Fachkräftemangel und Geburten: Empirische Befunde vs. Klischee
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- Stephanie Hofer
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1 NEWSLETTER DRUCKVERSION Fachkräftemangel und Geburten: Empirische Befunde vs. Klischee Zitat der Wochen / 2010 Von der Lebensstilfrage zur Existenzfrage Hinzu kommt, dass die Forderung der fünfziger und sechziger Jahre die häusliche Sphäre verlassen und den Lohnarbeitsmarkt betreten zu können nur die Ideologie der wohlhabenden, gebildeten, verheirateten Frauen der Mittelschicht widerspiegelte, deren Motivationen, anders als bei Frauen aus anderen Schichten, nur selten ökonomischer Art waren. [ ] Wenn es für verheiratete Frauen aus diesen Kreisen überhaupt einen Grund gab, außer Haus zu arbeiten, dann war es der Wunsch nach Freiheit und Autonomie [ ]. Das Einkommen spielte dabei keine entscheidende Rolle, sondern wurde vielmehr als eine Art Zubrot betrachtet, das eine Frau ausgeben oder sparen konnte, ohne ihren Mann erst fragen zum müssen. Natürlich beruhte die Kalkulation des Familienbudgets eines Mittelschichtshaushalts im Lauf dieser Entwicklung bald schon auf dem Doppeleinkommen der Doppelverdiener. Und je normaler es wurde, Kindern der Mittelschicht eine Hochschulausbildung zu ermöglichen, und je mehr Eltern sich darauf einstellen mussten, ihre Kinder oft bis in die späten zwanziger Jahre oder sogar noch länger zu unterstützen, um so deutlicher verlor die Lohnarbeit einer verheirateten Frau aus der Mittelschicht ihre Bedeutung als reine Unabhängigkeitserklärung und umso mehr wurde sie, was sie für die Armen schon immer gewesen war: das notwendige Mittel zum Zweck. [ ] Eric Hobsbawm: Das Zeitalter der Extreme Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, München 1995, S
2 Nachricht der Wochen / 2010 Fachkräftemangel und Geburten: Empirische Befunde vs. Klischee Kapital allein genügt nicht: Ohne Manpower kommt die Wirtschaft nicht aus. Der Schwund junger Arbeitskräfte gefährdet das wirtschaftliche Wachstum, wie mittlerweile immer mehr Unternehmen spüren (1). Um langfristig den Wohlstand zu sichern, strebt die Bundesregierung mit ihrer nachhaltigen Familienpolitik deshalb eine höhere Frauenerwerbsbeteiligung und eine höhere Geburtenrate an. Eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen soll kurzfristig das Erwerbspersonenpotential erhöhen, eine höhere Geburtenrate langfristig den Nachschub an Arbeitskräften sichern. Beide Ziele gelten dabei als sich wechselseitig ergänzend und gut miteinander vereinbar (2). Als statistischer Beleg für die Vereinbarkeit dieser Ziele wird immer wieder auf die positive Korrelation zwischen der Frauenerwerbsquote und der Geburtenrate im Vergleich der OECD-Staaten verwiesen. In Ländern mit höheren Frauenerwerbsquoten seien tendenziell auch die Geburtenraten höher. Advokaten der nachhaltigen Familienpolitik in Politik und Medien ziehen daraus den Schluss, eine höhere Frauenerwerbsbeteiligung fördere die Geburtenrate in Deutschland (3). Übersehen wird in dieser Argumentation nolens volens die Rolle der Teilzeitarbeit. Aber zwischen dem Anteil der in Teilzeit beschäftigten Arbeitnehmerinnen und der Geburtenrate besteht im Vergleich der OECD-Staaten ein signifikant positiver Zusammenhang. Zwar gibt es Länder wie die Schweiz oder auch Deutschland mit relativ hohen Teilzeitquoten und niedrigen Geburtenraten. Die umgekehrte Kombination ist jedoch kaum zu finden: In den osteuropäischen Ländern, in Korea, Portugal und Griechenland mit ihren geringen Teilzeitquoten ist auch das Geburtenniveau niedrig. Demgegenüber sind in den Ländern mit relativ hohen Geburtenraten (mehr als zwei Kinder pro Frau) Frauen wesentlich häufiger in Teilzeit beschäftigt. Eine Ausnahme bilden hier die Vereinigten Staaten mit einer relativ niedrigen Teilzeitquote: In den USA ist allerdings auch die Frauenerwerbsquote niedriger als in den meisten anderen OECD-Ländern. In Island ist dagegen sowohl die Frauenerwerbsquote als auch die Geburtenrate im OECD-Vergleich ungewöhnlich hoch, gleichzeitig ist aber auch die Teilzeitarbeit von Frauen häufig. Slowenien weist gleichzeitig eine sehr hohe Frauenerwerbs- und eine niedrige Teilzeitquote auf: Frauen sind also hochgradig in den Arbeitsmarkt integriert. Damit verbunden ist aber auch die Geburtenrate gering (4). Die Verheißungen der nachhaltigen Familienpolitik halten einer empirischen Prüfung also nicht stand. Mit anderen Worten: Die Ziele einer umfassenden Erwerbsbeteiligung von Frauen und eines höheren Geburtenniveau lassen sich nicht harmonisch vereinbaren, sondern stehen im Konflikt. Was folgt daraus? Schon heute liegt die Erwerbsquote von Frauen in Deutschland über dem Durchschnitt der OECD-Staaten. Dabei unterscheiden sich die
3 Erwerbsmuster kinderloser Frauen kaum von denen der Männer Vollzeiterwerbstätigkeit ist die Regel. Auch Mütter sind heute mehrheitlich erwerbstätig; mehr als zwei Drittel von ihnen arbeiten jedoch auf Teilzeitbasis (5). Ihre Arbeitszeitarrangements unterscheiden sich damit grundlegend vom männlichen Normalarbeitsverhältnis. Ökonomen, Arbeitsmarkt- und Gleichstellungspolitiker(innen) wollen dieses Gender Gap überwinden: Mütter sollen ihr Arbeitsangebot ausweiten und vermehrt in Vollzeit erwerbstätig sein. Sie fordern deshalb, Ehepaare höher zu besteuern, um Anreize zur Vollzeiterwerbstätigkeit beider Partner zu setzen (6). Das Erwerbspotential mag sich auf diese Weise kurzfristig erhöhen lassen. Äußerst fraglich ist allerdings, ob dies auch zu höheren Geburtenraten führt. Denn für viele Mütter in Deutschland wie in anderen europäischen Ländern ist Teilzeitarbeit keine Notlösung, sondern entspricht ihren Wünschen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie (7). Wer die Entscheidung für mehr Kinder unterstützen will, sollte diese Präferenzen (potentieller) Eltern berücksichtigen. Letztlich muss sich die Politik entscheiden: Will sie kurzatmig um jeden Preis Mütter als Reserven für den Arbeitsmarkt vollzeitig mobilisieren oder ist sie bereit, im Interesse einer nachhaltigen Bevölkerungsentwicklung und damit einer nachhaltigen Sicherung der Sozialversicherungssysteme auf die Anliegen von Familien Rücksicht zu nehmen. (1) Schon bis zum Jahr 2020 wird die Zahl der jährigen um 1,2-1,3 Mio. und bis 2060 sogar um insgesamt ca. 3,5 Mio. zurückgehen. Vgl.: Statistisches Bundesamt: Bevölkerung Deutschlands bis zum Jahr Koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung, Wiesbaden 2009, S. 17. Besonders früh bekommt aufgrund des Geburteneinbruchs und der Abwanderung nach 1990 die ostdeutsche Wirtschaft den Mangel an Nachwuchskräften zu spüren. Informativ hierzu: Sven Astheimer: Im Zentrum des Notstand, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom , S. 10. (2) Vgl.: Sandra Gruecu/Bert Rürup: Nachhaltige Familienpolitik, S. 3-5, in: Aus Politik und Zeitgeschichte /2005, S. 3. (3) So behauptete etwa die spätere Bundesfamilienministerin Renate Schmidt in ihrer zentralen familienpolitischen Streitschrift, dass eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen mit steigenden Geburtenraten einhergehe. Vgl.: Renate Schmidt: S.O.S. Familie. Ohne Kinder sehen wir alt aus, Berlin 2002, S (4) Siehe hierzu: Abbildungen unten: Teilzeitarbeit von Frauen und Geburtenraten sowie Frauenerwerbstätigkeit in OECD-Staaten. (5) Vgl.: Statistisches Bundesamt: Alles beim Alten: Mütter stellen Erwerbstätigkeit hinten an, STATmagazin vom Nähere Informationen zu den Arbeitszeitmustern von Vätern und Müttern: Christina Klenner/Svenja Pfahl: Jenseits von Zeitnot und Karriereverzicht Wege aus dem Arbeitszeitdilemma, S , in: Martina Heitkötter et al (Hrsg.): Zeit für Beziehungen? Zeit und Zeitpolitik für Familien, Opladen 2009, S (6) Beispielhaft für diese Argumentation: Christina Anger/Jörg Schmidt: Gender Wage Gap und Familienpolitik, IW-Trends Vierteljahresschrift zur empirischen Wirtschaftsforschung aus dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln, 35. Jahrgang, Heft 2/2008. (7) Aufschlussreich hierzu in einer Deutschland, Holland und Dänemark vergleichenden Perspektive: J. Marold: Mütter im Spannungsgeld zwischen Kind und Beruf, S , in: Zeitschrift für Familienforschung, 21. Jahrgang, Heft 1/2009. Bezogen auf Ost- und Westdeutschland siehe hierzu
4 Abbildung Vielfältige Ideale des Frauen- und Familienlebens,
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