Hessische Autorinnen im Portrait

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Ferdinand Lorentz
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1 Hessischer Rundfunk hr2-kultur Redaktion: Inge Kämmerer Hessische Autorinnen im Portrait 03 Silke Scheuermann Von Sylvia Schwab , 7.45 Uhr, hr2-kultur Zitatorin: Autorin Yana Robin la Baume Copyright Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der Empfänger darf es nur zu privaten Zwecken benutzen. Jede andere Verwendung (z.b. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verteilung oder Zurverfügungstellung in elektronischen Medien, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors/der Autoren zulässig. Die Verwendung zu Rundfunkzwecken bedarf der Genehmigung des Hessischen Rundfunks.

2 O-Ton 0 40: Ganz wichtig ist, dass ich nicht einen Schreibtisch hab, sondern mindestens zwei, und dann noch so Beistelltische, weil ich dann immer was offen liegen hab, wenn ich an Gedichten arbeite oder auch so n Brief dann mal beantworten muss. Das liegt dann alles so da, und dann roll ich mich mit meinem Drehstuhl von Platz zu Platz. Was gar nicht so einfach ist! Denn in Silke Scheuermanns Arbeitszimmer sind Schreibtische, Regale und der Fußboden bedeckt mit Stapeln von Büchern, Zetteln und Zeitschriften. Dieses geordnete Chaos ist notwendige Grundlage für ihre Kreativität. Aus dem Fenster schaut Silke Scheuermann hinaus auf die Straße und den Rewe-Markt gegenüber, ihre große Altbau-Erdgeschoss-Wohnung liegt mitten in Offenbach. Hier wohnt sie mit ihrem Mann, der ebenfalls Schriftsteller ist, und ihrem chinesischen Glückshund Tao. O-Ton 01: Ich geh eigentlich erst mit dem Hund raus, halbe Stunde, dreiviertel Stunde, am Main laufen, das ist hier um die Ecke und dann setze ich mich dahin und hoffe, da passiert was. Ich bin Frühaufsteher, und morgens ist die beste Zeit. Es ist schon viel passiert, morgens, an Silke Scheuermanns Schreibtisch! Neun Bücher hat die 1973 geborene Autorin in den vergangenen vierzehn Jahren veröffentlicht. Vier Gedichtbände, einen Band mit Erzählungen, drei Romane und ein Kinderbuch. Ihre Bücher tragen poetische Titel: Die Stunde zwischen Hund und Wolf zum Beispiel oder Der Tag, an dem die Möwen zweistimmig sangen. Die Titel sind ihr sehr wichtig, sie stehen früh fest und begleiten sie während des Schreibens wie ein gutes Mantra. Wenn ein Buch endlich abgeschlossen ist, sind Silke Scheuermanns Gefühle sehr gemischt. O-Ton 02: Also erst einmal ist es Glück. Natürlich arbeitet man noch um und solche Sachen, aber das Glück geht mindestens den ganzen Tag. Und dann fang ich an am nächsten Tag nervös zu werden, weil ich denke: jetzt muss ich s ein paar Wochen liegen lassen und dann noch mal lesen. Und: Ist es wirklich etwas geworden oder halt nicht? Oder: Aber einen Tag Glück sollte man schon mal haben. (lacht) - Musikakzent Schon während Silke Scheuermann an dem einen Buch arbeitet, kommen Ideen für das nächste. Aus dem, was sie gerade schreibt, aus dem, was sie beobachtet oder liest. Oder sie bringt von ihren Reisen Ideen mit: Aus Shanghai zum Beispiel, wohin sie eine Lesereise machte und wo die Idee 1

3 für den Roman Shanghai Performance entstand. Ihr bisher dickster und gewichtigster Roman. Zitatorin: Shanghai Perfomance, S. 7 Es geht Margot in ihrer Kunst ausschließlich um eines, und das ist Schönheit. Sie ist davon besessen. Ich meine nicht nur die Schönheit des weiblichen Körpers, dessen Verletzlichkeit, dessen unvermeidlichen Verfall sie in ihren Installationen immer aufs Neue inszeniert oder vielmehr beklagt. Ich meine, dass ihr gesamtes Leben seit jeher darin bestand, nach Schönheit zu suchen. Sie nennt sich eine Angestellte des Lichts. Shanghai Performance, Silke Scheuermanns zweiter Roman, ist Künstlerroman, Liebesroman, Emanzipationsgeschichte und Reisebericht in einem. Im Mittelpunkt stehen zwei Frauen: Die berühmte Performance- Künstlerin Margot Wincraft und ihre Assistentin Luisa, die Erzählerin des Romans. O-Ton 03: Es gibt so, dass ich mir denke, das wär auch eine Möglichkeit zu leben. Shanghai Performance - in Shanghai als bildende Künstlerin. Und wie ist das, wie würde sich das so anfühlen. Also. Natürlich versetze ich mich da irgendwie rein in die Person! Da hab ich fast wie eine Journalistin gearbeitet, für Shanghai Performance. Da hab ich ne Ausstellungseröffnung angeguckt, in Shanghai mir. Hab ich ne Weile dort gelebt drei Monate. Und mit der Übersetzerin oft in Ateliers gegangen, hab mit Künstlern gesprochen. Und da hab ich so ein bisschen das Leben auch mitgeführt, auch sehr chic war das dann zum Teil, das die führen... Silke Scheuermann kommt ihren Roman-Figuren schreibend sehr nah. Was gar nicht so schwierig ist, denn ihre Protagonistinnen gehören alle der Kunst-Szene an: Die Karrieristin Margot im Shanghai-Roman, die kapriziöse Malerin Ines in Die Stunde zwischen Hund und Wolf oder die Kunsthistorikerin Luisa. Man könnte es aber auch so ausdrücken: Silke Scheuermann spielt mit Hilfe ihrer Frauen-Figuren ihre eigenen Ängste und Möglichkeiten durch. Auf die Frage, was das Schreiben für sie bedeute, sagt sie: O-Ton 04: Eine ganz theatralische Antwort wäre jetzt: dass es für mich irgendwie sinnstiftend ist. Also, für mich macht das Sinn. Also, ich hab gewisse Fragestellungen an das Leben und finde gewisse Probleme und Dinge interessant, für die ich jetzt nicht direkt ne Lösung suche, aber die ich mal so umkreisen möchte Im ersten Roman Die Stunde zwischen Hund und Wolf war das die Psychologie, wenn jemand sich selbst so entgleitet. Also, das ist ne Alkoholikerin, die wird sich ganz selbst fremd, die tickt dann aus, die kann nicht mehr arbeiten, die wird wieder in Anführungszeichen zum Tier. Und da geht s um das Tierische im Menschen. 2

4 - Musikakzent - Schon als Kind schrieb Silke Scheuermann Tagebuch, verbrannte aber alles mit 16 in einem Anfall von Erwachsenwerden-Wollen. Später schrieb sie sich mit einer Schulfreundin ganze Briefromane und es entstanden erste Gedichte und Erzählungen. O-Ton 05: Aber eben nie unter dem Dran-Denken oder irgendwie auch nur ahnen, dass man jemals da irgendwas machen könnte. Oder Kunst machen könnte. Ich komm aus nem Beamtenhaushalt, also mein Vater ist Ingenieur bei der Deutschen Bahn gewesen, und meine Mutter Bankkauffrau, und es war so sehr sachlich da alles, und das war irgendwie immer so meine Flucht dann an und für sich, ja. Tagebuch wegschließen, und geheim, geheim. Während des Studiums reichte Silke Scheuermann auf Anraten eines Freundes ein paar Gedichte bei einer Zeitschrift ein. Prompt erhielt sie mit 28 Jahren den Leonce-und-Lena-Preis der Stadt Darmstadt. Das brachte sie in gewisse Schwierigkeiten, denn sie hatte noch gar nicht genügend Gedichte, um einen ganzen Band zu füllen. Also hängte sie ihre Doktorarbeit an den Nagel und ließ sich ganz auf die freie Schriftstellerei ein. O-Ton 06: Mein Vorbild war lange Ingeborg Bachmann. Und wie sie habe ich dann so als junge Frau dann immer Gedichte und Erzählungen zauch usammen geschrieben. Und mit dem Roman hat es einfach länger gedauert, weil ich furchtbar lang gebraucht hab, bis der erste, sehr kurze Roman eigentlich, Die Stunde zwischen Hund und Wolf, fertig war. Also, ich hab da mit Sicherheit 700 Seiten Manuskriptpapier mindestens vollgeschrieben, aus allen möglichen Perspektiven. Und Man muss einfach sich aneignen, wie das geht, also, ich muss Handwerk immer lernen, indem ich es selber mache. Das ist bei Gedichten nicht anders: Skizze vom Gras so der Titel von Silke Scheuermanns jüngstem Lyrikband Skizze vom Gras klingt zart und naturverbunden. O-Ton 07: Silke Scheuermann liest Gedicht: Wir hatten uns das Meer geholt, tauchten ein in die Wahrheit, verschwanden, erinnerten uns; fingen neu an; für Minuten, für Tage. Wir waren jene, die einander erschufen, ohne gottgleich zu sein. Feuer und Wasser, Wasser und Land. 3

5 - Musikakzent - Silke Scheuermanns zarte und zugleich kraftvolle Gedichte auf einen Nenner zu bringen, ist nicht einfach. Sie malen die Natur und die Liebe, das Glück und die Verunsicherung in überraschenden Bildern. Sie bringen die Sprache zum Klingen. Denn das innerste Wesen eines Gedichts ist für sie: atmosphärische Dichte und Schönheit. O-Ton 08: Es muss schön sein. Es kann auf ne bizarre Art... Es kann sogar was Hässliches schön sein drin. Wie in so negativen Welten.. Aber es muss sich dem Leser er muss es gerne hören. Er muss es zeilenweise im Kopf behalten können. Beim Gedicht kann unschlagbar viel passieren auf kürzestem Raum. 4

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