Entwicklungspotenziale von Kindern fördern = Bewegungsräume herausfordernd gestalten.
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- Björn Boer
- vor 6 Jahren
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1 Entwicklungspotenziale von Kindern fördern = Bewegungsräume herausfordernd gestalten. Einleitung Insbesondere die Babyboomer (Jahrgänge ) sollten sich noch daran erinnern können, wie bewegt, erlebnisreich, selbsbestimmt ohne Überwachung und Kontrolle sie ihre Freizeit mit anderen gestalten konnten. Dabei war die Bewegung, so wie wir sie heute im Zuge von Gesundheit und gesunder Entwicklung definieren nie der eigentliche Antrieb. Bewegung war die zur Verfügung stehende mobile Ressource um gemeinsam mit anderen spielerisch, seine Grenzen und die eigenen körperlichen Fähigkeiten auslotend, mit den alltäglichen und räumlichen Gegebenheiten in Interaktion zu treten. In der heutigen Zeit haben sich die Lebensbedingungen und somit auch die Bewegungsräume von Heranwachsenden deutlich verändert: Kinder finden immer weniger Spiel- und Bewegungsräume vor, in denen sie ihre Bewegungsbedürfnisse spontan ausleben dürfen, Bewegung findet fast ausschließlich in dafür organisierten Bereichen wie u. a. Spielplätzen und Schulhöfen statt. Kinder werden im Zuge organisierter Fördermaßnahmen durch angeleitete Aktivitäten Erwachsener zunehmend verplant ( verplante Kindheit ), Kinder begeben sich immer mehr statisch passiv sitzend in den Einfluss der multimedialen Spiel- und Informationstechnologie (Erfahrungen aus zweiter Hand ), Kinder haben immer weniger Spielpartner, sie spielen häufig allein, Kinder werden durch verunsicherte und in ihrem Erziehungsverhalten zur Überbehütung neigende Erwachsene in ihrem spontanen Spiel- und Bewegungstrieb immer mehr eingeschränkt Diese Fakten stehen im deutlichen Widerspruch zu den heute anerkannten Erkenntnissen, dass Kinder auf eine bestimmte Quantität sowie Qualität von Bewegung zur Sicherung ihrer ganzheitlichen Entwicklungsprozesse angewiesen sind. Insbesondere in den ersten 11 Lebensjahren brauchen Kinder vielfältige herausfordernde, wagnisbesetzte, offene und selbstbestimmte Bewegungshandlungen wie klettern, steigen, balancieren, springen, schwingen, schaukeln etc. Bewegung ist somit mehr als Sport, Leistung, Wettkampf oder Kalorienverbrauch. Bewegung ist vor allem für Heranwachsende eine natürliche Ressource, die sie bei entsprechend motivierenden äußeren Anreizen freudvoll und selbstbestimmt einsetzen, um damit ganz nebenbei ihre Entwicklung zu organisieren. Ein derart verstandener Bewegungsbegriff ist immer ganzheitlich ausgerichtet und somit als Mensch-Welt-Beziehung im Sinne einer Dialoggestaltung aufzufassen (Dietrich 2003). Jede Bewegungshandlung ist für Kinder ein Bedeutungsgewinn und hinterlässt Spuren, die wir fachlich als Kompetenzen bezeichnen (Fischer 2008, 174). Insbesondere aus dieser Blickrichtung heraus gewinnt die Bedeutung der Bewegung für Bildung und Entwicklung unserer Kinder einen immer größeren Stellenwert.
2 Abb. 1: Entwicklung bedeutet, sich in motivierenden und herausfordernden Situationen selbst organisieren zu können Bedauerlicherweise neigen aber gerade Erzieher im Allgemeinen und Spielraumplaner dazu, die Bewegungsräume sehr sicher zu gestalten und die Bewegungshandlungen der Kinder überschaubar zu machen. Weil Unfälle drohen, soll alles geordnet ablaufen und übersichtlich bleiben. Die Bewegungsbedürfnisse der Kinder werden somit unreflektiert an den Verhaltenstypus der Erwachsenen angepasst. Und es sind meist diese Erwachsenen, die heute das komplette Umfeld der Kinder gestalten, organisieren und bestimmen. Spielfreude und Spielrisiko sind zu häufig Opfer einer durch Normen und analoge Konstrukte langweilig gestalteten Bewegungswelt. Mit der Zahl der überbesorgten Eltern steigt aber auch die Zahl der Kinder, die therapeutische Hilfe benötigen (Korczak 2005). Kindliche Entwicklung braucht Raum und Zeit Die speziell im Vor- und Grundschulalter hohe Plastizität (Form und Anpassungsfähigkeit) des heranwachsenden Gehirns - Schaltzentrale all unserer Handlungen und Zentrum unseres Fühlens und Denkens - ist permanent auf komplexe Stimulationen angewiesen. Gehirnentwicklung ist Selbstkonstruktion auf der Grundlage einer motivierenden und zielgerichteten interaktiven Auseinandersetzung der Kinder mit einer anregungsreichen und herausfordernden Umwelt. Entwicklung erfolgt hauptsächlich über die Eigenaktivität des Kindes. Die eigenen, durch Körper und Umwelt gesetzten Grenzen auszuloten und zu überwinden, ohne sich gefährlichen oder waghalsigen Situationen auszusetzen, ist ein eh und je konkretes Bedürfnis jedes Heranwachsenden. Kinder haben das Verlangen, ihren Körper zu beherrschen, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu erwerben, die Geschicklichkeit zu entwickeln und Wagnisse einzugehen. Im Fokus steht die Bewegungsaufgabe, das motivierende Bewegungsproblem, dem sich das Kind in freudiger aber auch gleichzeitig spannungsgeladener Erwartung mit all seinen Sinnen stellt. (Fischer 2008). Ein über Bewegungskönnen gesteigertes Selbstkonzept wirkt sich darüber hinaus positiv auf den Erwerb grundlegender Kernkompetenzen wie Selbstvertrauen, Selbstbewusstsein, Selbstwertgefühl, Risikobewertung sowie Selbstsicherungsfähigkeit aus. Kinder brauchen immer wieder das Gefühl, es gerade geschafft und ihre Ängste überwunden zu haben.
3 Abb. 2: Überschaubare Risiken eingehen bedeutet Selbstvertrauen aufbauen Die besten Impulse und Anregungen für die Entwicklung sind diejenigen, die das Kind sich aus einer reichhaltig strukturierten Umwelt selbst zusammenstellen kann. In der Regel spüren Kinder intuitiv, welche Impulse für sie fruchtbar sind. Kinder brauchen deshalb einen Raum für Versuche, Experimente, Wagnisse und auch Fehler. Sie erfahren dadurch viel über eigene Grenzen und gewinnen ein immer konkreteres Bild von ihrer eigenen Leistungsfähigkeit. Sie brauchen deshalb viel Zeit und Gelegenheit für Experimente und eigene Aktivität, die nicht durch ein zu enges Regelwerk und Bevormundungen seitens der Erwachsenen eingeschränkt werden dürfen. Ganz wichtig hierbei ist der offene Raum für Versuche, Experimente, Wagnisse und auch Fehler. Lernen ist immer emotional besetzt. Größten Erfolg sichern positive Emotionen aus erfolgreichen Problem- und Aufgabenbewältigungen. Dadurch erfahren Kinder sehr viel über eigene Grenzen und gewinnen ein immer konkreteres Bild von ihrer eigenen Leistungsfähigkeit. Diesbezüglich sollen folgende Erwartungen an die Spielraumplaner seitens der Kinder zum Tragen kommen: Das Bedürfnis, selbst zu planen und zu gestalten, muss durch offene, die Selbsttätigkeit und Kreativität der Kinder ansprechende Bedingungen angeregt werden. Den unterschiedlichen Leistungsvoraussetzungen muss durch eine Differenzierung der Herausforderungen und der Bereitschaft überschaubare Risiken einzugehen entsprochen werden. Risikokompetenz muss durch eigene Wagniserfahrungen in grenzwertigen Situationen ausgebildet werden. Selbstvertrauen und Selbstsicherungsfähigkeit muss dadurch gefördert werden, dass das Kind lernt, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen. Soziales Lernen muss durch Aufgabenlösungen die gemeinsames und koordiniertes Handeln und Planen erfordern angeregt werden. Bewegung muss unter die Haut gehen Am Beispiel der Grundtätigkeit Klettern wird exemplarisch verdeutlicht, welche Qualitätsansprüche heute an kindgerechte Bewegungsarrangements gestellt werden müssen. Klettern - eine motorische Grundtätigkeit von Kindern - beansprucht den aktiven und passiven Bewegungsapparat sowie die Bewegungskoordination in sehr komplexer Art und Weise und wirkt sich zudem positiv auf Faktoren wie Risikokompetenz, Selbstsicherungsfähigkeit und Selbstbewusstsein aus.
4 Voraussetzung ist jedoch, dass die Angebote die Kinder auch emotional ansprechen, das heißt anspruchsvoll sind und Grenzerfahrungen ermöglichen, ansonst werden sie schnell langweilig. Kinder brauchen... die Möglichkeit, sich Risiken auszusetzen und ihre Ängste zu überwinden, sagt auch Ellen Sandseter, Psychologin am norwegischen Queen Maude University College gegenüber der NYT. Ich glaube, dass Klettergerüste und hohe Rutschen großartig sind, so Sandseter weiter. Abb. 3: Handlungen wie rutschen und klettern erzeugen nicht nur ein Kribbeln im Bauch, sie sind elementar für körperliche und geistige Entwicklungsvorgänge. Langweilige Spielplätze sind ihrer Auffassung nach schlecht für Kinder, da sie die emotionale Entwicklung sogar hemmen können. Denn laut Sandseter brauchen Kinder eine aufregende Auseinandersetzung mit Höhe und Geschwindigkeit, um spätere Ängste zu überwinden. Sandseter und ihr Kollege Leif Kennair von der Technisch-Naturwissenschaftlichen Universität in Trondheim erklären im Magazin Evolutionary Psychology auch, warum diese Kinder später selbstsicherer mit der Höhe umgehen. Denn Kinder wenden bei ihrem Spielverhalten die gleiche Methode wie Psychotherapeuten bei der Behandlung von Angstpatienten an, indem sie sich langsam, Schritt für Schritt, an immer gefährlichere Situationen herantasten (Abb.) Dieser Anti-Phobien-Effekt erklärt auch die stark ausgeprägte Bereitschaft der Kinder, sich riskanten Situationen auszusetzen. Wer schon einmal mit Kindern auf einem Spielplatz war, weiß wovon die Wissenschaftler schreiben. Dort klettern selbst die Kleinsten, scheinbar furchtlos in schwindelnden Höhen und schaukeln so wild, dass vielen Eltern der Atem stockt. Fazit Die Risiken des Lebens müssen für Kinder auch in Zeiten der Normen und der oftmals überbesorgten Erziehungsverantwortlichen erlebbar, erlernbar und damit beherrschbar sein. Es ist ein von Neugier geleitetes Grundbedürfnis, sich immer wieder an eine vorerst unberechenbare Herausforderung heranzutasten. Ein Gefühl von Kompetenz und eine Überzeugung, durch das eigene Tun etwas bewirken zu können, scheint das allgemeine Kennzeichen dieser Kinder zu sein (Göppel 1997). Spiel mit Risiko Spielrisiko - ist essentiell. Wer sich als Entscheidungsträger unsicher fühlt, sollte sich an professionelle und seriöse Sicherheitsfachkräfte wenden, die den Spielraum hinsichtlich Risk and Benefit bewerten und beraten. Wer Kinder überbehütet raubt ihnen Lebensfreude, Selbstbewusstsein und die Chancen Krisen meistern zu lernen (Korczak 2005). Erst durch die Verbote der Erziehungsverantwortlichen werden die Kinder unsicher und ungeschickt und erleiden Unfälle.
5 Dr. Dieter Breithecker Bundesarbeitsgemeinschaft für haltungs- und Bewegungsförderung e. V Wiesbaden
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