Die notwendige Finanzreform in der Pflegeversicherung
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- Michaela Glöckner
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1 Die notwendige Finanzreform in der Pflegeversicherung Gesundheitspolitisches Kolloquium im Sommersemester 2011: Wie werden wir in Zukunft pflegen? Handlungsoptionen und Reformszenarien im Jahr der Pflege Prof. Dr. Heinz Rothgang Zentrum für Sozialpolitik, Universität Bremen
2 Überblick I. Pflege geht uns alle an: Prävalenzen und Projektionen II. III. IV. Baustellen der Pflegesicherung Aktuelle Finanzsituation Zukünftige Finanzbedarfe V. Optionen für eine Finanzreform VI. Fazit Prof. Dr. Heinz Rothgang 2
3 Überblick I. Pflege geht uns alle an: Prävalenzen und Projektionen 1. Prävalenz und Gesamtlebensprävalenz von Pflege 2. Demenz und Pflege 3. Projektion der Pflegefälle II. III. IV. Baustellen der Pflegesicherung Aktuelle Finanzsituation Zukünftige Finanzbedarfe V. Optionen für eine Finanzreform VI. Fazit Prof. Dr. Heinz Rothgang 3
4 I. Querschnitts- und Gesamtlebenszeitprävalenzen Derzeit: gut 2 Mio. Pflegebedürftige in Deutschland 2,5% der Bevölkerung 10-15% der Altenbevölkerung Ist Pflegebedürftigkeit also ein Thema für Minderheiten? Nein, denn Auch die heute (noch) nicht Pflegebedürftigen können morgen pflegebedürftig werden Zu fragen ist: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit jemals im Leben pflegebedürftig zu werden? Gesamtlebenszeitprävalenz Praktisch identisch: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit im letzten Lebensjahr pflegebedürftig zu sein? Erhebungsmethode: Retrospektive Betrachtung einer Verstorbenenkohorte Prof. Dr. Heinz Rothgang 4
5 I.1 Gesamtlebenszeitprävalenz Pflegeprävalenz im Sterbejahr Männer Frauen ,2 61,9 64, , ,3 41,6 43,5 45, Jahr Prof. Dr. Heinz Rothgang 5
6 I.1 Gesamtlebenszeitprävalenz Pflegeprävalenz im Sterbejahr Männer Frauen ,2 61,9 64, , ,3 41,6 43,5 45, Jahr Prof. Dr. Heinz Rothgang 6
7 I.2 Gesamtlebenszeitprävalenz von Demenz und Pflege heute Tabelle 33: Gesamtlebensprävalenz von Demenz und Pflegebedürftigkeit der Verstorbenen der Jahrgänge hochgerechnet auf Deutschland, in % Pflegebedürftigkeit Männer Frauen Ja Nein Summe Ja Nein Summe Ja Demenz Nein Summe % der verstorbenen Männer und 47% der in diesem Zeitraum verstorbenen Frauen waren dement fast jeder dritte Mann und jede zweite Frau werden dement! 58% der Männer und 76% der Frauen werden dement und/oder pflegebedürftig! Prof. Dr. Heinz Rothgang 7
8 I.3 Pflegebedürftigkeit heute und morgen (1/2) Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2010 Prof. Dr. Heinz Rothgang 8
9 I.3 Pflegebedürftigkeit heute und morgen (2/2) Die Wahrscheinlichkeit, pflegebedürftig zu werden (Inzidenzen), ist für die einzelnen Altersstufen rückläufig Von um insgesamt 8% (Männer) bzw. 25% (Frauen) (nach Routinedaten der GEK) Aber: Die Überlebenszeit in Pflege hat zugenommen. Die altersspezifischen Pflegehäufigkeiten (Prävalenzen) sind von 1999 bis 2007 im wesentlichen konstant geblieben (nach Daten der amtlichen Statistik) Zwar nimmt die Prävalenz in Pflegestufe I zu und die in Stufe II und III ab bezüglich des Schweregrades gibt es positive Entwicklung Bei der für die Finanzentwicklung entscheidenden Gesamtprävalenz gibt es aber keine Entwarnung Prof. Dr. Heinz Rothgang 9
10 Überblick I. Pflege geht uns alle an: Prävalenzen und Projektionen II. III. IV. Baustellen der Pflegesicherung Aktuelle Finanzsituation Zukünftige Finanzbedarfe V. Optionen für eine Finanzreform VI. Fazit Prof. Dr. Heinz Rothgang 10
11 II. Baustellen der Pflegesicherung Wer hat Anspruch auf Pflegeversicherungsleistungen Pflegebedürftigkeitsbegriff Wer soll in Zukunft pflegen? Stützung der häuslichen Pflege Rekrutierung von Pflegekräften Pflegearrangements der Zukunft Wie kann Pflege und gesundheitliche Versorgung vernetzt werden? Versorgungslücken Wer soll das bezahlen? Finanzreform der Pflegeversicherung Prof. Dr. Heinz Rothgang 11
12 Überblick I. Pflege geht uns alle an: Prävalenzen und Projektionen II. III. IV. Baustellen der Pflegesicherung Aktuelle Finanzsituation Zukünftige Finanzbedarfe V. Reformoptionen VI. Fazit Prof. Dr. Heinz Rothgang 12
13 III. Aktuelle Finanzsituation: Ausgaben für Pflege Quelle: Pflegereport 2010 Tabelle 1: Ausgaben für Pflegebedürftigkeit nach Finanzierungsquelle in 2008 Ausgabenquelle in Mrd. als % der öffentl./ priv. Ausgaben Öffentliche Ausgaben 100 als % aller Ausgaben Soziale Pflegeversicherung 19,14 84,0 56,0 Private Pflegeversicherung 0,62 2,7 1,8 Sozialhilfe 2,75 12,1 8,0 Kriegsopferfürsorge 0,28 1,2 0,8 Private Ausgaben* 100 Pflegeheim 1) 9,28 81,3 27,1 häusliche Pflege 2,13 18,7 6,2 Insgesamt 34,2 100 *Schätzungen 1) Die verwendeten Heimentgelte stammen aus dem Jahr Quelle: BMG, soziale Pflegeversicherung; Verband der privaten Krankenversicherung e. V., Zahlenbericht 2007/2008; Statistisches Bundesamt, Sozialhilfestatistik, Kriegsoperfürsorgestatistik Prof. Dr. Heinz Rothgang 13
14 III. Finanzsituation: Bilanz (1/3) 5000 Bilanz der Sozialen Pflegeversicherung 4000 in Millionen Überschüsse Rücklagen Quelle: eigene Berechnung basierend auf Daten des Bundesgesundheitsministeriums. Prof. Dr. Heinz Rothgang 14
15 III. Finanzsituation: Bilanz (1/3) 5000 Bilanz der Sozialen Pflegeversicherung 4000 in Millionen Zusatzbeitrag für Kinderlose Überschüsse Rücklagen Quelle: eigene Berechnung basierend auf Daten des Bundesgesundheitsministeriums. Prof. Dr. Heinz Rothgang 15
16 III. Finanzsituation: Bilanz (1/3) 5000 Bilanz der Sozialen Pflegeversicherung 4000 in Millionen Zusatzbeitrag für Kinderlose Vorziehen der Fälligkeit (13 Monatsbeiträge für 2006) Überschüsse Rücklagen Quelle: eigene Berechnung basierend auf Daten des Bundesgesundheitsministeriums. Prof. Dr. Heinz Rothgang 16
17 III. Finanzsituation: Bilanz (1/3) 5000 Bilanz der Sozialen Pflegeversicherung 4000 in Millionen Zusatzbeitrag für Kinderlose Vorziehen der Fälligkeit (13 Monatsbeiträge für 2006) Beitragsanhebung zum Juli Überschüsse Rücklagen Quelle: eigene Berechnung basierend auf Daten des Bundesgesundheitsministeriums. Prof. Dr. Heinz Rothgang 17
18 III. Finanzsituation: Bilanz (2/3) Tabelle 3: Mehrbelastungen durch Maßnahmen des PfWG in Mrd. und Beitragssatzpunkten Jahr Eckpunkte Mrd. 0,83 0,98 1,52 1,71 2,22 3,37 4,94 12,38 BSP* 0,09 0,09 0,15 0,16 0,2 0,28 0,36 0,68 Gesetzentwurf Mrd. 0,48 1,04 1,53 1,70 2, : Mehreinnahmen durch PfWG: 2,6 Mrd., Mehrausgaben: 1 Mrd. Überschuss: 1,6 Mrd. ; Tatsächlich: 1,0 Mrd. 600 Mio. Euro unter Plan 2010: Leistungserhöhung: 0,5 Mrd. Mehrausgaben 2011: Überschuss dürfte verschwunden sein! 2012: Erneute Leistungserhöhung Defizit! Prof. Dr. Heinz Rothgang 18
19 III. Finanzsituation: Bilanz (3/3) Durch das PfWG wird lediglich Zeit gewonnen Gemäß PfWG: Finanzierung gesichert bis 2014 Aber: inzwischen Finanzkrise Defizitfreiheit nur gesichert bis 2011, danach: Aufzehrung der Rücklagen Zusätzlich: weitere Ausgaben bei angemessener Dynamisierung Umsetzung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff Notwendigkeit einer Finanzreform in dieser Legislaturperiode Prof. Dr. Heinz Rothgang 19
20 III. Aktuelle Finanzsituation: Ursachenanalyse Ursachen für Defizite: Das Ausgabenwachstum ist nicht exorbitant: Jährliche Rate des Fallzahlwachstums ( ): 2,0% Jährliche Rate des Ausgabenwachstums ( ): 2,2% Die Einnahmeseite ist das Hauptproblem: Jährliche Rate des Einnahmenwachstums: 0,8% Die Einnahmeentwicklung bleibt hinter der Inflationsrate (1,3% im gleichen Zeitraum) und den gängigen Prognosen zurück. Wir haben ein strukturelles Problem! Die Bemessungsgrundlage steigt langsamer als die Ausgaben und systematisch langsamer als das Sozialprodukt Dieses Problem bleibt auch nach dem PfWG bestehen! Prof. Dr. Heinz Rothgang 20
21 III. Aktuelle Finanzsituation: Ursachenanalyse Wachstum der beitragspflichtigen Einnahmen zur GKV und des BIP seit 1995 Quelle: Wille 2010, Datenquelle: Statistisches Bundesamt (2010), Bundesministerium für Gesundheit (2010) Prof. Dr. Heinz Rothgang 21
22 Überblick I. Pflege geht uns alle an: Prävalenzen und Projektionen II. III. IV. Baustellen der Pflegesicherung Aktuelle Finanzsituation Zukünftige Finanzbedarfe V. Optionen für eine Finanzreform VI. Fazit Prof. Dr. Heinz Rothgang 22
23 IV. Zusätzlicher Finanzbedarf: Pflegebedürftigkeitsbegriff Neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff Neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff soll (mehr) Leistungen für bisher vernachlässigte Gruppen (Demente!) garantieren Zur Finanzierung dieser Mehrleistungen müssen entweder a) bei bestimmten Gruppen von Leistungsbeziehern (rein somatische Fälle) Kürzungen durchgeführt werden oder b) mehr Mittel bereitgestellt werden. Option a) erscheint politisch nicht realistisch Kurzfristig: auf alle Fälle Mehrausgaben wegen Bestandsschutzregelungen Zusätzliche Finanzbedarfe entstehen. Prof. Dr. Heinz Rothgang 23
24 IV. Zusätzliche Finanzbedarfe: Leistungsdynamisierung (1/3) Jahr in Veränderung Sachleistungen in % des Ausgangswertes Stufe I ,2 3,2 0,8 Stufe II ,4 3,6 0,9 Stufe III ,2 1,6 0,4 Pflegegeld Stufe I ,6 2,8 0,7 Stufe II ,3 1,4 0,4 Stufe III ,3 1,0 0,3 vollstationär Durchschnittliche Wachstumsrate p.a. in % (geometrisches Mittel) Stufe I Stufe II Stufe III ,2 1,6 0,4 insgesamt 7,1 1,4 0, : erstmals Leistungsanpassung positiv Differenzierte Steigerungsraten positiv wegen Förderung der häuslichen Pflege negativ, wegen Beschränkung auf ausgabenschwache Bereiche Keine nachholende Anpassung Prof. Dr. Heinz Rothgang 24
25 IV. Zusätzliche Finanzbedarfe: Leistungsdynamisierung (1/3) Jahr in Veränderung Sachleistungen in % des Ausgangswertes Stufe I ,2 3,2 0,8 Stufe II ,4 3,6 0,9 Stufe III ,2 1,6 0,4 Pflegegeld Stufe I ,6 2,8 0,7 Stufe II ,3 1,4 0,4 Stufe III ,3 1,0 0,3 vollstationär Durchschnittliche Wachstumsrate p.a. in % (geometrisches Mittel) Stufe I Stufe II Stufe III ,2 1,6 0,4 insgesamt 7,1 1,4 0, : erstmals Leistungsanpassung positiv Differenzierte Steigerungsraten positiv wegen Förderung der häuslichen Pflege negativ, wegen Beschränkung auf ausgabenschwache Bereiche Keine nachholende Anpassung Ab 2015: alle 3 Jahre wird geprüft, ob angepasst wird. Anpassungshöhe maximal das Minimum von Inflation und Lohnsteigerung unzureichend Prof. Dr. Heinz Rothgang 25
26 IV. Zusätzliche Finanzbedarfe: Leistungsdynamisierung (2/3) Pflegeheime: Monatliche Kosten, Versicherungsleistungen und Eigenanteil in / Monat Pflegestufe (1) (2) (3) (4)=(1)+(2) (5) (6)=(1)-(5) (7)=(4)-(5) Pflegekosten Unterkunft Investitions- Gesamt- Versiche- Eigenanteil Eigenanteil und kosten entgelt rungs- Pflegekosten insgesamt Verpflegung leistungen Stufe I Stufe II Stufe III Daten vom Dezember 2007 In Pflegeheimen reichen die Versicherungsleistungen inzwischen nicht einmal aus, um die Pflegekosten zu finanzieren. Insgesamt liegt der Eigenanteil in allen Stufen deutlich höher als die Versicherungsleistungen. Prof. Dr. Heinz Rothgang 26
27 IV. Zusätzliche Finanzbedarfe: Leistungsdynamisierung (3/3) Ziel der Pflegeversicherung: Pflegebedingte Kosten im Heim werden gedeckt 1996 wurde diese Ziel teilweise noch erreicht Bereits 1999: große Deckungslücken in allen Stufen 2007: Eigenbeteiligung von Prof. Dr. Heinz Rothgang 27
28 IV. Zusätzliche Finanzbedarfe: Leistungsdynamisierung (3/3) Ziel der Pflegeversicherung: Pflegebedingte Kosten im Heim werden gedeckt 1996 wurde diese Ziel teilweise noch erreicht Bereits 1999: große Deckungslücken in allen Stufen 2007: Eigenbeteiligung von Bis 2015: Weiterer Anstieg der Eigenbeteiligung in Stufe I und II Prof. Dr. Heinz Rothgang 28
29 IV. Zukünftige Finanzbedarfe: qualitative Abschätzung Einnahmensteigerung: Steigende Löhne und Gehälter (und Renten): Veränderung der Zahl der Erwerbstätigen (Rentner) Ausgabensteigerung Leistungsdynamisierung Steigende Fallzahlen Veränderung des Inanspruchnahmeverhaltens Relation: Steigerung der Löhne wird für Leistungsdynamisierung verwendet Erwerbstätigenzahl ist nicht steigend Es fehlt an einer Finanzierung für steigende Fallzahlen und Veränderung des Inanspruchnahmeverhaltens Dies entspricht einem ungedeckten Bedarf von 1-1,5% per anum = derzeit Mio. Prof. Dr. Heinz Rothgang 29
30 IV. Zukünftige Finanzbedarfe: quantitative Abschätzung Vorausberechnung des BMG Jahr Beitragssatz 1,95 % 2,1 % 2,3 % 2,5 % 2,5 % 2,8 % Quelle: BMG-Vorausberechnung von November 2010 Problem dieser Abschätzung Keine Berücksichtigung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs (Zu) geringe Dynamisierung womöglich (zu) positive Annahmen zur Wirtschaftsentwicklung Der Beitragssatzanstieg dürfte etwas höher ausfallen Soll dies vermieden werden: Notwendigkeit für Finanzreform Prof. Dr. Heinz Rothgang 30
31 Überblick I. Pflege geht uns alle an: Prävalenzen und Projektionen II. III. IV. Baustellen der Pflegesicherung Aktuelle Finanzsituation Zukünftige Finanzbedarfe V. Optionen für eine Finanzreform 1. Reformoption Einbeziehung weiterer Einkommen 2. Reformoption Einbeziehung der privat versicherten / Privatversicherung 3. Reformoption Kapitalfundierung VI. Fazit Prof. Dr. Heinz Rothgang 31
32 V.1 Reformoption Einbeziehung weiterer Einkommen (1/2) Derzeitiges System: Verstoß gegen vertikale Gerechtigkeit durch Beitragsbemessungsgrenze Verstoß gegen horizontale Gerechtigkeit durch Begrenzung der Beitragspflicht auf Arbeitseinkommen / Lohnersatzleistungen Abhängigkeit der Beitragshöhe von Verteilung des Haushaltseinkommens auf Ehegatten/Lebenspartnern Reformoption 1: Pauschalprämie Führt zur impliziten Einbeziehung aller Einkommensarten unabhängig von Haushaltstyp (horizontale Gerechtigkeit) Beseitigt vertikale Umverteilung Da Verlagerung ins Steuersystem für die Pflegeversicherung nicht einmal angedacht ist: kein sinnvolles Konzept Prof. Dr. Heinz Rothgang 32
33 V.1 Reformoption Einbeziehung weiterer Einkommen (2/2) Reformoption 2: Einbeziehung aller Einkommensarten, Beitragssplitting und Anhebung der BBG Führt zur expliziten Einbeziehung aller Einkommensarten unabhängig von Haushaltstyp (horizontale Gerechtigkeit) Verstärkt vertikale Umverteilung durch Anhebung der BBG hat begrenzten, aber wahrnehmbaren fiskalischen Effekt Fiskalischer Effekt (Einbeziehung aller Einkommensarten, Beitragssplitting, BBG auf Rentenversicherungsniveau) In der Krankenversicherung: 1,4 Beitragssatzpunkte (Modell 155) In der Pflegeversicherung: 0,17 Beitragssatzpunkte (Umrechnung per Dreisatz) Prof. Dr. Heinz Rothgang 33
34 V.2 Reformoption Einbeziehung der PPV (1/3) Derzeitiges System: Zuweisung von Versicherten in SPV und PPV PPV-Versicherten sind bessere Risiken Niedrigere altersspezifische Prävalenzen Günstigere Altersstruktur Bessere Einkommenssituation Ausgaben der PPV pro Versichertem: halb so hoch wie in SPV (bei Berücksichtigung der Beihilfe). Beitragspflichtige Einkommen der PPV-Versicherten: um die Hälfte höher als bei SPV-Versicherten Prof. Dr. Heinz Rothgang 34
35 V.2 Reformoption Einbeziehung der PPV (2/3) Anteil der Pflegebedürftigen an allen Versicherten im Jahr 2008 Quotient der Prävalenzraten 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% SPV PPV Männer Frauen insgesamt SPV-Prävalenzen / PPV-Prävalenzen bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter und älter bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter und älter Modellrechnung: Zahl der Pflegebedürftigen in der PPV bei Verwendung der PPV- und der SPV-Pflegehäufigkeiten 16% Anteil der Privatversicherten an einer Altersklasse mit tatsächlichen Häufigkeiten mit SPV-Häufigkeiten 14% 12% % % % % bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter und älter % 0% bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter bis unter und älter insgesamt Prof. Dr. Heinz Rothgang 35
36 V.2 Reformoption Einbeziehung der PPV (3/3) Wenn die PPV eine Versicherung nach den Regeln der SPV betreiben würde, würde der Beitragssatz nur ein Drittel des SPV-Beitragssatzes betragen. Finanzausgleichszahlungen bei Einbezug in einen Risikostrukturausgleich Ca. 1 Mrd. auf der Einnahmenseite Ca. 900 Mio. auf der Ausgabenseite Aber: womöglich sinkendes Volumen, wenn PPV-Bestand altert Fiskalisch begrenzter Effekt, aber aus Gründen der Solidarität zwingend. Prof. Dr. Heinz Rothgang 36
37 V.3 Reformoption Kapitalfundierung: Grundfragen (1/2) Mit Kapitaldeckungselementen können zukünftige Lasten in die Gegenwart vorgezogen werden. Begründung hierfür: Generationengerechtigkeit Bewertung: m.e. nicht zwingend, aber auch nicht abwegig Intertemporale und intergenerative Umverteilung sind zu trennen Umstieg auf kapitalfundiertes System ist a) nicht möglich, wegen der Umstellungskosten und b) nicht sinnvoll, weil zu hohe andere Risiken entstehen Es kann nur um eine Teilkapitalfundierung gehen. Zentral sind Fragen der Ausgestaltung 1. Obligatorisch oder freiwillig? 2. Kollektiv oder individuell? 3. In der SPV oder als private Zusatzversicherung? 4. Mit oder ohne Einkommensbezug? Prof. Dr. Heinz Rothgang 37
38 V.3 Reformoption Kapitalfundierung: Grundfragen (2/2) Ad 1) Obligatorisch ist notwendig, sonst entstehen (weitere) Versorgungslücken Ad 2) Bei individualisierten Rücklagen geht die Versicherungsfunktion ( Dauer einer Pflegebedürftigkeit) verloren; Gefahr von Leistungen nach Sparfähigkeit. Ad 3) Kernproblem einer Demographierücklage in der SPV: Wie können die Rücklagen vor dem Zugriff der Politik gesichert werden? einer privaten Zusatzversicherung: neue Bürokratie, neue Schnittstellenprobleme, Verlust an Steuerungskapazitäten Ad 4) Einkommensunabhängige Prämien bergen die Gefahr der Umverteilung von unten nach oben, einkommensabhängige Prämie sind nur in der SPV realisierbar. Prof. Dr. Heinz Rothgang 38
39 V.3 Reformoption Kapitalbildung: wichtige Modelle PKV-Modell: Modellstruktur Einfrieren der SPV-Leistungen Private Pflegezusatzpflichtversicherung finanziert Dynamisierung Zusatzversicherung über jährlich steigende Kopfprämien Probleme Ausgaben für Leistungsdynamisierung steigen exponentiell, Einnahmen nur linear evtl. nur temporäre Kapitalbildung möglich Schnittstellenprobleme, problematische Leistungssteuerung, Zusatzbürokratie Prof. Dr. Heinz Rothgang 39
40 V.3 Reformoption Kapitalbildung: wichtige Modelle kollektive Demographiereserve : Modellstruktur Erhöhung des Beitragssatzes jetzt Kapitalbildung in der SPV Abschmelzung der Reserven später Untertunnelung Problem Untertunnelung geht nicht bei Hochplateau. Zwar nimmt ab die Zahl der Pflegebedürftigen ab, nicht aber das beitragssatzrelevante Verhältnis von Pflegebedürftigen zu Beitragszahlern der Beitragssatzsprung wird nur in die Zukunft geschoben Bei konstanter Fertilität (1,4 Kinder) ist im Umlageverfahren dauerhaft nur der Beitragssatz stabil, der zur demographischen Konstellation passt. Kann ein Zugriff des Finanzministers auf die kollektive Reserve in Notzeiten verhindert werden? Prof. Dr. Heinz Rothgang 40
41 V.3 Reformoption Kapitalbildung: wichtige Modelle Pflegeriester : Modellstruktur Obligatorisches (?) Sparen. Ersparnis kann nur zweckgebunden für Pflege eingesetzt werden. Kapital kann vererbt werden Problem Bei Vererbung des Kapitals geht Versicherungsfunktion (Ausgleich von Schwankungen der durchschnittlichen Pflegedauer ) verloren. Individuelle Sparfähigkeit entscheidet über Höhe der Leistungsansprüche bei Pflegebedürftigkeit entsolidarisierende Wirkung Letztlich: Privatisierung des Pflegerisikos. Modell kann nur sinnvoll sein, wenn Ersparnisse zur Finanzierung eines Zusatzbeitrags für Rentner verwendet werden (so in Rürup- Kommission) Prof. Dr. Heinz Rothgang 41
42 V.3 Reformoption Kapitalbildung: Karenzzeiten Neues Modell Raffelhüschen Grundidee: Es gibt kurze Pflegeepisoden Leistungen können aus eigenen Mitteln finanziert werden. Es gibt lange Pflegeepisoden hier werden Versicherungsleistungen gewährt nach einer Karenzzeit (z.b. 1 Jahr) Damit wird Umfang der umlagefinanzierten Pflegeversicherung reduziert, private Vorsorge ist möglich (verschiedene Optionen) Effekt: Pflegeversicherungsleistungen nur noch für Schwer- und Schwerstpflegebedürftige Unterstützung in frühen Pflegephasen fällt weg, beschleunigte Überforderung der Angehörigen, Gefahr des Heimsogs Prof. Dr. Heinz Rothgang 42
43 V.3 Reformoption Kapitalbildung: Staffelung nach Kinderzahl (1) Grundidee: nach BVerfG: Kindererziehung als eigener Realbeitrag Staffelung des monetären Beitrags (auch) nach Kinderzahl; dies wurde im KiBG nicht umgesetzt. Makroökonomisch: Vorsorge kann erfolgen durch Humankapitaldeckung oder durch Realkapitaldeckung. Wer nicht in Humankapital investiert (sprich: Kinder), der soll in Realkapital investieren (sprich: Sparen) Mögliche Ausgestaltung: Nach Kinderzahl gestaffelt wird eine Zusatzbeitrag erhoben, der positiv ist bei 0 und 1 Kind(ern) 0 ist bei 2 Kindern und negativ ist bei mehr als 2 Kindern Der Zusatzbeitrag wird in einer öffentlichen Kasse angespart, dort 25 Jahre angelegt und fließt dann an die Pflegeversicherung. Die Ansparfrist simuliert den Effekt der späteren Beitragszahlung der Kinder. Prof. Dr. Heinz Rothgang 43
44 V.3 Reformoption Kapitalbildung: Staffelung nach Kinderzahl (2) Vorteile: Logische Begründung für Zusatzbeitrag. Angemessene Umsetzung des BVerfG-Urteils von 2001 Kapitalstock wird nicht abgeschmolzen Nachteil: Mehreinnahmen erst in 25 Jahren, d.h. kein Beitrag zur Lösung der aktuellen Finanzprobleme, aber: dann beginnt die Phase mit höchster Zahl Pflegebedürftiger sinnvoll insbesondere in Kombination mit anderen kurzfristiger wirkenden Maßnahmen (Bürgerversicherung) Prof. Dr. Heinz Rothgang 44
45 VI. Fazit (1/3) 1. Pflege geht uns alle an! Mehr als die Hälfte von uns wird pflegebedürftig werden. 2. Die Pflegeversicherung ist der wichtigste Finanzierungsträger für die formelle Pflege aber nicht der einzige Wir müssen das Gesamtsystem im Blick behalten 3. Die Unterstützung der familialen Pflege ist die Conditio sine qua non für die Sicherstellung der Pflege Prof. Dr. Heinz Rothgang 45
46 VI. Fazit (2/3) 4. Wir brauchen mehr Geld in der Pflegeversicherung a) zum Ausgleich der ansonsten auflaufenden Defizite b) zur Sicherung einer angemessenen Dynamisierung c) zur Finanzierung von Mehrausgaben durch einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff 5. Wir brauchen nicht (nur) ad hoc Maßnahmen, sondern eine strukturelle Reform, die die strukturellen Einnahmeschwäche beendet 6. Sinnvolle Elemente beinhalten die Integration der PPV / Finanzausgleich zwischen SPV und PPV sowie Einbeziehung aller Einkommensarten politisch derzeit wenig realistisch. Prof. Dr. Heinz Rothgang 46
47 VI. Fazit (3/3) 7. Koalitionsvertrag sieht ergänzende Kapitalfundierung vor. Zentral hierbei ist die Ausgestaltung! 8. Zur Sicherung von Solidarität sind Kopfprämienmodelle - wie im PKV-Vorschlag - zu vermeiden. 9. Wenn eine Lösung in der SPV angestrebt wird, dann bedarf es eines starken Schutzes gegen politischen Zugriff auf die Rücklagen 10.Wenn Elemente der Kapitalsdeckung eingeführt werden, dann ist eine kollektive Kapitaldeckung in der SPV mit Beiträgen in Abhängigkeit von der Kinderzahl bedenkenswert Prof. Dr. Heinz Rothgang 47
48 Schluss Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Prof. Dr. Heinz Rothgang 48
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