RAUS MIT DER SPRACHE UND VERANTWORTUNG ÜBERNEHMEN
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- Hansi Fuhrmann
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1 RAUS MIT DER SPRACHE UND VERANTWORTUNG ÜBERNEHMEN AUCH WENN DIE SITUATION SCHWIERIG IST Andreas Meyer, Jahrgang 1961, ist seit Januar 2007 CEO der SBB AG und führt somit das größte Verkehrsunternehmen der Schweiz mit rund Mitarbeitenden. Der Inhaber eines Anwaltspatents und eines MBA der renommierten französischen Business School INSEAD begann seine berufliche Laufbahn 1990 als Rechtskonsulent und Projektleiter bei der ABB Schweiz, bevor er 1996 beim deutschen Industrieunternehmen Babcock-IKR zwei Geschäftsführungen übernahm. Es folgten ab 1997 verschiedene Positionen im Management der Deutschen Bahn AG, wo er 2004 Vorsitzender der Geschäftsleitung bei der DB Stadtverkehr GmbH wurde. Ab 2005 hatte er außerdem einen Sitz im Executive Board der Deutschen Bahn AG inne. Mein Vater war bei der SBB ein»einfacher Bähnler«wie man damals sagte. Gerade deshalb hat er mir, als ich etwa acht Jahre alt war, eine Lektion erteilt, die in meinem Leben viel Gutes bewirkt hat und bis heute mein Verhalten im beruflichen und privaten Umfeld prägt. Damals ärgerten sich in meiner Primarschule die konkurrierenden Klassen damit, sich gegenseitig die Jacken wegzunehmen, zu verstecken oder gar in den Mülleimer zu werfen. An einem Tag hatte ich es mit dieser Unsitte dann ziemlich übertrieben, und meiner entnervten Lehrerin rutschte die Hand aus, als sie mich auf frischer Tat ertappte: Sie gab mir eine ungewöhnlich kräftige Ohrfeige. Bis dahin waren die Täter nie erwischt worden, und ich war ziemlich überrascht von der schmerzhaften Strafe. Aufgrund des Unrechtsbewusstseins berichtete ich meinen Eltern etwas kleinlaut davon. Zu 201
2 202 meinem Schrecken und nach der Zurechtweisung zu Hause schlug mein Vater vor, zusammen mit mir in die Schule zu gehen und das offene Gespräch mit der Lehrerin zu suchen. Es hat mich schwer beeindruckt, dass mein Vater, der an seiner Uniform unschwer als Eisenbahner zu erkennen war, in der unangenehmen Situation das Gespräch mit der Lehrerin suchte. Weniger schön war für mich natürlich, dass ich mitmusste. Mein Vater wollte nicht nur klären, ob es uns unbekannte Gründe gab, warum die Lehrerin so drastisch reagiert hatte, sondern mich auch dazu erziehen, Verantwortung für mein Fehlverhalten zu zeigen und mich der schwierigen Lage zu stellen. Der Grundsatz meines Vaters, du kannst und sollst allen alles Wichtige sagen, wenn du dabei anständig bleibst, hat mich ein Leben lang begleitet. Ich orientiere mich im beruflichen und privaten Leben bis heute an der Maxime, Verantwortung zu übernehmen, Probleme und Schwierigkeiten auch über den eige nen Tellerrand hinaus offen anzusprechen, auch und gerade dann, wenn mir bewusst ist, dass ich selbst etwas falsch gemacht habe, und Zivilcourage zu zeigen. Sucht man das Gespräch nicht, können sich kleine Ärgernisse jedoch zu großen Problemen aufstauen, und es kommt irgendwann zu einer Explosion, bei der dann großer Schaden entsteht. Diese Offenheit und Klarheit wurde mir nach meiner Rückkehr in die Schweiz als»sehr deutsch«ausgelegt, obwohl mir meine Freunde attestierten, ich sei in 13 Jahren Auslandsaufenthalt doch viel ruhiger geworden. Der offene Austausch führt dazu, dass sich alle Beteiligten weiterentwickeln können, da man sich gegenseitig konstruktives Feedback geben kann. Auf solche Rückmeldungen ist meiner Erfahrung nach jeder angewiesen und profitiert davon je höher in der»hierarchie«, umso mehr. Ich habe auf diese Art
3 203
4 204 sehr viel von Freunden, Chefs und Kollegen gelernt. Und ich habe im Laufe meines Berufslebens immer wieder Vorgesetzte getroffen, die froh waren, wenn sie konstruktiv-kritische Rückmeldungen bekamen. Zu Beginn meiner Karriere bei der Deutschen Bahn nahm ich beispielsweise an Veranstaltungen mit etwa 2000 Führungskräften teil, bei denen der Vorstand etwas präsentierte und dann zur Diskussion darüber anregte. Wie üblich in solchen Situationen, waren alle sehr zurückhaltend. Ich habe mir dann einen Ruck gegeben, dem Vorstand jeweils ein ehrliches, konstruktives Feedback persönlich zu vermitteln. Ich habe klar Position bezogen, das gelobt, was mir gefallen hat, und angesprochen, wenn meiner Meinung nach Punkte noch Verbesserungs- oder Klärungsbedarf aufwiesen. Mit der Zeit war ich dafür bekannt, dass ich mich offen und furchtlos äußerte. Das ging so weit, dass bei einer Veranstaltung, bei der ich mir vorgenommen hatte, nicht der Erste zu sein, der sich zu Wort meldete, mal wieder das übliche Schweigen nach der Aufforderung zur Diskussion herrschte. In dieser Situation sagte der Vorstandsvorsitzende:»Hey, Energie-Meyer, wo bist du?«(ich wurde so genannt, weil ich am Anfang für das Energiegeschäft zuständig war, aber eben auch als energiegeladener Mensch galt.) Es wurde mir klar, dass es zum einen für eine Laufbahn förderlich sein kann, Position zu beziehen. Zum anderen war es auch für die Vorstände essenziell, klare und konstruktive Rückmeldung zu bekommen. Das war für viele unerwartet, da die Deutsche Bahn damals ja noch nicht in allen Bereichen ein dynamischer Konzern war, der mit modernen Managementmethoden geführt wurde. Umso erstaunlicher war es, dass der couragierte Schweizer nicht nur seinen Mund aufmachen durfte, sondern auch gehört und gefördert wurde. Heute bin ich selbst in der Situation, ein großes Unternehmen zu führen, bin darauf angewiesen, die Meinungen, Kritikpunk-
5 te und Anregungen aller Mitarbeitenden zu erfahren, um die SBB stetig weiterzuentwickeln. Aber auch die Mitarbeiter profitieren vom offenen Feedback ihrer Vorgesetzten und Kollegen. Daher wollen wir in der SBB eine konstruktiv-kritische Feedback-Kultur. Sie funktioniert nach dem Ampelsystem: Grün bedeutet, in diesem Punkt läuft alles gut. Diese Dinge sind zu pflegen. Gelb bedeutet, dass ungünstige Entwicklungen im Gang sind. Aus diesem Bereich ist herauszusteuern, um in den grünen zurückzukehren. Rot heißt, dass Resultate schlecht sind jetzt sind Klärungen vorzunehmen. Unsere Feedback- Kultur bezieht sich gleichermaßen auf messbare Ergebnisse, wie auch auf das Verhalten. Wenn ich die Wahl habe zwischen einem Top-Performer mit geringer Integrität und unangemessenem Verhalten und einem guten Performer mit hoher Integrität und einem konstruktiven Verhalten, wähle ich den Zweiten. Denn gutes Verhalten sichert langfristig gute Ergebnisse. Sind bei einem Performance- und Verhaltensreview alle Signale auf»grün«, dann weckt das mein Misstrauen. Weder kann es sein, dass ich in Bezug auf diesen Mitarbeiter immer alles richtig gemacht habe, noch ist es denkbar, dass der Mitarbeiter wenn er ehrlich zu sich ist nicht Unsicherheiten, manchmal Fehler oder Weiterentwicklungsmöglichkeiten bei sich sieht. In keinem Lebensbereich beruflich wie privat gibt es nicht auch Punkte außerhalb des grünen Bereichs. Dann erinnere ich mich an den Grundsatz meines Vaters und fordere mein Gegenüber im übertragenen Sinne auf:»raus mit der Sprache. Du kannst und sollst allen alles Wichtige sagen, wenn du dabei anständig bleibst.«205
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