BGB 138 Sittenwidrigkeit eines Erlassvertrags betreffend eines Pflichtteilsanspruchs
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1 DNotI Deutsches Notarinstitut Gutachten-Abruf-Dienst Gutachten des Deutschen Notarinstituts Abruf-Nr.: letzte Aktualisierung: 9. Dezember 2011 BGB 138 Sittenwidrigkeit eines Erlassvertrags betreffend eines Pflichtteilsanspruchs I. Sachverhalt Die Tochter der nacheinander innerhalb von gut zwei Jahren verstorbenen Erblasser möchte die Pflichtteilsansprüche ihres psychisch kranken Bruders abfinden. Der Bruder ist offensichtlich geschäftsfähig und zur Kooperation bereit. Die Eltern haben leider nicht entsprechend ihrer ursprünglichen Absicht eine Regelung entsprechend einem Behindertentestament getroffen. Die Tochter möchte mit ihrem Bruder eine Regelung treffen, die eine solche Regelung nachholt, also dass er als Abfindung für seine Pflichtteilsansprüche nach beiden Elternteilen möglichst nur solche Leistungen erhält, die nicht auf Sozialleistungen angerechnet werden. Er steht nach einer strafrechtlichen Verurteilung unter Bewährung und wohnt in einer sozialen Einrichtung. Er befindet sich ständig in psychiatrischer Behandlung und muss auch Medikamente nehmen, weil bei ihm sonst Wahnvorstellungen auftreten. Er hat Abitur und war auch bis zu seiner Erkrankung erfolgreich kaufmännisch tätig. Es ist unklar, ob sich seine persönliche und wirtschaftliche Situation in Zukunft verbessern wird. Mit der Abfindung solle ihm auch zumindest die Chance gegeben werden, später eine Grundlage für ein selbstständiges, seinen Begabungen angemessenes, Leben zu haben. Dies war, wie versichert wurde, auch immer der Wunsch der Eltern, der allerdings nicht im Testament der Eltern verwirklicht wurde. Nach Auskunft der Schwester, also der Erbin, wird seine Unterkunft und der Lebensunterhalt vom örtlichen Sozialamt bezahlt. Er nimmt derzeit einen sog. "ein Euro Job" wahr. Aus den eingereichten Unterlagen ergibt sich, dass der Pflichtteilsberechtigte bis einschließlich April 2011 Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des SGB XII erhalten hat und seit dem stationäre Eingliederungshilfe gemäß 54 SGB XII erhält. Aus dem vorgelegten Bescheid über die Eingliederungshilfe ergbit sich, dass der Pflichtteilsberechtigte bereits aufgefordert wurde, über seine Vermögensverhältnisse Auskunft zu erteilen. Folgende Regelung ist mit der Erbin angedacht: Als Gegenleistung für den Verzicht auf Pflichtteile nach beiden Elternteilen erhält der Bruder das lebenslange Wohnungsrecht an einer noch zu erwerbenden Eigentumswohnung in der Nähe seines Arbeitsplatzes. Darüber hinaus erhält er Naturalleistungen, wie sie in Behindertentestamenten üblich sind, also Leistungen zur Befriedigung seiner kulturellen Bedürfnisse, zur Unter- Deutsches Notarinstitut Gerberstraße Würzburg Telefon (0931) Fax (0931) internet: user/mr/pool/gutachten/2011/ fax.doc
2 Seite 2 stützung seiner Hobbys und seiner Freizeitbeschäftigung, möglicherweise auch Finanzierung von Urlaubsreisen usw. Was die anzuschaffenden Eigentumswohnung betrifft, wären die Erben damit einverstanden, dass diese nach dem Tode Ihres Bruders für Sozialregress zur Verfügung steht. II. Frage Ist eine Vereinbarung zwischen einem Erben und einem Pflichtteilsberechtigten möglich und wirksam, wonach zur Abgeltung des Pflichtteils Leistungen erbracht werden, die den Regelungen eines Behindertentestamentes nachgebildet sind? III. Zur Rechtslage 1. Streitstand vor dem Urteil des BGH v Mit Urteil vom hat der BGH grundlegend zur Sittenwidrigkeit eines Pflichtteilsverzichts eines behinderten Sozialleistungsbeziehers Stellung bezogen (Az.: IV ZR 7/10, DNotZ 2011, 381 f.). Vor diesem Urteil stellte sich der Streitstand hinsichtlich der Sittenwidrigkeit eines Pflichtteilsverzichts differenziert dar: Während eine Literaturauffassung in Anlehnung an die für die Sittenwidrigkeit von Unterhaltsverzichtsverträgen zwischen Ehegatten entwickelten Grundsätze davon ausging, dass ein Erb- bzw. Pflichtteilsverzicht zumindest sittenwidrig sei, wenn der Verzichtende sowohl im Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts als auch im Zeitpunkt des Erbfalles hilfebedürftig ist und dem Beteiligten dies bekannt war (Köbel, ZfSH/SGB 1990, 449, 459; Schumacher, Rechtsgeschäfte zu Lasten der Sozialhilfe im Familien- und Erbrecht, 2002, S. 142), neigte die wohl überwiegende Ansicht in der Literatur dazu, einen zwar während des Bezugs von nachrangigen Sozialleistungen, aber vor Eintritt des Erbfalls erklärten Erbbzw. Pflichtteilsverzicht nicht als sittenwidrig anzusehen (Vaupel, RNotZ 2009, 497, 508; v. Proff, ZErb 2010, 206, 209, 210; Littig/J. Mayer, Sozialhilferegress gegenüber Erben und Beschenkten, 1999, Rn. 177; J. Mayer, in: Bamberger/Roth, BGB, 2. Aufl. 2008, 2346 Rn. 2; Krauß, Überlassungsverträge in der Praxis, 2. Aufl. 2009, Rn. 97; so auch OLG Köln ZEV 2010, 85), da der Pflichtteilsberechtigte lediglich auf eine ungewisse Erwerbschance verzichte, sodass auch die Schädigungsabsicht in der Regel zu verneinen sei (vgl. nur Vaupel RNotZ 2009, 497, 508). Wird dagegen erst nach dem Erbfall auf ein bereits entstandenen Pflichtteilsanspruch während des Bezugs von Sozialleistungen (mittels Erlassvertrag) verzichtet, so ging die herrschende Auffassung im Anschluss an ein Urteil des VGH Mannheim (NJW 1993, 2953, 2955) davon aus, wegen der damit verbundenen Aufgabe einer sicheren Erwerbsquelle verstoße das Rechtsgeschäft insofern gegen 138 BGB (v. Proff, ZErb 2010, 206, 207; Vaupel, RNotZ 2010, 141, 142; Schumacher, Rechtsgeschäfte zu Lasten der Sozialhilfe im Familienund Erbrecht, 2002, S. 142; Lambrecht, Der Zugriff des Sozialhilfeträgers auf den erbrechtlichen Erwerb, 2001, S. 172).
3 Seite 3 2. Erlass des Pflichtteilsanspruchs durch einen Bezieher von Sozialleistungen nach dem Urteil des BGH v Nach der vorgenannten Entscheidung des BGH v kann die vorgenannte Differenzierung wohl nicht mehr aufrecht erhalten werden (andere Auffassung offenbar Kleensang, ZErb 2011, 121, 124). Hierfür sind folgende Überlegungen maßgeblich: a) Darstellung des Streitstands Zunächst stellt der BGH in den Rz. 13 ff. des Urteils den Streitstand hinsichtlich der Sittenwidrigkeit von Pflichtteilsverzichten, die von Sozialleistungsbeziehern erklärt werden, aus seiner Sicht dar. Dabei differenziert er gerade nicht danach, ob der Pflichtteilsverzicht vor oder nach dem Ableben des Erblassers vereinbart wurde. Insofern ist es auch konsequent, dass der BGH, obgleich er einen Sachverhalt zu entscheiden hatte, in dem der Pflichtteilsverzicht vor dem Tod der Erblasserin vorgenommen wurde, für die eine Sittenwidrigkeit annehmende Auffassung auch das Urteil des VGH Mannheim (NJW 1993, 2953 f.) zitiert, obwohl dieses gerade die Sittenwidrigkeit eines Erlassvertrages bezüglich des Pflichtteilsanspruchs nach dem Tod des Erblassers zum Gegenstand hatte. b) Billigung der Ausschlagung eines Beziehers von Sozialleistungen Im Anschluss schließt sich der BGH ohne Differenzierung der Auffassung an, die eine Sittenwidrigkeit von Pflichtteilsverzichten, die von Sozialleistungsbeziehern erklärt werden, ablehnt (Rz. 17 des Urteils). Dass der BGH damit auch nach dem Tod des Erblassers vereinbarte Pflichtteilsverzichtsverträge i. S. eines Erlassvertrages von dem Sittenwidrigkeitsvorwurf ausnehmen wollte, ergibt sich aus der Begründung des Senats. Im Grundsatz geht das Gericht nämlich davon aus, dass der Leistungsbezieher mit dem Verzicht auf den Pflichtteilsanspruch von seinem Recht aus 2346 Abs. 2 BGB Gebrauch mache, durch Rechtsgeschäfte mit dem Erblasser, die Entstehung des Pflichtteilsanspruchs auszuschließen. Hierfür wird zunächst auf den Grundsatz der Privatautonomie (Art. 2 Abs. 1 GG) verwiesen (Rz. 18). In der Folge stellt der BGH zwar fest, dass sich der Verzichtende nicht wie der Erblasser auf die Testierfreiheit im eigentlichen Sinne berufen könne, sondern der Pflichtteilsverzicht eher mit dem Fall der Ausschlagung einer bereits angefallenen Erbschaft vergleichbar sei (Rz. 25). Anschließend legt der Senat jedoch dar, dass Art. 14 Abs. 1 GG auch ein Gegenstück im Sinne einer negativen Erbfreiheit zu entnehmen sei. Wenn der Erblasser frei darin sein, andere zu ihren Erben einzusetzen, sei dies andererseits nur insofern zu billigen, als die Betroffen damit einverstanden seien. Es gäbe gerade keine Pflicht zu erben oder sonst etwas aus einem Nachlass anzunehmen (Rz. 27). Deswegen geht der BGH auch auf Distanz zu den Entscheidungen des OLG Stuttgart (NJW 2001, 3484) sowie des OLG Hamm (ZEV 2009, 471), die übereinstimmend eine durch einen Betreuer erklärte Ausschlagung einer Erbschaft eines behinderten Kindes nicht als vormundschaftsgerichtlich genehmigungsfähig ansahen, weil eine solche Ausschlagung nicht mit dem sozialhilferechtlichen Nachrangprinzip zu vereinbaren und daher als sittenwidrig einzustufen sei. Mit der Ablehnung dieser Rechtsprechung und mit der generellen Billigung der Ausschlagung einer Erbschaft durch einen Bezieher von Sozialleistungen hat der BGH zu verstehen gegeben, dass auch die Aufgabe einer sicheren Erwerbsquelle nicht zu einer Sittenwidrigkeit i. S. v. 138 Abs. 1 BGB führt (so aber gerade das Argument für eine Sittenwidrigkeit eines Erlasses des Pflichtteilsanspruchs durch einen
4 Seite 4 Sozialhilfeleistungsbezieher). Dementsprechend verwundert es nicht, dass der BGH auch dem Pflichtteilsberechtigten aus der negativen Erbfreiheit ein Recht zugesteht, den von Gesetzes wegen eingetretenen Rechtserwerb wieder zu beseitigen. Wörtlich heißt es im Urteil: Insoweit kann für einen erbrechtlichen Erwerb von Vermächtnis oder Pflichtteilsansprüchen im Grundsatz nichts anderes gelten als für die Erbenstellung selbst. (BGH v , IV ZR 7/10, Rz. 27). c) Kriterium der bereits bestehenden Erwerbsquelle unmaßgeblich Das Berufungsgericht hatte die fehlende Sittenwidrigkeit des (vor dem Erbfall vereinbarten) Pflichtteilsverzichts noch maßgeblich darauf gestützt, dass das Pflichtteilsrecht im Gegensatz zum Unterhaltsanspruch keine sichere, bereits bestehende Erwerbsquelle darstelle. Beim Verzicht sei noch nicht absehbar, ob und in welchem Umfang dem Verzichtenden beim späteren Erbfall tatsächlich einen Pflichtteilsanspruch erwachsen wäre (OLG Köln ZEV 2010, 87). Dieses Argument, das auf einen nachträglichen Erlass eines Pflichtteilsanspruchs gerade nicht übertragen werden kann, hat der BGH jedoch ausdrücklich beiseite geschoben und es letztlich dahin stehen lassen, ob die Begründung des Berufungsgerichts trägt (Rz. 35). RiBGH Wendt hat in einem auf dem Symposium des Instituts für Notarrecht an der Universität Würzburg am gehaltenen Vortrag dargelegt, dass er diese Argumentation zumindest für zweifelhaft hält, da sich eine bloße Erwerbshoffnung beim Pflichtteil bereits stark verdichtet haben kann, während ein Unterhaltsanspruch wegen der Abhängigkeit vom Leistungsvermögen nicht unbedingt sicher sein muss (vgl. Wendt, in Grziwotz, Erbrecht und Vermögenssicherung, 2011, S.36). 3. Abschließende Würdigung Letztlich kann damit dem Urteil u. E. entnommen werden, dass obwohl Gegenstand der Entscheidung ein vor dem Erbfall vereinbarter Pflichtteilsverzicht und gerade kein Erlassvertrag war auch ein nach dem Erbfall erklärter Verzicht auf den bereits entstandenen Pflichtteilsanspruch nicht deshalb sittenwidrig ist, weil der Verzichtende zu diesem Zeitpunkt bereits sozialrechtliche Leistungen in Anspruch nimmt. In diesem Zusammenhang ist jedoch darauf hinzuweisen, dass RiBGH Wendt auf dem Symposium des Instituts für Notarrecht an der Universität Würzburg unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Senats vom (BGHZ 134, 60 = DNotZ 1997, 422) betont hat, dass der Pflichtteilsverzicht, der nur zu Lebzeiten des Erblassers wirksam geschlossen werden könne, sich hinsichtlich seines Geschäftsgegenstandes und seiner wirtschaftlichen Bedeutung so wesentlich von einem nach dem Erbfall allein möglichen Erlass des entstandenen Pflichtteilsanspruchs unterscheide, dass auch eine differenzierte Betrachtung einer eventuellen Sittenwidrigkeit erforderlich sei (Wendt, in Grziwotz, Erbrecht und Vermögenssicherung, 2011, S. 25, Fn. 60; ders. ZNotP 2011, 362, 370, Fn. 60). In dieselbe Richtung gehen die Ausführungen von Kleensang (ZErb 2011, 121, 123 f.). Dieser stellt zwar heraus, dass der einzige Unterschied zwischen einem Pflichtteilsverzicht und einem nach dem Erbfall vereinbarten Erlass des Pflichtteilsanspruchs darin besteht, dass nicht nur auf eine Erwerbschance, sondern auf einen bereits angefallenen Anspruch verzichtet würde. Gleichzeitig sieht Kleensang jedoch, dass der BGH dieser Unterscheidung keine Bedeutung beigemessen hat. Er befürchtet jedoch im Hinblick auf die bestehende
5 Seite 5 Überleitungsmöglichkeit gem. 93 SGB XII einen Wettlauf mit einem zu vereinbarenden Erlassvertrag und geht daher davon aus, dass letzterer im Hinblick auf die Sittenwidrigkeit weiterhin problematisch sei (Kleensang, ZErb 2011, 121, 123 f.). Nach der persönlichen Auffassung des Sachbearbeiters hat der Senat durch seine Beurteilung der Erbausschlagung durch einen behinderten Leistungsbezieher jedoch auch in Bezug auf einen nach dem Erbfall erklärten Erlass des Pflichtteilsanspruchs eines behinderten Leistungsbeziehers die Richtung vorgegeben. Wenn der Senat sich ausdrücklich gegen die Rechtsprechung des OLG Stuttgart sowie des OLG Hamm wendet, die beide in einem Fall eines sog. nachträglichen Behindertentestaments, d. h. bei Zuwendungen an den Behinderten für eine Ausschlagungserklärung, die nicht auf seine Sozialhilfebezüge angerechnet werden können, von einer Sittenwidrigkeit ausgegangen sind, und den beiden Gerichten entgegenhält, der behinderte Erbe könne sich aufgrund der negativen Erbfreiheit gegen den Vonselbsterwerb von Gesetzes wegen wehren, dann will nicht so recht einleuchten, warum der behinderte Pflichtteilsberechtigte, der Sozialleistungen bezieht, insofern wertungsmäßig schlechter stehen soll (so wohl auch Leipold ZEV 2011, 528, 529; Keim, in DAI, 9. Jahresarbeitstagung des Notariats, 2011, Bd. 2, S. 138). Somit gehen wir jedenfalls in denjenigen Konstellationen, in denen der Erlass des Pflichtteilsanspruchs in einen Sachverhaltskontext eingebettet ist, der wertungsmäßig dem einem Behindertentestaments entspricht (sog. nachträgliches Behindertentestament ), davon aus, dass derartige Vereinbarungen auf Grundlage der Senatsrechtsprechung nicht als sittenwidrig eingestuft werden. Folglich ist u. E. ein entsprechender Erlassvertrag hinsichtlich des Pflichtteilsanspruchs solange möglich, bis der Pflichtteilsberechtigte aufgrund einer Überleitungsanzeige gem. 93 Abs. 2 SGB XII seine Verfügungsberechtigung verliert. Insofern dürfte die Aufforderung zur Darlegung seiner Vermögensverhältnisse diesbezüglich unerheblich sein.
Gutachten. I. Zum Sachverhalt. II. Fragestellung
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