20. St. Galler Infekttag, Rorschach, 26.02.15 Gesellschaftlicher Wandel und soziale Sicherheit Prof. Dr. Carlo Knöpfel FHNW/HSA/ISS
Führt der gesellschaftliche Wandel zu mehr oder weniger sozialer Sicherheit? Normative Setzung: Soziale Sicherheit für alle! Theoretische Fundierung: welfare mix als Quellen der sozialen Sicherheit: Erwerbsarbeit, Familie und Sozialstaat Empirischer Zugang: Beschreiung zentraler Faktoren des gesellschaftlichen Wandels mit Blick auf die soziale Sicherheit 2
Gesellschaftlicher Wandel und soziale Sicherheit Wandel der sozialen Lebensformen Sozialstaat Familie Soziale Sicherheit Demographisc her Wandel Politischer Wandel Erwerbsarbeit Wirtschaftlicher Wandel 3
Gesellschaftlicher Wandel seit den 70er Jahren Die Siebziger Jahre als Übergangsphase Ende des «golden age» und erste Warnungen vor den «Grenzen des Wachstums» Erdölkrise und weltweite Abhängigkeiten bei der Energieversorgung Vietnam-Krieg, Übergang zu flexiblen Wechselkurse und Globalisierung der Finanzmärkte Beginnende Kommerzialisierung der Mikroelektronik und dritte technologische Revolution 4
Wirtschaftlicher Wandel Globalisierung der Wirtschaft und Standortwettbewerb Focus auf wertschöpfungs-, kapital- und wissensintensive unternehmerische Tätigkeiten zentrale Cluster von Multis, KMU und Hochschulen Sektorialer Wandel Abgebremste De-Industrialisierung Wachstum des öffentlichen Sektors 5
Erwerbstätige nach Sektoren Quelle: BFS 6
Wandel der sozialen Lebensformen Auflösung traditioneller sozialer Milieus Verlust an sozialer Kontrolle Begrenzte soziale Mobilität Neues Rollenverhalten der Frauen Bildungsoffensive der Frauen Mehrfachbelastung, trotz zunehmender «Vereinbarkeit» 7
Erwerbsquote von Frauen (1970-2000) 8
Demographischer Wandel Bevölkerungswachstum Stagnierende Fertilitätsrate bei steigender Lebenserwartung «junge» Migration Verschiebung der Gewichte zwischen den verschiedenen Altersgruppen deutliche Zunahme der Zahl von Hochbetagten steigender Altersquotient 9
2000: Altersquotient 25%: auf eine alte Person kommen vier Erwerbstätige 2050: Altersquotient 50%: auf eine alte Person kommen zwei Erwerbstätige 10
Politischer Wandel Dreipolares System mit wechselnden Mehrheiten Mitteparteien als Mehrheitsbeschafferinnen Verstärkter Einsatz von Initiativen und Referenden Verschiebung zwischen den Bundesratsparteien Rasanter Aufstieg der SVP Schleichende Verluste der Mitteparteien 11
Stärke der grossen Bundesratsparteien im Nationalrat Quelle: BFS 12
Gesellschaftlicher Wandel und soziale Sicherheit Wandel der sozialen Lebensformen Sozialstaat Familie Soziale Sicherheit Demographisc her Wandel Politischer Wandel Erwerbsarbeit Wirtschaftlicher Wandel 13
Wandel der Erwerbsarbeit (I) Massiver Anstieg der Erwerbstätigkeit Wachsende Arbeitsmigration mit guter Ausbildung Zunehmende Erwerbstätigkeit der Frauen 14
Erwerbstätige nach Nationalität (Jahresdurchschnitt, in 1 000) Quelle: BFS 15
Wandel der Erwerbsarbeit (II) Massiver Anstieg der Erwerbstätigkeit Wachsende Arbeitsmigration mit guter Ausbildung Zunehmende Erwerbstätigkeit der Frauen Grosser Tieflohnsektor Tieflohnbranchen im Binnensektor Überwiegende Beschäftigung von Frauen 16
17
Wandel der Familien (I) Sinkende Grösse der Kernfamilien Rückgang der Grossfamilien Wachsende Bedeutung der Zweikind-Familien 18
Familienhaushalte 1930-1960-2000 (in 1000) 1930 1960 2000 absolut In % absolut In % absolut In % Alle Familienhaushalte 626.3 100 846.5 100 1059.6 100 1 Kind 220.1 35 338.3 40 430.7 41 2 Kinder 181.8 29 269.3 32 444.1 42 3 Kinder 103.4 17 137.5 16 143.4 14 4 Kinder 55.9 9 58.7 7 33.0 3 5 und mehr Kinder 65.0 10 42.6 5 8.5 1 19
Wandel der Familien (II) Sinkende Grösse der Kernfamilien Rückgang der Grossfamilien Wachsende Bedeutung der Zweikind-Familien Hohe Instabilität der Paarbeziehungen Hoher Anteil Scheidungen am Bestand der Eheschliessungen Steigende Widerverheiratungsrate 20
21
Wandel des Sozialstaates (I) Konstante Abdeckung der «alten» sozialen Risiken Dominanz des Risikos «Alter» Keine neuen Sozialversicherungen für working poor und Alleinerziehende 22
Quelle: BSV 23
Wandel des Sozialstaates (II) Konstante Abdeckung der «alten» sozialen Risiken Dominanz des Risikos «Alter» Keine neuen Sozialversicherungen für working poor und Alleinerziehende Gleichbleibende Belastung der Wirtschaft Begrenzung der Sozialversicherungen Konstanter Verlauf der Sozialleistungsquote 24
Soziallastquote und Sozialleistungsquote 25
Gesellschaftlicher Wandel und soziale Sicherheit Wandel der sozialen Lebensformen Sozialstaat Familie Soziale Sicherheit Demographisc her Wandel Politischer Wandel Erwerbsarbeit Wirtschaftlicher Wandel 26
Gefährdete soziale Sicherheit (I) Schleichende Prekarisierung der Erwerbsarbeit Arbeitsplatzunsicherheit als Normalität «mismatching»: Wachsende Zahl von «Überflüssigen» und steigende Sockelarbeitslosigkeit 27
Verlauf der Erwerbslosigkeit: Ende der Vollbeschäftigung? Quelle: BFS, Erwerbslosenstatistik nach ILO, 2014 28
Gefährdete soziale Sicherheit (II) Schleichende Prekarisierung der Erwerbsarbeit Arbeitsplatzunsicherheit als Normalität «mismatching»: Wachsende Zahl von «Überflüssigen» und steigende Sockelarbeitslosigkeit Familien am Limit Überlastete Familienfrauen in der «Vereinbarkeitsfalle» Hohe Zahl von working poor-haushalten 29
Armutsgefährdungsquote von Erwerbstätigen 30
Gefährdete soziale Sicherheit (III) 31
Betreuung und Pflege im Alter - Prognosen 200 Pflegebedürftige Personen (in Tausend) 180 160 140 120 100 80 60 40 20 Männer 80plus Männer 65-79 Frauen 80plus Frauen 65-79 0 Prognose 2010 Prognose 2015 Prognose 2020 Prognose 2025 Prognose 2030 20. SG Infekttag C. Knöpfel 32
Gesellschaftlicher Wandel und soziale Sicherheit Gesellschaftlicher Wandel droht das Ziel «soziale Sicherheit für alle» zu gefährden Sozialer Friede und sozialer Zusammenhalt verlieren als Standortfaktoren an Bedeutung Erwerbsarbeit wird wieder zur sozialen Frage Der Sozialstaat scheint an politische, nicht ökonomische Grenzen zu stossen Die Familie steht vor einer Renaissance 33
34