Situation pflegender Angehöriger
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- Pia Christin Holtzer
- vor 8 Jahren
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1 Situation pflegender Angehöriger Kurzfassung Ausgangslage und Projektinhalte Mehr als 80 Prozent der pflegebedürftigen Menschen in Österreich werden zu Hause durch Angehörige gepflegt. Zu einem Großteil wird diese oft schwierige Aufgabe von Frauen übernommen. Nur mit dieser Pflege im Familienkreis ist eine Betreuung aller Pflegebedürftigen möglich. Durch die Einführung des Pflegegeldes können private Pflegepersonen einen finanziellen Beitrag für die Betreuung des pflegebedürftigen Menschen erhalten. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, professionelle Unterstützung zur Entlastung heranzuziehen. Ziel der Studie ist es, einen Beitrag zur weiteren Absicherung der häuslichen Pflege durch private Pflegepersonen zu leisten. Dazu ist es von vorrangiger Bedeutung, ein aktuelles Bild der Lebenssituation dieser Gruppe zu erhalten. Die im Jahr 1997 publizierte Studie Analyse der Auswirkungen des Pflegevorsorgesystems lieferte bereits wichtige Grundlagen zu dieser Thematik. Basis der vorliegenden Studie sind eine schriftlich durchgeführte repräsentative Erhebung unter pflegenden Angehörigen sowie parallel dazu geführte Interviews mit spezifischen Selbsthilfegruppen und Vereinen, die Angebote zur Unterstützung privater Pflege zur Verfügung stellen. Stichprobenziehung und Rücklauf Für die vorliegende Untersuchung sollten etwa Bundespflegegeldbezieherinnen und - bezieher aus der Grundgesamtheit gezogen werden. Das entspricht rund 1,3 Prozent aller Bundespflegegeldbezieherinnen und -bezieher. Ziel dabei war es, die Stichprobe repräsentativ zu gestalten, folglich wurde die Stichprobe nach den Pflegegeldstufen geschichtet gezogen. Zu diesem Zweck hat der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger dem ÖBIG die gesamte Bundespflegegeld-Datenbank in anonymisierter Form zur Verfügung gestellt. Der Fragebogen war an die privaten Hauptpflegepersonen gerichtet, wurde aber an die Pflegegeldbezieherinnen und -bezieher gesandt, da über private Pflegepersonen keine Daten verfügbar sind. Im Begleitschreiben zum Fragebogen wurde darum gebeten, den Fragebogen an jene Person weiterzugeben, die den größten Teil der privaten Betreuungsaufgaben abdeckt. Insgesamt wurden Fragebögen an Pflegegeldbezieherinnen und - bezieher
2 ausgesandt ausgefüllte Fragebögen konnten EDV-mäßig erfasst werden - insgesamt ergibt sich also ein Rücklauf von 34 Prozent. Quantitative Ergebnisse Von den gültig antwortenden pflegenden Angehörigen waren rund 79 Prozent weiblich bzw. rund 21 Prozent männlich und im Alter zwischen 20 und 96 Jahren. Dies zeigt deutlich, dass nach wie vor der Großteil der privaten Betreuungsleistungen zu Hause von Frauen erbracht wird. Das Durchschnittsalter der pflegenden Angehörigen betrug 58 Jahre. 40 Prozent aller Betreuungsleistungen werden vom Ehe- bzw. Lebenspartner erbracht, mehr als ein Viertel der Betreuungsleistungen wird von Kindern (vor allem von Töchtern) für ihre Eltern erbracht. 30 Prozent aller Hauptpflegepersonen gehen derzeit einer bezahlten Erwerbstätigkeit nach, was einer Zunahme von sieben Prozent seit dem Jahr 1997 entspricht. 68 Prozent aller Befragten üben nach eigenen Angaben keine Erwerbstätigkeit aus, obwohl 56 Prozent der Antwortenden vor Übernahme der Pflege berufstätig waren. 47 Prozent der Betreuungspersonen verfügen entweder über kein Monatseinkommen oder über ein Einkommen bis 700,-- (durchschnittliches Monatsnettoeinkommen ohne 13. und 14. Monatsgehalt und exklusive einer eventuellen Abgeltung für Betreuungsleistungen). Ein hoch signifikanter Zusammenhang besteht zwischen eigenem Einkommen und Geschlecht. Rund ein Fünftel aller Betreuungspersonen verfügt über kein eigenes Einkommen, davon wiederum sind 91 Prozent Frauen. 82 Prozent der Betreuungspersonen sind pensionsversichert, wobei der Anteil jener, die aufgrund ihrer Berufstätigkeit pensionsversichert sind, mit 43 Prozent am höchsten ist, fast ein Fünftel der Betreuungspersonen verfügt jedoch über keinerlei Pensionsversicherung, das heißt, die Versorgung dieser Personengruppe im Alter ist nicht geklärt. In Badelt et al. (1997) wurden die Gründe erörtert: Nicht nur die hohen Kosten einer freiwilligen Selbst- bzw. Weiterversicherung, sondern auch Informationsmangel und mangelhaftes Problembewusstsein stellten sich als Ursachen für diese mangelhafte Absicherung heraus. Dieser Befund zeigt deutlich, dass im Rahmen der pensionsversicherungsrechtlichen Maßnahmen für pflegende Angehörige Verbesserungen erforderlich sind.
3 Drei Viertel aller Betreuungspersonen versorgen Pflegegeldbezieherinnen und -bezieher niedriger Stufe d. h. Pflegegeldbezieher der Stufen eins bis drei, immerhin ein Fünftel kümmert sich um Pflegegeldbezieherinnen und -bezieher der Stufen vier und fünf und sieben Prozent um Pflegegeldbezieherinnen und -bezieher der beiden höchsten Pflegestufen; der Anteil in den Pflegegeldstufen sechs und sieben hat sich seit 1997 verdoppelt. Bei der Einschätzung des Beitrages des Pflegegeldes zur Pflegesituation gaben 58 Prozent der Betreuungspersonen an, dass durch das Pflegegeld die Betreuung und Pflege zu Hause erst möglich sind; hingegen kann das Pflegegeld nicht ausreichend wirtschaftliche Entlastung bringen, um die Erwerbstätigkeit pflegender Angehöriger aufzugeben. Laut einem Drittel der Antwortenden wären behinderungsbedingte Wohnungsadaptierungen noch erforderlich. Beinahe drei Viertel der betreuten Pflegegeldbezieherinnen und -bezieher sind weitgehend mobil. Fast die Hälfte der betreuten Personen ist manchmal verwirrt (mehrmals pro Woche), 17 Prozent sind sogar völlig verwirrt. Generell werden als die beiden häufigsten Gründe, warum nicht ausreichend oder gar keine mobilen Dienste in Anspruch genommen werden, eine grundsätzlich ablehnende Haltung (48 %) sowie das Scheitern an der Finanzierbarkeit (42 %) genannt. In ländlichen Gebieten wird das Angebot als nicht genügend angesehen. Zwölf Prozent der befragten Personen gaben weiters an, dass in ihrer Umgebung keine Dienste angeboten werden. In 25 Prozent der Fälle werden mobile Dienste in Anspruch genommen, wobei die Hauskrankenpflege (mit fast 47 Prozent), die Heimhilfe (39 %) und Essen auf Rädern (30 %) die am häufigsten in Anspruch genommenen Dienste darstellen. Es bestehen signifikante Zusammenhänge hinsichtlich der Nutzung von mobilen Diensten und der Verfügbarkeit von Einkommen, der Erwerbstätigkeit und der Schulbildung: Personen mit eigenem Einkommen nehmen eher mobile Dienste in Anspruch als Personen ohne eigenes Einkommen; Betreuungspersonen, die vollzeitbeschäftigt sind, nehmen signifikant häufiger mobile Dienste in Anspruch als Betreuungspersonen ohne Beschäftigung; Betreuungspersonen mit höheren Schulabschlüssen nutzen signifikant häufiger das Angebot mobiler Dienstleistungen als Personen mit niedrigeren Schulabschlüssen.
4 Im Falle der Abwesenheit der privaten Hauptpflegeperson wurde im Akutfall in rund 83 Prozent der Fälle für eine Ersatzpflege vorgesorgt, während Ersatzpflege im geplanten Fall in rund 71 Prozent der Fälle gesichert ist. Für die privaten Hauptpflegepersonen ist die Betreuung und Pflege mit Belastungen verbunden, mehr als zwei Drittel (70 Prozent) fühlen sich bei ihrer Betreuungs- und Pflegearbeit zwischen ab und zu und fast immer überbelastet. Als psychische Belastung werden insbesondere das Gefühl der Verantwortung, Überforderung und Aussichtslosigkeit erlebt. Notwendige Verbesserungsvorschläge im Pflegesystem aus Sicht der pflegenden Angehörigen waren: mehr Informationen über rechtliche, pflegerische und medizinische Angelegenheiten sowie eine zentrale Anlaufstelle und telefonische Hotline, eine Erhöhung des Pflegegeldes, größeres Angebot an Kurzzeitpflegeplätzen, mobilen Diensten, Tagesbetreuungsstätten sowie die Schaffung von Nachtbetreuungsangeboten. Qualitative Erhebung Pflegende Angehörige sind der größte Pflege- und Betreuungsdienst und stellen aus ökonomischer Sicht für den Staat und somit für die Volkswirtschaft ein immenses personelles wie auch finanzielles Potenzial dar. Für pflegende Angehörige gibt es allerdings zu wenig Angebote in Form von Beratung, Begleitung oder Unterstützung. Es fehlen sowohl Arbeitskräfte als auch finanzielle Ressourcen. Insbesondere sind Leistungen für pflegende Angehörige aus dem Unterstützungsfonds als zusätzliches finanzielles Angebot noch zu wenig bekannt. Die vorhandenen Angebote scheinen derzeit nur deshalb auszureichen, da viele pflegende Angehörige, die der Beratung oder Unterstützung bedürfen, diese aus unterschiedlichsten Gründen nicht in Anspruch nehmen. Gründe, weshalb pflegende Angehörige keine Unterstützung oder Beratung in Anspruch nehmen, sind unter anderem die Selbstüberschätzung der eigenen Person und gleichzeitig die Unterschätzung der auf sie zukommenden Betreuungs- und Pflegearbeit, vermeintliche soziale Verpflichtung, diese Arbeit alleine schaffen zu müssen, Angst, Scham oder Scheu, fremde Personen in das eigene private Umfeld zu lassen, Unwissenheit insbesondere über finanzielle Unterstützung und schließlich die Inkongruenz zwischen vorhandenem Angebot und speziellem Bedarf an Unterstützung.
5 Empfehlungen Um den pflegebedürftigen Menschen auch in weiterer Folge ein selbstbestimmtes und eigenständiges Leben so lange wie möglich zu Hause zu ermöglichen, ist es von großer Wichtigkeit, weitere Unterstützungsmaßnahmen auf verschiedenen Ebenen zu setzen. Die subjektiven und objektiven Belastungen der pflegenden Angehörigen sind groß, und es liegt am Sozialsystem, sich dieser Vielfältigkeit anzupassen. Qualitätssicherung, Beratung und Schulung in Form von Hausbesuchen: Dabei sollte ein Beratungsdienst für bestimmte Personengruppen im Fokus stehen. Betreuung demenziell Erkrankter: Bedarf an niederschwelligen und finanzierbaren Hilfeangeboten, insbesondere hinsichtlich des stundenweisen Beaufsichtigungsund Betreuungsaufwands für die Erkrankten (mobil und teilstationär in Form von gerontopsychiatrischen Tagesstätten), um dadurch regelmäßige Entlastungszeiten für pflegende Angehörige zu gewinnen. Es erscheint überlegenswert, den Beaufsichtigungsbedarf dementer Menschen stärker in der Pflegegeldbegutachtung zu berücksichtigen. Ebenso ist es angezeigt, die Betreuungssituation demenziell erkrankter Menschen österreichweit wissenschaftlich aufzuarbeiten. Alternative, flexible Angebotsformen: Die Schaffung von 24-Stunden- Bereitschaftsdiensten (Montag bis Sonntag) wäre ein weiteres wichtiges Unterstützungsangebot für Betreuungspersonen, da derzeit die Entscheidung über eine Heimaufnahme davon abhängig ist, ob ein routinemäßiger (oftmals auch sehr kurzer) mobiler nächtlicher Einsatz erforderlich ist oder nicht. Weiters ist die flächendeckende Schaffung von Plätzen in Tageszentren (vor allem in ländlichen Gebieten), Kurzzeitpflegeangeboten und Angeboten der Nachtbetreuung erforderlich. Als ebenso bedeutend wird der Ausbau von mobilen therapeutischen Angeboten erachtet, um eine Verbesserung in der Pflegesituation herbeizuführen und damit ein längeres Verbleiben in der häuslichen Umgebung sicherzustellen. Flächendeckender Ausbau der Dienste und Einrichtungen für pflegebedürftige Menschen: Erforderlich erscheint es, auf Bundesebene quantitative und qualitative Mindeststandards der Dienste und Einrichtungen für pflegebedürftige Menschen zu erarbeiten, um auf diese Weise den pflegebedürftigen Menschen unabhängig von ihrem Wohnort ein regional flächendeckendes und leistbares Mindestangebot zur Verfügung stellen zu können.
6 Selbsthilfegruppen müssten finanziell und personell besser unterstützt werden; Gesprächsrunden sollten professionell moderiert werden. Sozialversicherungsrechtliche Absicherung pflegender Angehöriger: Es erscheint überlegenswert, für private Betreuungspersonen, die Pflegegeldbezieherinnen und - bezieher ab einer bestimmten Pflegegeldstufe betreuen, eine Pflichtversicherung (Kranken- und Pensionsversicherung) zu etablieren. Des Weiteren sollten pflegende Angehörige notwendige Pflegeausgaben steuermindernd absetzen können. Ärztinnen/Ärzte benötigen als Berater für pflegende Angehörige eine effektivere Schulung. Plattform für pflegende Angehörige: Eine umfassende Interessenvertretung sollte auch in der politischen Diskussion die Anliegen pflegender Angehöriger bei der weiteren Ausgestaltung des Pflegevorsorgesystems wahrnehmen.
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