Arglist = VVG nicht anwendbar? Aktuelle Rechtsprechung zum Sachversicherungsrecht. LG Saarbrücken v , 14 O 122/13, r+s 2014, 287
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1 Aktuelle Rechtsprechung zum Sachversicherungsrecht 7. Düsseldorfer Versicherungsrechtstag Udo Spuhl 1 1 LG Saarbrücken v , 14 O 122/13, r+s 2014, 287 arglistige Verletzung der Aufklärungsobliegenheit 2 2
2 Der Fall / Versicherungsfall Am 16. Mai 2012 verließ der VN seine Wohnung und übernachtete die beiden folgenden Nächte bei seiner Lebensgefährtin. Am 18. Mai wurde er von seinem Bruder informiert, dass er Opfer eines Einbruchs geworden sei; das Türschloss der Wohnungseingangstür fehlte und am Türblatt waren Hebelspuren zu erkennen. Der VN stellte fest, dass diverse Wertsachen und Bargeld entwendet wurden, deren Wert er mit 8.840! angibt. Der Hausratversicherung lagen die Allgemeinen Hausratversicherungsbedingungen / VHB 99 zugrunde. 3 3 Der Fall / Indizien zur Vermögenssituation Über das Vermögen des VN war am 5. Juli 2005 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Mit Beschluss vom 27. Dezember 2005 wurde das Verfahren mangels Masse ohne Schlussverteilung aufgehoben. Mit Beschluss vom 9. August 2011 wurde dem VN die Restschuldbefreiung erteilt. Noch während des laufenden Insolvenzverfahrens, am 8. Februar 2011, musste der VN wegen der Vollstreckung von Unterhaltsansprüchen die eidesstattliche Versicherung zur Offenbarung seiner Vermögensverhältnisse abgeben; deswegen war schon zuvor - im Jahre ein Haftbefehl gegen ihn ergangen. 4 4
3 Der Fall / Angaben des VN / Leistungsablehnung Im Rahmen der Leistungsprüfung gab der VN auf die Frage nach seinen Vermögensverhältnissen an, dass ein Privatinsolvenzverfahren durchgeführt und mit Erteilung der Restschuldbefreiung beendet worden sei. Auch bot er dem VR an, dass sie bei der Schufa eine Auskunft über seine weiteren Vermögensverhältnisse einholen könne. Er unterließ es, anzugeben, dass er im Februar 2011 die eidesstattliche Versicherung abgeben musste und deswegen im Jahr 2010 ein Haftbefehl gegen ihn ergangen war. Der VR lehnte daraufhin wegen vorsätzlicher Verletzung der Aufklärungsobliegenheit und arglistiger Täuschung eine Regulierung ab. 5 5 Die Klauseln (Beispiele) 21 Obliegenheiten des Versicherungsnehmers im Versicherungsfall Der Versicherungsnehmer hat b) dem Versicherer jede zumutbare Untersuchung über Ursache und Höhe des Schadens und über den Umfang der Entschädigungspflicht zu gestatten, jede hierzu dienliche Auskunft - auf Verlangen in Textform - zu erteilen und Belege beizubringen, soweit ihm das billigerweise zugemutet werden kann. 22 Besondere Verwirkungsgründe 1. Versucht der Versicherungsnehmer, den Versicherer arglistig über Tatsachen zu täuschen, die für den Grund oder für die Höhe der Entschädigung von Bedeutung sind, so ist der Versicherer von der Entschädigungspflicht frei 6 6
4 Die Entscheidung des LG / rechtlicher Ausgangspunkt Eine Leistungspflicht des VR scheidet aus, weil der VN den VR arglistig über Tatsachen zu täuschen versucht hat, die für den Grund oder die Höhe der Entschädigung von Bedeutung sind. Darin liegt eine gemäß 28 Abs. 2 Satz 1 VVG zur Leistungsfreiheit führende vorsätzliche Verletzung der vertraglichen Auskunftsobliegenheit. Als sog. Verwirkungsbestimmung mit Strafcharakter - gegen deren Wirksamkeit keine Bedenken bestehen (vgl. BGH, VersR 2001, 1020) - sanktioniert 22 VHB 99 einen besonderen Fall der Verletzung der Aufklärungsobliegenheit. Dem gesetzlichen Leitbild ( 28 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 2 VVG) entsprechend führt Arglist hier auch dann zur vollständigen Leistungsfreiheit, wenn sie folgenlos bleibt. 7 7 Die Entscheidung des LG / Belehrung Ob der VN im Vorfeld seiner falschen Angaben gemäß 28 Abs. 4 VVG über die Rechtsfolgen der Obliegenheitsverletzung belehrt worden ist, kann offenbleiben: Eine solche Belehrung ist nämlich entbehrlich, wenn der VN die Obliegenheit arglistig verletzt hat. Zweck der Belehrungspflicht ist es, den schutzwürdigen VN vor einem unerwarteten Rechtsverlust bei falschen Angaben zu bewahren. Für diese Erwägungen ist kein Raum, wenn der VN seine Aufklärungspflicht arglistig verletzt, er mithin nicht schutzwürdig ist, zumal in seinem solchen Fall nicht davon auszugehen ist, dass sich der arglistig handelnde VN durch eine förmliche Warnung in einem Vordruck von seinem Vorhaben abbringen lassen würde. (vgl. z.b. auch OLG Köln v U 61/11 - r+s 2012, 243) 8 8
5 Verwirkungsklausel wirksam? zum alten VVG: Der BGH hat entsprechende Klauseln stets als wirksam angesehen, z.b. in BGHZ 96, 88 = VersR 1986, 77 zum neuen VVG ein Beispiel aus der Instanz - OLG Frankfurt, VersR!2013, 1127: Hat der VR seine Vertragsbedingungen nicht den Regelungen des neuen VVG angepasst, kann er sich nicht auf die Verletzung der Auskunftsobliegenheit berufen. Obwohl die Abweichung vom Sanktionensystem des 28 Abs. 2 und Abs. 3 VVG zum Nachteil des VN zur Unwirksamkeit der Klausel führt, berührt die Unwirksamkeit der Regelung über die Auskunftsobliegenheit in 20 VGB"1996 nicht den besonderen Verwirkungsgrund der arglistigen Täuschung gemäß 21 VGB 1996, da es sich um eine Verwirkungsvorschrift mit Strafcharakter handelt, der eigenständige Bedeutung zukommt. Eine vorherige Belehrung über die Folgen einer arglistigen Täuschung ist nicht erforderlich, da der arglistig Täuschende nicht schutzwürdig ist. 9 9 Verwirkungsklausel wirksam? Der BGH hat die Nichtzulassungsbeschwerde gegen dieses Urteil durch Beschluss vom zurückgewiesen (IV ZR 119/13). Ebenso hat der BGH mit Beschluss vom im Verfahren IV ZR 181/13 die Nichtzulassungsbeschwerde gegen ein Urteil des OLG Dresden (v U 942/12) zurückgewiesen. Auch das OLG Dresden hatte den Anspruch des VN als verwirkt angesehen
6 Die Entscheidung des LG / arglistige Täuschung Für die Annahme einer arglistigen Täuschung genügt das Bestreben des VN, Schwierigkeiten bei der Durchsetzung eines Entschädigungsanspruchs zu vermeiden. Dabei wird keine Bereicherungsabsicht des VN vorausgesetzt. Arglistig handelt der VN deshalb bereits dann, wenn er sich bewusst ist, dass sein Verhalten den VR bei der Schadensregulierung möglicherweise beeinflussen kann. (vgl. BGH, VersR 2009, 968; OLG Hamm, VersR 2012, 56) Die Entscheidung des LG / Täuschungsversuch Für die Annahme eines Täuschungsversuches genügt jede objektiv Falschangabe oder das Verschweigen offenbarungspflichtiger Tatsachen. Hier hat der VN über seine Vermögenslage getäuscht: Er hat gegenüber dem VR auf entsprechende Nachfrage nicht angegeben, dass er am 8. Februar 2011 die eidesstattliche Versicherung abgeben musste und deswegen bereits im Jahr 2010 ein Haftbefehl gegen ihn ergangen war
7 Die Entscheidung des LG / Rechtsfolgen Schon der Versuch einer arglistigen Täuschung führt in der Regel - so auch hier - zur vollen Verwirkung des Versicherungsschutzes; dass sich die Täuschung auf die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des VR ausgewirkt hat, ist nach geltendem Recht nicht erforderlich ( 28 Abs. 3 Satz 2 VVG). Nur unter ganz besonderen Umständen hat die Rechtsprechung in der Vergangenheit die Inanspruchnahme der völligen Leistungsfreiheit als Verstoß gegen Treu und Glauben angesehen, wenn der Verlust des Versicherungsschutzes für den VN eine unbillige Härte darstellte; das wurde angenommen, wenn besondere Billigkeitsmomente zugunsten des VN ins Gewicht fielen und sein Verschulden als gering anzusehen war, etwa, weil die Täuschung nur einen geringen Teil des versicherten Schadens betraf, andererseits aber die Versagung des gesamten Versicherungsschutzes den VN in seiner wirtschaftlichen Existenz bedrohte. Für einen solchen Ausnahmefall liegen hier indes keine Anhaltspunkte vor. (vgl. BGHZ 96, 88; BGH, VersR 1993, 1351) Beispiele für eine Verwirkung BGH VersR 2011, 1121: Der VN hatte Ersatzbelege eingereicht, konkret Rechnungen sowie eine Quittung eines Sporthauses, diese aber nicht als solche gekennzeichnet. BGH VersR!2014, 398: Eine Leistungsfreiheit des Gebäudeversicherers kommt in Betracht, wenn ein Kaufangebot für das streitgegenständliche Grundstück nur vorgetäuscht wird, um einen unberechtigten Verdacht einer Eigenbrandstiftung durch den VN von vorneherein nicht aufkommen zu lassen
8 Leistungsfreiheit ohne vertragliche Regelung OLG Köln v U 208/12 - Voraussetzungen: Die arglistige Verletzung der fortbestehenden vertraglichen Obliegenheit zu wahrheitsgemäßen Angaben in der Unfallanzeige führt zur Leistungsfreiheit. Die Leistungsfreiheit bei arglistiger Obliegenheitsverletzung steht außerhalb des Sanktionssystems des 28 Abs. 2 VVG. Sie ist Ausdruck des allgemeinen Rechtsgedankens der Verwirkung und rechtfertigt sich als Folge der Verletzung des besonderen Vertrauensverhältnisses zwischen VR und VN, auch ohne dass es insoweit einer gesonderten vertraglichen Vereinbarung bedarf Leistungsfreiheit ohne vertragliche Regelung OLG Köln v U 208/12 - Rechtsfolgen: Verletzt der VN eine vertraglich vereinbarte Obliegenheit arglistig, ist die Leistungsfreiheit nicht an weitere Voraussetzungen geknüpft. Insbesondere bedarf es nicht einer Abwägung der beiderseitigen Interessen. Eine solche Interessenabwägung hat der Bundesgerichtshof (VersR 1991, 1129) zwar unter bestimmten Voraussetzungen für erforderlich gehalten. Dies betrifft aber alleine die Fälle eines arglistigen Verhaltens außerhalb vertraglich geregelter Obliegenheiten. Vorliegend würde indes auch eine Interessenabwägung zur Leistungsfreiheit führen. Insoweit muss sich zu Lasten des VN auswirken, dass er ungeachtet des berechtigten Interesse des VR, den Eintritt des Versicherungsfall umfassend in Kenntnis aller bedeutsamen Umstände prüfen zu können, die Leistungsprüfung zu seinen Gunsten - augenscheinlich aus rein wirtschaftlichen Interessen - zu beeinflussen trachtete, um dadurch beschleunigt in den Genuss nicht unerheblicher Versicherungsleistungen zu kommen
9 Belehrung nach 19 Abs. 5 VVG BGHZ 200, 286 = VersR!2014, 565: Verletzt der VN seine Anzeigepflicht nach 19 Abs. 1 VVG arglistig, so kann der VR auch dann vom Vertrag zurücktreten, wenn er den VN nicht entsprechend den Anforderungen des 19 Abs. 5 VVG belehrt hat Belehrung nach 19 Abs. 5 VVG BGH VersR!1984, 630: 22 VVG macht von dem Ausschluss eines Schadensersatzanspruchs wegen Verhandlungsverschuldens auch für den Fall einer arglistigen Täuschung keine Ausnahme. Es besteht kein Anlass, dem Versicherer darüber hinaus ohne das Hinzutreten besonderer Umstände eine allgemeine Arglisteinrede zuzubilligen, die auch noch nach Ablauf der Anfechtungsfrist geltend gemacht werden könnte. Eine solche Einrede würde sich auf den Grundsatz von Treu und Glauben stützen. Gerade dieser Grundsatz verwehrt es dem VR angesichts des notwendigen Vertrauensschutzes und des Vorsorgecharakters des Versicherungsvertrages, sich auf seine Leistungsfreiheit zu berufen, wenn er die geräumige Anfechtungsfrist ungenutzt hat verstreichen lassen
10 28 Abs. 4 VVG OLG Köln v , 9 U 69/13 VersR 2014, 105 Stehlgutlistenobliegenheit ist eine Schadensminderungsobliegenheit Revision vom BGH mit Beschluss v als unzulässig verworfen (Az: IV ZR 371/13) Abs. 4 VVG Der Fall Am brachen unbekannte Täter in die versicherte Wohnung ein. Mit Schreiben vom wies der VR die VN darauf hin, dass sie "zur Erhaltung ihres Versicherungsschutzes" verpflichtet sei, der zuständigen Polizeibehörde"unverzüglich eine Aufstellung über die abhanden gekommenen Sachen einzureichen (Stehlgutliste) zu übermitteln. Am übersandte die VN der Polizei per Fax eine handschriftliche Aufstellung im Wesentlichen über abhanden gekommene Schmuckstücke. Der VR ging von einem Erstattungsbetrag von " aus und machte hiervon einen Abzug von 40 % mit der Begründung, die VN habe ihre Obliegenheit zur unverzüglichen Vorlage einer Stehlgutliste bei der Polizei verletzt
11 28 Abs. 4 VVG Die Entscheidung des OLG / Obliegenheit objektiv verletzt Die VN hat erst am und damit mehr als fünf Wochen nach dem Einbruch eine Aufstellung der ihr abhanden gekommenen Wertsachen bei der Polizei eingereicht: Dieser erhebliche Zeitablauf ist ohne Zweifel nicht mehr "unverzüglich" i.s. der Klausel Abs. 4 VVG Die Entscheidung des OLG / Belehrung Einer teilweisen Leistungsfreiheit steht nicht entgegen, dass es im Streitfall an einem Hinweis des VR auf die Rechtsfolgen einer Obliegenheitsverletzung i.s. des 28 Abs. 4 VVG fehlt: Das LG hatte sich der Auffassung des OLG Karlsruhe (VersR 2011, 1560) angeschlossen, dass es einer Belehrung in der Form des 28 Abs. 4 VVG des VR über die Rechtsfolgen einer Verletzung der Obliegenheit in Teil B 8 Nr. 2 a) ff (2. Alternative) VHB 2008 bedürfe. Diese Ansicht teilt der Senat nicht: 22 22
12 28 Abs. 4 VVG Die Entscheidung des OLG / Belehrung Eine Anwendung des 28 Abs. 4 VVG auf die Obliegenheit zur unverzüglichen Vorlage einer Stehlgutliste bei der Polizei setzt nach dem Gesetzeswortlaut voraus, dass es sich hierbei um eine "Auskunfts- oder Aufklärungsobliegenheit" handelte. Dies ist aber nicht der Fall: Die Klausel ist darauf ausgerichtet, die Ermittlungsbehörden durch möglichst konkrete Beschreibungen der bei einem Einbruch entwendeten Gegenstände in die Lage zu versetzen, zielgerichtete Fahndungsmaßnahmen - frühzeitig - einzuleiten. Zugleich soll die zeitnahe Übersendung einer Stehlgutliste der Möglichkeit vorbeugen, dass der VN den Schaden nachträglich aufbauscht, womit die Obliegenheit auch der Verminderung der Vertragsgefahr dient Abs. 4 VVG Die Entscheidung des OLG / Belehrung Die Obliegenheit zur Vorlage einer Stehlgutliste bei der Polizei stellt sich deshalb unter allen Aspekten als Schadenminderungsobliegenheit i.s. des 82 VVG dar, für welche das Belehrungserfordernis des 28 Abs. 4 VVG nicht gilt. Ob sich im Übrigen eine generelle Hinweispflicht nach 28 Abs. 4 VVG mit der Natur einer spontan zu erfüllenden Obliegenheit überhaupt vereinbaren lässt, bedarf keiner Erörterung
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