Im vierten Akt von Mozarts Hochzeit des Figaro singt Don
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- Etta Ackermann
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2 Im vierten Akt von Mozarts Hochzeit des Figaro singt Don Basilio, Musikmeister im Hause des Grafen Almaviva und zugleich dessen kupplerischer Agent für verliebte Abenteuer, seine Arie von der Eselshaut. Man erfährt daraus etwas über seine Lebenseinstellung und deren Wandlungen. Früher, in jungen Jahren, als er das lästige praktische Denken, la mal pratica ragion, noch nicht zu schätzen wußte, da sei er, wie so viele andere, ein Luftikus und Tor gewesen. Dann aber sei ihm eine gute Fee, la damma flemma, erschienen, die»dame Phlegma«, und habe ihm eine Eselshaut zum Geschenk gemacht mit ihr laufe er seither herum, denn sie schütze ihn nicht nur vor Regen und wilden Tieren, sondern auch vor anderen Bedrängnissen. Mit Basilios Worten:»Così conoscere / Mi fè la sorte, / Ch onte, pericoli, / Vergogna, e morte / Col cuoio d asino / Fuggir si può.so lehrte mich das Schicksal, daß man der Scham, den Gefahren, der Schande und dem Tod in einer Eselshaut entgehen kann.«man fragt sich, wie Mozart und sein Librettist Lorenzo Da Ponte in einem Augenblick, da das Publikum auf die große, von Susanna und der Gräfin inszenierte Verwechslungskomödie wartet, einer Nebenperson wie Don Basilio eine solche Arie anvertrauen konnte, keine sehr kurze übrigens. Heute lassen ungeduldige Regisseure die Arie manchmal weg, wahrscheinlich in der Annahme, daß sie den Gang der Handlung störe. Ein großer Verlust, denn Basilio ist keine beliebige Nebenfigur. Der Graf hält sich den Musikmeister, weil sein früherer Helfershelfer in amourösen Geschäften, der aus der Geschichte vom Barbier von Sevilla bekannte Figaro, für solche Aufgaben nicht mehr zur Verfügung steht. Figaro ist die soziale Leiter eine Stufe emporgestiegen, ist mehr als Leibdiener, wenn auch noch nicht Kammerherr gleich zu Anfang erfahren wir, daß er seinen Herrn als Kurier nach London begleiten soll. Hier springt nun Basilio in die Bresche. Er hat gewiß schon früher andere Mädchen für nächtliche Begegnungen mit seinem Herrn angeworben, nun versucht er sein Glück bei Figaros Braut. Im komplizierten Intrigengefüge des Stückes ist Basilio der Hauptagent der Herrschaftspartei. Überdies war der erste Sänger der Partie, der englische Tenor Michael Kelly, mit Mozart befreundet, ihn ohne Arie abzuspeisen, wäre schwer möglich gewesen. 5
3 Mozart schrieb ja nicht für die herrischen Regisseure von heute, sondern für das goldene Jahrzehnt der italienischen Oper im Wien Kaiser Josephs II. Zeitumstände sind niemals außer Acht zu lassen. Richard Wagner, der keineswegs mit allem einverstanden war, was Mozart an Texten für seine Bühnenwerke akzeptierte, hat mit gleichermaßen theatralischem wie historischem Spürsinn das Problem auf klassische Weise definiert, als er in dem späten Aufsatz Das Publikum in Zeit und Raum von 1878 schrieb:»an den Opern Mozarts können wir deutlich ersehen, daß das, was sie über ihre Zeit erhob, sie in den sonderbaren Nachteil versetzt, außer ihrer Zeit fortzuleben, wo ihnen nun aber die lebendigen Bedingungen abgehen, welche zu ihrer Zeit ihre Konzeption und Ausführung bestimmten.«ein unschätzbarer Merkspruch, gültig auch für Wagner selbst. Von der Eselshaut, die la damma flemma dem ängstlichen Basilio in einer Hütte zum Geschenk macht, um ihn vor aller Unbill zu schützen, ist es nur ein Schritt bis zu dem Schwert Notung, das die Dame Sieglinde dem gar nicht furchtsamen Siegmund in einer weiter nördlich gelegenen Hütte als Schutz und Schirm anpreist. Der Unterschied besteht in eben jenen»lebendigen Bedingungen«, von denen Wagner in seiner Schrift spricht. Zwei dieser Bedingungen sind mit Blick auf die Hochzeit des Figaro hervorzuheben. Die eine ist offenkundig gesellschaftlicher Natur. Angesichts des drohenden politischen Ungewitters, das sich drei Jahre später im Sturm auf die Bastille entladen sollte, konnte man 1786 in Wien entweder der Aristokratie ein Tänzchen androhen oder die Eselshaut über den Kopf ziehen. Die Tanzandrohung Figaros, obwohl im Dreivierteltakt, mit der Tempobezeichnung Allegretto, hat etwas vom entschlossenen Marschrhythmus, die Ängstlichkeit Basilios dagegen trägt Mozarts Anweisung: Tempo di Menuetto. Der höfische Tanz wird intoniert. Geht es noch deutlicher? Wohl kaum. Aber nicht alles, was Mozart und Da Ponte in dem halben Jahrzehnt ihrer großartigen Zusammenarbeit zustande brachten, war kämpferisch und revolutionär. Zu den»lebendigen Bedingungen«gehörte auch anderes. Während das Wiener Publikum den feigen Basilio und damit auch den Tenor Michael Kelly belachte, saß der Librettist, der Abbé italienischer Her- 6
4 kunft, in seiner Loge und genoß die Freude, sich mit der Arie von der Eselshaut auf listige Weise an seinem Freund, dem Sänger Kelly, gerächt zu haben. Nur einige Monate zuvor hatte Kelly nämlich ihm, dem Textdichter, einen Streich gespielt, als er in einer anderen Oper die Rolle eines Poeten sang. Geben wir Kelly selber das Wort:»Mein Freund, der Librettist«, heißt es in seinen Memoiren,»hatte eine sehr merkwürdige Gehweise angenommen und eine Gewohnheit, sich in eine, wie er glaubte, graziöse Positur zu werfen, indem er seinen Spazierstock hinter sich hielt und sich dann darauf lehnte. Als ich meinen Auftritt als verliebter Poet hatte, angezogen genau wie der Abbé in der Loge, ahmte ich seinen Gang nach, lehnte mich auf meinen Stock, imitierte seine Gesten und sein Lispeln, und es gab dröhnendes Gelächter. Alle Augen richteten sich auf die Loge, in der er saß. Der Kaiser amüsierte sich, lachte herzlich und applaudierte. Der Abbé war keineswegs beleidigt, sondern nahm meine Imitation mit Humor auf, und wir blieben zeitlebens Freunde.«Doch reichte des Abbé Da Ponte Gedächtnis weit genug, später den Freund Kelly als Basilio in eine Rolle zu stecken, die das Lachen auf seine, des Librettisten Seite brachte. Kelly erwähnt in seinen Erinnerungen, daß er außer Don Basilio in Mozarts Oper auch die Partie des Richters Don Curzio zu singen hatte. Der ist ein Stotterer, und bei den Proben entstand die Frage, ob er im Sextett des dritten Aktes den Gesang der übrigen fünf Solisten durch seine abgehackte Deklamation vielleicht ruinieren würde. Kelly versprach es zu riskieren, und Mozart war nach der Premiere mehr als zufrieden. Das Sextett war übrigens nach Kellys Zeugnis Mozarts Lieblingsstück zu Recht, war es doch nichts weniger als eine Innovation: nie zuvor hatte es ein Ensemble mit fünf Sängern und einem Stotterer gegeben. Wir sind mitten in der ersten Oper, die Mozart und Da Ponte zusammen schufen, mitten in Wagners»lebendigen Bedingungen«. Mitten auch in einem Jahrzehnt, in dem die Oper ihren Mittelpunkt nicht mehr in Neapel, wie zu Pergolesis Zeit, oder in Paris, wie zur Zeit Glucks und Piccinnis, hatte, sondern in Wien. Joseph II., der große Reformer und Repräsentant eines»aufgeklärten Absolutismus«, förderte die Musikbühne nicht nur nach Kräften, er liebte sie auch. Die besten Künstler Ita- 7
5 liens zog er an seinen Hof nach Wien: Lorenzo Da Ponte und Giambattista Casti als Dichter, Antonio Salieri und Giovanni Paisiello als Komponisten. Hinzu kam ein Spanier, Vincente Martín y Soler. Auf Schloß Esterház führte Haydn seine Opern vor geschlossenen Gesellschaften auf, aus Paris wirkten Gluck und Grétry herüber. Diese Wiener Szenerie war offen für viele Einflüsse, doch bei aller künstlerischen Produktivität äußerlich eng umgrenzt. Jeder kannte jeden, und Intrigen waren so zahlreich wie die guten Posten knapp. So muß man sich die Situation vorstellen, die Mozart vorfand, als er sich im Sommer 1783 auf die Suche nach einem italienischen Operntext machte, ein noch junger, bereits in vielen Stilen und Formen erprobter Bühnenkomponist, der aber nicht im Traum daran gedacht haben dürfte, mit seinen Opern in nur wenigen Jahren zu völlig neuen Ufern aufzubrechen. Mozart gilt, trotz großer Vorläufer wie Monteverdi und Händel, trotz bedeutender Nachfahren wie Wagner und Verdi, als der größte Opernmeister der Geschichte. Über zwanzig Bühnenwerke hat er hinterlassen, sieben von ihnen werden heute zum Kanon der Meisterwerke gezählt: die beiden deutschen Singspiele Die Entführung aus dem Serail und Die Zauberflöte, die drei italienischen Opern nach Texten von Da Ponte Le Nozze di Figaro, Don Giovanni und Così fan tutte, schließlich die beiden Opern, die noch in der Tradition der opera seria stehen: Idomeneo und La clemenza di Tito. Aber sogar diese Werke haben bei der Nachwelt eine durchaus schwankende Wertschätzung erfahren. Entstanden und genährt von den»lebendigen Bedingungen«ihrer Zeit, waren sie auch abhängig von diesen. Das gilt noch am wenigsten für Figaro, Don Giovanni und Zauberflöte, die zu allen Zeiten angesehen und beliebt waren, fest verankert im Repertoire der Opernhäuser. Ihnen gegenüber wurden Die Entführung aus dem Serail und Così fan tutte schon bald nach Mozarts Tod deutlich zurückgestuft, eine Einschätzung, die sich bis tief ins zwanzigste Jahrhundert hinein als wirksam erwies, heute aber längst revidiert ist. Noch ungünstiger waren die Geschicke der beiden seria-opern: Idomeneo und La Clemenza di Tito wurden erst im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts wieder zum Leben erweckt, wobei Mozarts letzte Oper nach Auffüh- 8
6 rungszahlen allerdings deutlich hinter den anderen Werken zurückbleibt. Man kann daran ablesen, daß die Musikgeschichte launenhaft ist und ihre Ehrentitel nicht nach Gerechtigkeit, sondern nach der Gunst des Augenblicks, das heißt dem Geschmack der jeweiligen Epoche, verteilt. Auch ein Genie wie Mozart war dieser Betrachtungsweise unterworfen. Die Vorbehalte gegenüber Opern wie Idomeneo und Così fan tutte richteten sich allerdings weniger gegen den Komponisten Mozart als gegen den Operndramatiker, von dem man lange Zeit glaubte, er habe ein lockeres und genial-unbekümmertes Verhältnis zu den von ihm komponierten Operntexten gehabt. Diese Auffassung war besonders im neunzehnten Jahrhundert, so sehr es Mozart sonst vergötterte, weit verbreitet, ja sie stellte die communis opinio dar. Richard Wagner war lediglich das Sprachrohr seiner Epoche, als er, sechzig Jahre nach Mozarts Tod, in seiner Schrift Oper und Drama feststellte:»von Mozart ist mit Bezug auf seine Laufbahn als Opernkomponist nichts charakteristischer, als die unbesorgte Wahllosigkeit, mit der er sich an seine Arbeiten machte: ihm fiel es so wenig ein, über den der Oper zugrunde liegenden ästhetischen Skrupel nachzudenken, daß er vielmehr mit größter Unbefangenheit an die Komposition jedes ihm aufgegebenen Operntextes sich machte, sogar unbekümmert darum, ob dieser Text für ihn als reinen Musiker dankbar sei oder nicht. Nehmen wir alle seine hier und da aufbewahrten ästhetischen Bemerkungen und Aussprüche zusammen, so versteigt sich all seine Reflexion gewiß nicht höher, als seine berühmte Definition von der Nase.«Für Wagner konnte nicht sein, was nicht sein durfte. Er war befangen in seiner eigenen Opernästhetik oder Opernideologie, wenngleich auf ungeheuer produktive Weise. Vielleicht kannte er auch Mozarts Briefe nicht. Sie belegen vielfältig, wie gründlich Wagner sich irrte, wie einseitig und befangen er der ganzen Wahrheit von Mozarts Opern gegenüberstand. Zum Beleg dieser These brauchen wir natürlich Mozarts Briefe nicht, da die Werke für sich selber sprechen. Doch ist es ein Glücksfall, daß gerade bei den frühen Hauptwerken Idomeneo und Entführung aus dem Serail zahlreiche Briefe zur Entstehungsgeschichte erhalten sind. Sie sind meist an Mozarts Vater 9
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