Würde - Ein theoretisches Konzept und seine praktische Umsetzung. Mainz,
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- Liane Hummel
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1 Würde - Ein theoretisches Konzept und seine praktische Umsetzung Mainz,
2 Gliederung 1. Menschenwürde Begriff und Bedeutung 2. Menschenwürde im medizinethischer Sicht 3. Faktische Funktionen des Menschenwürdebegriffs 4. Menschenwürde und Klinische Ethik Seite 2
3 1. Menschenwürde Begriff und Bedeutung Menschenwürde Versuche einer Definition Andorno/Christensen (2013) Der Begriff Menschenwürde bezeichnet den Eigenwert jedes menschlichen Individuums, das als Mensch in gleicher Weise, d.h. unabhängig von besonderen Eigenschaften, Merkmalen oder Leistungen, unbedingt Achtung verdient. alle Menschen sind Personen Alle Menschen haben das Recht, Rechte zu haben Schaber (2012) Würde haben heißt, als Gleicher anerkannt zu sein, über dessen Leben nicht verfügt werden darf, der darüber vielmehr selbst verfügt und entsprechend als jemand anerkannt ist, der eine normative Autorität über das eigene Leben besitzt Mainz, Seite 3
4 Zur Semantik des Begriffs Menschenwürde (Knoepffler 2002) Menschenwürde ist nicht eine ästhetische Würde: Bsp.: würdevoll (aufgebahrter) Leichnam eine soziale Würde: Bspe.: Bischof als Würdenträger (soziale Rolle wird als Würdevoll beschrieben), Bundespräsidentenamt als würdevolles Amt eine expressive Würde: Bsp.: Kniefall eines Kanzlers (das gezeigte Verhalten einer Person entspricht in einem schwierigen Umfeld der sozialen Erwartung und verdient Achtung) eine speziesbezogene Würde: Bsp.: Würde des Menschen im gattungsbezogenen Sinn (Würde gilt dem Gattungswesen Mensch und nicht dem menschlichen Individuum) Seite 4
5 Zur Semantik des Begriffs Menschenwürde (Knoepffler 2002) Demgegenüber handelt es sich um eine unbedingte, dem konkreten, individuellen Menschen zuzuerkennende Würde, d.h. es geht gerade nicht um eine zufällige (kontingente) Würde, die einem Menschen auch wieder abgesprochen werden kann. Doch wem ist Menschenwürde in diesem gehaltvollen (unbedingten) Sinn Menschenwürde zuzuerkennen? Seite 5
6 Zur Extension des Prinzips der Menschenwürde (Knoepffler 2002) 1. Starke Exklusivität: Allen menschlichen Lebewesen ab der Befruchtung und nur diesen ist Menschenwürde zuzuerkennen. 2. Schwache Exklusivität: Menschlichen Lebewesen und nur diesen ist ab einem bestimmten Entwicklungsstand Menschenwürde zuzuerkennen. 3. Starke Inklusivität: Allen menschlichen Lebewesen ab der Befruchtung ist Menschenwürde zuzuerkennen, ohne dass damit ausgeschlossen ist, dass auch andere Lebewesen eine vergleichbare Würde zuzuerkennen ist. 4. Schwache Inklusivität: Menschlichen Lebewesen ist ab einem bestimmten Entwicklungsstand Menschenwürde zuzuerkennen. Ab wann menschlichen Lebewesen unbedingte Menschenwürde zuzuerkennen ist, ist umstritten. Vorwurf der kategorialen Vieldeutigkeit (Zuschreibung Embryonen, Leichnamen, Tieren? vgl. Embryonenforschung, Leichenschändung, Humanklonierung) Seite 6
7 1. Menschenwürde Begriff und Bedeutung Menschenwürde ein problematischer Begriff? (Stöcker/Neuhäuser 2013) Terminologisch-inhaltlich: Der faktische Gebrauchs legt die Vermutung nahe, dass es sich um einen inhaltlich unbestimmten Begriff beliebig ausdeutbaren Begriff Leerformel als Diskussionsstopper einsetzbaren Begriff ( Totschlagargument ) polemisch einsetzbaren und damit instrumentalisierbaren Begriff ( moralische Keule, Verdikt, Durchlauferhitzer ) handelt. Vorwurf der Stellvertreterfunktion (z.b. Menschenwürde als Formel für Heiligkeit des Lebens) Lückenfüllerfunktion (z.b. Tierschutz mit Menschenwürde begründet vor Einfügung in den Art. 20a GG) Rolle als Einfallstor für Rechtsmoralismus (z.b. Klonierung) Seite 7
8 1. Menschenwürde Begriff und Bedeutung Menschenwürde ein problematischer Begriff? (Stöcker/Neuhäuser 2013) Religiös: Der Begriff hat religiöse Konnotationen, die ihn vermeintlich für eine säkulare Ethik untauglich machen (vgl. christlich-abendländische Tradition: Gleichheit aller Gläubigen vor Gott, Gottesebenbildlichkeit ) Rechtlich: Die fundamentale Rolle, die der Menschenwürde üblicherweise zugedacht wird, nehmen nach Überzeugung vieler bereits die Menschenrechte ein Begriff dient lediglich als umbrella concept für die einzelnen Menschenrchte und ist insofern entbehrlich Historisch: zufällige Bedeutung des Begriffs? : In einschlägigen Dokumenten nach dem Zweiten Weltkrieg wurden alternativ zur Würde des Menschen auch andere Formulierungen erwogen Mainz, Seite 8
9 2. Menschenwürde im medizinethischer Sicht Zum Nutzen des Begriffs Menschenwürde (Schaber 2012) Ausgangsproblem: Unklare Begriffsbedeutung Der Würdebegriff teilt das Schicksal, unterschiedlich verstanden und verwendet zu werden, mit vielen anderen relevanten Begriffen: Bsp.: Gerechtigkeit (Bedarfsgerechtigkeit? Leistungsgerechtigkeit? Ausgleichende Gerechtigkeit? Gesetzliche Gerechtigkeit? Legitimität?) Bsp.: Nachhaltigkeit Die Unklarheit der Bedeutung hat Grenzen nicht alle moralisch kritikwürdigen Handlungen gegenüber Menschen können als Würdeverletzung ausgelegt werden Bsp.: Weigerung, dem Gegenüber ein Buch auszuleihen vs. Öffentliche Demütigung des Gegenübers Unterschiedliche Verwendung begründet keinen Verzicht der Begriffsverwendung, sondern legt lediglich eine Explikation des Begriffs nahe Mainz, Seite 9
10 2. Menschenwürde im medizinethischer Sicht Zum Nutzen des Begriffs Menschenwürde (Stöcker/Neuhäuser 2013) anthropologisch: Die Menschenwürde könnte eine anthropologische Fundierung der Menschenrechte versprechen. interkulturell/global: Sie könnte eine Aussicht auf ein tragfähiges gemeinsames Fundament in einer pluralen, multikulturellen Welt bieten. pragmatisch: Ungeachtet der beschriebenen Probleme wird sie in vielen Bereichen de facto als eine selbstverständliche (unverzichtbare?) Beurteilungsgrundlage genutzt alle internationalen rechtlichen Regelungen zur Biomedizin berufen sich explizit auf die Menschenwürde. philosophisch/ethisch: Es gibt eine lange philosophische Traditionslinie der Beschäftigung mit Würde und Menschsein; auch die Medizinethik als zuständige Bereichsethik beschäftigt sich insb. seit dem Zweiten Weltkrieg mit dem Themenfeld. aus ethischer Sicht scheint es lohnend (oder sogar geboten?), sich mit dem Themenfeld Menschenwürde auseinanderzusetzten Seite 10
11 2. Menschenwürde im medizinethischer Sicht Zur semantischen Offenheit des Begriffs Menschenwürde (Birnbacher 2013) Vorteile und Chancen Ermöglichung von Formelkompromissen im Bereich der Diplomatie (d.h. sie bringt unterschiedliche ethisch-politische Vorstellungen unter ein gemeinsames Dach und stellt so die Basis für Kompromisse dar vgl. Rolle der Menschenwürde in internationalen Abkommen) Inspirationsquelle im Bereich der Rechtsfortentwicklung (vgl. Herausbildung des sog. Allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung auf der Basis von Art. 1 GG) Stimulanz einer kontinuierlichen Bemühung um Konkretisierung und Differenzierung ( Stachel im Fleisch hält das Thema in der Diskussion). Seite 11
12 3. Faktische Funktionen des Menschenwürdebegriffs Funktionen des Menschenwürdebegriffs im medizin- bzw. bioethischen Diskurs (Thiele 2013) 1. Menschenwürde als Tabu Äußerung, eine bestimmte Handlung oder Situation verletze das Würde-Tabu normative Aussage Konsequenz: die betreffende Handlung oder Situation sollte nicht realisiert werden (künstliche Befruchtung, Apparatemedizin am Lebensende, Sektion eines Verstorbenen etc.) Vorkommen: in öffentlichen Debatten, seltener im (bio)ethischen und wissenschaftlichen Diskurs 2. Menschenwürde als Prinzip, das Rechte fundiert Menschenwürde als Moralprinzip, d.h. als Legitimationsbasis für ein Set von Rechten und Pflichten Vorkommen: im (bio)ethischen und wissenschaftlichen Diskurs 3. Menschenwürde als Recht Bsp. Menschenwürde als Grundrecht gemäß Art. 1 GG Menschenwürde ist keine Begründungsinstanz für Recht, sondern das Ergebnis eines Begründungsverfahrens Vorkommen: in Rechtsordnung, im juristischen Diskurs Seite 12
13 3. Faktische Funktionen des Menschenwürdebegriffs Fortsetzung 4. Menschenwürde als Sammelbegriff (Ensemble von Grundrechten) Menschenwürde als Oberbegriff für fundamentale Grund- und/oder Menschenrechte (Recht auf Schmerzfreiheit, auf Wahrung der Privatsphäre, auf Achtung der Autonomie etc.) Vorkommen: in öffentlichen Debatten wie auch im bioethischen Diskurs 5. Menschenwürde als Ideal Menschenwürde als Ideal oder Leitvorstellung, die beschreibt, wie wir als moralische Entitäten gesehen, respektiert und behandelt werden wollen. Idealcharakter bedeutet nicht zwangsläufig vollständige Umsetzung, sondern beschreibt, wie die Welt (die Situation) sein sollte und enthält die Aufforderung, die Welt (die Situation)gemäß dem Ideal zu verändern. Vorkommen: im wissenschaftlichen und bioethischen Diskurs Seite 13
14 4. Menschenwürde und Klinische Ethik These 1: Der Begriff Menschenwürde wird im klinischen Kontext nicht als Prinzip, sondern als Leitidee gebraucht Das Beispiel Beratung eines Schwangerschaftsabbruchs (Fahr 2013) Der Beratungsgegenstand Schwangerschaftsabbruch, der mit einem Fetozid einhergeht, führt Menschenwürde in ein Dilemma: Sofern Würde bereits dem Fötus zugeschrieben wird, untersteht dieser ebenso wie die Mutter dem Gebot des Lebensschutzes. Würde die Menschenwürde als Wert absolut gesetzt, d.h. als absolutes Prinzip angesehen, so könnte es nur einen tragischen Ausweg geben, da die Würde in jedem Fall als Wert aufs Ärgste verletzt wird. Tatsächlich wird die Würde einmal als Lebensrecht (des Föten) und einmal als Selbstbestimmung und Freiheit (der Schwangeren) verstanden, welche abgewogen werden können: d.h. Würde ist kein absolutes Prinzip, sondern jedenfalls im klinischen Kontext abstufbar. Seite 14
15 4. Menschenwürde und Klinische Ethik These 1: Der Begriff Menschenwürde wird im klinischen Kontext nicht als Prinzip, sondern als Leitidee gebraucht Menschenwürde wird im klinischen Kontext nicht in einem prinzipiellen Sinn sondern in eine evaluativen Sinn benutzt und dient als Orientierungshilfe. Mainz, Seite 15
16 4. Menschenwürde und Klinische Ethik These 2: Der Begriff Menschenwürde wird im klinischen Kontext instrumentalisiert Das Beispiel Sterben in Würde (Schaber 2012) Lesart 1: Menschenwürde als Synonym zu Heiligkeit des Lebens Bsp.: Sterben in Würde = menschliches Leben als heiliges Leben, d.h. das Leben soll nicht verletzt oder zerstört, sondern immer geschützt, verteidigt und bewahrt werden man stirbt dann in Würde, wenn man erträgt, was das Schicksal einem aufträgt hier zugrunde liegendes Verständnis von Würde ist in einer pluralen, säkularisierten Gesellschaft nicht mehrheitsfähig Seite 16
17 4. Menschenwürde und Klinische Ethik These 2: Der Begriff Menschenwürde wird im klinischen Kontext instrumentalisiert Die Sprachformel Sterben in Würde (Schaber 2012) Lesart 2: Menschenwürde als Synonym zu Achtung der Autonomie = Redundanzthese (Macklin 2003) Bsp.: Sterben in Würde = selbstbestimmtes Sterben, d.h. Sterben in Achtung vor der Autonomie des Patienten Vgl. aber Art 1. GG: die Würde des Menschen ist unantastbar : hier Würde ungleich Achtung der Autonomie, sonst wäre eine Missachtung der Autonomie stets ein moralisches Vergehen, gar die Verletzung des grundlegendsten Rechtsguts (z.b. Hinderung, ein Stück Kuchen zu kaufen, eine Diskothek zu besuchen moralisch falsch, aber keine Würdeverletzung) Würde meint mehr als Achtung der Autonomie Seite 17
18 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit Seite 18
Inhalt. Partizipation als Teilhabe an der Menschenwürde: Gibt es eine Würde ohne Autonomie? Die Würde des Menschen ist zu achten und zu schützen.
Inhalt Partizipation als Teilhabe an der Menschenwürde: Gibt es eine Würde ohne Autonomie? 1. Inhärente Würde 5. Erniedrigung und Selbstachtung Peter Schaber 31.05.2007 Folie 1 31.05.2007 Folie 2 Art.7
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