Segregation als Voraussetzung für gelebte Integration? Zukunftsgestaltung urbaner Gesellschaften Zürcher Migrationskonferenz 2014 Dr. Cornelia Schu 25. September 2014 Zürich
Agenda 1. der Sachverständigenrat (SVR) 2. Bevölkerung: Der Trend geht zur Super-Diversität 3. integrationstheoretische Überlegungen 4. Realitätscheck: Integrationsklima in 5 deutschen Großregionen 5. Segregation als Voraussetzung für Integration? Seite 2
Der Sachverständigenrat (gegr. 2008) betreibt wissenschaftliche Politikberatung auf Basis eigener Forschung. STIFTUNGEN aus der Zivilgesellschaft heraus gegründet rein wissenschaftlich, politisch unabhängig 9 Professoren aus unterschiedlichen Disziplinen und Forschungsbereichen Jahresgutachten 2014 mit Integrationsbarometer eigenständiger Forschungsbereich für anwendungsorientierte Projekte Geschäftsstelle im Herzen Berlins Organisation von Konferenzen aktive Öffentlichkeitsarbeit Seite 3
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Steigende gesellschaftliche Diversität - Daten zum Fallbeispiel Deutschland Anteil von Personen mit Migrationshintergrund: an Gesamtbevölkerung: 20% (absolut: 16 Mio.) an Bevölkerung im Alter von 15-25 Jahren: 25% an Bevölkerung unter 6 Jahren: 50% Schweiz: 34,8% Personen mit Migrationshintergrund (alle Personen, deren Eltern im Ausland geboren sind) Regionale Verteilung unterscheidet sich stark: deutlich weniger in Ostdeutschland deutlich mehr in Städten als in ländlichen Regionen Zahl der Herkunftsländer ist deutlich gestiegen (Super-Diversität) Seite 5
Großstädte sind Zentren Personen mit Migrationshintergrund, 2011 Bremen 26,5% Hamburg Hamburg 28,3% von Diversität Rostock 6,4% Berlin 24,1% Köln 32,3% Düsseldorf Frankfurt 43,0% Dresden 7,3% Stuttgart Stuttgart 38,6% München München 34,3% Quelle: Zensusdaten 2011 Seite 6
Vielfalt in Deutschland: Trend zur Super-Diversität Türkei 18.5% andere 46.2% Polen 9.2% Russland 7.7% Kroatien 2.3% Griechenland 2.5% Kasachstan 5.8% Italien 4.9% Rumänien 3.0% Quelle: Mikrozensus 2011 Seite 7
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Nationale Großmodelle mit unterschiedlichen Annahmen und Folgen dominierten lange Jahre die Integrationspolitik 1. Multikulturalismus (NL, GB, KAN) Anerkennung von Differenz Integration aus eigener Identität heraus Sonderrechte: staatliche Förderung einer ethnischen Infrastruktur / Zugehörigkeit Erwerb der Staatsbürgerschaft ist nicht maßgeblich für Integration Gleichheit durch staatliche Anerkennung und Aufrechterhaltung der kulturellen und religiösen Unterschiede 2. Republikanismus (F, USA) Anerkennung von Indifferenz Integration durch Identität als Citoyen keine Sonderrechte: keine Unterstützungsleistungen für ethnische Gruppen Staat fördert den raschen Erwerb der Staatsbürgerschaft Gleichheit durch rasche Einbürgerung und Anpassungsleistung jedes einzelnen Zuwanderers 3. Gastarbeiter- bzw. Segregationsmodell (D) defensive Erkenntnisverweigerung : Deutschland ist kein Einwanderungsland deshalb auch Abwesenheit aktiver Integrationspolitik Gründe: spätes nation-building nach 1989, davor Provisorium mit großer Diaspora Gleichheit ist kein Ziel, sondern Rückwanderung Seite 9
Großmodelle weichen allmählich eher pragmatischen Steuerungsmechanismen KRISE DER GROSSMODELLE soziale Segregation von Zuwanderern eher verfestigt (Pariser Vororte, Parallelgesellschaften in NL, rechtpopulistische Parteien) unter Bedingungen von Super-Diversität wäre Bereitstellung von gruppenspezifischen Sonderrechten nicht realisierbar KONVERGENZMODELLE Trend geht zu weniger ideologisch fundierten und eher pragmatischen Modellen: Fokus auf Erwerb von instrumentellem Wissen, um im Alltag zurecht zu kommen Erwerb der jeweiligen Verkehrssprache Erwerb von Grundwissen über Strukturen der jeweiligen Polity und anderer institutioneller Charakteristika des Landes Bildungsbeteiligung für Schulkinder Sanktionierung von Nicht-Kooperation, aber keine kulturelle Assimilationspolitik Ziele dieser Maßnahmen: wirtschaftliche Autonomie, Unabhängigkeit von staatlicher Alimen tierung und Selbständigkeit Seite 10
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Das Integrationsklima in 5 deutschen Großregionen wird im SVR-Integrationsbarometer erfasst. Methodisches Vorgehen: telefonische Befragung in 5 Großregionen (Rhein-Ruhr, Stuttgart, Rhein-Main, Berlin-Brandenburg, Halle-Leipzig) Befragte: ca. 9.000 (2011) und ca. 5.600 (2013) Überrepräsentation der Bevölkerung mit Migrationshintergrund ermöglicht Aussagen zu einzelnen Herkunftsgruppen wird durch Gewichtungsfaktoren an reale Bevölkerungsverhältnisse angepasst (repräsentative Auswertung) Zufallsauswahl mehrsprachige Befragung Seite 12
Das Integrationsklima ist seit 2009 anhaltend freundlich. In Schulnoten ausgedrückt gaben die Befragten (mit und ohne Migrationshintergrund) dem Integrationsklima eine Zwei. Die Befragten mit Migrationshintergrund sind im Schnitt etwas optimistischer. Befragte wünschen sich generell eine größere interkulturelle Öffnung, z.b. Schule, Medien, Verwaltung. Entsprechend fanden die Befragten mehrheitlich auch bislang Zuwanderer in vielen Berufen im öffentlichen Dienst unterrepräsentiert. Eine breite Zustimmung fände eine verstärkte politische Beteiligung. Religiöse Pluralität wird generell begrüßt (z.b. islamischer Religionsunterricht), solange sie abstrakt bleibt. Seite 13
muslimische Lehrerinnen an staatlichen Schulen im Unterricht ein Kopftuch tragen dürfen sollten. eine Befreiung vom Schwimm- oder Sportunterricht aus religiösen Gründen erlaubt sein sollte. Die Gewährung von Sonderrechten für islamische Religionsanhänger wird eher ambivalent gesehen. Zustimmung zur Aussage, dass Befragte mit Migrationshintergrund 15.0 16.2 22.3 45.7 Befragte ohne Migrationshintergrund 9.9 13.6 29.2 46.7 Befragte mit Migrationshintergrund 20.3 23.4 19.7 35.1 Befragte ohne Migrationshintergrund 12.6 22.9 23.4 39.7 0% 20% 40% 60% 80% 100% voll und ganz eher ja teils/teils eher nein gar nicht Quelle: SVR-Integrationsbarometer 2014; gewichtete Daten Seite 14
eine Moschee in der Nachbarschaft mehr stört als eine Kirche. eine Kirche in der Nachbarschaft mehr stört als eine Moschee. Eine Kirche oder eine Moschee in der Nachbarschaft: Was stört Sie mehr? Zustimmung zur Aussage, dass Anmerkung: Die Frage wurde jeweils der Hälfte der Personen in der Stichprobe auf Kirche bzw. Moschee bezogen gestellt. Befragte mit Migrationshintergrund 16.4 78.2 Befragte ohne Migrationshintergrund 21.7 70.5 Befragte mit Migrationshintergrund 12.0 11.2 19.3 56.8 Befragte ohne Migrationshintergrund 11.6 11.7 26.1 47.8 0% 20% 40% 60% 80% 100% voll und ganz eher ja teils/teils eher nein gar nicht Quelle: SVR-Integrationsbarometer 2014; gewichtete Daten Seite 15
Der Islam gehört zu Deutschland skeptische bis ablehnende Haltung zu dieser Aussage. Zustimmung zur Aussage, der Islam ist ein Teil Deutschlands, nach Herkunftsgruppen der Befragten Befragte ohne Migrationshintergrund 12.2 32.9 36.0 17.2 Befragte mit Migrationshintergrund 13.1 41.0 27.8 16.2 Spät-/Aussiedler 7.9 41.9 27.9 20.7 Türkei 21.1 44.8 20.4 10.4 übrige Welt 12.4 46.8 25.3 13.4 0% 20% 40% 60% 80% 100% voll und ganz eher teils/teils eher nicht gar nicht Seite 16
Problem Vorurteile: breite Ablehnung von bestimmten Gruppen als Nachbarn. Unerwünschte Nachbarn nach Herkunftsgruppe der Befragten Roma-Familie Familie mit vielen Kindern Familie, die von Sozialhilfe lebt muslimische Familie Aussiedlerfamilie aus Russland 20.9% 18.8% 19.5% 15.9% 16.2% 11.6% 7.8% 18.4% 16.1% 23.6% 5.5% 17.0% 15.0% 6.0% 14.5% 13.8% 51.9% 44.3% 50.8% 59.2% 0% 20% 40% 60% 80% Befragte ohne Migrationshintergrund Spät-/Aussiedler Türkei EU27 Quelle: SVR-Integrationsbarometer 2014; gewichtete Daten Seite 17
Agenda 1. der Sachverständigenrat (SVR) 2. Bevölkerung: Der Trend geht zur Super-Diversität 3. integrationstheoretische Überlegungen 4. Realitätscheck: Integrationsklima in 5 deutschen Großregionen 5. Segregation als Voraussetzung für Integration? Seite 18
Durch Segregation können u.u. Konflikte vermieden werden; sie führt aber zu rapide sinkenden Teilhabechancen. Klassische Assimilation als nachholende Integration Entweder-oder-Modell Inklusion in ethnischen Kontext Inklusion in Aufnahmekontext JA NEIN JA Multiple inclusion Segmentation NEIN Assimilation Marginalität Integration als Eröffnung von Teilhabechancen Sowohl-als-auch-Modell Teilhabe an kultureller Identität der Herkunftsgruppe Quelle: Berry, John W. (1997), S. 9 Teilhabe an anderen kulturellen Gruppen bzw. Gesamtgesellschaft JA NEIN JA Integration Separation NEIN Assimilation Marginalisierung Seite 19
Besonders in Großstädten wird die schulische Segregation zum Problem. Quelle: Segregation an deutschen Schulen (SVR-Forschungsbereich 2013) Seite 20
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Seite 21