Who cares? Zukunft von Betreuung und Pflege in einer Gesellschaft des langen Lebens
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- Stefan Adrian Fürst
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1 Pro Senectute Schweiz Nationale Fachtagung, 24. Mai 2016, Biel 12. Erfa-Tagung, 3. Mai 2016 Who cares? Zukunft von Betreuung und Pflege in einer Gesellschaft des langen Lebens Prof. Dr. Carlo Knöpfel, FHNW
2 Who cares? Zwei mögliche Deutungen des Titels Wer verrichtet die «care»-arbeit, insbesondere in privaten Haushalten? Wer ist (politisch und organisatorisch) dafür besorgt, dass die notwendige «care»-arbeit geleistet und finanziert wird? 2
3 Der thematische Rahmen: Eine Gesellschaft des langen Lebens 4-Generationen-Gesellschaft Weiter steigende Lebenserwartung der 65-Jährigen Starke Zunahme der Hochaltrigen Länger werdender Übergang vom «dritten» zum «vierten» Alter Gleich lang bleibende Phase der Pflegebedürftigkeit Länger werdende Phase der Fragilisierung, und damit der Hilfsbedürftigkeit 3
4 4
5 Anteil der Personen in Alters- und Pflegeheimen nach Geschlecht und Alter, 2012 ProSenior Bern C. Knöpfel 5
6 Was ist «care»-arbeit? «care»-arbeit ist mehr als (medizinische) Pflege lässt sich mehr schlecht als recht als «Sorge»-Arbeit übersetzen umfasst mindestens Pflege, Betreuung, hauswirtschaftliche Leistungen, Begleitung, Beratung, administrative Hilfen, seelischen Beistand ist asymmetrisch angelegt und beinhaltet eine emotionale Komponente ist unbezahlte und bezahlte Zeit-Arbeit ist Zeit-Arbeit mit wenig Spielraum für Produktivitätsfortschritte, die nicht zu Lasten der Qualität gehen 6
7 Wer leistet «care»-arbeit? Die kurze Antwort: überwiegend Frauen Die etwas längere Antwort: Familienangehörige Nachbarinnen Freiwillige, vermittelt über entsprechende Einsatzorganisationen öffentliche und private Spitex Mitarbeitende von Nonprofit-Organisationen im Altersbereich Mitarbeitende von Profit-Organisationen im Altersbereich Ärzteschaft 7
8 Die Grundannahmen der «care»-arbeit daheim Alte Menschen möchten so lange wie möglich in ihren eigenen vier Wänden und in ihrem vertrauten Umfeld leben Die Familienfrauen kümmern sich um ihre älter werdenden Angehörigen; sie übernehmen den grössten Teil der «care»-arbeit Ergänzend gibt es ein weites Spektrum von Angeboten, welche die hilfesuchenden älteren Menschen auch erreichen Diese Hilfeleistungen werden von der Krankenkasse nur mitfinanziert, wenn sie medizinisch angezeigt sind 8
9 Inanspruchnahme von informeller Hilfe und Spitex nach Alter, in %,
10 Die Bedeutung der Pflege durch Familienangehörige, 2013 Hilfe und Pflege von Angehörigen Anzahl Stunden, in Mio. Durchschnittliche Arbeitskosten pro Stunde, in Fr. Monetäre Bewertung, in Mia. Fr. im gleichen Haushalt lebend Zum Vergleich: Spitex (2012), in Mia. Fr. nicht im gleichen Haushalt lebend Total FHNW/HSA/ISS C. Knöpfel 10
11 Es droht eine «care»-krise Drei gegenläufige Entwicklungen die Zahl älterer Menschen, die früher oder später auf «care»-arbeit angewiesen sein werden, nimmt zu Immer mehr Frauen sind bis zum Rentenalter erwerbstätig und stehen darum nicht mehr im gleichen Ausmass für die unbezahlte «care»-arbeit zur Verfügung Der bezahlte Teil der «care»-arbeit steht unter Kostendruck, verliert darum an Attraktivität als Arbeitsort und leidet unter Personalmangel 11
12 Die zentralen drei Herausforderungen (I) Wie wird in Zukunft die notwendige «care»-arbeit organisiert, wenn die Phase der Fragilisierung im Übergang vom «dritten» zum «vierten» Lebensalter immer länger wird? Technischer Fortschritt erweitert die Möglichkeiten, immer länger daheim wohnen zu können Sozialräumliche Strategien unterstützen die gesellschaftliche Teilhabe im gewohnten Umfeld Fragilisierung als allmähliche Einschränkung der Autonomie verlangt zunächst nach Hilfen, noch nicht nach medizinischer Pflege Medizinischer Fortschritt lässt bessere, ambulante Behandlungen von Alterskrankheiten erwarten 12
13 Die zentralen drei Herausforderungen (II) Wie wird in Zukunft die notwendige «care»-arbeit organisiert, wenn die Familie nicht mehr im gleichen Ausmass ihren Teil übernehmen kann oder will? Familien werden kleiner und grösser zugleich und ein Viertel der Partnerschaften bleiben kinderlos Familien leben zunehmend geographisch disperser Pflegende Lebenspartnerinnen und Lebenspartner werden immer älter (und gebrechlicher) Pflegende Kinder und Enkelkinder sind erwerbstätig 13
14 Die zentralen drei Herausforderungen (III) Wie wird in Zukunft die notwendige «care»-arbeit finanziert, wenn ältere Menschen Hilfen benötigen, die nicht medizinisch begründet ist? Die soziale Ungleichheit im Alter wird weiter zunehmen Diese soziale Ungleichheit äussert sich nicht nur in der Ausstattung mit ökonomischem, sondern auch mit sozialem, kulturellem und korporalem Kapital Die Kantone haben gemäss Artikel 112c BV den Auftrag, für Hilfe und Pflege zu Hause zu sorgen Der Bedarf an «care»-arbeit wird durch das KVG, die EL und die Hilfslosenentschädigung nicht genügend gedeckt 14
15 Erste Option: «care»-arbeit als service public «care»-arbeit ist gesellschaftlich notwendige Arbeit, auf die alle ein Anrecht haben «care»-arbeit in den Familien braucht Anerkennung und Unterstützung «care»-arbeit ist als komplexes Netzwerk von staatlichen, zivilgesellschaftlichen und privatwirtschaftlichen Anbietern zu interpretieren «care»-arbeit verlangt nach neuen Berufsbildern «care»-arbeit wird über KVG, EL und Hilfslosenentschädigung sowie kantonale und kommunale Steuermittel finanziert 15
16 Zweite Option: «care»-arbeit als neuer ökonomischer Claim «care»-arbeit ist ein marktwirtschaftliches Angebot im Rahmen einer «Lebenssorge-Dienstleistungsbranche» «care»-arbeit wird über eine individuelle Pflegeversicherung mit geringer Solidarität finanziert «care»-arbeit ist Spitex à la carte, angeboten von privaten, marktorientierten Profit-Organisationen aus dem Altersbereich «care»-arbeit wird ausgelagert an Angestellte in Privathaushalten, vor allem an «care»-migrantinnen «care»-arbeit nutzt die unentgeltlichen Leistungen der Familienfrauen, wo Marktlösungen nicht bezahlbar sind 16
17 Anstösse zu einem minimalen alterspolitischen Programm Von der Geld-Pauschale zur Zeit-Pauschale Vom KVG zu den EL und der HE Vom Verfassungsartikel 112c zum Bundesrahmengesetz Vom punktuellen zum flächendeckenden Angebot Von der Mehrfachbelastung der Frauen zur Vereinbarkeit von Beruf, Karriere und Familie für Mann und Frau 17
18 Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! 18
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