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Transkript:

6 Diskussion 40 6 Diskussion 6.1 Beziehungen zwischen Klinik, Pathomorphologie und Hämodynamik bei atherosklerotischer PAVK In unserem Krankengut stand die klinische Manifestation der PAVK nicht immer im Einklang mit den morphologischen und hämodynamischen Befunden. Oft zeigten sich zusätzliche orthopädische oder neurologische Schmerzkomponenten [9, 38, 74]. Die anamnestischen Schmerzangaben waren bei eingeschränkter Mobilität oft wenig verlässlich. Eine fehlende Beziehung zwischen maximaler Gehstrecke und dem Ausmaß atherosklerotischer Wandveränderungen (angiographischer Morphologie) konnten auch in anderen Untersuchungen beobachtet werden [82]. Fußläsionen waren nicht immer ischämisch bedingt. Oft zeigten Patienten Läsionen bei nur mittelgradiger Durchblutungsstörung. Läsionen im komplizierten Stadium II, verursacht durch exogene Traumata, müssen von ischämiebedingten Läsionen abgegrenzt werden. Bei der Palpation der peripheren Pulse muss mit einer hohen interobserver variability gerechnet werden. So können falsch- negative bzw. falsch- positive Befunde erhoben werden. Die A. dorsalis pedis kann in 8,1 % bei Gefäßgesunden fehlen. Bei Pulslosigkeit beider Knöchelarterien kann mit einer Durchblutungsstörung gerechnet werden [2]. Die atherosklerotische Plaque besteht aus einem lipidreichen Kern (Atherom), welcher durch eine fibrosklerosierende Kapsel umgeben wird. Ausgangspunkt der Atherosklerose ist eine metabolische (Nikotin, Hyperlipidämie, Typ- 2- Diabetes, LDL- Cholesterin) und mechanisch (arterielle Hypertonie) verursachte endotheliale Dysfunktion. Es kommt zur Ausschüttung von Botenstoffen, Migration von Makrophagen, die subendothelial als scavenger cells LDL- Cholesterin aufnehmen und sich zu Schaumzellen umwandeln. Ein Teil des LDLs wird subendothelial durch freie Radikale oxidiert und wirkt wieder schädigend auf die endotheliale Funktion. Wachstumsfaktoren führen zur Transmigration und Proliferation von glatten Muskelzellen und Fibroblasten im Läsionsgebiet. Die Mediamyozyten bilden Kollagenfasern, welche die Sklerosierung der Plaque bewirken [14]. Weitere pathomorphologische Vorgänge sind die zentrale Plaquenekrose und Kalzifizierungen, Neovaskularisation der Media, Inflammationen und Plaquefissuren. Gefäßwandinstabilität, Plaqueruptur, -ulceration und thrombose

6 Diskussion 41 sind symptomatische Spätkomplikationen. Die diabetische Angiopathie ist durch eine ausgeprägte Plaqueinstabilität charakterisiert. Im Patientengut dominierte der Oberschenkel- Unterschenkel- Typ. Mit steigendem Alter nahm der Anteil betroffener atherosklerotisch veränderter Gefäßabschnitte zu. Der Atheroskleroseverlauf ist hier dem zentrifugal senilen Typ zuzuordnen. Ausgehend von der Bauchaorta ist eine langsame Progredienz in die Peripherie erkennbar. Als diffus wird die atherosklerotische Ausbreitung bei Typ- 2- Diabetikern charakterisiert. Bei ihnen überwogen distale und mehretagige Läsionen. Männer zeigten proximale, Frauen distale oder kombinierte Läsionslokalisationen. In Beziehung zur klinischen Ausprägung konnten keine eindeutigen Zusammenhänge nachgewiesen werden. Im Stadium IIa dominierte der Beckentyp, dementsprechend hatten proximale Läsionen eine Gehstrecke > 200 Meter. Die Untersuchungen zeigten, dass mit Ausnahme des femoropoplitealen Abschnitts unterschiedliche hämodynamische Folgen bei vergleichbarer Läsionsmorphologie auftreten. Okkludierende Läsionen kamen vor allem in Unterschenkelarterien und am distalen Oberschenkel vor (A. poplitea). Die Schwere der peripheren Ischämie wird maßgeblich von der Ausprägung des Kollateralkreislaufs und der vasomotorischen Reserve der präkapillaren Arteriolen beeinflusst. Die allmähliche Gefäßstenosierung führt zur Erweiterung des Kollateralkreislaufes. So kann der prä- und poststenotische Druckunterschied und damit der periphere run- in kompensiert werden. Mit Abnahme der hämodynamischen Kompensationsfähigkeit der peripheren Gefäße (lokale Flow- Abnahme, erschöpfte vasomotorischer Reserve) nimmt die Schwere der Durchblutungsstörung zu. Ausgeschöpfte Kompensationsfähigkeit oder akute Dekompensation führen zur symptomatischen Mangeldurchblutung. Einfluss auf die Kompensation haben vor allem der Läsionsort und der zeitliche Verlauf bei Entstehung der Läsion. So kann der relativ starke Abfall des ABI bei kurzstreckigen Verschlüssen in unserem Patientengut auf ein akutes Ereignis zurückgeführt werden, während bei mittel- und langstreckigen Verschlüssen die geringeren hämodynamischen Auswirkungen auf einen chronischen Prozess hindeuten. Ausreichende Kollateralisierung oder diabetische Polyneuropathie können eine Symptomminderung verursachen und eine Interventionsindikation relativieren [2]. So kann die A. profunda femoris einen Verschluss der AFS über Aa. geniculares oder die A. fibularis einen Verschluss der A. tibialis anterior und A. tibialis posterior kompensieren [57, 118]. Vor allem die

6 Diskussion 42 Unterschenkelarterien weisen eine ausgedehnte interarterielle Kommunikation über Kollateralen auf [106]. Somit reicht ein Gefäß zur kompensatorischen Versorgung des Fußes aus. Starke Druckabfälle wurden vor allem in Abschnitten nachgewiesen, die schlecht kollateralisierbar sind (AIC, AIE, AFC, PI, PII, APF). Läsionen im Bereich der AFS wurden gut kompensiert. Die Indikationsstellung zur invasiven Gefäßtherapie allein anhand der Klinik und Morphologie ist nicht gerechtfertigt, sofern keine Beurteilung der hämodynamischen Auswirkungen erfolgt. Der ABI dient der Klassifizierung einer PAVK, der Absolutwert des Drucks der hämodynamischen Funktionalität der Extremität. Bei chronischem Verlauf der Durchblutungsstörung kann eine Hauptarterie am Unterschenkel zur Versorgung des Fußes ausreichen. Nicht selten zeigten sich hier höhere Druckwerte als bei Mehrgefäßversorgung. Ein großes Problem ist die hämodynamischen Beurteilung mittel Doppler- Druckmessung bei mediasklerotischen Veränderungen. Da neben Nikotinabusus der Typ- 2- Diabetes den Hauptrisikofaktor für die PAVK darstellt, ist der Anteil der diabetischen Patienten mit Mediasklerose relativ hoch. Mit Gefäßwandstarre ist auch bei chronischer Niereninsuffizienz zu rechnen. Indirekte Druckmessungen sind bei Mediasklerose nicht mehr durchführbar. Es konnte gezeigt werden, dass multiple Stenosen den Absolutdruck stärker senken als isolierte Verschlüsse und ihnen somit besondere therapeutische Beachtung zukommt. Die präinterventionelle und präoperative Diagnostik muss die Gesamtheit aller Läsionen im Gefäßverlauf und ihrer hämodynamischen Auswirkungen auf das distale Versorgungsgebiet berücksichtigen. Für die Indikationsstellung zur Kathetertherapie und Operation ist neben der Läsionsmorphologie (TASC II) die Kenntnis der Klinik und Hämodynamik im poststenotisch- postokklusiven Bereich von essentieller Bedeutung.

6 Diskussion 43 6.2 Detektion einer kritischen Extremitätenischämie bei diabetischen Gefäßpatienten Der Typ- 2- Diabetes ist neben dem Rauchen Hauptrisikofaktor der PAVK. Typ- 2- Diabetiker zeigen eine akzelerierte Atherogenese [106], die mit einer hohen kardiovaskulären Morbidität und Mortalität einhergeht [59, 60]. Im Zeitraum von 2002 bis 2003 stieg die Gesamtamputationsrate an der unteren Extremität in Deutschland um 10 % auf 61000 Amputationen bei 45000 Krankenhausfällen [39]. Der Großteil dieser Eingriffe wurde bei Typ- 2- Diabetikern durchgeführt (40-70 %). Meist folgt der Beinverlust der kontralateralen Extremität in den folgenden Jahren. Viele Typ- 2- Diabetiker erleben diesen jedoch nicht mehr. Bei diabetischer Angiopathie liegen komplexe Störungen im Lipid- und Kohlenhydratstoffwechsel vor. Die konsekutive endotheliale Dysfunktion, Hyperkoagulabilität und Inflammation führen zu einer Beschleunigung der Atherogenese. Die bei Hyperglykämie gebildeten AGEs (advanced glycation endproducts) wirken neben anderen Chemokinen zusätzlich entzündungsinduzierend. Der Befall ist meist diffus, häufig in distalen Gefäßregionen [93]. Nichtdiabetiker haben hingegen meist proximale, isolierte Läsionslokalisationen. Entscheidend für den Verlauf der PAVK bei diabetischen Patienten ist die Instabilität der Plaques. Die atheromatösen Plaques besitzen einen höheren Lipidanteil, der häufiger mit einer Ruptur und erhöhten Thrombogenität (AGE induziert die Expression von tissue factor) einhergeht [2]. Aus diesen pathophysiologischen Bedingungen resultiert eine erhöhte kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität. Diabetische PAVK- Patienten stellen eine gesonderte Risikogruppe dar. Eine diabetische Neuropathie kann die asymptomatische Phase der PAVK verlängern, so dass man den klinischen Schweregrad der Durchblutungsstörung unterschätzt [50, 68]. Diabetische PAVK- Patienten präsentieren häufiger ischämische Ulcera oder eine Gangrän. Durch die Neuropathie können jedoch auch Ruheschmerzen verursacht werden. Akrale ischämische Fußläsionen kommen bei Typ- 2- Diabetikern häufiger vor [53]. Eine diagnostische Herausforderung ist das diabetische Fußsyndrom. Kennzeichnend hierfür ist die Synopsis aus Makro- (atherosklerotische Gefäßobliterationen) und Mikroangiopathie (generalisierte, funktionelle Störung der Zirkulation in kleinen Gefäßen), Polyneuropathie und lokaler Infektion. In Kombination mit einer diabetischen Neuropathie entstehen diabeti-

6 Diskussion 44 sche Ulcera (Malum perforans oder ischämiebedingte Läsionen). Diese Läsionen müssen hinsichtlich venöser, neuropathischer und ischämischer Komponenten abgeklärt werden [115]. Meist kommen Mischformen vor. Primäre oder sekundäre Infektionen sind häufig. Bei neuropathisch- infizierten Fußläsionen sind im Vergleich zum ischämisch- gangränösen Fuß bei rosig- überwärmten Vorfuß die arteriellen Pulse tastbar, die Läsionen sind nicht schmerzhaft. Der TcpO2 ist bei ischämiebedingter Fußläsion eher stark erniedrigt, während bei peripherer Neuropathie Normwerte messbar sein können. Eine Angiographie ist hier primär nicht induziert [20]. Ein Malum perforans wird primär durch Druckentlastung, Wunddebridement und evt. Entfernung des druckverursachenden Mittelfußköpfchens behandelt. Ischämiebedingte und nicht abheilende Läsionen müssen einer Revaskularisierung (interventionell- radiologisch oder gefäßchirurgisch) zugeführt werden. Infektionen erfordern eine Antibiose. Ultimatio ratio ist die Amputation. Die schwere Extremitätenischämie hat auch bei Nichtdiabetikern eine Verschlechterung der Nervenfunktion (N. peroneus) zur Folge, so dass jede peroneale Nervendysfunktion an eine PAVK denken lassen muss [76]. Die Prophylaxe und Therapie des Risikofaktors Typ- 2- Diabetes mittels normoglykämischer Stoffwechseleinstellung, sowie die effektive Therapie der diabetesassoziierten Begleiterkrankungen mindern das Operationsrisiko. Der diagnostische Stellenwert des ABI- Wertes ist durch seine einfache klinische Bestimmbarkeit und Aussagekraft sehr hoch. Es konnte bei Typ- 2- Diabetikern gezeigt werden, dass der ABI in Kombination mit dem Zehenarteriendruck, im Vergleich zur transkutanen Sauerstoffpartialdruckmessung (TcpO2) in Kombination mit dem Zehenarteriendruck, eine fundierte Therapieentscheidung ermöglicht [16]. Der Knöchelarteriendruck beschreibt die funktionelle Auswirkung der PAVK im Bereich der Makrozirkulation, der TcpO2 ist ein Mikrozirkulationsparameter. Ein linearer Zusammenhang zwischen beiden Messverfahren besteht nur bei starkem Durchblutungsdefizit oder chronisch kritischer Extremitätenischämie. Somit stellt die transkutane Sauerstoffpartialdruckmessung keine Alternative, sondern eine Ergänzung der hämodynamischen Beurteilung in der Peripherie dar [109]. Eine Stenoselokalisierung mittels TcpO2 ist nicht möglich. Die Mikrozirkulation spiegelt nur bedingt die Makrozirkulation wieder [109]. Bei TcpO2- Werten unter 20 mmhg ist von einer kombinierten Mikro- und Makrozirkulationsstörung auszugehen, die Extremität ist amputationsgefährdet [109].

6 Diskussion 45 Die diabetische Mediasklerose mit kalzifikationsbedingter Wandstarre der peripheren Gefäße führt zu deren Kompressibilitätsverlust und somit zu falsch- hohen Druckmesswerten [18, 62, 73, 92]. In den Stadien IIa und IIb nach Fontaine streuen die systolischen Absolutdruckwerte bei Typ- 2- Diabetikern stark und täuschen aufgrund des arteriellen Elastizitätsverlustes (peaking effect) einen zu geringen Grad der Extremitätenischämie vor. Es müssen deshalb modifizierte Beurteilungskriterien für Patienten mit diabetischer Angiopathie definiert werden. Wir nahmen eine Korrektur der Absolutdruckmesswerte bei Diabetikern um 20 mmhg vor. Danach entsprachen die Befunde dem hämodynamischen Schweregrad von Nichtdiabetikern. Diabetische Angiopathie Akzelerierte Atherogenese Vaskulär- arterieller Elastizitätsverlust Diabetische Neuropathie Hohe kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität Mediasklerose (Mönckeberg) Verlängerung der asymptomatischen Phase Streuung der systolischen Absolutdruckwerte Risiko- Nutzen- Analyse und modifizierte Beurteilungskriterien Abb. 17: Problematik der diagnostischen Beurteilung des Schweregrades der Durchblutungsstörung und kardiovaskulären Risikos bei Patienten mit diabetischer Angiopathie Bei manifester Mediasklerose sind Doppler- Druckmessungen nicht mehr möglich. Parameter der Doppler- Frequenz- Spektralanalyse, wie die systolische Akzelerationszeit (SAZ) und der Resistenzindex (RI) erweisen sich hier für die Graduierung der peripheren Ischämie und Er-

6 Diskussion 46 kennung einer kritischen Durchblutungsverminderung als geeignet [91]. Mit fortschreitender Schwere der Ischämie nehmen die SAZ und die enddiastolische Geschwindigkeit zu. Eine SAZ 0,18 s und ein RI von < 0,7 kennzeichnen die kritische Extremitätenischämie (Sensitivität 93 %, Spezifität 97 %). Es liegt bei dieser Befundkonstellation eine absolute Indikation zur invasiven Gefäßtherapie vor. Abbildung 17 zeigt die Problematik der Indikationsstellung zur invasiven Gefäßtherapie bei diabetischer AVK. Das Vorliegen der Mediasklerose stellt einen prognostisch ungünstigen Faktor dar. Patienten mit nicht komprimierbaren Gefäßen haben ein erhöhtes Amputationsrisiko [5, 104]. 6.3 Die Bedeutung der Komorbidität und Risikoabschätzung für die Therapieentscheidung Operative Eingriffe an Aorta und große Arterien sind mit einem relativ hohen perioperativen Risiko assoziiert [31]. Bei kritischer Ischämie droht ohne invasive lumeneröffnende Therapie die Amputation [33]. Allgemeines und individuelles Risiko müssen bewertet werden [64, 101]. Die PAVK steht als Marker der systemischen Atherosklerose in enger Beziehung zur KHK und cerebrovaskulären Erkrankung [24, 73]. Aber auch umgekehrt ist bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit eine PAVK gehäuft zu eruieren [27]. Mit der Zunahme des Schweregrads der PAVK nimmt auch die Schwere der kardio- und cerebrovaskulären Komorbiditäten zu und führt, vor allem bei Typ- 2- Diabetikern, zu einer erhöhten Mortalität [79] bzw. zur ungünstigen Beeinflussung des chirurgischen outcomes [8]. Die Prävalenz der KHK steigt mit Zunahme der Durchblutungsstörung auch bei Nichtdiabetikern, jedoch ist der koronarpathologische Befund bei Typ- 2- Diabetiker schwerwiegender [88]. Männliche Typ- 2- Diabetiker dominierten bei ischämiebedingten kardialen Ereignissen. Neben kombinierten Obliterationstypen zeigen aortoiliakale Verschlusslokalisationen einen ausgeprägten koronaren Befall [56]. Mit kardiovaskulären ischämischen Ereignissen ist bei diesen Patienten verstärkt zu rechnen [15]. Zerebrale Ereignisse sollen demgegenüber trotz Zunahme der Carotisatherosklerose im späten Fontaine- Stadium, nur unwesentlich erhöht sein. Atherosklerose an hirn- und herz-

6 Diskussion 47 versorgenden Gefäßen sind bereits ab einem ABI- Wert < 1,0 bei Frauen, < 1,1 bei Männern subklinisch nachweisbar [75]. ABI- Messungen können deshalb schon im asymptomatischen Stadium einer PAVK auf ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko hinweisen [36]. Analysen der Strong Heart Study zeigten, dass ABI- Werte über 1,4 und unter 0,9 unabhängige Prädiktoren für die kardiovaskuläre Mortalität sind und das Risiko eines kardiovaskulär bedingten Todes erhöhen [26, 97]. Der ABI- Wert ist mit der Atherosklerose- Generalisation invers korreliert. Man beobachtete eine erhöhte Ein- Jahres- Mortalität von PAVK- Patienten im Vergleich zu Gefäßgesunden [25]. Daten zur 5- Jahres- Mortalität zeigen ebenfalls bei Patienten mit PAVK (asymptomatische PAVK: 19,2 %, HR= 1,8 und asymptomatische PAVK: 24,1 %, HR= 1,6) eine erhöhte Sterblichkeit [19]. Bei einer PAVK mit metabolischem Syndrom steigt die kardiovaskuläre Mortalität um ein Sechsfaches gegenüber Gesundem [21]. Patienten mit kritischer Beinischämie haben eine Mortalitätsrate von 31,4 % [19]. Mortalitätsassoziierte Risikofaktoren sind ABI- Wert, Alter, Typ- 2- Diabetes, Homocysteinämie, männliches Geschlecht, Zustand nach kardio- oder cerebrovaskulärem Ereignis und Nikotinabusus. Die evaluierte Prävalenz der nichtvaskulären Komorbidität entsprach Literaturangaben. Bei PAVK- Patienten ist mit durchschnittlich zwei Begleiterkrankungen zu rechnen (Frauen > Männer), die präinvasiv abzuklären sind. Frauen waren in unserem Patientenkollektiv schwerer von der PAVK und Komorbidität betroffen. Bei der Indikationsstellung im Fontaine- Stadium II ist die große funktionelle Variabilität zu berücksichtigen. Zudem ist nicht jede Claudicatio vaskulärer Genese [74]. Schmerzangaben zur Klassifizierung der PAVK sind insbesondere bei älteren Patienten mit verminderter körperlicher Aktivität oft weniger verlässlich. Kein ABI- Wert ist sensitiv oder spezifisch für den ischämischen Beinschmerz [122]. Differentialdiagnostisch müssen Arthrosebeschwerden sowie ein neuropathischer Schmerz ausgeschlossen werden [9, 38]. Auch ist der belastungsabhängige Wadenschmerz vom typischen ischämischen Vorfußschmerz im Stadium III zu unterscheiden. Heidrich et al. zeigte, dass 44 % der PAVK- Patienten eine neurologische und 45 % eine orthopädische Begleiterkrankungen aufwiesen [38]. Im Stadium III dominierten arthrotische oder arthritische Komorbiditäten, im Stadium IV periphere Polyneuropathien und Fußfehlstellungen.

6 Diskussion 48 Hauptrisikofaktoren der PAVK sind Nikotinabusus, Typ- 2- Diabetes, fortgeschrittenes Alter und männliches Geschlecht. Bei mehr als ¾ der Patienten lagen die Risikofaktoren Rauchen und arterielle Hypertonie vor, bei der Hälfte eine Dyslipoproteinämie. Nikotinabusus ist mit einer Aktivierung des Gerinnungssystems und Vasokonstriktion assoziiert. Die arterielle Hypertension führt zu Gefäßwandverletzungen. Bei chronischem Verlauf kommt es zur endothelialen Dysfunktion mit Freisetzung von Botenstoffen und gesteigerter Adhärenz für Monozyten sowie zur Muskelzellhypertrophie bzw. Muskelzellhyperplasie. Hyperglykämie führt zu Funktionsstörungen des Endothels, der Gefäßmuskelzellen, der Thrombozyten und zu erhöhten Triglyceridspiegeln. Weiterhin verstärkt sie die vasale Konstriktionsneigung. Glucosylierte LDL- Partikel werden erschwert von Makrophagen aufgenommen. Insulin fördert die Cholesterinsynthese in glatten Muskelzellen und die subendotheliale Lipidoxidation. Eine Homocysteinämie gilt als Indikator für eine systemische Atherosklerose [111]. Die frühzeitige Risikoprädiktion ist bei Patienten mit symptomatischer PAVK wichtig, um eine effiziente Risikoreduktion und Früherfassung von koinzidentiellen atherosklerotischen Komorbiditäten und möglichen Komplikationen zu erreichen. Unter Verwendung eines multivariaten Risikoscores kann dieses individuelle Progressionsrisiko der generalisierten Atherosklerose berechnet werden [112]. Ein weiterer sensitiver Surrogatparameter für die Frühatherosklerose ist die Intima- Media Dicke der A. carotis. Sie korreliert mit der Inzidenz kardio- und cerebrovaskulärer Ereignisse [69, 89]. Eine konsequente Modifikation der Risikofaktoren kann das Auftreten einer PAVK verzögern [124]. Die Prävalenz der PAVK nimmt mit steigendem Lebensalter stetig zu. Im Alter ist mit einer systemischen Atherosklerose zu rechnen. Geriatrische PAVK- Patienten sind zusätzlich durch die altersassoziierte Multimorbidität gekennzeichnet. Bei ihnen müssen zusätzliche, nichtvaskuläre Ursachen für eine Gehbehinderung abgeklärt werden. Häufig sind lange asymptomatische Phasen zu beobachten. Viele ältere Patienten zeigen aufgrund ihrer eingeschränkten Mobilität keinen ischämischen Belastungsschmerz. Lagerungsbedingte Druckläsionen oder chronische nicht heilende Wunden sind diagnoseweisend. Vor jeder invasiven Therapie muss eine Prognosebeurteilung mit dem Ziel der Vermeidung einer Amputation, des Erhalts der Lebensqualität und der Mobilität erfolgen. Eine interventionell- radiologische Therapie als primäres Verfahren ist zu bevorzugen.

6 Diskussion 49 Ebenfalls muss vor jedem invasiven Eingriff das allgemeine Risiko evaluiert werden, welches atherogene Risikofaktoren, das Ausmaß der Generalisierung der Atherosklerose (kardiales, renales, zerebrales Risiko) und nichtvaskuläre Begleiterkrankungen umfasst. Des Weiteren muss das lokale Risiko in Abhängigkeit von Verschlusslokalisation, Läsionstyp, Kollateralisierung, der Verwendung bestimmter Operationsmaterialien und den Infektionsrisiken bewertet werden [40]. 6.4 Geschlechtsspezifische Besonderheiten in Manifestation, Verlauf und Prognose Postmenopausal zeigt sich bei Frauen eine akzelerierte lokale und systemische Atherosklerose, die zu arteriellen Durchblutungsstörungen führt. Ein Zusammenhang zwischen Abnahme der vasoprotektiven Östrogenspiegel und Progression der Atherosklerose ist zu vermuten. Der Risikofaktor Typ- 2- Diabetes weist eine stärkere Atherogenität beim weiblichen Geschlecht auf. Die PAVK- Lokalisation zeigte in unserem Patientengut eine Prädilektion suprapoplitealer Läsionen bei männlichen Patienten, während weibliche häufiger kombinierte und distale Läsionen aufwiesen. Bei Diabetikern ist der Anteil infrapoplitealer Läsionen hoch. Deshalb sind die Langzeiterfolge der interventionellen und gefäßchirugischen Therapie aufgrund des verminderten peripheren run- off eingeschränkt. Die Symptomatik einer Durchblutungsstörung manifestiert sich bei weiblichen PAVK- Patienten weniger charakteristisch. Diabetische Frauen befinden sich häufiger im asymptomatischen Stadium. Gehstreckenbestimmung und Interpretation der Schmerzsymptomatik sind durch die hohe Koinzidenz mit orthopädischen Begleiterkrankungen beeinflusst. Bei diabetischer Mediasklerose können Doppler- Druckmessungen nicht durchgeführt werden. Weibliche PAVK- Patienten besitzen eine ausgeprägtere Komorbidität als männliche. Die Prävalenz des Typ- 2- Diabetes ist bei Frauen höher, der Verlauf der diabetischen Stoffwechselstörung schwerer [119]. Chronischer Nikotinabusus ist neben dem Typ- 2- Diabetes ein Hauptrisikofaktor der PAVK [85]. Weibliche Patienten rauchten im Vergleich zu männlichen seltener. Die Mehrzahl der Frauen wies in unserem Patientengut eine arterielle Hypertonie

6 Diskussion 50 auf. In Verbindung mit dem fortgeschrittenen Alter und der alterassoziierten vaskulären Komorbidität führt dies vor allem bei diabetischen PAVK- Patientinnen zu einem hohen Mortalitätsrisiko. Die Kombination Typ- 2- Diabetes und weibliches Geschlecht geht mit einem exzessiven koronaren Risiko einher. Dennoch weisen männliche Patienten, trotz größeren Anteils an Nichtdiabetikern, ein höheres kardiovaskuläres Risiko auf [89]. Männliches Geschlecht gilt als eigenständiger kardiovaskulärer Risikofaktor [110]. Weibliche PAVK- Patienten waren in unserer Studie durch ein höheres Alter, stärkere lokale und systemische Atheroskleroseprogression gekennzeichnet. Postmenopausale Frauen mit metabolischen Risikofaktoren sind kardiovaskuläre Hochrisikopatienten [119]. Fortgeschrittenes Alter, weibliches Geschlecht und Typ- 2- Diabetes sind eine Risikokonstellation für invasive Gefäßeingriffe und das perioperative Management. 6.5 Therapieentscheidung durch interdisziplinäre Kooperation Während bei asymptomatischen PAVK- Patienten die Reduktion der Risikofaktoren den Progress der systemischen Atherosklerose verzögern soll, muss in symptomatischen Stadien außerdem eine Verbesserung der hämodynamischen Situation erzielt werden [78]. Der Beinerhalt und die individuelle Lebensqualität stehen im Vordergrund. Hierfür kommen die konservative, die interventionell- radiologische und die offen gefäßchirurgische Therapie zur Anwendung. Das Gehtraining im Stadium II führt unter sachkundiger Anleitung zu einer größeren Gehstreckenzunahme als unter Heimtrainingsbedingungen. Zusätzlich wird als Thrombozytenaggregationshemmer Clopidogrel gegeben [49]. Eine kurze Krankheitsanamnese, einseitige Verschlüsse der A. femoralis, gute hämodynamische Kompensation, ein gesunder Bewegungsapparat, normale Herz- und Lungenfunktion sowie die individuelle positive Motivation begünstigen die Erfolgsaussichten des Gehtrainings [80]. Nicht selten schränken kardio- bzw. cerebrovaskuläre sowie pulmonale Komorbiditäten die Trainingsmöglichkeiten ein. Ein invasiver Gefäßeingriff ist im Stadium II nur dann indiziert, wenn das konservative Vorgehen (Gehtraining ± medikamentöse Therapie) scheitert, erschöpft ist oder nicht den ge-

6 Diskussion 51 wünschten Effekt zeigt. Weitere Indikationen sind die erhebliche Einschränkung in der Ausübung beruflicher Tätigkeit und Freizeitaktivitäten [85, 120]. Im Stadium der chronisch kritischen Extremitätenischämie steht der Beinerhalt im Vordergrund- eine invasive Therapie ist absolut indiziert. In Abhängigkeit von der Läsionsmorphologie und bei hohem vaskulären Risiko ist eine minimalinvasive lumeneröffnende Therapie als primäre Option zu bevorzugen [65, 78, 85]. Dabei sollten die verwendete Technik und Zugangsart eine später notwendige Gefäß- OP nicht limitieren. Komplexere Läsionen benötigen gefäßchirurgische Eingriffe. Neben dem klinischen Stadium, der Läsionsmorphologie, Läsionslänge, dem run- in und run- off beeinflussen koinzidentielle Morbiditäten und Risikofaktoren sowie die erwartende Offenheitswahrscheinlichkeitsraten der jeweiligen Interventionsform die Indikationsstellung. Nach Abwägung des individuellen Risikos und Nutzens wird das Therapiekonzept erstellt [101]. Mangelnde Compliance des Patienten wirkt limitierend. Dem chirurgischen Eingriff kann eine lumeneröffnende Ballondilatation (± Stent) vorausgehen, welche die Hämodynamik des Gefäßbypasses verbessert. Lokale Weichteilinfektionen stehen dem Einsatz von prothetischem Gefäßmaterial entgegen, autologe Venen sind weitestgehend infektresistent. Sich ausbreitende Infektionen benötigen eine systemische Antibiose [85], ggf. als ultimatio ratio eine Amputation. Die interdisziplinäre Kooperation zwischen Angiologen, interventionell tätigen Radiologen, Gefäßchirurgen, Diabetologen, Kardiologen und anderen Spezialisten verbessert die therapeutische Effizienz. Nach Vollmar [120] soll die Indikation zur invasiven Gefäßtherapie anhand der klinischen und morphologischen Befunde und allgemeinen Operabilität diskutiert werden. Eine besondere Bedeutung kommt der Beurteilung der peripheren Hämodynamik zu. Das Management der Komorbiditäten und Risikofaktoren erfordert eine multidisziplinäre Zusammenarbeit [85]. Kriterien und Einflussfaktoren bei der Indikationsstellung zur invasiven PAVK- Therapie werden im sogenannten Lower Extremity Grading System (LEGS) zusammengefasst [4, 54]. Berücksichtigung finden die Kategorien Läsionsmorphologie in der Angiographie, Funktionalität, klinische Präsentation, Komorbidität sowie technische Faktoren. Die Gesamtpunktzahl entscheidet über die Wahl der Gefäßtherapie, die als Bypasschirurgie, Katehterintervention oder Primäramputation ausgeführt wird.

6 Diskussion 52 Klinisches Stadium Hämodynamische Auswirkungen in der Peripherie Vaskulär bedingte Einschränkung der Lebensqualität Konservative Therapiemöglichkeiten ausgeschöpft Summe der primären Beurteilungskriterien Indikation eines Gefäßeingriffs Summe der sekundäre Beurteilungskriterien Technische Machbarkeit, Zugänglichkeit TASC- Läsionsmorphologie Risikokonstellation und Komorbidität Nutzen und Prognose Verwendung spezieller Materialien, lokale Kontraindikationen Präferenzen für die einzelnen invasiven Therapieformen (i.d.r. PTA vor Chirurgie) Individuelle präinterventionelle Risikostratifizierung, perioperatives Risiko Mobilität, Offenheitswahrscheinlichkeit, Reintervention, Compliance Planung des Gefäßeingriffs Abb. 18: Kriterien der Indikationsstellung zur invasiven Gefäßtherapie bei elektiven Gefäßeingriffen Die Therapieentscheidung wird bei dringlicher Interventionsnotwendigkeit weniger von der Komorbidität beeinflusst. Vor elektiven Eingriffen gilt es, primär den Schweregrad der Durchblutungsstörung zu ermitteln. Dies erfolgt klinisch und durch Messung der hämodynamischen Auswirkungen in der Peripherie. Ein wichtiger Aspekt der Indikationsstellung ist die krankheitsbedingte eingeschränkte Lebensqualität des Patienten. Die individuelle Risikostratifizierung und eine Risiko- Nutzen- Analyse ist bei geplantem invasiven Maßnahmen sorgfältig vorzunehmen (Abb. 18). Um gute Langzeitergebnisse zu gewährleisten, bedarf es der

6 Diskussion 53 Organisationsform und Arbeitsweise eines interdisziplinären Gefäßzentrums. Es muss das komplette Spektrum angiologischer und radiologischer Untersuchungsverfahren zur Verfügung stehen. Neben der interventionell- endovaskulären und gefäßchirugischen Revaskularisation finden Maßnahmen der Sekundärprävention zur Progressionshemmung und Rezidivprophylaxe besondere Beachtung [64].