Zivilprozessrecht (Erkenntnisverfahren) Prof. Dr. Florian Jacoby Sommersemester 2015
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- Jasmin Meissner
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1 Zivilprozessrecht (Erkenntnisverfahren) Sommersemester 2015
2 Motivation Juristische Allgemeinbildung Verfahrensrechtliche Grundlagen, die Pflichtfachstoff sind. Klausur - Fall - Wissensfragen Folie 2
3 Rechtsgrundlagen Zivilprozessordnung (ZPO) Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) Rechtspflegergesetz (RPflG) Folie 3
4 Gliederung der Veranstaltung 1. Teil: Einführung: Funktion des Zivilprozesses 2. Teil: Gerichte und Organe der Rechtspflege 3. Teil: Überblick über den Gang eines Verfahrens 4. Teil: Verfahrensgrundsätze 5. Teil: Das zuständige Gericht 6. Teil: Die Partei 7. Teil: Die Klage 8. Teil: Besondere Klageformen 9. Teil: Die Beteiligung Dritter am Rechtsstreit 10. Teil: Die Sachurteilsvoraussetzungen 11. Teil: Das Verhalten des Beklagten zur Klage 12. Teil: Die Erledigung des Prozesses ohne Urteil 13. Teil: Die Versäumung von Prozesshandlungen Das Versäumnisverfahren 14. Teil: Der Beweis, das Beweisverfahren 15. Teil: Die gerichtlichen Entscheidungen 16. Teil: Rechtsmittel 17. Teil: Die materielle Rechtskraft 18. Teil: Besondere Verfahrensarten 19. Teil: Prozesskosten 20. Teil: Internationales Zivilprozessrecht Folie 4
5 1. Teil: Funktion des Zivilprozesses A. Selbsthilfe und Rechtsschutz B. Verfahrensgrundsätze C. Verfahrenszweck Folie 5
6 Beispiel Rn. 1 V hat dem Transportunternehmer K einen Lastwagen unter Eigentumsvorbehalt auf Raten verkauft ( 449 BGB). Als K mit der Bezahlung einer Rate im Verzug ist, erfährt V von finanziellen Schwierigkeiten des K. Er möchte ihm den LKW wegnehmen. V meint, als Eigentümer sei er dazu berechtigt. Folie 6
7 Selbsthilfeverbot und Justizgewährung Justizgewährungspflicht ist die Pflicht des Staates - Gerichte zu schaffen - Verfahren zu regeln Justizgewährungsanspruch (aus dem Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 1 GG) ist subjektives öffentliches Recht des Bürgers auf Tätigwerden Folie 7
8 Verfassungsrechtliche Grundlagen Rechtsprechung durch unabhängige Richter, Art. 92, 97 GG Recht auf den gesetzlichen Richter, Art. 101 GG Recht auf Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG Anspruch auf ein effektives Verfahren aus dem Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 1 GG Anspruch auf ein faires Verfahren, Art. 3, 20 Abs. 1 GG Folie 8
9 Begriff und Zweck des Zivilprozesses Der Zivilprozess ist ein gesetzliches, auf bestimmten Grundsätzen beruhendes Verfahren, das - der Durchsetzung privater Rechte durch gerichtliche Entscheidung (privates Interesse) und - der Wahrung oder Wiederherstellung des Rechtsfriedens (öffentliches Interesse) dient. Folie 9
10 2. Teil: Gerichte und Organe der Rechtspflege A. Das Gericht B. Der Richter C. Der Rechtspfleger D. Der Urkundsbeamte E. Der Gerichtsvollzieher F. Der Rechtsanwalt Folie 10
11 Beispiele Rn. 14: G hat seiner Meinung nach zu viel Steuern bezahlt. Das Finanzamt ist gegenteiliger Auffassung. G weiß, dass er sich an ein Gericht wenden muss, wenn er zu seinem Recht kommen will, aber an welches? An ein AG oder LG (etwa weil er einen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung oder wegen Amtspflichtverletzung bei der Berechnung der Steuer geltend macht) oder an ein Finanzgericht, weil es um steuerliche Fragen geht? Rn: 26: K aus Köln hat B aus Berlin ein Darlehen in Höhe von EUR gewährt. B weigert sich, dieses zurück zu zahlen, so dass K Klage erhebt. Wo, wer entscheidet? Folie 11
12 A. Das Gericht I. Verfassungsrechtliche Stellung II. Gerichtsbarkeiten III. Zivilgerichtsbarkeit IV. Instanzenzug V. Rechtsprechungskörper VI. Der gesetzliche Richter Folie 12
13 Gerichte Verfassungsgerichte - BVerfG (Art. 93, 94 GG) - LandesVerfG Fachgerichte (Art. 95 GG) - Verwaltungsgerichte (VG, OVG; BVerwG) - Sozialgerichte (SG, LSG, BSG) - Finanzgerichte (FG, BFH) - Arbeitsgerichte (ArbG, LAG, BAG) - Ordentliche Gerichtsbarkeit (AG, LG, OLG, BGH) Folie 13
14 Ordentliche Gerichtsbarkeit Gerichte ( 12 GVG) AG, LG, OLG, BGH Rechtsweg ( 13 GVG) - Strafrecht - Zivilsachen Streitige Gerichtsbarkeit (ZPO) Freiwillige Gerichtsbarkeit (FamFG) Folie 14
15 Spruchkörper AG Einzelrichter, 22 GVG (Abteilungen) ( ) LG Kammer, 60, 75 GVG Ausn.: KfH, 93, 105 GVG häufig: Übertragung, 75 GVG, 348 f., 526 f ZPO ( ) ( ) ( ) OLG Senat, 116, 122 GVG mögl.: Übertragung, 122 GVG, 526 f ZPO ( ) ( ) BGH Senat, 130, 139 GVG ( ) Folie 15
16 B. Der Richter I. Grundsätze und richterliche Unabhängigkeit II. Sicherung der richterlichen Unparteilichkeit 1. Ausschließung 2. Ablehnung III. Funktionen 1. Einzelrichter 2. Vorsitzender 3. Berichterstatter 4. Beauftragter Richter 5. Ersuchter Richter Folie 16
17 Sicherung der Neutralität Ausschluss kraft Gesetzes ( 41 ZPO, iudex inhabilis) - Eigeninteresse - Vorbefassung Ablehnung durch Partei ( 42 ZPO, iudex suspectus) - Ausschlussgründe - Besorgnis (!) der Befangenheit Folie 17
18 Justizpersonal Richter (Art. 92, 97, 98 GG, DRiG) Rechtspfleger (RPflG) Urkundsbeamte der Geschäftsstelle ( 153 GVG) - Protokollierung - Zustellung - Ladung Folie 18
19 Rechtsanwälte Anwaltszwang ( 78 ZPO) Rechtsverhältnisse - Anwaltszulassung bei Rechtsanwaltskammern - Mandatsverhältnis ( 611, 675 BGB) Abgrenzung: Notar - Träger eines öffentlichen Amtes zur vorsorgenden Rechtspflege Gebühren nach Gerichts- und Notarkostengesetz Haftung für Amtspflichtverletzungen nach 19 BNotO - Formen des Notariats Anwaltsnotare (OWL) Nur-Notare (Rheinische Notarkammer) Folie 19
20 3. Teil: Überblick über den Gang eines Verfahrens A. Die Klageerhebung B. Die mündliche Verhandlung C. Die Beweisaufnahme D. Das Urteil E. Rechtsmittel F. Rechtskraft Folie 20
21 Beispiel (Rn. 60) Der Maschinenbauer K aus Augsburg klagt gegen den Kaufmann B aus Karlsruhe auf Kaufpreiszahlung aus dem Kauf einer Maschine zum Kaufpreis von EUR. B will nicht zahlen und behauptet, die Maschine sei mangelhaft, er sei daher mit Recht vom Vertrag zurückgetreten ( 437 Nr. 2, 323 I BGB). K hingegen behauptet, die Maschine sei tadellos, zudem verlangt er Zinsen für den Zeitraum seit Mahnung des B. K hatte dem B eine Zahlungsfrist bis zum gesetzt. Folie 21
22 Gang des Verfahrens: Überblick Klage, 253 Vorschuss, 12 GKG Zustellung, 271 Güteverhandlung, 278 Schriftliches Vorverfahren, 276 Früher erster Termin, 275 Güteverhandlung, 278 Haupttermin, 279 (Beweisaufnahme 356 ff.) Entscheidung, 300 ff. Rechtsmittel, 511 ff. Rechtskraft, 705 Zwangsvollstreckung, 704 ff. Folie 22
23 Klageerhebung Parteien - Parteifähigkeit, 50 - Prozessfähigkeit, 52 - Postulationsfähigkeit, 78 Gericht - Zuständigkeit, 12 ff./gvg - Zustellung der Klage, 253, Ladung zum Termin Klageerwiderung Vorbereitung der mündlichen Verhandlung, 273 Folie 23
24 Mündliche Verhandlung und Beweisaufnahme Termin - Güteverhandlung, Verhandlung, Verhalten des Beklagten Säumnis des Beklagten, 331 Anerkenntnis, 307 Antrag auf Klageabweisung Beweisaufnahme Folie 24
25 Urteil, Rechtsmittel, Rechtskraft Urteil - Tenor Urteilsarten Rechtsmittel - Berufung - Revision Rechtskraft - formell - materiell Folie 25
26 4. Teil: Verfahrensgrundsätze A. Der Dispositionsmaxime B. Der Verhandlungsgrundsatz C. Der Grundsatz der Mündlichkeit, Unmittelbarkeit und Öffentlichkeit D. Der Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung E. Der Konzentrationsgrundsatz F. Der Anspruch auf rechtliches Gehör Folie 26
27 Dispositionsmaxime Gegensatz: Offizialmaxime Inhalte: Herrschaft der Parteien über - Beginn - Gegenstand und - Ende des Verfahrens Beispiele (ne ultra petita partium eat iudex.) - 269, 306, 307, 91a, 794 I Nr. 1, 330 ff., 515 f., 565 Folie 27
28 Verhandlungsmaxime Gegensatz: Untersuchungsgrundsatz Inhalt - Tatsachen müssen durch Parteivortrag in den Prozess eingeführt werden ( 138, 288) - Allein beim Gericht liegen indessen Rechtsanwendung - Da mihi facta, dabo tibi ius. - Iura novit curia. Beweiswürdigung Modifizierungen - Richterliche Hinweispflicht, 139 I - Wahrheitspflicht, 138 Folie 28
29 Mündlichkeitsprinzip ( 128 I, 272) Grundsatz: - Entscheidungsgrundlage kann nur sein, was mündlich verhandelt wurde. - Schriftsätze dienen der Vorbereitung ( 129, 137 III, 297 II, 275, 276), können einer Partei nachgelassen werden ( 283, 156). Ausnahme: Schriftliches Verfahren 128 II IV 495a Folie 29
30 Unmittelbarkeit Inhalt - Unmittelbarkeit der mündlichen Verhandlung, Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, 355 (Ausnahme: 375) Absicherung durch Abs. 2 Nr Nr Abs. 1 Nr. 1 Folie 30
31 Öffentlichkeit Für die Allgemeinheit 169 ff GVG Für die Parteien (Art. 103 Abs. 1 GG) etwa 299, 357 ZPO Folie 31
32 Freie Beweiswürdigung 286 I 1: Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. Folie 32
33 Konzentrationsmaxime Für das Gericht: etwa 272 ff., 139 Für die Parteien : Versäumung Sanktion Korrektur Gerichtliche Frist 296 I keine Beschleunigungspflicht, II keine Gesetzliche (Not-)Frist Termin 330 ff. 338 Folie 33
34 Präklusion nach 296 ZPO Versäumung - Anlass zur Äußerung - Möglichkeit zur Äußerung - Erkennbarkeit von Anlass und Möglichkeit - Nichtäußern trotz hinreichender Zeit Verzögerung - Absolut: Zulassung verzögert im Vergleich zur Zurückweisung. - Relativ: Zulassung verzögert im Vergleich zum rechtzeitigen Vortrag. Verschulden - Abs. 1: jedes (wird durch Abs. 4 vermutet) - Abs. 2: grobe Fahrlässigkeit (zu beweisen) Folie 34
35 Recht auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) Inhalt: - Gelegenheit zur Kenntnisnahme des Prozessstoffs - Gelegenheit zur Stellungnahme - Kenntnisnahme der Stellungnahme - Auseinandersetzung mit der Stellungnahme Gesetzliche Einschränkungen: - Nachholung (etwa 922, 924 ZPO) - Präklusion (etwa 296 ZPO) Besondere verfahrensmäßige Absicherung: Abhilfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ( 321a ZPO) Folie 35
36 5. Teil: Das zuständige Gericht A. Allgemeine Grundsätze B. Die Rechtswegzuständigkeit C. Die sachliche Zuständigkeit und Instanzenzug D. Die örtliche Zuständigkeit E. Die funktionelle Zuständigkeit F. Zuständigkeit kraft Parteiverhaltens Folie 36
37 Allgemeine Grundsätze I. Arten der Zuständigkeit Wenn K (in München) gegen B (in Hamburg) einen Anspruch über EUR aus Kaufvertrag einklagt, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben ( 13 GVG). Sachlich zuständig ist nach der Höhe des Streitwertes ein AG ( 23 Nr. 1 GVG). Örtlich zuständig ist das AG Hamburg ( 12 f. ZPO). II. Zuständigkeit als Prozessvoraussetzung 1. Prüfung von Amts wegen 2. Beurteilungsgrundlage 3. Zeitpunkt 4. Folgen der Unzuständigkeit: Verweisung statt Abweisung! Folie 37
38 Rechtswegzuständigkeit Zuständigkeitsnormen - 13 GVG - 40 VwGO - 51 SGG - 33 FGO - 2 ArbGG Verweisungsnorm - 17a GVG Folie 38
39 Sachliche Zuständigkeit Eingangszuständigkeit AG 23 ff. GVG LG 71 GVG Berufung LG 72 GVG OLG 119 GVG Revision BGH 133 GVG BGH 133 GVG Folie 39
40 Folgen sachlicher Unzuständigkeit Hinweispflicht des Richters, 139 Abs. 3, 504 Rügelose Einlassung des Beklagten, 39 Rüge des Beklagten: - Verweisungsbeschluss auf Antrag des Klägers, Sonst: Abweisung durch Prozessurteil Folie 40
41 Besondere Gerichtsstände Für bestimmte Ansprüche - 29 (Erfüllungsort) - 32 (Delikt) - 34 (Gebühren) Für bestimmte Vermögen(-sgegenstände) - 21, 22 (Unternehmen, Vereine etc.) (Immobilien) - 27, 28 (Erbschaft) - 29a (Miete) - 31 (Vermögensverwaltung) Für Beklagte ohne Inlandswohnsitz - 15, 16 (Grundregel) - 23 (Vermögen) Für Reisende - 20 (längerer Aufenthalt) Folie 41
42 Funktionelle Zuständigkeit Geschäftszuständigkeit des angerufenen Rechtspflegeorgans: - Richtige Instanz? - Richtiges Personal (Richter, Rechtspfleger, UdG)? - Kollegium, Einzelrichter, Vorsitzender? - Prozessgericht, Vollstreckungsgericht? Folie 42
43 Gerichtsstandsvereinbarung Derogation/Prorogation Alternative Voraussetzungen ( 38 ZPO) - Vereinbarung unter Vollkaufleuten, - Schriftliche Vereinbarung mit Partei ohne Inlandswohnsitz oder - Ausdrückliche und schriftliche Vereinbarung nach Entstehen der Streitigkeit. Keine Ausschlussgründe ( 40 ZPO) - Auf ein bestimmtes Rechtsverhältnis bezogen, - Vermögensrechtliche Streitigkeit, - Kein ausschließlicher Gerichtsstand. Folie 43
44 Rechtsquellen der internationalen Zuständigkeit Brüssel I VO (EuGV VO) Brüssel IIa VO (Eu Ehe VO) Staatsverträge (LugÜ) ZPO Folie 44
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