Unendlich teilbare Wahrscheinlichkeitsmaße und symmetrisch stabile Verteilungen, ein Einblick

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Transkript:

Kapitel IX Unendlich teilbare Wahrscheinlichkeitsmaße und symmetrisch stabile Verteilungen, ein Einblick Reinhard Höpfner Vorlesung Stochastik II Wintersemester 2010/11 Institut für Mathematik, Johannes Gutenberg Universität Mainz 03.01.07, 29.10.10 1

2 Unendlich teilbare Wahrscheinlichkeitsmaße Übersicht zu Kapitel IX : Eine Klasse von Maßen auf 9.1 9.2 Satz über schwache Limiten von Poisson-Mischungen 9.3 9.6 Zur Notwendigkeit der Zentrierung 9.7 Poisson-Mischungen als Nicht-Lindeberg-Dreiecksschemata von L 2 -Variablen 9.8 Unendlich teilbare Wahrscheinlichkeitsmaße 9.9 9.11 Lévy-Chinchine-Formel (ohne Beweis 9.12 Skalierungsresultate für symmetrisch stabile Verteilungen 9.13 9.14 Zur Austauschbarkeit von Trunkationsfunktionen 9.15 Strikte Stabilität 9.16 Symmetrisch stabile Verteilungen 9.17 9.18 Klasse aller strikt stabilen Verteilungen (ohne Beweis 9.19

Kapitel IX 3 Dieses Kapitel stellt einen neuen Typ von Grenzwertsatz vor. Komplementär zum zentralen Grenzwertsatz aus Kapitel VIII geht es um Limesverteilungen vom Typ Poissonmischungen. 9.1 Definition: Bezeichne M die Klasse aller σ-endlichen Maße auf (, B( mit ( (x 2 1Λ(dx < ; man sieht leicht, daß Bedingung ( gleichwertig ist zur Gültigkeit von Λ((, a] <, x 2 Λ(dx <, Λ([+a,+ < für beliebiges a > 0. ( a,0 (0,+a 9.2 Beispiel: Sei 0 < α < 2, seien ξ +,ξ nichtnegative reelle Zahlen mit ξ + +ξ > 0. Definiere ein σ-endliches Maß auf (, B( durch ξ + αx α 1 dx, x (0, Λ(dx := ξ α x α 1 dx, x (,0. Dann gilt Λ M, denn für beliebige Wahl einer Schwelle a > 0 gilt wegen 0 < α < 2: ( a,0 (0,+a Λ((, a] = ξ a α <, x 2 Λ(dx = (ξ + + ξ a Λ([+a, = ξ + a α <. 0 α x 1 α dx = (ξ+ + ξ α 2 α a 2 α <, In keinem Fall ist Λ ein endliches Maß auf (, B(, denn beliebig kleine punktierte Umgebungen von 0 tragen Masse + wegen Λ({x : 0 < x < a} = Λ(dx = (ξ + + ξ ( a,0 (0,+a a 0 αx α 1 dx = [ x α] a 0 = für jede Wahl einer Konstante a > 0. Auf solchen Umgebungen gilt weiter a (+ x Λ(dx = (ξ + + ξ αx α dx < 0 < α < 1, ( a,0 (0,+a während auf Umgebungen von + oder gilt (++ x Λ(dx = (ξ + + ξ (, a (+a,+ 0 in beiden Fällen unabhängig von der Wahl der Schwelle a > 0. a α x α dx < 1 < α < 2,

4 Unendlich teilbare Wahrscheinlichkeitsmaße 9.3 Satz: Für jedes Λ M gibt es ein Wahrscheinlichkeitsmaß Q Λ auf (IR, B(IR mit charakteristischer Funktion ( ϕ Λ (t := e ity Q Λ (dy = exp [e itx 1 (itx1 { x 1} ]Λ(dx IR, t IR. Bevor wir in 9.6 unten diesen Satz beweisen, machen wir deutlich, in welcher Weise Wahrscheinlichkeitsmaße des Typs 9.3 aus Poissonmischungen entstehen. Jedes gewichtete Diracmaß Λ := λǫ a mit Masse λ > 0 in einem Punkt a 0 gehört zur Klasse M. Im Spezialfall Λ = λǫ a reduziert sich die Funktion ϕ Λ ( aus 9.3 auf ϕ Λ (t = exp ( λ[e ita 1 (ita1 { a 1} ], t IR. Für eine poissonverteilte Zufallsvariable N P(λ mit Parameter λ gilt aber (vgl. 7.6 N hat charakteristische Funktion t E(e itn = e λ(eit 1, an + b hat charakteristische Funktion t e ibt e λ(eiat 1, a(n EN hat charakteristische Funktion t e λ(eiat 1 iat. Mit dem Eindeutigkeitssatz für charakteristische Funktionen 7.8 ist damit für Λ = λǫ a, a 0, die Funktion ϕ Λ ( aus 9.3 als charakteristische Funktion zu einer durch a skalierten und im Fall a 1 auch zentrierten Poissonvariable mit Parameter λ identifiziert. Betrachtet man nun unabhängige skalierte und gegebenenfalls zentrierte Poissonvariable, erhält man sofort 9.4 Beispiel: Sei D = {a 1,...,a l } eine endliche Teilmenge von IR \ {0}. Zu strikt positiven λ 1,...,λ l und zu unabhängigen Poissonvariablen N j P(λ j, 1 j l definiere a j D Q := L a j D a j 1 a j (N j EN j + aj D a j >1 a j N j. Dann hat das Wahrscheinlichkeitsmaß Q die charakteristische Funktion ϕ Λ (t = exp [ ] e ita j 1 (ita j 1 { aj 1} Λ({a j } mit Λ := λ j ǫ aj M. a j D Diese diskreten Poissonmischungen bilden einen wichtigen Spezialfall von 9.3.

Kapitel IX 5 Als nächstes zeigen wir, wie für allgemeines Λ M die charakteristische Funktion in 9.3 als schwacher Limes einer Folge diskreter Poissonmischungen der Art 9.4 entsteht. Die Idee ist einfach: man stelle sich eine Balkenwaage vor, an deren rechtem Arm in Positionen a n,1 <... < a n,kn unabhängige zufällige Poisson-Gewichte X n,j eingehängt werden: X n,j := N n,j E(N n,j falls a n,j 1, X n,j := N n,j falls a n,j > 1, N n,j P (Λ((a n,j 1,a n,j ] unabhängig, j = 1,2,...,k n (mit 0 < a n,0 < a n,1. Für n erweitert man sukzessiv die Punktwolken {a n,j : 1 j k n }, so daß sie sich auf (0, und insbesondere zum Ursprung der Waage hin verdichten. Entsprechendes macht man spiegelverkehrt auch auf dem linken Arm der Waage. 9.5 Hilfssatz: Betrachte ein auf (0, konzentiertes einseitiges Λ M. a Sei 0 < A < 1 < B <. Zu beliebig kleinem > 0 gibt es Partitionen Π := {a 0,a 1,...,a k }, A = a 0 < a 1 <... < a l 1 < 1 = a l <... < a k = B mit den Eigenschaften (+ (a j a j 1 <, Λ((a j 1,a j, 1 j k (++ {x (A,B] : Λ({x} > } Π. b Für jede Partition Π wie in a stimmt die Summe k [e ita j 1 (ita j 1 { aj 1}]Λ((a j 1,a j ] überein mit dem Integral (A,B] bis auf Fehlerterme der Größenordnung [e itx 1 (itx1 { x 1} ]Λ(dx c(tλ((a, ; dabei ist c(t eine nur von t IR (und nicht von Λ M,, A oder B abhängende Konstante.

6 Unendlich teilbare Wahrscheinlichkeitsmaße c Für jede Partition Π wie in a, mit... < a l 1 < 1 = a l <..., unterscheiden sich l a 2 j Λ((a j 1,a j ] und (A,1] x 2 Λ(dx höchstens um 2 Λ((A,. d Stets gilt lim A 0 lim B (0,A] (B, [e itx 1 (itx1 { x 1} ]Λ(dx = 0, [e itx 1 (itx1 { x 1} ]Λ(dx = 0. Beweis: 1 Die Aussage d folgt sofort aus der definierenden Eigenschaft ( der Klasse M und aus der Abschätzung e itx 1 (itx1 { x 1} c(t(x 2 1 mit einer nur von t IR abhängenden Konstante c(t der Form c(t = c(1+t 2 (für x 1 folgt dies aus 7.3, und für x > 1 ist die linke Seite stets 2. 2 Eine Partition mit den Eigenschaften (+ und (++ gewinnt man, indem man (ähnlich wie im Beweis des Satzes von Glivenko-Cantelli 5.15 für das nach 9.1 endliche Maß Λ( (A, eine Verteilungsfunktion ( s Λ((A,A + s], s 0 betrachtet und deren Anwachsen mit ( τ 0 := A, τ n+1 := inf{t > τ n : Λ((τ n,t] > }, n IN 0 kontrolliert. Beachte, daß ( als Verteilungsfunktion eines endliches Maßes höchstens abzählbar viele Sprungstellen besitzt (für beliebiges k IN höchstens endliche viele Sprungstellen mit Sprunghöhe > 1 k und in s = 0 den Wert 0 besitzt: insbesondere findet ( alle Sprungstellen mit Sprunghöhe > dieser Verteilungsfunktion. Damit ist eine Folge von Punkten {τ n : n IN 0 } in [A, gefunden, welche (++ und die zweite Forderung aus (+ erfüllt. Durch Einschieben

Kapitel IX 7 endlich vieler Zwischenpunkte im Intervall (A, B] kann man danach die erste Forderung aus (+ erfüllen, und sicherstellen, daß 1 und B in der Partition enthalten sind. 3 Sei > 0 fest, sei Π die zu gebildete Partition aus a. Wegen (++ ist D := {x (A,B] : Λ({x} > } eine Teilmenge der Partition Π. Setze Λ D := a D Λ({a}ǫ a, Λ := Λ( (A,B] ΛD. Dann hat Λ die Eigenschaft ( Λ({x} für alle x (A,B] und wie in Beispiel 9.4 stimmen die Differenzen k [e ita j 1 (ita j 1 { aj 1}]Λ((a j 1,a j ] und k [e ita j 1 (ita j 1 { aj 1}] Λ((a j 1,a j ] (A,B] (A,B] [e itx 1 (itx1 { x 1} ]Λ(dx [e itx 1 (itx1 { x 1} ] Λ(dx trivialerweise überein. Unter ( folgt aus (+ Λ((a j 1,a j ] 2, 1 j k. Schreibe für festes t f t (a := e ita 1 (ita1 { a 1}, f Π,t (a := k f t (a j 1 (aj 1,a j ](a, a > 0. Dann gilt a f t(a = it(e ita 1 falls 0 < a < 1, a f t(a = ite ita falls a > 1, also f t (a f t (a j a a j c(t c(t falls a j 1 < a a j mit einer nur von t abhängenden Konstante c(t. Nun schreibt man ( k [e ita j 1 (ita j 1 { aj 1}] Λ((a j 1,a j ] = (A,B] f Π,t (a Λ(da und erhält die Abschätzungen f Π,t (a Λ(da f t (a Λ(da (A,B] (A,B] c(t Λ((A,B] c(tλ((a, ;

8 Unendlich teilbare Wahrscheinlichkeitsmaße damit unterscheidet sich ( von (A,B] [e itx 1 (itx1 { x 1} ] Λ(dx höchstens um c(tλ((a,, und die Behauptung b ist bewiesen. 5 Nach Wahl von a 0 und a l erhält man ähnlich wie oben l a 2 j Λ((a j 1,a j ] a 2 Λ(da 2 Λ((A,. (A,1] Damit ist Aussage c gezeigt und der Beweis des Hilfssatzes vollständig. 9.6 Beweis von Satz 9.3: 1 Zerlege das Maß Λ M gemäß Λ = Λ( (,0 + Λ( (0, und arbeite zunächst auf dem rechten Ast von Λ: Λ 1 := Λ( (0,1] M, Λ 2 := Λ( (1, M. Mit f t ( wie in Schritt 4 des Beweises von 9.5 definiere Funktionen IR IC ( ϕ Λ1 (t := exp ( ϕ Λ2 (t := exp f t (aλ 1 (da f t (aλ 2 (da ( = exp [e itx 1 (itx1 { x 1} ]Λ(dx, (0,1] ( = exp [e itx 1 (itx1 { x 1} ]Λ(dx. (1, Beide Funktionen sind stetig in t IR: dies folgt mit dominierter Konvergenz aus der definierenden Eigenschaft der Klasse M kombiniert mit den Schranken aus Schritt 1 für den Integranden. 2 Für Folgen (A n n, (B n n, ( n n mit den Eigenschaften ( A n 0, B n, n 0 so daß n Λ((A n, 0 wähle Partitionen Π n := {a n,0,a n,1,...,a n,kn } wie in 9.5 a 0 < A n = a n,0 < a n,1 <... < a n,ln 1 < 1 = a n,ln <... < a n,kn = B n <, bereite vor ein Dreiecksschema aus zeilenweise (d.h. für festes n unabhängigen Poisson-ZV N n,j P (Λ((a n,j 1,a n,j ], 1 j k n,

Kapitel IX 9 und setze M n := l n a n,j (N n,j E(N n,j, V n := k n j=l n+1 a n,j N n,j. 3 Die charakteristischen Funktionen zu M n bzw. V n (vgl. 9.4, wir benutzen die Notation f Πn,t( analog zu ( in Schritt 4 des Beweises von 9.5 t E ( ( e itmn = exp f Πn,t(aΛ 1 (da t E ( e itvn ( = exp f Πn,t(aΛ 2 (da konvergieren nach Wahl ( von (A n n, (B n n, ( n n, und wegen 9.5 c+b punktweise auf IR gegen die an der Stelle t = 0 stetigen Funktionen t ϕ Λ1 (t, t ϕ Λ2 (t aus Schritt 1. Nach dem Stetigkeitssatz von P. Lévy 7.11 gibt es also Wahrscheinlichkeitsmaße Q Λi mit charakteristischer Funktion ϕ Λi, i = 1,2 so daß schwache Konvergenz in IR gilt ( L (M n Q Λ1, L (V n Q Λ2, n. Damit ist für den rechten Ast des Maßes Λ der Satz bewiesen. 4 Auf dem linken Ast von Λ arbeitet man spiegelverkehrt in völlig analoger Weise, mit Poissonvariablen, die von den in 2 für den rechten Ast gewählten unabhängig sind, und erhält eine ( entsprechende Aussage. Das Produkt der so entstandenen vier charakteristischen Funktionen entspricht der Faltung der entsprechenden Wahrscheinlichkeitsmaße. Damit ist 9.3 bewiesen. 9.7 Bemerkung: Mit allen Bezeichnungen und Voraussetzungen aus 9.6: in ( aus 9.6 L (M n Q Λ1, n darf man die Konvergenz der Summe M n = l n a n,j (N n,j E(N n,j, n (wobei a ln = 1 i.a. nicht auf dem Weg über separat zu betrachtende Anteile l n a n,j N n,j, l n a n,j E(N n,j

10 Unendlich teilbare Wahrscheinlichkeitsmaße untersuchen. Zunächst konvergiert nach 9.5 c und ( für n die Folge ( V ar(m n = l n a 2 n,j Λ((a n,j 1,a n,j ] (0,1] x 2 Λ(dx < gegen einen endlichen Grenzwert, für jedes Λ M. Gleichzeitig strebt auf einer großen Teilklasse von Maßen Λ M (siehe etwa (+ in Beispiel 9.2 die deterministische Folge l n a n,j E(N n,j = l n a n,j Λ((a n,j 1,a n,j ] xλ(dx (A n,1] gegen für n ; in diesem Fall kann die Folge von Zufallsvariablen (0,1] xλ(dx l n a n,j N n,j, n (kombiniere ( und Chebychev nicht mehr straff in IR sein. Auf die Zentrierung der in M n eingehenden Poisson-Variablen kann daher für allgemeine Λ M nicht verzichtet werden. 9.8 Bemerkung: Betrachte ein Maß Λ M ohne Punktmassen, schreibe ( 1 2,1] x 2 Λ(dx =: s 2 > 0, und betrachte ein Dreiecksschema mit allen Eigenschaften aus 9.6 bzw. 9.5 a ( X n,j := a n,j (N n,j E(N n,j, N n,j P (Λ(a n,j 1,a n,j ], m n < j l n ; sei dabei l n bestimmt durch a n,ln = 1, wie in 9.5, und m n festgelegt durch a mn 1 < 1 2 a m n. Per Definition sind die Poissonvariablen in ( zeilenweise unabhängige L 2 -Variablen. Wir überlegen, warum das Dreiecksschema ( die Lindeberg-Bedingung verletzen muß. a Wie in 9.5. c gilt zuerst s 2 n := l n j=m n+1 V ar(x n,j ( 1 2,1] x 2 Λ(dx = s 2, n. Die in der Lindeberg-Bedingung 8.3 iii zu festem ε > 0 zu betrachtenden Summanden haben die Gestalt ( E ( ( 1 2 X n,j 1 s n { sn X n,j >ε} 1, j = m n +1,...,l n. Weil Λ nach Voraussetzung keine Punktmassen besitzt und damit nach 9.5 (+ bzw. nach 9.6 λ n,j := Λ((a n,j 1,a n,j ] = Λ((a n,j 1,a n,j n, j = m n +1,...,l n,

Kapitel IX 11 weil alle a n,j zwischen 1 2 und 1 liegen, weil s n gegen s und n gegen 0 strebt, besteht für hinreichend großes n und hinreichend kleines ε der Effekt der Trunkation in ( darin, in jedem der Summanden ( genau das Ereignis {N n,j = 0} auszuschalten. Damit können die Summanden ( wegen a n,j 1 2 durch 1 8s 2 P(N n,j = k(k λ n,j 2, k 1 j = m n +1,...,l n nach unten abgeschätzt werden. Die Summe in runden Klammern ist dann aber elementar V ar(n n,j P(N n,j = 0(0 λ n,j 2 λ n,j λ 2 n,j λ n,j (1 n so daß man insgesamt für große n bei hinreichend kleinem ε > 0 die folgende Abschätzung erhält: L n (ε = l n j=m n+1 1 n 8s 2 E ( ( 1 2 X n,j 1 s n { l n j=m n+1 sn X n,j >ε} 1 λ n,j 1 (( 8s 2 Λ 12,1] > 1 8, n nach Definition von s 2 ; also gilt für das Dreiecksschema ( die Lindeberg-Bedingung nicht. b Die schwächeren Bedingungen (AV und (FE aus 8.3 erfüllt das Dreiecksschema ( dagegen; dies prüft man mit ähnlichen Argumenten leicht nach (Übungsaufgabe. Nun können wir einen wichtigen neuen Begriff einführen. 9.9 Definition: Ein Wahrscheinlichkeitsmaß Q auf (IR, B(IR heißt unendlich teilbar, falls zu jeder natürlichen Zahl n ein Wahrscheinlichkeitsmaß Q n auf (IR, B(IR existiert mit (Q n n = Q. 9.10 Bemerkung: Die Eigenschaft eines Wahrscheinlichkeitsmaßes Q auf (IR, B(IR, mit charakteristischer Funktion ϕ(, unendlich teilbar zu sein, kann äquivalent nach Definition der Faltung, und nach 7.5 b in jeder der folgenden Formen i oder ii ausgesagt werden: zu jedem n IN i gibt es iid ZV X n,1,...,x n,n mit L(X n,1 =: Q n und L(X n,1 +... + X n,n = Q ; ii ist ϕ( 1 n charakteristische Funktion zu einem Wahrscheinlichkeitsmaß Q n auf (IR, B(IR. 9.11 Beispiele: a Jede Verteilung Q Λ wie in Satz 9.3, Λ M, ist unendlich teilbar:

12 Unendlich teilbare Wahrscheinlichkeitsmaße mit Λ ist auch 1 n Λ ein Maß in der Klasse M, und die charakteristische Funktion zu Q Λ ( ϕ Λ (t = e ity Q Λ (dy = exp [e itx 1 (itx1 { x 1} ]Λ(dx IR steht zu der charakteristischen Funktion von Q 1 n Λ ϕ 1 n Λ(t = IR e ity Q 1 Λ(dy = exp n ( [e itx 1 (itx1 { x 1} ]( 1 n Λ(dx offenkundig in der Beziehung ϕ 1 n Λ( = (ϕ Λ( 1 n. b Als Spezialfall wie in 9.4 a ist jedes Diracmaß ε a in a 0 unendlich teilbar: es genügt, die charakteristische Funktion t e ita in Form t e n(it a n zu schreiben. c Jede Normalverteilung Q := N(0,σ 2 mit σ 2 > 0 ist unendlich teilbar: die charakteristische Funktion zu N(0,σ 2 ist t e 1 2 σ2 t 2, nach 7.7; mit Q n := N ( 0, 1 n σ2 ergibt sich (Q n n = Q; siehe auch 4.25. 9.12 Bemerkung: Man kann zeigen: es gibt keine anderen unendlich teilbaren Wahrscheinlichkeitsmaße Q auf (IR, B(IR als solche mit charakteristischer Funktion von Gestalt ( ( ϕ Q (t = exp iat 1 2 σ2 t 2 + [e itx 1 (itx1 { x 1} ]Λ(dx, t IR wobei Λ M, a IR, σ 2 0. Dies ist die berühmte Lévy-Chintchine Formel. Für das zu ( gehörende Wahrscheinlichkeitsmaß Q nennt man Λ das Lévy-Maß, die Normalverteilung N(0,σ 2 den Gaußschen Anteil, und a den Shiftanteil. Durch Angabe eines Tripels (a,σ 2,Λ : Λ M, σ 2 0, a IR ist eine unendlich teilbare Verteilung also eindeutig bestimmt. Siehe etwa Loève I (1977, Sect. 23 24, Feller II (1971, Bertoin (1996, S. 13, Sato (1999, Klenke (2006, S. 323 ff. Stabile Verteilungen bilden eine wichtige Teilklasse der Klasse der unendlich teilbaren Verteilungen. Wir diskutieren sie für eine allgemeine Behandlung siehe z.b. Feller II (1971, Zolotarev (1986, Bingham, Goldie und Teugels (1987 nur im symmetrischen Fall. Wesentlich für Stabilität ist die Gültigkeit gewisser Skalierungseigenschaften im Exponenten der charakteristischen Funktion einer unendlich teilbaren Verteilung.

Kapitel IX 13 9.13 Hilfssatz: Betrachte symmetrische Maße Λ nach Beispiel 9.2: Λ(dx = ξ α x α 1 dx auf IR \ {0} mit 0 < α < 2, ξ = ξ + = ξ > 0, und setze F c (t := [e itx 1 (itx1 { x c} ]Λ(dx, c > 0, t IR (für c = 1 ist F 1 ( der Exponent der charakteristischen Funktion ϕ Λ gemäß 9.3. Dann gilt a Die Funktionen F c sind reellwertig und symmetrisch: F c (t = F c ( t für alle t 0. b Es gilt F c ( = F 1 ( unabhängig von der Wahl des Trunkierungsfaktors c > 0. c Notwendig ist die Funktion F 1 ( von Form F 1 (t = c Λ t α, t IR für eine geeignete Konstante c Λ > 0. Beweis: a+b Aus Symmetrie von Λ und Antisymmetrie des Imaginärteils des Integranden kombiniert mit der definierenden Eigenschaft ( für Maße Λ in Klasse M folgt: [ ] i sin(tx tx1{ x c} Λ(dx = 0, Fc (t = [cos(tx 1]Λ(dx. Damit ist die Funktion F c für symmetrisches Λ M reellwertig, symmetrisch, und offensichtlich frei von der konkreten Festlegung der Trunkierungskonstanten 0 < c <. c Das folgende Argument nutzt Skalierungseigenschaften des Maßes Λ(dx = ξ α x α 1 dx auf IR \ {0}. Fixiere u > 0 und setze s := tu 1 α, y := xu 1 α. Dann hat man sx = ty, verifiziert (uλ(dx = Λ(dy, und hat unter Ausnutzung von b uf 1 (s = = [e isx 1 (isx1 { sx s} ](uλ(dx [e ity 1 (ity1 { ty s} ]Λ(dy = F s t (t = F 1(t. Insbesondere ergibt sich für t = 1 und v := u 1 α die Gleichung v > 0 : F 1 (v = v α F 1 (1. Nach a aber ist F 1 ( reellwertig und symmetrisch, also hat man auch v 0 : F 1 (v = v α F 1 (1.

14 Unendlich teilbare Wahrscheinlichkeitsmaße Mit c Λ := F 1 (1 IR und mit 9.3 kann man also schreiben ϕ Λ (t = exp (F 1 (t = e c Λ t α, t IR. Als charakteristische Funktion ist ϕ Λ ( betragsmäßig durch 1 beschränkt, also kennt man das Vorzeichen der Konstante c Λ > 0. 9.14 Bemerkung: Die Konstante c Λ in 9.13 c kann mit analytischen Methoden (wie in Feller II (1971, S. 568 569, wobei in (3.9, (3.11, (3.18 je ein Druckfehler zu korrigieren ist berechnet werden; man erhält c Λ = 2ξ Γ(2 α 1 α cos ( πα 2 > 0 falls α 1 ξ π falls α = 1 für symmetrisches Λ aus Beispiel 9.2, mit 0 < α < 2 und ξ = ξ + = ξ (Übungsaufgabe. 9.15 Bemerkung: Die Aussage von 9.13 a+b kann man wesentlich allgemeiner fassen: sei Λ M symmetrisch, wähle eine Funktion ( h : IR IR antisymmetisch, beschränkt, mit h(x x = O(x 2 für x 0, dann liefert Antisymmetrie des Imaginärteils des Integranden kombiniert mit Symmetrie von Λ [e itx 1 ith(x]λ(dx = [e itx 1 (itx1 { x 1} ]Λ(dx, t IR, und dies ist reellwertig und symmetrisch in t. Man nennt h wie in ( Trunkationsfunktion ; übliche Festlegungen sind z.b. h(x = x 1+x 2 oder h(x = sin(x. Damit ist für symmetrisches Λ M die charakteristische Funktion in 9.3 oder in ( in 9.12 stets frei von der gewählten Festlegung einer Trunkationsfunktion. 9.16 Definition: Ein Wahrscheinlichkeitsmaß Q auf (IR, B(IR heißt strikt stabil falls gilt: sind Z j, j 1 iid mit Verteilung Q, so gibt es für jede natürliche Zahl n eine Konstante a n mit ( Z1 +... + Z n L = L (Z 1. a n 9.17 Satz: Für Λ M symmetrisch und von der in Beispiel 9.2 betrachteten Form ( Λ(dx = ξ α x α 1 dx auf IR \ {0}

Kapitel IX 15 (mit 0 < α < 2 und ξ = ξ + = ξ > 0 ist das Wahrscheinlichkeitsmaß Q Λ aus 9.3 strikt stabil: ( Z1 +... + Z n ( L = L (Z 1 für Z j, j 1 iid Q Λ. n 1 α Man bezeichnet α in ( als Stabilitätsindex. Beweis: Dies folgt sofort aus 9.3 und 9.13 c: für das durch ( gegebene Maß Λ ist die charakteristische Funktion zu Q Λ von Form (9.17 ϕ Λ (t = e ity Q Λ (dy = exp( c Λ t α, IR t IR (0 < α < 2, c Λ > 0 und besitzt somit die Eigenschaft ( ( t n ϕ Λ n 1/α = ϕ Λ (t, t IR, n IN. 9.18 Beispiel: a In 7.14 hat man die charakteristische Funktion t e t der Standard- Cauchy Verteilung mit Dichte x 1 π 1 1+x 2 gesehen. Nach (9.17 und Eindeutigkeitssatz 7.9 ist diese Verteilung also eine Poisson-Mischung der Bauart 9.13 mit α = 1, und für iid Cauchy- Zufallsvariablen Z j, j 1 gilt die Stabilitätseigenschaft aus 9.16 mit Index α = 1: ( Z1 +... + Z n L = L (Z 1, n IN. n b Zentrierte Normalverteilungen haben die wohlbekannte Eigenschaft ( Z1 +... + Z n L = L (Z 1 für Z j, j 1 iid N(0,σ 2 n 1 2 und sind folglich stabil mit Stabilitätsindex α = 2. 9.19 Bemerkung: Die Klasse aller strikt stabilen Verteilungen kann man explizit angeben (siehe Bingham, Goldie und Teugels 1987 Theorem 8.3.2: i für Stabilitätsindex 0 < α < 1 und 1 < α < 2: dies sind die in 9.3 gebildeten Wahrscheinlichkeitsmaße Q Λ zu Lévy-Maßen der Bauart 9.2: Λ(dx = ( ξ + 1 {x>0} + ξ 1 {x<0} α x α 1 dx, ξ +,ξ 0, ξ + + ξ > 0 (für ξ + ξ nicht symmetrisch: beachte, daß in 9.13+9.14+9.15 oben nur der einfache Spezialfall ξ + = ξ > 0 behandelt wurde;

16 Unendlich teilbare Wahrscheinlichkeitsmaße ii für Index α = 1: die (symmetrische Cauchyverteilung wie in 9.18 a, bis auf geeignete Wahl von Skalierungsfaktoren; iii für Index α = 2: die zentrierten Normalverteilungen. Andere strikt stabile Verteilungen auf (IR, B(IR kann es nicht geben: einen Über- und Ausblick gewinnt man mit Bingham-Goldie-Teugels (1978, Ch. 8.3, vollständige Beweise findet man in Feller II (1971 oder Zolotarev (1986.