8. Politische Ökonomie
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1 8. Politische Ökonomie Prof. Dr. Christian Holzner LMU München WS 2011/2012
2 8. Politische Ökonomie 8.1 Verschiedene Wahlverfahren 8.2 Medianwählertheorem 8.3 Öffentliche Ausschreibungen Literatur Jean Hindricks und Gareth D. Myles, Intermediate Public Economics, MIT Press, Cambridge, MA, 2006, Kapitel 6 [*]. Wellisch, Finanzwissenschaft I - Rechtfertigung der Staatstätigkeit, Vahlen, München, 1999, Kapitel / 34
3 8. Politische Ökonomie Fragestellung: Wie werden Ausgabenentscheidungen in einer Demokratie getroffen? Annahme hier: direkte Demokratie, d.h. die Wähler entscheiden. Die Hoffnung ist, dass der Entscheidungsprozess vernünftige Eigenschaften hat und zu optimalen Ergebnissen führt. 2 / 34
4 8.1. Verschiedene Wahlverfahren Demokratie: Wahlen entscheiden über die zu implementierende Politik. Das Wahlverfahren bestimmt, wie individuelle Präferenzen aggregiert werden, d.h. welche Alternative gegeben die Präferenzen der Wähler gewählt wird. Das Wahlergebnis ist abhängig vom Wahlverfahren! Es gebe n Wähler; die Menge der Alternativen, aus denen ausgewählt wird ist X. Indiv. Präferenzen werden mit i ( Wähler i zieht x gegenüber y vor ) bezeichnet; gesellschaftliche Präferenz mit. Individuelle Präferenzen sind vollständig und transitiv. 3 / 34
5 Beispiel für individuelle Präferenzen: Es gibt X = 4 Alternativen, w, x, y, z, und 4 Gruppen von Wählern (und n = 19 Wählern) mit folgenden Präferenzen: Typ A B C D Anzahl w x y x 2. x w z z 3. z z w w 4. y y x y Im Folgenden betrachten wir, welche Alternativen bei unterschiedlichen Wahlverfahren die Mehrheit der Stimmen erhalten. 4 / 34
6 1) Pluralitätswahl Die Wähler stimmen für ihre bevorzugte Alternative. Die Alternative mit den meisten Stimmen gewinnt. Ergebnis: y bekommt 9 Stimmen, x 6 und w 4. y gewinnt. Beachte: Für die Mehrheit, d.h. für 10 von 19 Wählern, ist y die schlechteste Alternative. 5 / 34
7 2) Borda-Regel Individuen vergeben Punkte nach der Rangzahl der Alternativen in ihrer Präferenzordnung: 4 Punkte für die beste Alternative, 3 für die zweitbeste... Die Alternative mit der höchsten Punktzahl wird gewählt. Ergebnis: w bekommt 50 Punkte, x 45 Punkte, y 46 Punkte und z 49 Punkte. w gewinnt. 6 / 34
8 3) Stichwahl Es gibt 2 Stufen: In Stufe 1 stimmen Individuen für ihre bevorzugte Alternative; wenn eine Alternative mehr als 50% der Stimmen erhält, gewinnt sie. Wenn nicht, treten die beiden Alternativen mit den meisten Stimmen in einer Stichwahl (Stufe 2) gegeneinander an. Die Alternative, die in der Stichwahl die meisten Stimmen bekommt, gewinnt. Ergebnis: x (6 Stimmen) und y (9 Stimmen) treten gegen einander. x gewinnt mit 10:9 Stimmen. 7 / 34
9 4) Einfache Mehrheitsregel Es wird paarweise über alle möglichen Alternativen abgestimmt. Man nennt eine Alternative Condorcet-Gewinner, wenn sie gegen alle anderen Alternativen gewinnt. Problem: Bei mehr als 2 Alternativen kann es sein, dass kein Condorcet-Gewinner existiert. Einfache Mehrheit führt dann nicht zu einer konsistenten Entscheidung. 8 / 34
10 Beispiel: X = 3 Alternativen, x, y, z, n = 3 Wähler, A, B, C mit folgenden Präferenzen: x A y A z y B z B x z C x C y Abstimmung: x gegen y: x gewinnt. y gegen z: y gewinnt. z gegen x: z gewinnt. Es ergibt sich aufgrund der Abstimmung eine intransitive und zyklische Präferenzordnung: x y z x 9 / 34
11 Condorcet-Paradox: Obwohl individuell konsistente (transitive) Präferenzen vorliegen, kommt es bei paarweiser Abstimmung zu Inkonsistenzen. Anders gesagt, es entstehen zyklische Mehrheiten und man findet kein eindeutiges Abstimmungsergebnis. Vorgehen bei zyklischen Mehrheiten: Bei Abstimmung im Parlament wird typischerweise eine endliche Abstimmungsfolge festgelegt, so dass Zyklen selten auftreten (z.b. x gegen y und der Gewinner gegen z). Politische Auswirkungen: Agenda Setter kann das Abstimmungsergebnis durch Festlegung der Reihenfolge manipulieren. Taktisches Verhalten: Es ist unter Umständen sinnvoll, nicht seine wahren Präferenzen zu wählen, sondern eine ungeliebte Alternative abzuwählen. 10 / 34
12 Arrows Unmöglichkeitstheorem Arrow: Vernünftige Anforderungen an eine gesellschaftliche Entscheidungsregel: (I) Unabhängigkeit von irrelevanten Alternativen: Die gesellschaftliche Entscheidung zwischen x und y hängt nur von den individuellen Präferenzen über x und y ab. (N) Nicht-Diktatur: Es gibt kein Individuum i so dass für alle Kombinationen individueller Präferenzordnungen und alle Paare x, y gilt: x i y x y (P) Pareto-Prinzip: Wenn x i y i x y. (U) Universelle Gültigkeit: Entscheidungsregel ist für alle logisch denkbaren Kombinationen individueller Präferenzordnungen definiert. (T) Transitivität: Wenn x y und y z, dann folgt x z. 11 / 34
13 Theorem (Arrow 1951) Sei n 3 und enthalte X mindestens 3 Elemente. Dann gibt es keine gesellschaftliche Entscheidungsregel, die die Bedingungen I,N,P,U,T erfüllt. Bsp. Borda-Regel: Erfüllt N,P,U,T aber nicht I. Bsp. einfache Mehrheitsregel: Erfüllt U,I,P,N, aber ist nicht T (siehe oben). Ursache für das Condorcet-Paradoxon: Präferenzen der Wähler sind mehrgipflig. 12 / 34
14 8.2. Medianwählertheorem Definition: Präferenzen sind eingipflig, wenn jeder Wähler einen Idealpunkt x i hat und es gilt z > y > x i x i y i z (1) z < y < x i x i y i z (2) Anders gesagt: - Die Präferenzen in der linken Graphik (Abb.1) sind eingipflig, da sie bis zu einem Maximum ansteigen und dann fallen. - Die Präferenzen in der rechten Graphik sind mehrgipflig, da sie zwei lokale Maxima haben. Das bedeutet, dass dieser Wähler extreme Positionen bevorzugt. - Genauer gesagt muss für eingipflige Präferenzen gelten, dass keine Anordnung der Alternativen existiert, für die mehrgipflige Präferenzen vorliegen. 13 / 34
15 Abbildung 1: Eingipflige/mehrgipflige Präferenzen 14 / 34
16 Definition Medianwähler: Medianwähler ist der Wähler, x M, durch den eine Häufigkeitsverteilung in zwei gleich große Gruppen geteilt wird x M mit f(x): Dichtefunktion und F(x): Verteilungsfunktion 0 f(x)dx = F(x M ) = 0, 5 (3) 15 / 34
17 f( x) A B M x Abbildung 2: Der Median 16 / 34
18 Theorem Wenn alle Wähler eingipflige Präferenzen haben, existiert bei Abstimmung mit einfacher Mehrheit eine Alternative, die alle anderen Alternativen schlägt, und zwar der Median der Idealpunkte x M. Beweis: Aus der Definition des Median folgt, dass es genau 50% der Wähler gibt, die Idealpunkte x i > x M haben. Wegen der Eingipfligkeit stimmen diese 50% plus der Medianwähler für x M gegen irgendein x < x M. Analog stimmen 50% plus der Medianwähler für x M gegen jedes x > x M. Es gibt kein x, das gegen x M eine Mehrheit bekommt. 17 / 34
19 f( x) A B1 M X B2 x Abbildung 3: Beispiel für Medianwählertheorem 18 / 34
20 Beispiel: Abstimmung M vs. X M wird sicher von allen, die links von M liegen, gewählt (Fläche A). Das sind bereits 50%. X wird sicher von B2 gewählt. Das sind weniger als 50%. Wen B1 wählt, kann nicht eindeutig bestimmt werden. Einige davon werden M wählen, die anderen X. Ergebnis: Die Alternative M gewinnt in jedem Fall, da sie bereits von den 50% der Individuen, die links von M liegen, gewählt wird. Ein analoges Ergebnis erhält man für ein X, das links von M liegt. Daraus folgt, dass der Medianwähler nie verlieren kann. 19 / 34
21 Beispiel: Öffentliche Güter (Siehe auch Kapitel Abstimmung) Betrachte Individuen mit konkaver Nutzenfunktion u(g, x i ) definiert über den Konsum öffentlicher Güter (G) und privater Güter (x). Individuen haben identische Präferenzen. Sie unterscheiden sich aber in ihren Einkommen. Die Verteilungsfunktion ist F(y i ). Die Finanzierung des öffentlichen Guts erfolgt über eine Kopfsteuer T pro Individuum. 20 / 34
22 Die individuelle Budgetrestriktion ist dann: x i = y i T (4) Mit N Individuen in der Gesellschaft ergibt sich als staatliche Budgetrestriktion: NT = G (5) Einsetzen in (4) ergibt das Optimierungsproblem für Wähler i: Wähle G so, dass max u(g, x), y i = x i + G N (6) 21 / 34
23 Aus der Konkavität der Nutzenfunktion folgt, dass die Indifferenzkurven der Wähler konvex sind. Damit ist Eingipfligkeit erfüllt und das Medianwählertheorem gilt. Ohne weitere Kenntnis der Präferenzen wissen wir nun, dass bei einer Abstimmung mit einfacher Mehrheit die Medianmenge G M gewählt wird. 22 / 34
24 Wenn G ein normales Gut ist, steigt die optimale Menge G(y i ) in y i. Dann ist die Medianmenge die optimale Menge des Wählers mit Medianeinkommen: mit F(y M ) = 0, 5. G M = G(y M ) (7) Vergleich dieser Menge mit der Samuelson-Lösung: Wird durch die Abstimmung zu viel oder zu wenig bereit gestellt? 23 / 34
25 Medianwähler löst max u(g, y M G N ) (8) B.e.O.: u G u x 1 N = 0 (9) oder GRS M = 1 N (10) Vergleiche mit der Samuelson-Bedingung: ug u x = 1 (11) oder GRS = 1 N (12) 24 / 34
26 GZB GK Wähler 3 Wähler 2 GZB/3 Wähler 1 GK/3 0 G 1 G* G 2 G 3 G Abbildung 4: Abstimmung bei öff. Gut (siehe auch Abb. 9, Kapitel 4) 25 / 34
27 Ergebnis Das Abstimmungsergebnis bei einfacher Mehrheitswahl führt genau dann zu einer effizienten Allokation, wenn gilt: Der Median der Grenzzahlungsbereitschaften, GRS M, ist gleich der durchschnittlichen Grenzzahlungsbereitschaft, GRS. Grund: Bei der Samuelson-Regel werden die einzelnen Individuen anhand ihrer Zahlungsbereitschaft gewichtet. Ein Individuum kann durch eine hohe Grenzzahlungsbereitschaft die Intensität seiner Präferenzen ausdrücken. Dies ist im Medianwählermodell nicht möglich. Hier gilt nur one (wo)man, one vote. 26 / 34
28 Unter bestimmten Bedingungen (z.b. mit Cobb-Douglas Nutzenfunktion) ist dies genau dann der Fall, wenn das Medianeinkommen gleich dem Durchschnitt ist: y M = ȳ Dementsprechend ist die Bereitstellung niedriger (höher) als effizient wäre, wenn y M < (>)ȳ. Beachte: Dies hängt von der Form der Finanzierung und der Nutzenfunktion ab. Mit einer Einkommensteuer können, z.b. je nach Präferenzen ärmere Bürger für eine höhere Bereitstellung stimmen als reichere. 27 / 34
29 8.3 Öffentliche Ausschreibungen Bei der Ausschreibung von öffentlichen Aufträgen bzw. der Vergabe von Lizenzen sollten allokationstheoretisch diejenigen Bieter zum Zuge kommen, die die geringsten Kosten bzw. die höchste Grenzzahlungsbereitschaft haben. 28 / 34
30 Eine gute Möglichkeit, dies zu erreichen, bieten öffentliche Auktionen: Durch den iterativen Prozess wird derjenige die Ausschreibung gewinnen, der die geringsten Kosten hat. Der Preis des kostengünstigesten Anbieters wird um ein Epsilon geringer sein als der des zweitbesten Bieters. Wenn die Bieter sehr homogen sind, wird dadurch die Rente fast vollständig abgeschöpft. Sind die Bieter sehr heterogen, kann der kostengünstigste Bieter einen größeren Teil der Rente abschöpfen. 29 / 34
31 Weitverbreitete Praxis sind sogenannte Sealed Bit Angebote: Bieter geben nur ein Angebot ab, das nicht veröffentlicht wird. Dieses Verfahren führt zu starkem strategischen Verhalten der Beteiligten. Das Angebot, das ein Bieter macht, ist ein Abwägungsproblem zwischen einer erhöhten Zuschlagswahrscheinlichkeit bei geringem Preis und einem geringem Gewinn durch die Angabe eines niedrigen Preises. In keinem Fall wird er jedoch Preis = wahre Kosten angeben, da dann im Falle des Zuschlags der Gewinn null ist und er durch den Auftrag keinen Vorteil hat. Den Zuschlag bekommt damit nicht unbedingt derjenige mit den geringsten Kosten und das Verfahren ist daher allokationstheoretisch suboptimal. 30 / 34
32 Alternative: Second Price Auction (Vickrey) Bei diesem Mechanismus bekommt der billigste Anbieter den Zuschlag, wobei der Preis des zweitbilligsten Anbieters gezahlt werden muss. Annahmen: K i : tatsächliche Kosten K i : bestes Angebot aller Anbieter außer i K i : Angebot von i 31 / 34
33 K 3 * Abbildung 5: Öffentliche Ausschreibung: Second Price Auction 32 / 34
34 Zu K i > K i : Untertreibung durch K1 bringt keinen Nachteil. Übertreibung hingegen verringert die Zuschlagswahrscheinlichkeit. Während K2 noch keinen Nachteil bringt, stellt sich der Anbieter i durch K3 echt schlechter als durch K i, denn er erhält den Zuschlag nicht mehr, obwohl er die niedrigsten Kosten hat. Zu K i < K i : Übertreibung der Kosten durch K3 bringt weder einen Vorteil noch einen Nachteil. Untertreibung hingegen erzeugt eine Verlustchance. Während K2 kein Problem darstellt, stellt sich Anbieter i mit K 1 echt schlechter als mit K i, da er den Zuschlag erhält, seine Kosten (K i ) jedoch höher als sein Entgelt (K i ) sind. 33 / 34
35 Da der Anbieter nicht weiß, welcher Fall in der Realität vorliegt, ist die beste Strategie: Preis = wahre Kosten. Somit ist dieser Mechanismus anreizkompatibel. Ob der Mechanismus für den Staat gut oder schlecht ist, lässt sich allgemeingültig nicht sagen. Auf alle Fälle wird der soziale Nutzen maximiert, da der Anbieter mit den niedrigsten Kosten den Zuschlag erhält. 34 / 34
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