunkt einer jüdischen Familiengeschichte. Sie reicht zurück ins junge Sowjetrussland des Jahres Marc Chagall war damals Zeichenlehrer an einer Schule für Kinder, die ihre Familien im Bürgerkrieg verloren hatten. Eines dieser Kinder, so die Fiktion von Dara Horn, war Boris Kubalk, ein begabter Maler und geschickter Tauschhändler. 1
3 Zitator: S.29 Genosse Kubalk, sagte der Lehrer, dieses Bild hätte ich gern, wenn es geht. Um es in der Klasse aufzuhängen. Boris schluckte und legte die schmutzigen Hände fest auf die Ränder seines Bildes. Was krieg ich dafür?, knurrte er. Du bist sehr schlau Genosse Kubalk. Wenn du tauschen willst, bitte. Das ist dein gutes Recht. Komm mit, und wir wollen sehen, ob ich etwas anzubieten habe. So, im Tausch Bild gegen Bild, kommt die Studie von Chagall in die Familie von Boris Kubalk und beeinflusst sein Leben und das seiner Nachkommen. Die Tochter verkauft den Chagall aus finanzieller Not. Der Enkel entdeckt ihn schließlich wieder im jüdischen Museum von New York. Zitator: S.15 Benjamin Ziskind starrte auf den schwebenden Mann mit Stock, den dunklen Spätherbst oder Winteranfang im abendlichen Zwielicht und dachte an lange zurückliegende Herbstabende, an denen sein Vater ihn und seine Schwester auf ihrer Halloweenrunde begleitet hatte. Wenn sich der Abend, an dem sie von Haustür zu Haustür gezogen waren, dem Ende zuneigte, versuchte Ben langsamer zu gehen. Dann ahmte er verlegen den schleppenden Schritt des Vaters nach. Sein Vater, dachte Ben beim Betrachten des Bildes, wäre wahrscheinlich auch gern geflogen. O-Ton 03 Ich denke, das ist der Versuch, der bei einer ganzen Reihe von New Yorker jüdischen Familien stattfindet, dass sich sozusagen die dritte oder vierte Generation fragt in New York, woher kommen wir eigentlich erklärt Annette Weber die Spurensuche in diesem amerikanisch-jüdischen Roman. O-Ton 04 Es ist eben doch nicht nur ein melting pot, wo man all american wird, sondern nach drei oder vier Generationen, wenn die Leute sozusagen nicht mehr nur mit der Nase über der Existenzoberfläche hängen, kommt das Interesse an der eigenen Geschichte, und damit auch die Frage, wo haben unsere Vorfahren wie gelebt, und ich denke, dieses Bild ist der Schlüssel für die Beschäftigung mit der Vergangenheit. Musikakzent Zitator: S. 16 Entschlossen packte Benjamin Ziskind den schmalen Rahmen und riss das Gemälde von der Wand. Es war so leicht, dass er beinahe hintenüberkippte. Dann ging er hinaus. 2
4 Der spontane Kunstraub bringt die Gegenwartshandlung gefährlich ins Rollen. Nach etlichen Volten nimmt sie am Ende jedoch eine kuriose Wendung: Benjamin Ziskind überredet seine Schwester, das wertvolle Gemälde zu fälschen. Die Kopie schickt er zurück ans Museum, das sie glücklich als wiedererstattetes Original entgegennimmt. Ein klarer Fall von Betrug. Doch: Geschah er nicht in bester Absicht? O-Ton 06 Das kann man fast Chagall selber stellen, diese Frage. Er hat nämlich seine eigenen Bilder wiederholt und zwar teilweise sehr genau wiederholt in dem Augenblick als er feststellen musste, dass er sein ganzes Frühwerk nicht mehr zurückbekommen würde. sagt Annette Weber. Chagall hatte die Gouachen, die bei seinem ersten Aufenthalt in Paris entstanden, auf der Rückkehr nach Russland einem deutschen Sammler zum Verkauf überlassen. Als er Jahre später den Erlös abholen wollte, hatte die Inflation die Summe zusammengeschmolzen. Auf den Preis einer Schachtel Zigaretten. Der Beginn eines langen Rechtsstreits. Aber nicht nur das. O-Ton 07 Auch hier handelt es sich, wenn sie so wollen, um eine Verlusterfahrung Chagalls von Bildern und Bildmotiven, von denen er fühlte, dass sie ihm gehören würden, und deshalb hat er sie nochmal gemalt. Er hat nur nicht den Sammlern mitgeteilt, dass es davon eine Erst- und eine Zweifassung gegeben hat. Und insofern ist diese Ziskind-Geschichte auch ein bisschen in dieser Tradition zu sehen: man holt sich sozusagen etwas als Erinnerung, als Motiv zurück, indem man es mitnimmt, und gleichzeitig dafür etwas substituiert, was fast genauso aussieht. Musikakzent Zitator: S. 299 Ben war einen Schritt zurück getreten. Er blickte mit großen Augen zwischen beiden Bildern hin und her, und Sara ertappte sich bei dem Wunsch, er möge erkennen, dass auf ihm etwas fehlte nichts Sichtbares, etwas Spürbares. Als er den Mund aufmachte, schickte Saras Herz ein pochendes Stoßgebet aus. Vergebens. Das ist perfekt, flüsterte Ben, Danke. 3
5 GEMA: Interpret/Komponist: Shantel CD: Planet Paprika Titel: Ex Oriente Lux MUSIC LIB: hr Länge: 1 Interpret/Komponist: Shantel CD: Planet Paprika Titel: Good Morning Amanes MUSIC LIB: hr Länge:
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