Wilhelm v. Humboldts "Idee der Universität"
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- Ingrid Gerstle
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1 Wilhelm v. Humboldts "Idee der Universität" Einleitung Wilhelm von Humboldt: Dieser Namen ist in der Gegenwart das Kürzel für die klassische deutsche Universitätsidee im Allgemeinen und das Verständnis universitärer Bildung im Besonderen. Bologna ist demgegenüber der Ort von Humboldts Tod, wo vor dreizehn Jahren die europäischen Bildungsminister ihren politischen Willen zu einer radikalen Veränderung der Studienstrukturen an den Hochschulen ihrer Länder bekundeten. Vortragsstruktur 1. Zusammenfassung der Humboldtschen Idee der Universität, die eigentlich eine humanistische Idee der Universität ist 2. Kleiner historischer Exkurs zum Mythos Humboldt 3. Zur Kritik an Bologna Stichwort Verschulung 4. Humboldt und Bologna
2 zentrale Texte - Friedrich Schleiermachers Gelegentliche Gedanken über Universitäten in deutschem Sinn von 1808 und - Wilhelm v. Humboldts berühmte Denkschrift über die äußere und innere Organisation der höheren wissenschaftlichen Anstalten in Berlin von 1808 oder 1809, letztere wurde erstmals 1903 vollständig veröffentlicht.
3 1. Zusammenfassung der Humboldtschen Idee der Universität Zitate Schleiermacher Die Schulen beschäftigten sich nur mit Kenntnissen als solchen; die Einsicht in die Natur der Erkenntnis überhaupt, den wissenschaftlichen Geist, das Vermögen der Erfindung und der eigenen Kombination suchen sie nur vorbereitend anzuregen, ausgebildet aber wird dies alles nicht in ihnen. (142)
4 1. Zusammenfassung der Humboldtschen Idee der Universität Zitate Schleiermacher (Fortsetzung) Die Universität hat es also vorzüglich mit der Einleitung eines Prozesses, mit der Aufsicht über seine ersten Entwicklungen zu tun. Aber nichts Geringeres ist dies als ein ganz neuer geistiger Lebensprozeß. Die Idee der Wissenschaft in den edleren, mit Kenntnissen mancher Art schon ausgerüsteten Jünglingen zu erwecken, ihr zur Herrschaft über sie zu verhelfen auf demjenigen Gebiet der Erkenntnis, dem jeder sich besonders widmen will, so daß es ihnen zur Natur werde, alles aus dem Gesichtspunkt der Wissenschaft zu betrachten, alles Einzelne nicht für sich, sondern in seinen nächsten wissenschaftlichen Verbindungen anzuschauen, und in einen großen Zusammenhang einzutragen in beständiger Beziehung auf die Einheit und Allheit der Erkenntnis, dass sie lernen, in jedem Denken sich der Grundgesetze der Wissenschaft bewußt zu werden, und eben dadurch das Vermögen selbst zu forschen, zu erfinden und darzustellen, allmählich in sich herausarbeiten, dies ist das Geschäft der Universität. (143)
5 1. Zusammenfassung der Humboldtschen Idee der Universität Zitate Humboldt Wissenschaft bezieht sich auf etwas noch nicht Gefundenes und nie ganz Aufzufindendes (231). Universitäten sind dazu bestimmt, die Wissenschaft zu bearbeiten Ihr Wesen besteht daher darin, innerlich die objective Wissenschaft mit der subjectiven Bildung unter eigener Leitung zu verknüpfen, oder vielmehr den Übergang von dem einen zum anderen zu bewirken. Da die Universitäten diesen Zweck nur erreichen, wenn jede der reinen Idee der Wissenschaft gegenübersteht, so sind Einsamkeit und Freiheit die in ihrem Kreise vorwaltenden Principien. (229) Es ist ferner eine Eigenthümlichkeit der höheren wissenschaftlichen Anstalten, dass sie die Wissenschaft immer als ein noch nicht ganz aufgelöstes Problem behandeln und daher immer im Forschen bleiben (230) Entsprechend ist das Verhältnis Lehrer Schüler gerade nicht wie in der Schule, sondern beide sind für die Wissenschaft da (230).
6 1. Zusammenfassung der Humboldtschen Idee der Universität Zitate Schleiermacher Es ist das Geschäft der Universität, die Idee der Wissenschaft in den Studenten zu erwecken, daß sie lernen, in jedem Denken sich der Grundgesetze der Wissenschaft bewußt zu werden und eben dadurch das Vermögen, selbst zu forschen, zu erfinden und darzustellen, allmählich in sich herausarbeiten. Der wissenschaftliche Geist, der durch den philosophischen Unterricht geweckt ist, und durch Wiederanschauung des vorher schon Erlernten aus einem höheren Standpunkt sich befestiget und zur Klarheit kommt, muß seiner Natur nach auch gleich seine Kräfte versuchen und üben, indem er von dem Mittelpunkt aus sich tiefer in das einzelne hineinbegibt, um zu forschen, zu verbinden, Eignes hervorzubringen und durch dessen Richtigkeit die erlangte Einsicht in die Natur und den Zusammenhang alles Wissens zu bewähren. Dies ist der Sinn der wissenschaftlichen Seminarien (147)
7 1. Zusammenfassung der Humboldtschen Idee der Universität Zitate Humboldt Der Zweck des Schulunterrichts, so heißt es in seinem Königsberger Schulplan von 1809, ist die Übung der Fähigkeiten und die Erwerbung der Kenntnisse, ohne welche wissenschaftliche Einsicht und Kunstfertigkeit unmöglich ist. Beide sollen durch ihn vorbereitet, der junge Mensch soll instand gesetzt werden, den Stoff, an welchen sich alles eigene Schaffen immer anschließen muss, teils schon jetzt wirklich zu sammeln, teils künftig nach Gefallen sammeln zu können und die intellektuell-mechanischen Kräfte auszubilden. Er ist auf doppelte Weise, einmal mit dem Lernen selbst, dann mit dem Lernen des Lernens beschäftigt. Aber alle seine Funktionen sind nur relativ, immer einem Höheren untergeordnet, nur Sammeln, Vergleichen, Ordnen, Prüfen usf. Das Absolute wird nur angeregt. (191)
8 1. Zusammenfassung der Humboldtschen Idee der Universität Zitate Humboldt (Fortsetzung) Die Schulen, so schreibt er in seiner Denkschrift weiter, sollten den höheren wissenschaftlichen Anstalten gehörig in die Hände arbeiten. Der Universität ist vorbehalten, was nur der Mensch durch und durch in sich finden kann, die Einsicht in die reine Wissenschaft. Zu diesem Selbst-Actus im eigentlichsten Verstand ist nothwendig Freiheit und hülfreiche Einsamkeit. das Wesentliche (ist, UD), dass man in enger Gemeinschaft mit Gleichgestimmten und Gleichaltrigen, und dem Bewusstseyn, dass es am gleichen Ort eine Zahl schon vollendet Gebildeter gebe, die sich nur der Erhöhung und Verbreitung der Wissenschaft widmen, eine Reihe von Jahren sich und der Wissenschaft lebe. (191) Universitäten sind von aller Form im Staate losgemacht. (230)
9 1. Zusammenfassung der Humboldtschen Idee der Universität Zitate Schleiermacher Allein hier wie überall kommt eine Zeit, wo diese Vormundschaft (des Staates gegenüber der Universität, UD) aufhören muß. Sollte diese nicht für Deutschland allmählich eintreten, und wenigstens in dem protestantischen Teile desselben bald ratsam sein, daß der Staat die Wissenschaften sich selbst überlasse, alle innern Einrichtungen gänzlich den Gelehrten als solchen anheimstelle, und sich nur die ökonomische Verwaltung, die polizeiliche Oberaufsicht und die Beobachtung des unmittelbaren Einflusses dieser Anstalten auf den Staatsdienst vorbehalte? Aber Schulen und Universitäten leiden je länger je mehr darunter, daß der Staat sie als Anstalten ansieht, in welchen die Wissenschaften nicht um ihret-, sondern um seinetwillen betrieben werden. (151) Humboldt Der Freiheit droht aber nicht bloss Gefahr von ihm (dem Staat, UD), sondern auch von den Anstalten selbst, die, wie sie beginnen, einen gewissen Geist annehmen und gern das Aufkommen eines anderen ersticken. (233)
10 1. Zusammenfassung der Humboldtschen Idee der Universität Resümee Humboldts Ideal lässt sich wie folgt resümieren: 1. Einheit von Forschung und Lehre, letztere ist zwingend forschungsorientiert. 2. Die Bildung an der Universität erfolgt durch forschendes Lernen, dadurch werden die Studierenden Teil der wissenschaftlichen Gemeinschaft. 3. Wissenschaft zieht junge Menschen zu wahrhaft sittlichen Persönlichkeiten heran. 4. Die Universität stellt die Einheit der Wissenschaften dar, die durch die Philosophie zusammengehalten werden. 5. Innere Autonomie der Universität, d.h. Freiheit von Forschung und Lehre.
11 2. Mythos Humboldt Bis heute ist das Schlagwort der Humboldtschen Universität für das deutsche Universitätssystem identitätsstiftend. Die Humboldtsche Universität steht als Synonym für die moderne deutsche Universität und die Weltgeltung deutscher Wissenschaft im 19. Jahrhundert. Die moderne Forschung zeigt indes, dass dieser Topos der Humboldtschen- Universität eine Erfindung des 20. Jahrhunderts ist. Die Zeitgenossen im 19. Jahrhundert kannten ihn nicht und sie sahen auch in der Gründung der Berliner Universität keine Zäsur in der Universitätsentwicklung. Vgl. Sylvia Paletschek Humboldtsches Modell an den deutschen Universitäten im 19. Jahrhundert von 2001 sowie Die Erfindung der Humboldtschen Universität von 2002.
12 Sylvia Paletschek: Sechs historische Phasen, der Erfindung von Humboldt im 20. Jahrhundert Phase 1 Inthronisierung der neuhumanistischen Universitätsidee ca bis 1910: Im Zentrum dieser ersten Phase stand die Legitimierung der Grundlagenforschung und eine gewisse Glorifizierung der preußischen Bildungspolitik im Namen der Nationwerdung. Phase 2 In den 1920er Jahren: These der überzeitlichen neuhumanistischen Universitätsidee als Weg aus der Krise und Rückkehr zu einer ganzheitlichen Wissenschaftsauffassung. Phase 3 Die Außerkraftsetzung der neuhumanistischen Universitätsidee im Nationalsozialismus. Phase 4 Nach dem zweiten Weltkrieg: restaurative Diskussion mit Bezug auf den Neuhumanismus und der Betonung der universitären Bildungsfunktion. Phase 5 Ab den 1960er Jahren: Bezug auf die Forschungsorientierung der Universität. Phase 6 Ende der 1990er Jahre: Humboldt als Verteidigungsinstrument gegen staatliche Reformen, Stichwort Bologna.
13 2. Mythos Humboldt Fazit Seit dem 20. Jahrhundert ist der Universitätsdiskurs in Deutschland geprägt durch die Auseinandersetzung mit der neuhumanistischen Universitätsidee. Die als überzeitlich postulierte Idee dient als Projektionsfläche für die jeweils zeitgenössischen Universitätsdiskussionen. Durchgängig bezog sich dieser Rekurs (vgl. S. Paletschek): - Insbesondere auf die in Humboldts Denkschrift geforderte zweckfreie Grundlagenforschung. - In den Jahren zwischen 1920 bis 1960 war es zudem die Bildungsaufgabe der Universität, der erhöhte Aufmerksamkeit zukam und mit Bezug auf Humboldt gefordert wurde. - In den 60er Jahren bekam dann die Forschungsfunktion wieder stärkeres Gewicht. - Und Ende des 20. Jahrhunderts wurde Humboldt zur Allzweckwaffe in der Ablehnung der Bologna-Reform.
14 3. Bologna und die Kritik mit Humboldt Zwei zentrale Kritikpunkte 1. Die Unterscheidung zwischen berufsfeldbezogenem vs. wissenschaftsorientiertem Studium. 2. Die Verschulung der (Bachelor-)Studiengänge Mit Schleiermacher kann man die Kritik zusammenfassen: Verderblich, wenn die Universitäten in der Tat nur fortgesetzte Schulen werden... (148)
15 4. Humboldt und Bologna - Seit den sechziger Jahren stärkerer Zugang zur höheren Bildung; bildungsferne gesellschaftlichen Gruppenkommen an die Hochschulen - Von Seiten der Arbeitgeber wird zunehmend die employability der Hochschulabsolventen eingefordert: statt berufsferner Bildungserlebnisse praxisnahe Kompetenzen. Kampf um die Teilhabe an akademischer Bildung und deren Ausgestaltung.
16 4. Humboldt und Bologna Zitate Schimank Diese kulturelle Hegemonie des Bildungsbürgertums hieß: An Qualität der universitären Lehre war niemand ernsthaft interessiert, weder auf Anbieter- noch auf Abnehmerseite. Dieses Desinteresse war geradezu integraler Bestandteil der stabilen wechselseitigen Anerkennung zwischen Professorenschaft und den dem Bildungsbürgertum entstammenden Studierenden. Überspitzt formuliert: Je weniger didaktisch bemüht eine Vorlesung war, je weniger daher ein Student ohne großes eigenes Bemühen verstand, desto mehr fühlte er sich in der Wissenschaft; und dieses Gefühl war das eigentliche universitäre Bildungserlebnis.
17 4. Humboldt und Bologna Zitate Humboldt Es ist ferner eine Eigenthümlichkeit der höheren wissenschaftlichen Anstalten, dass sie die Wissenschaft immer als ein noch nicht ganz aufgelöstes Problem behandeln und daher immer im Forschen bleiben, da die Schule es nur mit fertigen und abgemachten Kenntnissen zu thun hat und lernt. Das Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler wird daher durchaus ein anderes als vorher. (230) Der erstere ist nicht für die letzteren, Beide sind für die Wissenschaft da. (230)
18 4. Humboldt und Bologna Zitate Schimank Was sich unter der Humboldt-Formel der Einheit von Forschung und Lehre faktisch abspielte: die Dominanz der Forschung und die Vernachlässigung der Lehre im Selbstverständnis der Professoren konnte so nicht bleiben. Heute verschaffen sich gesellschaftliche Akteure an den Hochschulen Einfluss, die nicht an Bildung durch Wissenschaft, sondern an Ausbildung für Berufe in Unternehmen aller Branchen, in der Verwaltung, in den Krankenhäusern, Schulen, Gerichten, Fernsehsendern und Zeitungen oder gar Fitness-Studios und Werbeagenturen interessiert sind. Mit dem massenhaften Einzug von Studierenden aus der mittleren und unteren Mittelschicht in die Universitäten gewinnen dort die bildungsfernen Ambitionen die Oberhand.
19 4. Humboldt und Bologna Konfliktlösung - Ein (universitäres) Studium ist der Wissenschaft verpflichtet. Das bleibt von Humboldt. - Die Einheit von Forschung und Lehre ist aufrecht zu erhalten; die Lehre ist forschungsorientiert und kompetenzorientiert; sie berücksichtigt Erkenntnisse der Lehr-/Lernforschung. Hier wird Humboldt durch Bologna ergänzt. - Die Freiheit von Forschung und Lehre ist zwingend zu wahren. Das bleibt von Humboldt. - In diesem Rahmen sind differenzierte Studiengänge zu entwickeln, die neben der Forschungsorientierung weiteren Zielen (z.b. Berufe) entsprechen und zugleich Übergänge sowie lebenslanges Lernen ermöglichen. Das kommt von Bologna. - Die Curricula müssen Struktur mit Freiheit verbinden. Ohne einen kompetenzorientierten Rahmen ist kein moderner Studiengang mehr möglich, aber ohne Freiheit für verschiedene Inhalte ist auch weder forschungsorientierte Lehre möglich noch ein selbstbestimmtes Lernen der Studierende; und dies ist wiederum die Voraussetzung für deren eigenen, kleinen Forschungserfahrungen. Das ist sowohl Humboldt als auch Bologna.
20 Wilhelm v. Humboldts "Idee der Universität" Literatur Humboldt, W. v.: Denkschrift über die äußere und innere Organisation der höheren wissenschaftlichen Anstalten in Berlin, Berlin 2010 Nida-Rümelin, J.: Die Aktualität der humanistischen Universitätsidee, München 2009 Paletschek, S.: Humboldtsches Modell an den deutschen Universitäten im 19. Jahrhundert, Freiburg 2001 Paletschek, S.: Die Erfindung der Humboldtschen Universität, Freiburg 2002 Schelsky, H.: Einsamkeit und Freiheit, Hamburg 1963 Schimank, U.: Humboldt - falscher Mann am falschen Ort, Frankfurt (FAZ) Schleiermacher, F.: Gelegentliche Gedanken über Universitäten in deutschem Sinn, Berlin 2010
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