Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Psychische Belastung bei Angehörigen und Partnern von Patienten und Patientinnen mit Krebserkrankungen
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- Gregor Arnold
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1 Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Psychische Belastung bei Angehörigen und Partnern von Patienten und Patientinnen mit Krebserkrankungen PD Dr. med. Josef Jenewein Leitender Arzt
2 Inhalt Einleitung Häufigkeit und Art von psychischen Problemen bei Krebspatienten und Angehörigen Theoretische Konzepte dyadischer Anpassungsprozesse Screening und Behandlung Seite 1
3 Einbruch durch die Krebserkrankung Körperliche Ebene Emotionale/affektive/existentielle Ebene Psychosoziale Ebene Erschütterung Seite 2
4 Gefühle bei Verlust Seelenschmerz Traurigkeit Wut und Ärger Apathie Antriebslosigkeit Selbstwertverlust Perspektivlosigkeit Lebensmüdigkeit, ev. Suizdidalität Müdigkeit Freudlosigkeit Sozialer Rückzug Appetitverlust Schlafstörungen Libidoverlust Seite 3
5 Gefühle bei Verlust Seelenschmerz Traurigkeit Wut und Ärger Apathie Antriebslosigkeit Selbstwertverlust Perspektivlosigkeit Lebensmüdigkeit, ev. Suizididalität Müdigkeit Freudlosigkeit Sozialer Rückzug Appetitverlust Schlafstörungen Libidoverlust Und Partner? Seite 4
6 Inhalt Einleitung Häufigkeit und Art von psychischen Problemen bei Krebspatienten und Angehörigen Theoretische Konzepte dyadischer Anpassungsprozesse Screening und Behandlung Seite 5
7 Fallbeispiel I 65ig jähriger Patient, erfolgreicher Geschäftsmann, Erstdiagnose eine metastasierten Colonkarzinoms, wünscht eine psychoonkologische Beratung wegen Angstzuständen und Schlafstörung. Beim Erstgespräch, das im Krankenzimmer des Patienten stattfindet, sind neben dem Patienten noch zwei Frauen anwesend, eine ältere und eine jüngere. Die älterer der beiden stellt sich als Ehefrau vor, die jüngere als Frau X, die Tochter, wie ich zunächst annahm. Der Patient war sehr erfreut und sichtlich erleichtert mich zu sehen und bat beide Frauen das Zimmer zu verlassen, da er mit mir alleine reden wollte. Etwas verunsichert teilt er mit, dass die jüngere Frau seine Freundin sei, wovon seine Frau aber nicht wisse. Er wolle nun Rat, wie er mit dieser Situation umgehen soll Seite 6
8 Fallbeispiel II 60ig jähriger Patient, palliative Behandlung bei Lymphom. Pat. Möchte nicht mehr leben, verweigert Essen und Trinken. Ehefrau sehr verzweifelt, wünschte weitere intensive Behandlung. Behandlungsteam wünscht Festlegung des Behandlungsplans und auch Beurteilung der Urteilsfähigkeit des Patienten. Im Gespräch mit dem sehr kachektischen Pat. Fällt ein rasch wechselnder Zustand auf, in klaren Momenten spricht er sich aber klar für eine weitere Behandlung aus, weil er seine Frau durch seinen Tod nicht belasten will. Die Ehefrau ist im Gespräch zunächst sehr abweisend, beklagt sich darüber, dass man ihren Mann sterben lassen wolle und er nicht richtig behandelt werde. Sie berichtet am Ende des Gesprächs, dass sie alles machen werde, dass ihr Mann überlebe, sonst werde sie sich umbringen. Ohne ihren Mann will sie nicht leben Seite 7
9 Inhalt Einleitung Häufigkeit und Art von psychischen Problemen bei Krebspatienten und Angehörigen Theoretische Konzepte dyadischer Anpassungsprozesse Screening und Behandlung Seite 8
10 Miovic M, Block S, Cancer; Seite 9
11 Depression bei Patienten und Partnern (N=741): Patients 40 Partners 20 0 low high Krähenbühl et al. (2007) Praxis; 96: Seite 10
12 Angstsymptome bei Patienten und Partnern (N=741): Patients 40 Partners 20 0 low high Krähenbühl et al. (2007) Praxis; 96: Seite 11
13 Psychiatrische Störungen bei OCC Patienten (N=31) Alcoholabuse 3.2 Alcohol- dependence 9.7 Social Phobia 3.2 Dysthymia 3.2 Depression % Drabe N, Jenewein J et al. (2008) Psycho-Oncology Seite 12
14 Psychiatrische Störungen bei Partnerinnen von OCC Patienten (N=31) Substance-dependence 3.2 Agoraphobia 22.6 Social Phobia 3.2 Generalized Anxiety 3.2 Hypomania 3.2 Dysthymia 3.2 Depression % Drabe N, Jenewein J et al. (2008) Psycho-Oncology Seite 13
15 Angststörung: Anteil belasteter Personen nach Krankheitsstadium Krankheitsstadium Anteil Patienten (%) Anteil Angehörige (%) Aktuell in Erstbehandlung Erstbehandlung abgeschlossen Aktuell in Behandlung eines Rückfalls Rückfallbehandlung abgeschlossen Nur noch Symptombehandlung Geheilt 10 0 Patient ist nicht sicher, in welchem Stadium er steht Seite 14
16 Psychische Belastung bei Patienten und Partnern Patienten mit Krebserkrankungen sind in der Regel stärker psychisch belastet als ihre Partner und Angehörigen. Innerhalb eines Paares sind Frauen, wenn sie an Krebs erkranken, stärker belastet, als wenn Männer erkranken. (Hagedoorn M et al., 2000). Unterschiede bezüglich psychischer Belastung innerhalb eines Paares mit Krebserkrankung hängt also wesentlich vom Geschlecht ab (Hagedoorn M et al., 2008). Partner und Angehörige von Palliativpatienten, die zuhause betreut werden, weisen häufig eine stärkere psychische Belastung auf, als die Patienten selbst (Grunfeld E et al., 2004) Seite 15
17 Figure 1 shows the scatter plot indicating dyad distress scores. Each data point in the figure represents a patientpartner dyad. Quadrant 1: DT below cutoff in both individuals; Quadrant 2: DT above cut-off solely in partners; Quadrant 3: DT above cut-off solely in patients. Quadrant 4: DT above cut-off in both individuals; Zwahlen D, Jenewein J et al., Psycho-Oncology, Seite 16
18 M F 2 4 M 1 3 F Figure 1 shows the scatter plot indicating dyad distress scores. Each data point in the figure represents a patientpartner dyad. Quadrant 1: DT below cutoff in both individuals; Quadrant 2: DT above cut-off solely in partners; Quadrant 3: DT above cut-off solely in patients. Quadrant 4: DT above cut-off in both individuals; Zwahlen D, Jenewein J et al., Psycho-Oncology, Seite 17
19 Inhalt Einleitung Häufigkeit und Art von psychischen Problemen bei Krebspatienten und Angehörigen Theoretische Konzepte dyadischer Anpassungsprozesse Screening und Behandlung Seite 18
20 Konzepte dyadischer Anpassungsprozesse Social support theories (eg, stress and coping theory; stress-buffering theory) Nahe Angehörige und Freunde unterstützen durch praktische und emotionale Hilfe den Anpassungsprozess (Coping) und schützen dadurch vor negativen Effekten von schwierigen Lebensereignissen auf Gesundheit und Lebensqualität. (de Ruiter 1993; Manne 1997; Quinn 1986) Seite 19
21 Konzepte dyadischer Anpassungsprozesse Equity theory Ungleichgewicht von Zuwendung/Belohnung zwischen beiden Partnern, d.h. ein Partner erhält/benötigt mehr als der andere, was bei diesem zu Belastung führt Seite 20
22 QoL overall Lebensqualität und Beziehungsqualität Patients Spouses balanced-group less-balanced-group Jenewein J et al., Eur J Cancer Care, 2007; Seite 21
23 HADS Depression Depression und Beziehungsqualität Patients Spouses balanced-group less-balanced-group Jenewein J et al., Eur J Cancer Care, 2007; Seite 22
24 Konzepte dyadischer Anpassungsprozesse Cognitive social processing theory: Der Austausch mit nahen Angehörigen kann den Anpassungsprozess kognitiv und emotional fördern. Kritisches und nicht-supportives Verhalten aber auch negativ beeinträchtigen (Pistrang & Barker 1992; Porter 2005; Badr & Carmack Taylor 2006) Seite 23
25 Konzepte dyadischer Anpassungsprozesse Dyadic-level theories Das Paar wird als eine Einheit gesehen und die Krebserkrankung als gemeinsame Angelegenheit. Die Aufrechterhaltung eines Gelichgewichts in der Beziehung und die Bereitschaft, Unterstützung vom Partner annehmen zu können, sind in diesen Situationen wichtig. (Manne 2004) Seite 24
26 Konzepte dyadischer Anpassungsprozesse Dyadic coping theory (Bodenmann, 2005) Positives supportives dyadisches coping: die Unterstützung des Partners zielt darauf ab, den anderen Partner in seinem coping zu unterstützen. Delegiertes dyadisches coping: der belastete Partner bittet den anderen, ihm Dinge abzunehmen, um sich selbst zu entlasten (Einkaufen, Haushalt, Telefonate, usw.) Gemeinsames dyadisches coping: Beide Partner beteiligen sich symmetrisch und gleichzeitig am Anpassungsprozess. Negatives dyadisches coping: oberflächliches, ambivalentes oder feindseliges Angebot von Unterstützung Seite 25
27 Konzepte dyadischer Anpassungsprozesse Dyadic coping theory (Bodenmann, 2005) Positives supportives dyadisches coping: die Unterstützung des Partners zielt darauf ab, den anderen Partner in seinem coping zu unterstützen. Delegiertes dyadisches coping: der belastete Partner bittet den anderen, ihm Dinge abzunehmen, um sich selbst zu entlasten (Einkaufen, Haushalt, Telefonate, usw.) Gemeinsames dyadisches coping: Beide Partner beteiligen sich symmetrisch und gleichzeitig am Anpassungsprozess. Negatives dyadisches coping: oberflächliches, ambivalentes oder feindseliges Angebot von Unterstützung Seite 26
28 percent (%) Changes in relationships patient partner none negative positive negative &positive Drabe N, Jenewein J et al., Psycho-Oncology, Seite 27
29 Transaktionales Stress-Modell nach Lazarus und Folkman 1984 Krankheit (Stressor) - Verlust - Bedrohung - Herausforderung Ressourceneinschätzung - Problemorientiertes Coping - Emotionsbezogenes Coping Erfolgreiche Bewältigung Missglückte Bewältigung Keine Bewältigung Positive Emotionen Distress Benigne Irrelevant Quelle: Folkman 1997; Seite 28
30 Transaktionale Stress-Modell nach Folkman: angepasst, 1997 appraisal coping outcome emotion Krankheit (Stressor) - Verlust - Bedrohung - Herausforderung - Problemorientiertes Coping - Emotionsbezogenes Coping Erfolgreiche Bewältigung Missglückte Bewältigung Keine Bewältigung Positive Emotionen Distress Ressourceneinschätzung Meaningbased coping Benigne Positive Emotionen Irrelevant Coping Prozess intensiviert Quelle: Folkman 1997; Seite 29
31 Die beiden zentralen Prozesse bei Verlusterlebnissen (Davis et al. 1998) Suchen von Sinn (Warum?) - geht mit Symptomen von Angst und Depression einher Suchen von positiven Aspekten (Wozu?) - neuer Selbst- und Weltbezug posttraumatische Reifung Seite 30
32 Leiden und Reifung INDIVIDUAL S CAPACITY TO FIND MEANING + + POSITIVE ILLUSION + + RUMINATION + - INDIVIDUAL S CAPACITY TO FIND BENEFIT -? THREAT TO SELF + SUFFERING + - REDEFINITION OF THE SELF Seite 31
33 Posttraumatische Reifung (PTG) Grössere Wertschätzung des Lebens Neue Prioritäten im Leben Grösseres Gefühl persönlicher Stärke Entdeckung neuer Möglichkeiten Verstärkung von Beziehungen Veränderung religiöser und philosophischer Einstellungen Seite 32
34
35 Inhalt Einleitung Häufigkeit und Art von psychischen Problemen bei Krebspatienten und Angehörigen Theoretische Konzepte dyadischer Anpassungsprozesse Screening und Behandlung Seite 34
36 Prävention und Behandlung Onkologen und Onkologie-Pflegepersonen benötigen Kenntnisse über psychiatrische Probleme Adäquate Information des Patienten und Partners über Diagnose und Behandlung ist wichtig (kein Verschweigen!) Gemeinsame Behandlungsplanung und Aufklärung über Optionen Erkennen und Behandeln von psychiatrischen Störungen verbessert Lebensqualität Seite 35
37 Das Distress-Thermometer ein einfaches Screening-Instrument Extreme Belastung Bitte geben Sie an, welche Nummer (0-10) Ihre seelische/psychische Belastung am ehesten trifft. Keine Belastung Seite 36
38 Das Distress-Thermometer ein hervorragendes Screening-Instrument Bei einem Cut-off Wert von 6 Sensitivität Spezifität Patienten Angst Angehörige Angst Seite 37
39 HADS- Hospital Anxiety and Depression Scale Entwickelt von Zigmond and Snaith (1983) Beste Fragebogeninstrument für Pat. mit körperlichen Störungen Schwellenwerte: < 7: Normalwerte 7-10: mögliche Störung (Angst oder Depression) > 10: wahrscheinliche Störung Seite 38
40 Behandlung Beratung und Information Einzelpsychotherapie: Bewältigung von körperlichen und psychischen Veränderungen, existentielle Themen, Akzeptanz, Neuorientierung nach Krebserkrankung Paartherapie: Exploration von Stress und coping, Konfliktlösungsstrategien, Verbesserung von Kommunikation, gemeinsames dyadisches coping fördern Seite 39
41 Zusammenfassung Psychiatrische Erkrankungen sind bei Menschen mit Krebserkrankungen, insbesondere bei fortgeschrittenen Erkrankungen, sehr häufig (> 50%). Auch nahe Angehörige von Patienten mit Krebserkrankungen sind häufig belastet, insbesondere bei Palliativbehandlungen. Innerhalb von Paaren sind hauptsächlich Frauen belastet, unabhängig davon ob sie Betroffene sind oder nicht. Prävention: Screening auch von Partnern, um frühzeitig belastete Paare zu erkennen. Konsequente Information über Krankheitsstadium und Behandlungsoptionen. Paartherapie zur Klärung von Konflikten, Verbesserung von Kommunikation und coping Seite 40
42 Danke! Seite 41
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