radiowissen SENDUNG: Uhr AUFNAHME: Zwischen Höhenflug und Absturz

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1 Manuskript radiowissen SENDUNG: Uhr AUFNAHME: STUDIO: Literatur Ab. 9. Schuljahr TITEL: Geniekult Zwischen Höhenflug und Absturz AUTOR: REDAKTION: REGIE: TECHNIK: Martin Trauner Petra Herrmann Martin Trauner Cordula Wanschura SPRECHER: Erzählerin: Christiane Blumhoff Zitator: Sven Hussock MUSIK ZUSPIELUNGEN: Professor Dr. Matthias Luserke-Jaqui (TU Darmstadt) Besondere Anmerkungen:

2 2 MUSIK 2Cellos - thunderstruck (Intro) Z Man kann, was man will? Man will, was man kann? Man kann, was man will! Ein Kraftgenie... Man will, was man kann!! Gottes Spürhund... Man kann, was man will; man will, was man kann!!! Ein Genieapostel... Atmo: Hall Man kann, was man will; man will, was man kann... Man kann, was man will? Wie bitte? Wer sagt denn so etwas Präpotentes? - So was sagt man nicht... Doch. Er: Christoph Kaufmann. Den "Spürhund Gottes" nannte man ihn einst, einen Kraftkerl oder besser: ein Kraftgenie:

3 3 (Kaufmann) Schrein alle - schreiben alle - aber nur nicht gefordert - dass ich jedem nach seiner Pfeife tanze - sonst will ich und werde ich alle diese Pfeifen zerschmettern - habe keinen Gott in mir - verlange sonst von niemand keinen Willen... Christoph Kaufmann. Ein Genie. Was sonst? Er ist eine der prägenden Gestalten des Sturm und Drang. Den Namen Christoph Kaufmann nie gehört? Macht nichts. Der Sturm-und-Drang-Kollege Maler Müller war es, der ihm den treffenden Titel "Gottes Spürhund" verliehen hatte. Eigentlich ist Kaufmann nebenberuflich gelernter Apothekergehilfe, aber hauptberuflich verdingt er sich als: Genieapostel. Und dadurch wird er zu einer der schillerndsten Figuren des "Sturm und Drang". MUSIK 2Cellos - thunderstruck Z Man kann, was man will; man will, was man kann... MUSIK aus Jajajaja. Obwohl - geschrieben hat er eigentlich nicht viel ZUSPIELUNG: Es gibt ein paar Sprüche von Kaufmann, die überliefert sind. Ob die authentisch von ihm sind, weiß man nicht. Aber ansonsten ist er literarisch nicht tätig gewesen. Sagt Matthias Luserke-Jaqui. Professor für Neuere Deutsche Literatur an der Technischen Universität Darmstadt. Er hat 2017 das Handbuch des Sturm und Drang herausgegeben. Sturm und Drang? - Eine kurze und heftige Epoche oder:

4 4 Phase der deutschen Literatur in der Aufklärung. Mit vielen Dramen. So wird es heute jedenfalls in der Schule gelehrt. Den deutschen Bühnen ist er freilich irgendwie fast abhanden gekommen, der Sturm und Drang. Aber mit den meisten der damals höchst engagierten Autoren können auch die Schüler heutzutage wohl nicht mehr viel anfangen. Die Autoren sind in Vergessenheit geraten. So wie etwa Friedrich Maximilian Klinger, Heinrich Leopold Wagner, Jakob Reinhold Michael Lenz. Andere, die kennt man vielleicht noch, wenigstens von ihrem Namen her, wie Johann Gottfried Herder, diesen Friedrich Schiller, obwohl: der gehört ja eigentlich schon nicht mehr richtig dazu, der war wirklich viel zu jung, und dann noch den... MUSIK 2Cellos - thunderstruck Z der, wie heißt er jetzt, ja leck mich am... Punkt, Punkt, Punkt..., na ja der mit seinem Götz von Berlichingen halt. Leck mich halt am... MUSIK aus 2. ZUSPIELUNG: Also im Original, in der Erstausgabe heißt es "im"... Im? Ja was: dann halt "im" Punkt, Punkt, Punkt ZUSPIELUNG: Man darf's ja heutzutage sagen: Dieses "Leck mich im Arsch". Ist ja bei Goethe auch nur ein Zitat. Das finden wir in Luthers Tischreden, also: das ist in der deutschen Sprache verbreitet und keine Erfindung von Goethe. Aber Goethe hat es in die Literatur gebracht, hat damit einen Tabubruch vollzogen. So was macht man nicht.

5 5 So was macht man nicht. Genau. MUSIK 2Cellos - Time Z (Lavater) Probe eines jungen Künstlers, roh gearbeitet, und unbestimmt, nach Weise aller jungen - Genies? Der Schweizer Johann Caspar Lavater zeichnet und beschreibt in seinen "Physiognomischen Fragmenten" einen "Jüngling, der Mann ist". Lavater nennt ihn: K...nn (lies: K Punkt, Punkt, Punkt N N) (Lavater) Es gibt vielleicht keinen Mensch, den der Anblick dieses lebenden Menschen nicht wechselweise anziehe und zurückstoße - die kindliche Einfalt und die Last von Heldengröße! So gekannt, und so misskannt werden wenige Sterbliche sein können. Der Sterbliche mit dem Namen K, Punkt, Punkt, Punkt, N N.? Wer das wohl sein mag? K-leckmichimarsch-nn? - Nein. Natürlich nicht. Für zeitgenössische Leser vollkommen klar: Es ist Christoph Kaufmann. Ja, unser Genieapostel. Lavater bewundert den jungen Mann, dem so viel Tatkraft und Überzeugungskraft innewohnt. Lavater stellt ihn Herder und Goethe vor, schwärmt von diesem Kraftmenschen. Der freilich, wie andere Zeitgenossen beobachten können, zu einer gewissen Exzentrik neigt: (Werner Milch) Als urkräftiger Natursohn und feuriger Tatmann trat unser Held überall auf. Es wird berichtet, dass der Kraftapostel, aus dessen Blick stürmisches Feuer und

6 6 unternehmende, alles bewältigende Kraft sprachen, mit mähnenartig flatterndem Haar und langem Bart, die Brust bis an den Nabel nackt, in grüner Friesenjacke und gleichen Hosen oder einem roten Rocke, einen Freiheitshut auf dem Kopfe, einen tüchtigen Knotenstock in der Hand auftrat... MUSIK: 2Cellos - Time Z Kaufmanns Mission: Geniesuche. - Er will all die anderen Genies seiner Zeit treffen. Doch wie erkennt man die? Sein Mentor Lavater hat guten Rat: (Lavater) Der Blick des Genies in seiner höchsten Treffsicherheit, wenn ich so sagen darf, ist beinahe wunderwirkend - unwiderstehlich, allerkannt, göttlich - Ihm beugen sich die Knie, ihm schlagen sich die Augen nieder - ihm gehorchen - wie einer Gottheit - alle, die er trifft. Christoph Kaufmann hat Erfolg: er trifft nicht nur Goethe und Herder, sondern auch Maler Müller und Wieland, er reist sogar bis nach Königsberg zu Immanuel Kant. Und auf seiner "apostolischen Reise" gelangt er auch zu Friedrich Maximilian Klinger, der gerade an seinem Drama "Wirrwarr" feilt. "Wirrwarr"? Christoph Kaufmann zumindest meinte, das ist doch kein ordentlicher Titel für ein modernes Theaterstück ZUSPIELUNG: Der Klinger hat ursprünglich "Wirrwarr" geschrieben. Und warum das dann in "Sturm und Drang" umbenannt werden sollte, das ist heute eigentlich nicht mehr im Detail zu klären. Es ist nur durch einen Brief von Klinger belegt und mehr nicht...

7 7 MUSI: 2Cellos - thunderstruck (Intro) Z (Klinger) Ich schrieb damals im Drange nach Tätigkeit, ein neues Schauspiel, dem der von Lavater zur Bekehrung der Welt abgesandte Gesalbte oder Apostel, mit Gewalt den Titel: "Sturm und Drang" aufdrang. MUSI: 2Cellos - thunderstruck Z "Sturm" und "Drang". Der Name für ein Stück war gefunden, der Name steht heute für eine Epoche. 5. ZUSPIELUNG: Es gibt natürlich - sagen wir einmal - eine geschichtshistorische Bedeutung, die darin besteht, dass das Wort "Sturm" und das Wort "Drang" sozusagen zusammenfasst: - das Lebensgefühl der damaligen jungen Autorengeneration MUSIK 2Cellos - thunderstruck Z Natur! - Leidenschaft! - Genie! Als Goethe seinen Götz von Berlichingen schreibt, ist er 22, Als Klinger sein "Wirrwarr" schreibt, ist er 24, als Herder "Von deutscher Art und Kunst" schreibt, ist er vergleichsweise schon uralt, nämlich 29. Nach dem Motto: "Trau keinem über 30" sind die Heroen des Sturm und Drangs vor allem eins: jung.

8 8 6. ZUSPIELUNG: Nur. Es gab nur junge Autoren. Der "Sturm und Drang", so würde man es heute wohl sagen, war eine Jugendbewegung, war Avantgarde. Obwohl: man nennt den "Sturm und Drang" erst seit Anfang des 19. Jahrhunderts so. Und da war er schon lange vorbei. Trotzdem, meint Matthias Luserke-Jaqui, ist die Epochenbezeichnung eigentlich treffend gewählt ZUSPIELUNG: Also: Dieses stürmende, wenn man das wortstatistisch verfolgt, "Sturm" kommt ganz oft in den Texten vor, dieses Aufbrausen, Innerliche, so die Leidenschaftskodierung aufbrechen, sozusagen eine affektive Echtheit, Authentizität erfahren...und auf der anderen Seite: "Drang" ist ein zutiefst pietistisches Wort von seiner Herkunft her, also: dieses Drängen in sich in irgendeiner Form zu kanalisieren, zu gestalten... MUSIK 2Cellos - thunderstruck (Intro) Z (Louis-Sébastien Mercier) Du, der du in dir einen Funken von Genie fühlst, was brauchst du dich mit Poetiken zu umschanzen? Folg' deinem Feuer! Du kommst weiter damit als mit Regeln. Was können dich Aristoteles und Horaz lehren? Gemeinplätze, abgedroschene Wahrheiten. Das Geheimnis der Komposition gewiss nicht. Es steckt in dir, es ist in dir, wenn du es zu entwickeln weißt. Ausgerechnet ein Franzose, Louis-Sébastien Mercier heißt er, schreibt den Stürmern und Drängern ins Stammbuch, worum es geht. Um ihr Genie! Warum

9 9 "ausgerechnet" ein Franzose? Gegen das französische Theater, das allzu verzopfte, mit Schauspielern, die in unverständlichen Versen auf der Bühne deklamieren, gegen dieses ihrer Meinung all zu verkünstelte Theater wehren sich die jungen Dichter vehement. Dabei hält sich dieses Theater streng an die seit den alten Griechen überlieferten Regeln: Gehobene Sprache, edle Stoffe. Die Aristotelischen Einheiten von Zeit, Ort und Handlung. Doch das alles lehnen die jungen deutschen Autoren ab. 8. ZUSPIELUNG: Die poetologischen Regeln, gegen die wird verstoßen, ästhetische Regeln, gegen die wird verstoßen, diskursive Regeln, worüber darf man schreiben, worüber nicht, was sind die Themen, was ist moralisch anstößig, was nicht. Dagegen wird protestiert, ganz konkret... Der Regelverstoß freilich ist kein Selbstzweck. Aber nun fängt man an, zu hinterfragen: Hemmen die althergebrachten, offenbar inhaltsleer gewordenen Vorschriften die künstlerische Ausdruckskraft? - Natürlich ist die Antwort der jungen Wilden darauf: - ein klares: Ja! - Doch was gibt den jungen Autoren überhaupt das Recht, gegen Aristoteles und Horaz zu rebellieren? Ihre Jugend? Nein! - Ihre Berechtigung heißt: Genialität. Ein Genie darf Regeln und Schranken in Frage stellen. Und sogar noch mehr: 9. ZUSPIELUNG: Eine ganz frühe Rezension von Goethe, von MUSIK Time Z (Goethe) Was ist schön? Wir glauben, das Schöne ist so wenig zu erklären, als das Süße, als das Bittere, das Helle und dergleichen...

10 ZUSPIELUNG: Da schreibt er: Schön ist, was mir gefällt. Punkt. Schön ist, was mir gefällt!! (Goethe) Die einzige, beste Erklärung des Schönen, die wir kennen. 11. ZUSPIELUNG: Und da war der Goethe 22 oder 23 Jahre alt. Und das ist der Anspruch. Und das ist sozusagen der Inbegriff dieser Genieästhetik. MUSIK Parachute C ATMO Gasthaus zum Geist Straßburg im Jahr Goethe, Anfang 20, ist in die elsässische Stadt gekommen, um sein Studium zu beenden. Ich war nämlich in den Gasthof»Zum Geist«gegangen. Gleich unten an der Treppe fand ich einen Mann, der eben auch hinaufzusteigen im Begriff war, und den ich für einen Geistlichen halten konnte. Der, den Goethe für einen Pfarrer hält, das ist der fünf Jahre ältere Johann Gottfried Herder. Das bedeutendste Ereignis, was die wichtigsten Folgen für mich haben sollte - Musik und Atmo weg

11 11 Goethe und Herder freunden sich an. Fast täglich treffen sie sich: Dabei diskutieren sie über Philosophie und Literatur. Über Goethes Pläne, einen "Götz von Berlichingen" zu schreiben. Über seine Beschäftigung mit dem Fauststoff. Über Ästhetik. Über Sprache. Über: Was kann der Mensch ohne Gott? - Ohne es zu ahnen, sind sie die Wegbereiter des Sturm und Drang geworden ZUSPIELUNG: Das kann man so sagen. Das ist sozusagen die Geburtsstunde des Sturm und Drang. MUSIK 2Cellos - thunderstruck Z Eine der wildesten Epochen der deutschen Literatur war aus der Taufe gehoben. - "Sturm und Drang" - Natur - Leidenschaft - Genie!! War Herder ein Genie? War Goethe ein Genie? Zumindest bei Johann Wolfgang von Goethe wissen wir es mit Brief und Siegel. Der Schweizer Johann Caspar Lavater porträtiert ihn in seinen physiognomischen Fragmenten:

12 12 Die nachstehende Silhouette ist nicht vollkommen, aber dennoch bis auf den verschnittenen Mund, der getreue Umriss von einem der größten und reichsten Genies, die ich in meinem Leben gesehen [habe]. Johann Caspar Lavater, acht Jahre älter als Goethe, schlüpft im Sturm und Drang in eine Art Vaterrolle. 13. ZUSPIELUNG: Aber er war ja kein richtiger Sturm-und-Drang-Autor, sondern er hat nur Sturmund-Drang-Autoren begleitet, kritisch begleitet, gefördert... Neben Christoph Kaufmann, dem Genieapostel, wird der junge Goethe nun zu einem seiner wichtigsten intellektuellen Begleiter. Er darf sogar an den Physiognomischen Fragmenten mitarbeiten. Lavater ist beeindruckt von Goethes "überwältigender Präsenz": MUSIK Time Z Und Genie, ganzes wahres Genie ohne Herz - ist Unding. Denn nicht hoher Verstand allein, nicht Imagination allein, nicht beide zusammen machen Genie - Liebe! Liebe! Liebe! - ist die Seele des Genies. Tatsächlich fallen Genies aber nicht so einfach vom Himmel. Und so hatten die jungen deutschen Stürmer und Dränger natürlich Vorbilder und Vordenker. Die wichtigsten Impulse kommen wohl aus England. Hier gab es schon seit Längerem einen philosophischen Diskurs, wer, wie und was ein Genie zu sein hat. Kein

13 13 Wunder, hatten die Engländer doch das größte literarische Genie der Neuzeit in ihren Reihen: William Shakespeare. 14. ZUSPIELUNG: Shakespeare ist einfach sozusagen die europäische Ikone dafür, dass ein Autor, ein Literat sich seine eigenen Themen schaffen, sich seine eigenen Regeln geben kann. Ein Originalgenie eben. In England entstand schon Jahre vor dem Sturm und Drang eine sogenannte "Genieästhetik", die dann vermutlich auch durch die Shakespearebegeisterung nach Deutschland überschwappte. - Soll das Genie die Natur nur in Perfektion nachahmen oder ist das Genie sogar zu Höherem berufen? 15. ZUSPIELUNG: Genieästhetik: Einfach dieser Anspruch, ich als Autor bin ein Genie. Das ist das Stichwort des "second makers", des zweiten Gottes, und ich muss mich verdammt nochmal an nichts halten... Leidenschaft Natur Genies MUSIK 2Cellos - thunderstruck Z Ihr manchmal doch etwas übertriebener Geniekult brachte den Stürmern und Drängern nicht nur einige Jahre lang den Namen "Geniezeit" ein, bald schon regte sich unter anderen Schriftstellern Kritik und Spott. Matthias Claudius macht sich im "Wandsbecker Bothen" so seine Gedanken

14 14 (Matthias Claudius) Das Genie also ist - ist - weiß nicht - ist 'n Walfisch! So recht, das Genie ist n' Walfisch, der eine Idee drei Tage und drei Nächte in seinem Bauch halten kann und sie dann lebendig ans Land speit... Matthias Claudius macht sich nicht nur über Genialität lustig, zugleich parodiert er die Sprache der Stürmer und Dränger: Abgerissene Sätze, weggefallene Worte und Buchstaben. 16. ZUSPIELUNG: Sie wollen so schreiben, wie sie es in sich empfinden. Sie wollen es nicht noch einmal durch ein Regulativ oder eine Schere im Kopf laufen lassen, dass es einen bestimmten Grad von Angemessenheit bekommt. Beispiel: Lenz schreibt in einem Brief: Ich bin der stinkende Atem des Volkes. Das meint er so wörtlich- Diese Drastik, das ist ein ganz klarer Verstoß gegen aufgeklärte Regularien: Das macht man nicht. Das macht man nicht. Genau. - Auch Lavater und sein Genieapostel, der "Kraftkerl" Christoph Kaufmann werden hart kritisiert: (Johann Georg Zimmermann) Vielleicht hätte die leidige Geniesuche in Deutschland weniger gewütet, wenn sie nicht am meistern unter rohe junge Leute gekommen wäre, die in der Entfernung von allem Weltumgange lebten, in bacchantischer Einsamkeit jene wilden Anfälle von ihrer Selbstheit hatten, und jene jämmerlichen Träume von ihrer Kraft.. Doch die jungen Sturm-und-Drang-Autoren sind in den 1770er Jahren beileibe nicht die einzigen, die künstlerisch auf den Plan treten. Es gibt noch viele andere...

15 ZUSPIELUNG: Wir haben in den 1770er Jahren nicht nur Sturm und Drang, sondern wir haben einen zweiten Schub "empfindsamer Literatur", ganz wichtig, und die sich auch deutlich vom Sturm und Drang abgrenzen lässt. Wir haben ferner die Hardcore- Aufklärungsliteratur. Das sind auch diejenigen, die gelesen werden. Und wir haben natürlich dann auch schon Ende der 1770er Jahre Texte, die ganz stark in die Richtung gehen, was wir heute gewissermaßen als eine Trivialisierung der Literatur nennen. Also Räuberromane, Kriminalgeschichten, die verkauft und gelesen werden. MUSIK Time Z Die meisten Werke des Sturm und Drang werden heute weder verkauft noch gelesen. Und das, was man noch kennt, stammt großteils von Goethe. Wie sein Theaterstück "Götz von Berlichingen", sein Briefroman "die Leiden des jungen Werther", oder seine Ode "Prometheus". Na gut, Goethe war ja ein verbrieftes Genie. Aber auch die andern Genies des Sturm und Drangs hätten es durchaus verdient, gelesen zu werden. Wie etwa Leopold Wagners "Die Kindermörderin" oder die wenigen Theaterstücke von Jakob Michael Reinhold Lenz. Auch wenn es oft nicht so scheinen man, der Sturm und Drang war eigentlich eine sehr kurze, dafür aber um so leidenschaftlichere Phase der deutschen Literatur: 18. ZUSPIELUNG: Und wenn wir sagen, das Ende des Sturm und Drang ist in etwa mit Goethes Gang nach Weimar erreicht, dann sind es im Grunde genommen sechs Jahre maximal, als Kernzeit des Sturm und Drang. Und dann gibt es die sogenannten Nachzieher, wie Schiller mit Kabale und Liebe oder mit den Räubern, mit den Jugenddramen, die so geschrieben sind im Stil des Sturm und Drang, aber bereits schon im Grunde genommen das adaptieren, was die Autorengeneration vor ihm originär geschrieben hat.

16 16 MUSIK Time Z Ein Erbe des Sturm und Drang: Das Genie? Der Geniekult? Vielleicht. Viele der jungen Autoren des Sturm und Drang jedenfalls wurden erwachsen und wendeten sich ab von ihrer Jugendrebellion. Lenz verfiel dem Irrsinn, so meinte es zumindest Goethe. Und Goethe entdeckte wieder die alten Griechen und schrieb klassische Dramen und Lyrik. Doch die Suche nach dem Genie: sie blieb noch einige Jahrzehnte erhalten. Arthur Schopenhauer bereicherte sie philosophisch in "Die Welt als Wille und Vorstellung": Er fügte dem Genie den Wahnsinn hinzu. Und Friedrich Hölderlin lebte das Modell in seinem Turm in Tübingen vor. Die Romantiker Friedrich Schlegel und Novalis jedoch fanden, dass das Genie "der natürliche Zustand des Menschen" sei. Den gelte es zu bewahren oder zurückzugewinnen. MUSIK: 2Cellos - thunderstruck Z Ja und dann bleibt da ja noch Christoph Kaufmann. Der Geniesucher, der nichts geschrieben hat, der Lebenskünstler. Unser Genieapostel, der all die Genies seiner Zeit treffen wollte. Er fiel in Ungnade: Man hatte erkannte, dass er wohl ein Scharlatan, ein Aufschneider, ein Intrigant war. Der auf der Sturm-und-Drang-Welle ritt, weil es schick, weil es Avantgarde war. Goethe widmete ihm noch einige Zeilen: (Goethe) Als Gottes Spürhund hat er frei

17 17 Manch' Schelmenstück getrieben, Die Gottesspur ist nun vorbei, Der Hund ist ihm geblieben.