8 Die Pressefreiheit
Sinn und Zweck Aufgabe der Presse: Mitwirkung an der öffentlichen Meinungsbildung Erste Voraussetzung: Freiheit von staatlicher Einflussnahme Zweite Voraussetzung: Inhaltlich pluralistisches Pressewesen Das inhaltlich pluralistische Pressewesen bildet sich durch eine Vielzahl von Konkurrenten mit inhaltlich unterschiedlichen Angeboten am Markt heraus
Verhältnis zur Meinungsfreiheit Meinungsfreiheit: Geschützt wird der Inhalt einer Äußerung Keine Rolle spielt die technische Eigenart des Verbreitungsmediums Medienfreiheiten: Geschützt wird der spezifische Beitrag, den der jeweilige Medienanbieter für die massenkommunikative Verbreitung des Inhalts leistet Dieser Beitrag besteht in Gestaltung, Herstellung und Vertrieb des jeweiligen Medienerzeugnisses Inhalt Meinungsfreiheit Pressefreiheit Verbreitungsmedium
Persönlicher Schutzbereich Die Pressefreiheit ist ein Jedermann Grundrecht Sie steht danach allen natürlichen Personen zu Sie steht gem. Art. 19 III GG auch inländischen juristischen Personen zu
Sachlicher Schutzbereich Presse als Druckerzeugnis Der Begriff der Presse ist weit, formal und entwicklungsoffen Gedanklicher Ausgangspunkt ist stets das bedruckte Papier Zur Presse gehören danach alle zur Verbreitung geeigneten und bestimmten Druckerzeugnisse wie Bücher, Zeitungen oder Zeitschriften Geschützt ist das Presseerzeugnis mit seinem gesamten Inhalt, inkl. Leserbrief, Anzeigenteil etc.
Sachlicher Schutzbereich Druckerzeugnis zur Verbreitung an die Öffentlichkeit gerichtet Fall 18 ( Werkszeitung ; BVerfG NJW 1997, 386) Das Chemieunternehmen der Betzy gibt eine Werkszeitung heraus. Dieses enthält eine als Offen gesagt bezeichnete Rubrik, in der Zuschriften von Mitarbeitern des Unternehmens zu betrieblichen Themen veröffentlicht werden. Die Namen der Verfasser sind dem Leiter der Werkszeitung bekannt, werden aber in der Zeitung nicht mitgeteilt. Die von den Zuschriften betroffenen betrieblichen Stellen erhalten Gelegenheit, sich in derselben Ausgabe zu den Themen der veröffentlichten Zuschriften zu äußern. Ein Mitarbeiter verfasste einen äußerst kritischen Artikel über bestimmte Maßnahmen des Betriebsrats und bestand dabei auf die vollständige Anonymisierung. Vor dem Landesarbeitsgericht erwirkt der Betriebsrat eine Verfügung gegen Betzy, in der dieser untersagt wird, in der Werkszeitung anonyme Artikel zu veröffentlichen, soweit sie sich in bewertender Weise auf die Tätigkeit des Betriebsrats beziehen. Betzy sieht durch diese Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ihre Pressefreiheit verletzt. Zu Recht?
Sachlicher Schutzbereich Druckerzeugnis zur Verbreitung an die Öffentlichkeit gerichtet Aber: Kann eine Werkszeitung zur Verbreitung an die Öffentlichkeit gerichtet sein? Dagegen spricht: Die Werkszeitung wird nur betriebsintern verbreitet Daraus folgt: Empfängerkreis ist von vornherein räumlich und personell begrenzt Aber: Eine allzu hohe Schwelle für die Annahme einer Öffentlichkeit erschwert den Zugang zum Grundrechtsschutz Verbreitung in eingeschränkten Öffentlichkeiten genügt 15 III UrhG: Die Wiedergabe ist öffentlich, wenn sie für eine Mehrzahl von Mitgliedern der Öffentlichkeit bestimmt ist.
Sachlicher Schutzbereich Druckerzeugnis und digitale Medien Medienfreiheiten werden definiert und abgegrenzt durch die technische Eigenart ihrer Herstellung und Verbreitung 23. Mai 1949: Es existierten lediglich Presse, Rundfunk und Film Problem: Wie geht das GG mit technischen Neuentwicklungen um? Körperliches Trägermedium vorhanden: Jedenfalls kein Rundfunk Das Trägermedium speichert bewegte Bildfolge: Film Das Trägermedium speichert Text: Presse
Sachlicher Schutzbereich Geschützte Verhaltensweisen Der Schutz der Pressefreiheit umfasst die Pressetätigkeit in sämtlichen Aspekten Er reicht von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachrichten und Meldungen Geschützt sind außerdem die Auswahl des thematischen Spektrums sowie die Art und Weise, in der die Inhalte aufbereitet sind Man spricht von der sog. äußeren und der inneren Gestaltungsfreiheit
Schranken und Schranken Schranken Fall 19 ( Behördliches Presseverbot ; BVerfG NJW 1960, 29) 4 des nordrhein westfälischen Gesetzes über die Berufsausübung von Verlegern, Verlagsleitern und Redakteuren vom 17. 11. 1949 lautete: Die Landesregierung kann ferner Verlegern, Verlagsleitern und verantwortlichen Redakteuren die Berufsausübung untersagen, wenn sie ihre berufliche Tätigkeit gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, insbesondere zur Verbreitung nationalistischer, militaristischer, totalitärer, rassenoder völkerverhetzender Gedanken mißbrauchen oder mißbraucht haben. Ist diese Vorschrift mit der Pressefreiheit vereinbar?
Schranken und Schranken Schranken Verleger, Verlagsleiter und Redakteure zählen zu den klassischen im Pressewesen tätigen Personen Man bezeichnet sie als die intellektuellen Verbreiter der Presseerzeugnisse mitsamt ihrer Inhalte Ein Gesetz, welches ein Berufsverbot für die entsprechenden Berufe enthält, ist ein empfindlicher Eingriff in die Pressefreiheit
Schranken und Schranken Schranken Für die Pressefreiheit gilt dasselbe System von Schranken und Schranken Schranken wie für die Meinungsfreiheit Sie ist gem. Art. 5 II GG grundsätzlich durch und aufgrund jedes allgemeinen Gesetzes einschränkbar Das Gesetz und die auf seiner Grundlage ergangene einzelne Maßnahme müssen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen Das Gesetz und die auf seiner Grundlage ergangene einzelne Maßnahme müssen den weiteren Einschränkungen durch die Wechselwirkungstheorie genügen
Schranken und Schranken Schranken Grundsatz: Vermutung für die Zulässigkeit einer Tätigkeit im Pressewesen Verhältnismäßigkeit: Von dem Gesetz in Bezug genommene Äußerungen können auch einzeln verboten werden Ermöglicht Sanktion, ohne sogleich ein Berufsverbot aussprechen zu müssen Zwar Art. 18 GG: Verwirkung der Kommunikationsgrundrechte ist möglich Aber: Das Verbot muss vom Bundesverfassungsgericht ausgesprochen werden
Pressefreiheit als Institutsgarantie Begriff Ausgangspunkt: Freie Presse erfordert pluralistisches Angebot und Freiheit von staatlicher Einflussnahme Individualgrundrecht: Wer Presse macht, darf sich staatliche Einmischung verbitten und kann sich dagegen wehren Der Staat muss bei seinen Maßnahmen die Auswirkungen auf die freie Presse berücksichtigen Er muss die organisatorischen Voraussetzungen für den Erhalt eines insbesondere intellektuell pluralistischen Pressewesens schaffen und aufrechterhalten
Pressefreiheit als Institutsgarantie Das Subventionsproblem Fall 20 ( Staatliche Presseförderung ; BVerfG NJW 1989, 2877) Der Verleger Fridolin war mit seiner wöchentlich erscheinenden Druckschrift Fridolins Weekly zum Postzeitungsdienst zugelassen. Das Versenden im Rahmen des Postzeitungsdienstes ist tariflich sehr viel günstiger als das Versenden normaler Infopost. Mit Bescheid vom 23. 2. 1981 widerrief die Deutsche Bundespost durch das zuständige Verlagspostamt die Zulassung von Fridolins Weekly zum Postzeitungsdienst. Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dass bei dieser Druckschrift im Unterschied zu einer typischen Zeitung der Redakteur in eine enge Beziehung zum Leser trete: Jede Ausgabe beginne mit der Anrede Sehr geehrte Damen und Herren! und ende mit der Wendung Mit freundlichen Grüßen Fridolin". Ferner werde das Angebot gemacht, ein vertrauliches Gespräch über die mitgeteilten Informationen mit dem Redakteur zu führen. Hierdurch nehme die Druckschrift den Charakter eines Rundbriefes an. Solche seien aber nicht subventionswürdig. Fridolin sieht in dem Ausschluss seines Druckerzeugnisses vom Postzeitungsdienst seine Pressefreiheit verletzt. Zu Recht?
Pressefreiheit als Institutsgarantie Das Subventionsproblem Der Infobrief ist ein Presseerzeugnis Die Auslieferung unter Nutzung der Dienstleistungen der Deutschen Bundespost betrifft den Vertrieb dieses Presseerzeugnisses Klassischerweise ist ein Eingriff in den Schutzbereich jedes staatliche Handeln, durch das einer Person die Wahrnehmung eines grundrechtlich geschützten Verhaltens erschwert oder gar unmöglich gemacht wird
Pressefreiheit als Institutsgarantie Das Subventionsproblem Aber: Ein Eingriff kann auch durch die Gewährung oder Nichtgewährung von staatlichen Vergünstigungen erfolgen Hier: Einigen Presseerzeugern wird der Versand zu reduzierten Tarifen gestattet, anderen hingegen nicht Mediensubventionen sind danach zwar nicht schlechthin verboten, müssen aber inhaltlich neutral vergeben werden Das heißt: Die Subvention darf nicht an inhaltliche Kriterien gebunden sein, sondern lediglich an sog. meinungsneutrale Kriterien
Spezifisch geschützte Bereiche Redaktionsgeheimnis und Informantenschutz Fall 21 ( Telefonverbindungsdaten ; BVerfG NJW 2003, 1787) Die Journalistin Jutta ist bei Illustrierten Stern beschäftigt und recherchierte und berichtete wiederholt über den Terroristen Hans Joachim Klein. Dieser war an einem Anschlag auf die Opec Konferenz im Jahre 1975 beteiligt. In diesem Zusammenhang wurde er seitdem mit erheblichem Ermittlungsaufwand wegen dreifachen Mordes gesucht. Jutta hatte unter anderem ein im Stern veröffentlichtes Interview mit Klein geführt. Im Jahre 1998 erhielt die ermittelnde Staatsanwaltschaft Hinweise, dass Jutta erneut im Fall Klein recherchiere und zu diesem möglicherweise weiterhin in Kontakt stehe. Das zuständige Amtsgericht ordnete die Erhebung der Verbindungsdaten für einen Mobilfunkanschluss und zwei Festnetzanschlüsse an, die von Jutta und ihrem Ehemann genutzt wurden. Die übermittelten Verbindungsdaten führten im September 1998 zur Festnahme von Klein in Frankreich. Jutta meint, dass der amtsgerichtliche Beschluss, durch den die Erhebung ihrer Telefonverbindungsdaten gestattet wurde, ihre Pressefreiheit verletze. Liegt Jutta richtig?
Spezifisch geschützte Bereiche Redaktionsgeheimnis und Informantenschutz J ist als natürliche Person und Journalistin Trägerin der Pressefreiheit Die Abhörmaßnahme richtet sich unmittelbar weder gegen die Herstellung, Gestaltung oder den Vertrieb ihrer Texte Aber: Über den unmittelbar publizistischen Bereich hinaus schützt die Pressefreiheit auch die notwendigen Vorbedingungen und Hilfstätigkeiten einer freien Presse Dazu gehört: Das Redaktionsgeheimnis Dazu gehört auch: Der Informantenschutz
Spezifisch geschützte Bereiche Redaktionsgeheimnis und Informantenschutz Aber: Auch Redaktionsgeheimnis und Informantenschutz sind nicht schrankenlos gewährleistet Auch Journalisten müssen Eingriffe in ihre Geheimsphäre dulden, wenn dies für die Wahrheitsfindung in einer geordneten Rechtspflege auch angesichts der Bedeutung der Pressefreiheit im demokratischen Rechtsstaat unumgänglich ist Das Strafprozessrecht trägt dem Rechnung, indem es Ermittlungsmaßnahmen unter Einbeziehung von Journalisten und sehr strenge Voraussetzungen stellt
Spezifisch geschützte Bereiche Zeugnisverweigerungsrecht Redaktionsgeheimnis und Informantenschutz sind wichtige Pfeiler der Pressefreiheit Sie wären aber weitgehend entwertet, wenn Journalisten in gerichtlichen Verfahren über ihre Quellen und Informanten Auskunft erteilen müssten Um diese Entwertung zu vermeiden, besteht zugunsten von Medienerzeugern ein Zeugnisverweigerungsrecht gem. 53 I Nr. 5 StPO
Spezifisch geschützte Bereiche Tendenzschutz Fall 22 ( Kündigung im Tendenzbetrieb ; BVerfG NJW 1980, 1093) Die Unternehmensgruppe DuMont Schauberg verlegt den Kölner Stadtanzeiger. Bernd war als Redakteur in der Abteilung Unterhaltung dieser Zeitung beschäftigt. Seine Aufgabe bestand in der Zusammenstellung und im Umbruch einer Popmusik Seite der Wochenendbeilage. Im Zusammenhang mit einer beabsichtigten Neukonzeption der Beilage war die Stelle eines stellvertretenden Ressortleiters zu besetzen. Da DuMont den Bernd als für diese Stelle nicht geeignet ansah, besetzte der Verlag sie anderweitig und bot ihm die Versetzung in andere Redaktionen an. Nach Ablehnung der Versetzungsangebote durch Bernd kündigte DuMont das Arbeitsverhältnis zum Jahresende. Der Betriebsrat wurde vor Ausspruch der ordentlichen Kündigung nicht gehört. Wegen Verstoßes gegen 102 BetrVG stellten die Arbeitsgerichte deshalb die Unwirksamkeit der Kündigung des Bernd fest. Verletzt die arbeitsgerichtliche Entscheidung die Pressefreiheit von DuMont?
Spezifisch geschützte Bereiche Tendenzschutz Tendenzschutz: Freiheit, die politische und weltanschauliche Tendenz eines Presseerzeugnisses festzulegen, beizubehalten, zu ändern und diese Tendenz zu verwirklichen Zweck: Um Meinungspluralismus herzustellen, ist intellektueller Wettbewerb zwischen den verschiedenen Presseerzeugnissen erforderlich Damit dieser entstehen kann, muss der Gesetzgeber einen Gestaltungsspielraum für die weltanschauliche Tendenz einräumen
Spezifisch geschützte Bereiche Tendenzschutz Problem: Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats könnte solche weltanschaulichen Vorgaben des Arbeitgebers konterkarieren Befugnisse des Betriebsrats dürfen sich deshalb weder unmittelbar noch auch nur mittelbar auf die vorgegebene Tendenz auswirken Wie sieht es mit der Befugnis nach 102 BetrVG aus? Sie betrifft wie auch die übrigen Tätigkeiten des Betriebsrats Arbeitnehmerinteressenwahrung in sozialen, personellen und eingeschränkt in wirtschaftlichen Angelegenheiten und steht in keinem Zusammenhang mit der weltanschaulichen Tendenz 102 I BetrVG: Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam