SchiedsamtsZeitung 42. Jahrgang 1971, Heft 04 Online-Archiv Seite 53a-57 -Organ des BDS
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- Stephanie Falk
- vor 7 Jahren
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1 Aufsätze Eltern haften für ihre Kinder! Von Oberstadtdirektor Herbert Wach, Iserlohn Den mahnenden Satz der Überschrift lesen wir fast täglich an Stellen, an denen eine besondere Gefahr droht, so insbesondere auf Schildern, auf denen die Warnung beginnt mit den Worten Betreten der Baustelle verboten... oder Betreten des Grundstückes verboten.... Der Zusatz Eltern haften für ihre Kinder ist selbstverständlich nicht eine Rechtsgrundlage, nach der die zivilrechtliche Haftung der Eltern entsteht. In den beispielhaft oben genannten Fällen wollen vielmehr die Personen, die ohnehin eine gesetzliche Haftung trifft (Bauherren, Bauunternehmer, Grundstückseigentümer usw.) durch einen rechtlichen Hinweis auf einem Schild einmal ihrer Verpflichtung, auf eine besondere Gefahrenquelle hinzuweisen, genügen und zum anderen damit versuchen, für den Fall, dass ein Schaden eintritt, ein zumindest mitwirkendes Verschulden einer anderen Person in einem Rechtsstreit anerkannt zu bekommen (sog. mitwirkendes Verschulden des Verletzten selbst oder bei Minderjährigen das seiner aufsichtspflichtigen Eltern, bei diesen wegen Vernachlässigung der Aufsichtspflicht). Um die Frage der Verletzung der Aufsichtspflicht und der Haftung aus dieser Unterlassung bei minderjährigen Kindern geht es auch in den beiden oben dargestellten Entscheidungen des LG Mönchengladbach und des OLG Celle. Die darin erwähnten Kinder sind, glücklicherweise, selbst nicht zu Schaden gekommen, weil die Kraftfahrer durch schnelle Reaktion eine Körperverletzung oder gar Tötung der Kinder vermieden haben. Bei ihren Ausweichmanövern haben aber sie selbst einen Schaden erlitten, der ursächlich auf das Verhalten der nicht ausreichend beaufsichtigten Kinder zurückzuführen ist. In solchen Fällen sind jedoch weder Eltern haften für ihre Kinder die Kraftfahrer noch ihre Versicherungsunternehmen gewillt, die Schäden allein zu tragen. Grundsätzlich haftet gemäß BGB derjenige, der vorsätzlich oder fahr-lässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, auf Schadensersatz. Ein entsprechender Rechtsanspruch gegen Kinder unter 7 Jahren scheitert allerdings an der Vorschrift des Abs. 1 BGB, wonach solche Personen für einen Schaden, den sie einem anderen zufügen, nicht verantwortlich sind. Um in solchen Fällen die Geschädigten nicht schutzlos zu stellen, hat der Gesetzgeber den BGB geschaffen. Er lautet: Seite 1/5
2 (1) Wer kraft Gesetzes zur Führung der Aufsicht über eine Person verpflichtet ist, die wegen ihres geistigen oder körperlichen Zustandes der Beaufsichtigung bedarf, ist zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den diese Person einem Dritten widerrechtlich zufügt. Die Ersatzpflicht tritt ein, wenn er seiner Aufsichtspflicht genügt oder wenn der Schaden auch bei gehöriger Aufsichtsführung entstanden sein würde. (2) Die gleiche Verantwortlichkeit trifft denjenigen, welcher die Führung der Aufsicht durch Vertrag übernimmt. Um diese Haftungsgrundlage geht es in der vg. Prozessen. Der BGB enthält nicht etwa eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass für Schäden nur bei Verschulden (Vorsatz und Fahrlässigkeit) gehaftet wird, sondern er schafft eine Haftpflicht für vermutetes Verschulden hinsichtlich der Verletzung der Aufsichtspflicht in Verbindung mit der Vermutung des ursächlichen Zusammenhanges zwischen der Verletzung der Aufsichtspflicht und dem Schaden (Palandt, BGB, 28. Auflage, Anm. 1 zu 5 832). Viele sprechen hier von der Umkehr der Beweislast. Grundsätzlich ist nämlich derjenige auch für das Verschulden des Anspruchsgegners beweispflichtig, der einen Schaden durch dessen Verhalten erlitten hat. Bei BGB hat der Gesetzgeber sich entschlossen, diese Beweislast umzukehren, indem er im Satz 2 des Abs. 1 die Freistellung von der Ersatzpflicht näher beschrieben hat, und zwar in einer Weise, die es dem Aufsichtspflichtigen zur Pflicht macht, die gegen ihn kraft Gesetzes (g 832 Abs. 1 Satz 1 BGB) bestehende Vermutung zu widerlegen. Der Aufsichtspflichtige muss also behaupten und beweisen, dass er alles ihm Zumutbare getan hat, um seiner Aufsichtspflicht zu genügen. In den vorliegenden Fällen haben Kinder unvermittelt die Fahrbahn betreten und dadurch eine Reaktion der Kraftfahrer ausgelöst, die zu Schäden an ihren Kraftfahrzeugen geführt haben. Es war in beiden Fällen die Aufgabe der aufsichtspflichtigen Eltern, einen Entlastungsbeweis zu führen. Er ist ihnen nicht gelungen. Für die Haftung der aufsichtspflichtigen Eltern aus BGB kommt es darauf an, ob die Eltern ihrer Aufsichtspflicht im konkreten Fall und in bezug auf die zur widerrechtlichen Schadenszufügung führenden Umstände genügt haben, vgl. in ständiger Rechtsprechung der BGH, so z. B. Urt. v in SchsZtg S. 18. Zu der Frage des Entlastungsbeweises von Eltern gibt es eine umfangreiche Rechtsprechung, die, wie schon angedeutet, auf die Umstände des Einzelfalles SCHS-ZTG 42. Jg H 4 abstellt. Es ist zwar auch anerkannten Rechtes, dass die Aufsichtspflicht nicht überspannt werden darf. So ist z. B. eine ununterbrochene Beobachtung von kleinen Kindern durch ihre Eltern nicht durchführbar und deshalb auch rechtlich nicht zumutbar. Der Umfang der Aufsichtspflicht richtet sich im Einzelfall nach dem Alter, Seite 2/5
3 den Eigenarten und dem Charakter des Kindes, zum anderen nach den Verhältnissen und Umständen, die nach vernünftiger Anforderung den Umfang der Sorgfalt von Aufsichtspflichtigen als zumutbar erscheinen lassen. Generell, so wird gesagt, reicht eine bloße Ermahnung, Belehrung oder Weisung an das minderjährige Kind nicht aus. Auch können sich Eltern nicht durch den Beweis entlasten, dass sie von einem früheren Fehlverhalten ihres Kindes nichts wussten. Wer aber, wie in den vorliegenden Fällen, in der Nähe von Verkehrsstraßen wohnt, muss über die genannten mündlichen Erklärungen gegenüber dem Kind hinaus durch zumutbare technische Mittel verhindern, dass das Kind unversehens die Fahrbahn betritt. So kann es geboten erscheinen, die Haustür zu verschließen und den Schlüssel abzuziehen, einen vorhandenen Garten so einzuzäunen, und zwar lückenlos, dass das Kind nicht entweichen kann. Nicht ausreichend ist dagegen, dass der aufsichtspflichtige Elternteil von Zeit zu Zeit sich durch einen Blick vergewissert, dass das Kind noch in dem Vorgarten innerhalb der einzäunenden Hecke spielt. Wer gegenüber Kindern ein Verbot ausspricht, ist damit nicht schon entlastet, vielmehr muss er auch beweisen, dass er dafür gesorgt hat, dass das Kind dieses Gebot beachtet. In dem Falle, in dem das OLG Celle entschieden hat, musste die aufsichtspflichtige Mutter sogar damit rechnen, dass ihre Kinder einen jungen (5 Monate alten) Hund unangeleint mitgenommen hatten und dass das Tor zur Straße offen stand. Aus diesem Hinweis des Gerichts ergibt sich, dass Eltern nicht nur positives Wissen gegen sich gelten lassen müssen, sondern dass sie auch mit einem objektiv unvernünftigen Verhalten von Kindern in den unteren Altersstufen rechnen müssen; das ist zumutbar. Das minderjährige Kind zu kontrollieren, hat auch der BGH in einer anderen Entscheidung als zumutbar bezeichnet. Nach seinen Ausführungen im Urteil v (SchsZtg S. 17) hätte das Gericht der letzten Tatsacheninstanz (das OLG) bei der Prüfung der Aufsichtspflicht ermitteln müssen, ob die Streichhölzer, die der fünfjährige Junge zum Anzünden einer Scheune verwendet hat, für ihn frei zugänglich gewesen sind. Es erscheint also hiernach auch zumutbar, dass die Aufsichtspflichtigen die Taschen ihrer kleinen Kinder kontrollieren. Ob das Kind selbst bei seiner schädigenden Handlung ein Verschulden (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) trifft, ist rechtlich unerheblich. Denn der Anspruch auf Schadensersatz gern stellt lediglich auf das vermutete eigene Verschulden des Aufsichtspflichtigen ab und koppelt dessen Schadensersatzpflicht nicht etwa an die Frage, ob das Kind selbst schuldhaft gehandelt hat (vgl. Rosenthal-Bohnenberg, BGB, 15. Aufl., Randnote 2806). Hiernach haftet ein aufsichtspflichtiger Elternteil auch dann, wenn das Kind, gleich welchen Alters, wegen einer Gesundheitsstörung gar nicht schuldhaft handeln kann. Die fehlende Schuldfähigkeit des unmittelbaren Täters entlastet also nicht auch den Aufsichtspflichtigen. Seite 3/5
4 Die rechtliche Verpflichtung, das Kind zu beaufsichtigen, ergibt sich expressiv verbis aus Abs. 1 BGB kann jedoch nicht ohne weiteres auf einen volljährigen, im Haushalt des Vaters lebenden Sohn, ausgedehnt werden (vgl. Eltern haften für ihre Kinder BGH in NJW 1958 S. 1775), anders jedoch bei einem geisteskranken, volljährigen Sohn (RGZ Bd. 92 S. 127), wobei es nach neuerer Ansicht bei einem entmündigten V o l l j ä h r i g e n in jedem Einzelfall auf den Nachweis der Aufsichts b e d ü r f-t i g k e i t ankommt. Sie kann wegen geistigen oder körperlichen Zustandes z. B. vorliegen bei Geistesgestörten, Epileptikern, Blinden usw. (Palandt, Anm. 2 zu BGB). Aufsichtspflichtig sind kraft Gesetzes neben beiden Elternteilen auch die uneheliche Mutter ( ff. BGB) und der Vormund ( , 1793, 1800). Ehe gesetzliche Aufsichtspflicht zu Lasten des gewerblichen Lehrherrn gegenüber minderjährigen Lehrlingen folgt aus ff. Handwerksordnung, jedoch nur für die Zeit der betrieblichen Beschäftigung des Handelsgesetzbuches belastet den kaufmännischen Lehrherrn mit der Aufsichtspflicht. Die Pflicht zur Aufsicht durch einen Lehrer bestimmt sich nach dem Schulrecht; soweit jedoch bei einem beamteten Lehrer die Staatshaftung nach BGB eintritt, besteht gegen ihn selbst kein weiterer Anspruch aus (BGHZ Bd. 13 S. 25). Dagegen haben der familienrechtliche Beistand und der Gegenvormund keine Aufsichtspflicht gegenüber dem Kinde. Auch der sog. Erziehungsbeistand nach dem Jugendwohlfahrtsgesetz ist nicht mit einer Aufsichtspflicht belastet, weil er den personensorgeberechtigten Elternteil nur zu unterstützen und den Minderjährigen zu beraten hat. Neben der Aufsichtspflicht kraft Gesetzes gibt es auch noch eine Aufsichtspflicht, die durch Vertrag übernommen wurde. Bei ihrer Verletzung gilt gern Abs. 2 BGB dasselbe wie bei der Aufsichtspflicht kraft Gesetzes. Typische Anwendungsfälle für vertragliche Aufsichtspflicht sind Ärzte und Pfleger in geschlossenen Anstalten, Kindermädchen, Inhaber einer Schülerpension u. ä. In dem vom OLG Celle entschiedenen Fall hat das Gericht zusätzlich eine Haftung der Mutter als Hundehalterin gern BGB begründet, eine Anspruchsgrundlage, die im übrigen selbständig ist und das Gebiet der sog. Gefährdungshaftung berührt, die ausnahmsweise kein Verschulden des Aufsichtspflichtigen über das Tier zwingend voraussetzt. Das Rechtsgebiet der Gefährdungshaftung muss jedoch einem besonderen Aufsatz vorbehalten bleiben. Bei den hier interessierenden Fragen der Verletzung der Aufsichtspflicht über minderjährige Kinder muss der Schm. im Falle eines Sühneantrages des Geschädigten (bürgerliche Rechtsstreitigkeit) jedoch, bevor er einen Vergleich protokolliert, beachten, dass der Antragsteller unter Umständen den Anspruch nicht mehr hat, weil er bereits auf einen Dritten übergegangen ist. Hat nämlich der verletzte Antragsteller Seite 4/5
5 durch den von dem minderjährigen Kind verursachten Unfall eine Gesundheitsschädigung erlitten, so ist der Schadensersatzanspruch des Verletzten in der Regel auf die Krankenkasse übergegangen. War der Verletzte in einer gesetzlichen Krankenversicherung oder in einer Ersatzkasse, so ergibt sich dieser gesetzliche 'Obergang des Anspruches aus den ff. Reichsversicherungsordnung (RVO). War er in einer privaten Krankenversicherung, so folgt der vertragliche Übergang aus den Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Privatkrankenkasse, die bei dem Vertragsschluß regelmäßig im Vertragsvordruck reitvereinbart werden. Aber auch die beschuldigten Eltern sind in bestimmten Stellen nicht mehr frei, einen Vergleich ohne Beteiligung eines Versicherungsunternehmens zu schließen. Viele Eltern haben nämlich für diese Fälle, in denen ihr Kind einem Dritten einen Schaden zufügen kann, eine sog. Haftpflichtversicherung abgeschlossen. In den Haftpflichtversicherungsverträgen ist in der Regel vereinbart, dass bei rechtlichen Auseinandersetzungen mit den von dem Kind geschädigten Personen der Versicherer zu beteiligen ist. Für den Schm. bietet es sich bei dieser Rechtslage an, in einem ersten Termin einen Vergleichsvorschlag zu machen, aber die beiden Parteien, den verletzten Antragsteller und die beschuldigten Eltern, dann zu bitten, bis zu einem weiteren Termin mit der Eintragung in das Protokollbuch die Zustimmungen ihrer Versicherer zu dem Vergleich einzuholen. Der Hinweis auf Schildern, Eltern haften für ihre Kinder! hat also, wie hier darzulegen versucht worden ist, eine weitgehende rechtliche Bedeutung. In der Praxis der Schr. kommen Fälle, in denen ein verletzter Antragsteller einen Anspruch auf mehr oder minder großen Schadensersatz geltend macht, nicht selten vor. Aus diesen Gründen schien es mir geboten, die vorstehende Übersicht für diese Praxis zu geben. Seite 5/5
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