Art. 8 GG Versammlungsfreiheit ROLAND HOHEISEL-GRULER
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- Renate Beutel
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1 Art. 8 GG Versammlungsfreiheit
2 wo stehen wir? Dieses Grundrecht ist nicht auf das Politische beschränkt, sondern umfasst jeden von den Bürgern gesetzten Zweck ihres Zusammenkommens. Denn es ist das unverrückbare Kennzeichen einer freiheitlichen Verfassung, dass sie es dem Einzelnen überlässt, wozu er seine Freiheit gebrauchen will. Politische und private Zusammenkünfte sind so gleichermaßen geschützt, eine Verengung auf den öffentlichen Gebrauch des Grundrechts unter Ausschluss seiner privaten Ausübung ist der Verfassung eines freiheitlichen Staates fremd (Müller- Franken Meinungsfreiheit im freiheitlichen Staat, S. 21 f., 55 ff.).
3 Versammlung Eine Versammlung ist das örtliche Zusammenkommen mehrerer Menschen zur Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks (Dreier/Schulze-Fielitz Art. 8 Rn. 24; Friauf/Höfling/Geis Art. 8 Rn. 15; v. Mangoldt/Klein/Starck/Gusy Art. 8 Rn. 15). Die Gemeinsamkeit der Zweckverfolgung grenzt die Versammlung ab von der bloßen Ansammlung (BVerwGE 56, 63 [69]; 82, 34 [38]), bei der die Menschen zwar den gleichen Zweck verfolgen, hierbei aber nicht miteinander innerlich verbunden sind (Bspe.: Personen vor einem Informationsstand, Gaffer bei einem Verkehrsunfall).
4 zwei oder mehr? Wie viele Menschen zusammenkommen müssen, um von einer Versammlung sprechen zu können, ist eine viel erörterte Frage, die in keiner Relation zu ihrer praktischen Bedeutung steht. Unter dem Gesichtspunkt des Zwecks der Norm, der Schutz des Menschen vor Vereinzelung (klassisch: Maunz/Dürig/Herzog Art. 8 Rn. 48 [Voraufl.]: die Isolierung missliebiger Personen»macht vor der Isolierung vom letzten Freund nicht halt«), wird man zwei Personen für hinreichend halten müssen (OLG Düsseldorf JR 1982, 299 [300]; VGH Mannheim VBlBW 2008, 60; Sachs/Höfling Art. 8 Rn. 13; Stern Staatsrecht, Bd. IV/1, S f.; Kloepfer in: HStR, Bd. VII, 164 Rn. 24; Hufen Staatsrecht II, 30 Rn. 6; Dürig-Friedl/Enders/Dürig-Friedl Einleitung Rn. 26; für mindestens drei Teilnehmer: AK-GG/Hoffmann-Riem Art. 8 Rn. 18; offen gelassen in BVerfGE 104, 92 [104]:»mehrere Personen«); mit dem Wortlaut als der Grenze der Auslegung ist dies noch zu vereinbaren (Maunz/Dürig/Depenheuer Art. 8 Rn. 44).
5 Zweck Der Zweck des Zusammenkommens kann ein beliebiger sein (Dreier/Schulze-Fielitz Art. 8 Rn. 27; Sachs/Höfling Art. 8 Rn. 14 ff.; v. Mangoldt/Klein/Starck/Gusy Art. 8 Rn. 17; Maunz/Dürig/Depenheuer Art. 8 Rn. 48 ff.; Stern Staatsrecht, Bd. IV/1, S f.; Deutelmoser NVwZ 1999, 240; Gallwas JA 1986, 484, 486). Die Gegenposition, nach der die Menschen zusammenkommen müssen, um von ihrem Grundrecht der Meinungsfreiheit Gebrauch zu machen, ist nicht zu begründen. Dies gilt zunächst für ihre engste Variante. Nach dieser hat Gegenstand des Meinungsaustauschs die Erörterung öffentlicher Angelegenheiten zu sein (so BVerfGE 104, 92 [104]; BVerfG [K] NVwZ 2011, 422 [BVerfG BvR 1402/06]; BVerwGE 129, 42 [45 f.]; OVG Bremen BeckRS 2011, [abgelehnt für ein»apolitisches«skinheadkonzert; kritisch dazu Schoch JK 7/12, Pol. u. OrdR Pol. Generalklausel/13]; OLG Oldenburg NJW 2016, 887 [888] [abgelehnt für skandierte Parolen und hassgeprägten Äußerungen]; Jarass/Pieroth/Jarass Art. 8 Rn. 3; Hufen Staatsrecht II, 30 Rn. 7; zu Art. 113 BayLVerf: Lindner/Möstl/Wolff/Wolff Verfassung des Freistaates Bayern, 2009, Art. 113 Rn. 15)
6 Vielfalt an Versammlungsformen Ortsfestigkeit ist kein Merkmal einer Versammlung, sodass auch Demonstrationszüge in den Schutz einbezogen sind (BVerfGE 69, 315 [342 f.]; Dreier/Schulze-Fielitz Art. 8 Rn. 28; a.a. Maunz/Dürig/Depenheuer Art. 8 Rn. 42). Eines eigenen Grundrechts der Demonstrationsfreiheit bedarf es hierfür nicht (Friauf/Höfling/Geis Art. 8 Rn. 27). Vom Schutz umfasst sind das Halten von Reden, das Singen von Liedern, das Sichbewegen in Marschformation oder die szenische Darstellung des Gegenstandes der Versammlung (Dietel/Gintzel/Kniesel/Kniesel Teil I Rn. 168). Geschützt sind auch spontane Versammlungen (BayVGH BayVBl. 2015, 529; BVerfGE 69, 315 [350]; BVerwGE 26, 135 [138]), die ohne Planung und Vorbereitung aus aktuellem Anlass stattfinden; denn Planung und Vorbereitetsein sind ebenfalls nicht Tatbestandsmerkmal einer Versammlung (Jarass/Pieroth/Jarass Art. 8 Rn. 4; zu den Konsequenzen für das Gebot der Anmeldung nach 14 VersG s. unten Rdn. 46 f.)
7 Umfassender Schutzbereich Das Grundrecht des Art. 8 Abs. 1 GG schützt das Recht, an einer Versammlung teilzunehmen, eine Versammlung zu veranstalten und eine solche zu leiten (Kloepfer in: HStR, Bd. VII, 164 Rn. 44 ff.; Sachs/Höfling Art. 8 Rn. 27; Stern Staatsrecht, Bd. IV/1, S. 1222). Der Schutz der Teilnahme setzt keine Unterstützung des Versammlungsziels voraus, sondern erlaubt auch Widerspruch und Protest (OVG Berlin-Brandenburg LKV 2016, 225 [227 f.]). Wohl aber verlangt er die Bereitschaft, die Versammlung in ihrem Bestand hinzunehmen und abweichende Ziele allein mit kommunikativen Mitteln zu verfolgen. Die Gewährleistung des Art. 8 Art. 1 GG endet dort, wo es nicht um die wenn auch kritische Teilnahme an der Versammlung, sondern um deren Verhinderung geht (BVerfGE 84, 203 [BVerfG BvR 772/90] [209]; vgl. zur»kommunikativen Gegendemonstration«BVerfGE 92, 191 [BVerfG BvR 1564/92] [203] mit Anm. Roellecke NJW 1995, 3101; OVG Berlin-Brandenburg LKV 2016, 225 [227 f.
8 Inhaltliche Beschränkung Inhaltlich beschränkt sich der Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG zudem nicht auf Versammlungen,»auf denen argumentiert und gestritten wird«, sondern erfasst»vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen«, bspw. Schweigemärsche, Menschenketten (BVerfGE 69, 315 [344]; 87, 399 [406]; BVerfG NJW 2002, 1031 [BVerfG BvR 1190/90]) und Mahnwachen. Aus Art. 8 Abs. 1 GG erwächst kein grundrechtlicher Schutz für die kollektive Vornahme von Tätigkeiten, die dem einzelnen außerhalb von Versammlungen in verfassungsrechtlich zulässiger Weise verboten sind (BVerfGE 90, 241 [BVerfG BvR 23/94] [250]; 111, 147 [156]).
9 Zeitliche Dimension In zeitlicher Hinsicht besteht der Schutz nicht nur für die Phase des Versammeltseins selbst, sondern auch für den Vorgang des Sich- Versammelns, d.h. die Anreise zum Versammlungsort (BVerfGE 84, 203 [BVerfG BvR 772/90] [209]; a.a. v. Münch/Kunig/Kunig Art. 8 Rn. 18), wie auch die Phase des Sich-Entfernens nach dem geplanten Ende oder der unvorhergesehenen Auflösung der Versammlung. Gewährleistet ist auch das Recht, nicht an einer Versammlung teilzunehmen bzw. eine solche nicht zu bilden, sog. negative Versammlungsfreiheit (BVerfGE 69, 315 [343]; Bethge ZBR 1988, 205 [206]; a.a. ohne Begründung Hufen Staatsrecht II, 30 Rn. 12).
10 Ort der Versammlung Das Recht zur Veranstaltung einer Versammlung schließt die Freiheit zur Entscheidung über Ort, Zeit, Art und Inhalt der Versammlung (BVerfGE 69, 315 [343]; 104, 92 [111]; BVerfG [K] NVwZ 2016, 244 [245]; BVerfG [K] NVwZ 2013, 570 [571]; VGH München, NVwZ-RR 2016, 498 [501]; OVG Hamburg, NordÖR 2016, 219 [222]; OVG Sachsen v B 103/16, juris Rn. 9) wie auch zur Vornahme der notwendigen Vorbereitungshandlungen (Einladung, Werbung, Beschaffung von Räumen usf., Sachs/Höfling Art. 8 Rn. 25) mit ein. Geschützt ist das Interesse des Veranstalters, einen Beachtungserfolg nach seinen Vorstellungen zu erzielen, also gerade auch durch eine möglichst große Nähe seiner Versammlung zu einem symbolhaltigen Ort (BVerfGK 11, 298 [304], im Anschluss an BVerfGE 69, 315 [323, 365]). Das Recht, den Ort der Versammlung zu bestimmen, ist in jedem Falle dann gewährleistet, wenn der avisierte Ort im Allgemeingebrauch steht und damit frei zugänglich ist (BVerfGE 72, 206 [249]; BGH NJW 2015, 2892 [2893]).
11 Mittel der Versammlung Gewährleistet das Grundrecht das Interesse der Veranstalter und Teilnehmer einer Versammlung daran, einen Beachtenserfolg zu erzielen (Rn. 19), so ist nicht nur das Recht geschützt zu entscheiden, in welcher Form der Zusammenkunft (Rn. 15) dieser Erfolg angestrebt, sondern grundsätzlich auch mit welchen Mitteln dieser erreicht werden soll.
12 Mittel So umfasst der Schutzbereich das Verwenden von akustischen Instrumenten wie Lautsprechern, Megaphonen (BVerfG [K] NVwZ 2014, 1453 [BVerfG BvR 2135/09]; BayVGH NVwZ-RR 2015, 104), Trillerpfeifen (BVerfG NJW 2011, 1201 [1207]) und auch grundsätzlich von Trommeln (VG München v M 7 K , juris, Rn. 31 ff.; VG Würzburg v W 5 K , juris Rn. 83, 121), das Aufsetzen von Gegenständen, die sich für symbolische Ausdrucksformen eignen (z.b. Gasmasken als Protest gegen die Luftverschmutzung, Höfling, in: Sachs, Art. 8 Rn. 24), sowie das Tragen einer bestimmten Kleidung; das Tragen von Soldatenuniformen ist dabei nicht von vornherein aus dem Schutz ausgenommen (so aber BVerfGE 57, 29 [BVerfG BvR 446/80] [35 f.]), sondern ist von der Freiheit umfasst, darf jedoch durch Gesetz eingeschränkt werden. Weiter schützt das Grundrechte das Mitführen von Fahnen (Dietel/Gintzel/Kniesel/Kniesel Teil I Rn. 168) und das Zeigen von Transparenten, soweit diese nicht zur Verhinderung der Identifikationsfeststellung eingesetzt werden (VG Leipzig v K 1556/14, juris Rn. 33 ff.).
13 Friedlichkeit und Unbewaffnetheit als Tatbestandsmerkmale. Nach Art. 8 Abs. 1 GG sind nur solche Versammlungen geschützt, deren Teilnehmer friedlich sind und keine Waffen bei sich tragen. Das Erfordernis der Friedlichkeit und der Waffenlosigkeit ist keine Schrankenregelung, die Eingriffe rechtfertigt, sondern bereits eine Begrenzung des Schutzbereichs (BK/Benda Art. 8 Rn. 37; Friauf/Höfling/Geis Art. 8 Rn. 43; v. Münch/Kunig/Kunig Art. 8 Rn. 22): wer sich unfriedlich oder bewaffnet versammeln will, genießt schon nicht den Schutz der Versammlungsfreiheit;
14 Persönlicher Schutzbereich Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit steht allen Deutschen i.s.v. Art. 116 GG zu. Ausländer und Staatenlose können sich auf Art. 8 Abs. 1 GG nicht berufen (BVerwGE 49, 36 [40]). Deren Interesse, sich friedlich und waffenlos zu versammeln, ist einfachrechtlich über das VersG sowie nach Ansicht einer überwältigenden Mehrheit der Meinungen in der Literatur außerdem grundrechtlich über Art. 2 Abs. 1 GG geschützt (v. Mangoldt/Klein/Starck/Gusy Art. 8 Rn. 39; v. Münch/Kunig/Kunig Art. 8 Rn. 7; Sachs/Höfling Art. 8 Rn. 50; Jarass/Pieroth/Jarass Art. 8 Rn. 11; Stern Staatsrechts IV/1, S. 1238; Dreier/Schulze-Fielitz Art. 8 Rn. 49; Friauf/Höfling/Geis Art. 8 Rn. 67; Hoffmann-Riem in: HGR Bd. IV, 106 Rn. 78; Hufen Staatsrecht II, 30 Rn. 14; Dürig-Friedl/Enders/Dürig-Friedl Einleitung Rn. 20).
15 Rechtsförmige und faktische Eingriffe. Das Grundgesetz will mit Art. 8 Abs. 1 GG den Deutschen die Freiheit gewährleisten, sich zu versammeln, ohne dies bei einer Behörde anmelden oder bei einer solchen um eine Erlaubnis nachsuchen zu müssen. Pflichten zur Anmeldung oder Erlaubnis von Versammlungen sind daher typische rechtsförmige Eingriffe in die von dem Grundrecht geschützte Freiheit (Hufen Staatsrecht II, 30 Rn. 18 f.). Zu diesen klassischen Beeinträchtigungen der Versammlungsfreiheit gehören weiter Auflagen zu Versammlungen samt etwaiger zu diesen ergangenen Kostenbescheide (BVerfG [K] NVwZ 2008, 414 [BVerfG BvR 943/02]) sowie Verbots- und Auflösungsentscheidungen oder strafrechtliche oder sonstige Sanktionen, die an durch Art. 8 Abs. 1 GG geschütztes Verhalten anknüpfen (Jarass/Pieroth/Jarass Art. 8 Rn. 12). Neben solchen rechtsförmigen Eingriffen treten behördliche Maßnahmen, die als faktische Eingriffe in das Grundrecht zu werten sind, wenn sie in ihrer Intensität imperativen Maßnahmen gleichstehen und eine abschreckende Wirkung entfalten (BVerfG EuGRZ 2015, 699 [700 unter Bezugnahme auf BVerfGE 65, 1, 43 [BVerfG BvR 209/83]]; restriktiv OVG Mecklenburg-Vorpommern v L 9/12, juris Rn. 65 f.).
16 Schranken Im Hinblick auf die Schranken der Versammlungsfreiheit enthält Art. 8 Abs. 2 GG einen einfachen Gesetzesvorbehalt für Eingriffe in das Recht, sich unter freiem Himmel zu versammeln. Versammlungen in geschlossenen Räumen sind nach dem Text der Verfassung dagegen vorbehaltlos gewährleistet. Wie jedes nach dem Text des Grundgesetzes vorbehaltlos gewährleistete Grundrecht ist die Versammlungsfreiheit hier damit aber nicht schrankenlos garantiert, sondern durch»verfassungsimmanente Schranken«begrenzt (BVerwG NVwZ 1999, 991 [992]; Kloepfer in: HStR, Bd. VII, 164 Rn. 108; Stern Staatsrecht, Bd. IV/1, S. 1266; v. Mangoldt/Klein/Starck/Gusy Art. 8 Rn. 82; Friauf/Höfling/Geis Art. 8 Rn. 126). Für Versammlungen von Dienstverpflichteten in geschlossenen Räumen statuiert Art. 17a GG einen besonderen Schrankenvorbehalt. Unter den Voraussetzungen des Art. 18 GG kann die Versammlungsfreiheit zudem verwirkt werden.
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