Überwachung der Mitarbeiter am Arbeitsplatz



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Transkript:

Überwachung der Mitarbeiter am Arbeitsplatz Diplomarbeit zur Erlangung des Grades einer Magistra der Rechtswissenschaften an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Karl-Franzens-Universität Graz eingereicht bei: ao. Univ.-Prof. Dr. Gert-Peter Reissner Institut für Arbeits- und Sozialrecht von Silke Schnepfleitner Graz, November 2008

Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht verwendet und die den benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Graz, November 2008

INHALTSVERZEICHNIS ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS V 1. EINLEITUNG 1 1.1. Motivation. 1 1.2. Arbeitsprogramm.. 3 2. INDIVIDUALARBEITSRECHTLICHE GRUNDLAGEN 4 2.1. Allgemeines. 4 2.2. Fürsorgepflicht des Arbeitgebers.. 5 2.3. Individualarbeitsrechtliche Regelungsmöglichkeiten zur Einführung 6 von Kontrollmaßnahmen 2.3.1. Regelungen im Arbeitsvertrag... 6 2.3.2. Die Weisung. 7 3. KOLLEKTIVARBEITSRECHTLICHE GRUNDLAGEN 9 3.1. Der Betriebsrat. 9 3.2. Die Betriebsvereinbarung im Allgemeinen.. 10 3.3. Die Betriebsvereinbarung zur Einführung von Kontrollmaßnahmen... 10 4. GRUNDRECHTSKONFLIKT DURCH 12 EINE KONTROLLMAßNAHME 4.1. Eingriff in die Grundrechte. 12 4.2. Interessensabwägung 13 4.3. Verhältnismäßigkeitsprinzip... 13 5. DIE GESETZLICHEN GRUNDLAGEN... 14 5.1. Kontrollmaßnahmen, die die Menschenwürde berühren, im Kontext des 96 (1) Z 3 ArbVG. 14 I

5.1.1. Der Begriff der Einführung. 15 5.1.2. Kontrollmaßnahmen und technische Systeme 15 5.1.3. Menschenwürde.. 17 5.1.3.1. Maßnahmen, die die Menschenwürde berühren 19 5.1.3.2. Maßnahmen, die die Menschenwürde verletzen 21 5.1.3.3. Maßnahmen, die die Menschenwürde nicht berühren.. 21 5.2. Allgemeine Ordnungsvorschriften. 22 6. KONKRETE BEISPIELE FÜR KONTROLLMAßNAHMEN UND 23 TECHNISCHE SYSTEME. 6.1. Zeiterfassungssysteme im Allgemeinen.. 23 6.2. Biometrische Daten... 24 6.2.1. Der Begriff der Biometrie 24 6.2.2. Der Begriff der biometrischen Daten 25 6.2.3. Zulässigkeit.. 25 6.3. GPS bei Firmenhandy, -fahrzeug. 27 6.3.1. Was ist GPS?... 27 6.3.2. Anwendungsbereiche. 27 6.3.3. Zulässigkeit.. 28 6.4. Video-/Kameraüberwachung.... 28 6.4.1. Der Begriff der Video-/Kameraüberwachung.. 28 6.4.2. Zulässigkeit.. 29 6.5. Einwegglasscheiben... 31 6.5.1. Begriffserklärung. 31 6.5.2. Zulässigkeit.... 31 6.6. Firmenausweis. 32 6.6.1. Einsatzbereiche des Firmenausweises 32 6.6.2. Zulässigkeit.. 32 6.7. Alkoholkontrollen am Arbeitsplatz. 34 6.8. Telefonsysteme 35 6.8.1. Funktionen einer Telefonregistrieranlage... 35 6.8.2. Kollision mit Grundrechten. 36 6.8.3. Die fremde Telefonanlage... 36 II

6.8.4. Historische Entwicklung der Rechtssprechung.. 37 6.8.5. Zulässigkeit nach jüngster Rechtssprechung... 40 6.9. Internet.. 42 6.9.1. Begriff 42 6.9.2. Private / dienstliche Nutzung 42 6.9.3. Vereinbarung über die Nutzung 43 6.9.3.1. Nutzungsverbot 43 6.9.3.2. Keine Regelung.. 45 6.9.3.3. Nutzungserlaubnis.. 46 6.9.4. Kontrolle 46 6.9.5. Haftung für Schäden... 48 6.10. E-Mail 48 6.10.1. Begriff... 48 6.10.2. Gesetzlicher Schutz des E-Mail Verkehrs... 49 6.10.3. Kontrolle 49 6.11. Durchsuchen der Festplatte nach privaten Dateien.. 50 7. RECHTSSCHUTZ BEI FEHLEN ODER UNZULÄSSIGKEIT DER 51 BETRIEBSVEREINBARUNG... 7.1 Möglichkeiten des Arbeitnehmers 51 7.1.1 Boykott.. 51 7.1.2. Beseitigungs- / Unterlassungsanspruch. 51 7.1.3. Schadenersatzanspruch... 51 7.1.4. Einstweilige Verfügung... 52 7.2. Möglichkeiten des Betriebsrates... 52 7.2.1. Beseitigungs- / Unterlassungsanspruch.. 52 7.2.2. Einstweilige Verfügung... 52 8. RECHTSFOLGEN FÜR DEN ARBEITNEHMER BEI VERSTOSS GEGEN BETRIEBSVEREINBARUNG, DIENSTVERTRAG ODER 53 WEISUNG BZGL KONTROLLMAßNAHMEN... 8.1. Kündigung des Arbeitnehmers.. 53 8.2. Entlassung des Arbeitnehmers. 53 III

9. BEWEISVERBOTE. 56 10. MUSTER EINER BETRIEBSVEREINBARUNG 58 LITERATURVERZEICHNIS... 64 JUDIKATURVERZEICHNIS.. 69 IV

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS nach: Friedl/Loebenstein bearbeitet von Dax/Hopf, Abkürzungs- und Zitierregeln der österreichischen Rechtssprache und europarechtlicher Rechtsquellen 6 (2008) Zeitschriften, deren Bezeichnung aus einer Abkürzung besteht, sind nachfolgend in der Langform angeführt. Folgende Abkürzungen wurden verwendet: ABGB Abs AG AK AN AngG Anm ASchG Arb ArbVG ARD ASG ASoK AVRAG BR B-VG bzgl bzw DG Allgemein bürgerliches Gesetzbuch Absatz Arbeitgeber Arbeiterkammer Arbeitnehmer Angestelltengesetz Anmerkung Arbeitnehmerschutzgesetz Sammlung arbeitsrechtlicher Entscheidungen Arbeitsverfassungsgesetz Aktuelles Recht zum Dienstverhältnis (Zeitschrift) Arbeits- und Sozialgericht Arbeits- und Sozialrechtskartei (Zeitschrift) Arbeitsvertragsrechtsanpassungsgesetz Betriebsrat Bundes-Verfassungsgesetz bezüglich beziehungsweise Dienstgeber V

dh DN DNS DRdA DSG EA EMRK Erl etc EWG gem GPS GSM GewO Hrsg Infas insb isd isv ivm JBl KG lit LKW man OGH ÖJZ OLG Pkt RdW das heißt Dienstnehmer Desoxyribonukleinsäure, genetische Information, Erbgut von Zellen Das Recht der Arbeit (Zeitschrift) Datenschutzgesetz Einigungsamt Europäische Menschenrechtskonvention Erlass et cetera Europäische Wirtschaftsgemeinschaft gemäß global positioning system (globales Satellitenortungssystem) global system for mobile communications (globales Mobilfunksystem) Gewerbeordnung Herausgeber Informationen aus Arbeits- und Sozialrecht (Zeitschrift) insbesondere im Sinne des im Sinne von in Verbindung mit Juristische Blätter (Zeitschrift) Kreisgericht litera Lastkraftwagen meiner Ansicht nach Oberster Gerichtshof Österreichische Juristen Zeitung (Zeitschrift) Oberlandesgericht Punkt Recht der Wirtschaft (Zeitschrift) VI

Rspr Rz StGB StGG SWK USA va vs VwGH www Z ZAS zb ZPO Rechtssprechung Randzahl Strafgesetzbuch Staatsgrundgesetz Steuer- und Wirtschaftskartei (Zeitschrift) Vereinigte Staaten von Amerika vor allem voraussichtlich Verwaltungsgerichtshof world wide web, Internet Zahl Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht (Zeitschrift) zum Beispiel Zivilprozessordnung VII

1. EINLEITUNG 1.1. Motivation George Orwell lieferte mit seinem Klassiker 1984 eine beklemmende Zukunftsvision ab. Er sinnierte ein Leben in einem totalitären Überwachungsstaat, in dem man sich nie unbeobachtet fühlen konnte. 1 Wie weit sind wir von dieser Utopie in der heutigen Arbeitswelt noch entfernt? Die zunehmende Technisierung ermöglicht eine weitgehende Überwachung: Sobald der Mitarbeiter die Firma betritt, registriert ein detailliertes Arbeitszeiterfassungsmodell - mit Chipkarte, Magnetkarte, Zahlencode oder mittels biometrischer Daten - seine Anwesenheit. Aber auch Mitarbeiter im Außendienst können per Handy oder GPS bis auf wenige Meter genau geortet werden. Kilometeraufzeichnungen und das Protokollieren von verrechneter Arbeitszeit an Kunden bestimmen den Arbeitsalltag. Fahrtenschreiber in Firmenfahrzeugen ermöglichen auch das Nachvollziehen von Geschwindigkeit, Drehzahl und Gang. Innerhalb der Firma kann ein Bewegungsprofil des Mitarbeiters mittels Bewegungskontrollen auf persönlichen Chipkarten angelegt werden. Es gibt Auskunft darüber, wer am häufigsten aufsteht, wer öfter zum Kaffeeautomaten geht, wer am meisten kopiert oder druckt. 2 Am jeweiligen Arbeitsplatz des Mitarbeiters ermöglichen es moderne GSM Telefone, bei denen die Daten jahrelang gespeichert werden können, alle geführten Gespräche nachzuvollziehen. 3 Das Surfverhalten der Mitarbeiter und auch die verbrachte Zeit im www können vom Systemadministrator mitgeloggt werden. Eine automatische Systemsicherung, die eigentlich dazu dient, die Wiederherstellung im Fall eines Systemabsturzes zu ermöglichen, kann Auskunft darüber geben, was die Mitarbeiter gerade am Bildschirm tun. Ebenso ist es 1 Orwell, 1984 (1949). 2 Brenner/Bogner/Leicht, So werden Sie vom Chef überwacht, Zeitschrift Gewinn April 2007, 132. 3 Brodil, Nutzung und Kontrolle von neuen Medien im Arbeitsrecht, ecolex 2001, 853. 1

technisch möglich, die Inhalte von E-Mails aus Sicherheitsgründen und zum Virenschutz einzusehen. 4 In den USA nimmt die Überwachung der Mitarbeiter noch weiter reichende Ausmaße an. Die persönliche Chipkarte des Mitarbeiters wird nicht nur zur Zugangskontrolle im Betrieb verwendet, sondern auch im firmeneigenen Restaurant oder im hauseigenen Supermarkt. Das Essverhalten der Mitarbeiter kann so mitprotokolliert werden. Der Betriebsarzt nutzt diese Informationen, um festzustellen, welche Krankheiten sich auf die Ernährungsgewohnheiten zurückführen lassen. Bei selbst verursachten Krankheiten kann eine Abmahnung oder sogar Kündigung die Folge sein. 5 4 Brenner/Bogner/Leicht, Gewinn April 2007, 132. 5 Brenner/Bogner/Leicht, Gewinn April 2007, 132. 2

1.2. Arbeitsprogramm In welchem Umfang ist nun die Überwachung der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz zulässig? Welche Mittel dürfen eingesetzt werden und wo sind die Grenzen? Welche arbeitsrechtlichen Fragen muss sich der Arbeitgeber stellen? Ist für jede Überwachungsmaßnahme eine Betriebsvereinbarung zu schließen und was ist zu unternehmen, wenn kein Betriebsrat eingerichtet ist? Meine Arbeit geht auf die konkreten arbeitsrechtlichen Probleme ein, die Kontrollmaßnahmen von Seiten des Arbeitgebers mit sich bringen. Zu Beginn erfolgt eine Teilung in eine individualarbeitsrechtliche bzw kollektivarbeitsrechtliche Seite und eine Darstellung der grundrechtlichen Problematik. Nach Erörterung der gesetzlichen Grundlagen werden mittels Literatur und Judikatur ausgewählte Kontrollmaßnahmen auf Ihre Zulässigkeit und Durchsetzbarkeit durchleuchtet (zb Videoüberwachung, Telefonsysteme). Auch die unterschiedlichen Sichtweisen von Arbeitnehmer, Arbeitgeber und des Betriebsrates sollen in der Betrachtung berücksichtigt werden. Wie kann sich der Arbeitnehmer gegen unzulässige Überwachungsmaßnahmen wehren, welche Rechte und Pflichten hat der Arbeitgeber und welche Mittel stehen dem Betriebsrat zur Verfügung? Zuletzt soll ein kurzer Einblick in die Beweisthematik Auskunft darüber geben, ob der Arbeitgeber rechtswidrig erlangte Beweise (zb aufgrund einer unzulässigen Videoüberwachung) im arbeitsrechtlichen Prozess verwenden darf. Im vorliegenden Text wird eine geschlechtsneutrale Formulierung verwendet, er bezieht sich auf Frauen und Männer gleichermaßen. 3

2. INDIVIDUALARBEITSRECHTLICHE GRUNDLAGEN 2.1. Allgemeines Das Individualarbeitsrecht betrifft die individuellen Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Es beinhaltet das Arbeitsvertragsrecht und das Arbeitnehmerschutzrecht. Das Arbeitsvertragsrecht regelt den Einzelvertrag zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer und legt die Rechte und Pflichten im Einvernehmen fest. Das Arbeitnehmerschutzrecht schützt den Arbeitnehmer vor Eingriffen in Leben, in Gesundheit und in sonstige Rechtsgüter. 6 Kontrolle an sich, isv Überwachungsmaßnahmen, verstößt noch nicht gegen die Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers. Es gehört vielmehr zum Wesen des Arbeitsverhältnisses, dass sich der Arbeitnehmer der Kontrolle des Arbeitgebers unterwirft. Dennoch hat jeder Mensch auch während der Zeit, in der er zur Arbeitsleistung verpflichtet ist, das Recht auf Unversehrtheit der Privatsphäre und Achtung seiner Persönlichkeit. Nicht nur die Kontrolle des privaten Verhaltens während der Arbeitszeit kann die Menschenwürde betreffen, auch die Kontrolle des rein dienstlichen Verhaltens kann mitbestimmungspflichtig sein. 7 Wichtige Anhaltspunkte sind hier das Ausmaß bzw Intensität der Kontrolle. Es kann eine Unterscheidung nach der Art der Kontrolle (durch Menschen oder Technik), der zeitlichen Dauer (ad-hoc oder permanente Kontrollen), dem Umfang und den Datenarten, dh welche Daten des Dienstnehmers erfasst werden, erfolgen. 8 Den Kontrollmaßnahmen sind hier, wie im Folgenden dargestellt, durch die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers und die Persönlichkeits- / Grundrechte des Arbeitnehmers Grenzen gesetzt. 6 Reissner, Lern- und Übungsbuch Arbeitsrecht 3 (2008) 1f. 7 OGH 8 ObA 288/01p DRdA 2003, 365 = ARD 5359/3/2002 = ecolex 2002, 904. 8 Löschnigg, Biometrische Daten und Arbeitsverhältnis, ASoK 2005, 37. 4

2.2. Fürsorgepflicht des Arbeitgebers Kontrollmaßnahmen durch den Arbeitgeber sind nicht grenzenlos durchführbar. Das Arbeitsverhältnis ist zwar grundsätzlich auf Austausch von Arbeitsleistung und Entgelt gerichtet, dennoch sind auch Schutz- und Sorgfaltspflichten besonders wichtig. Der Arbeitnehmer ist zur persönlichen Arbeitsleistung verpflichtet, er ist wirtschaftlich abhängig und daher besonders schutzwürdig. Dies ergibt sich aus der sogenannten Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gemäß 18 AngG. Dies ist eine Rechtspflicht und umfasst verschiedene Rechtsgüter des Arbeitnehmers. 18 AngG wird als Generalklausel gesehen, die immaterielle sowie materielle Interessen des Arbeitnehmers schützt, insbesondere die Persönlichkeitsrechte. Auch ein Schutz betreffend des eingebrachten Vermögens bzw Eigentums, der Sittlichkeit und vor diskriminierender Behandlung des Arbeitnehmers wird dadurch gewährleistet. Diese Bestimmungen haben zwingenden Charakter, ein Ausschluss oder eine Einschränkung, zb durch den Arbeitsvertrag, ist nicht möglich. Zusätzliche Anordnungen können in Kollektivvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung vorgesehen sein. 9 Durch die Fürsorgepflicht ist auch die Privatsphäre und Intimsphäre des Arbeitnehmers geschützt. Kontrollmaßnahmen des Arbeitgebers sind daher nur möglich, wenn betriebliche Interessen jene des Arbeitnehmers überwiegen. Zulässig wären zb Bekleidungsvorschriften, wenn sie durch die Art der Dienstleistung gerechtfertigt sind (zb für Bankmitarbeiter). Regelungen in Verhaltens- oder Ethikkodices können dies ergänzen. Auch ist der Arbeitgeber im Rahmen der Fürsorgepflicht dazu angehalten, den Dienstnehmer vor Ehrenverletzungen zu schützen, sowohl im Betrieb als auch gegenüber Dritten, zb Kunden. 10 9 Mosler in Neumayr/Reissner (Hrsg), Zeller Kommentar zum Arbeitsrecht (2006) 18 AngG Rz 1, 6. 10 Mosler in ZellKomm 18 AngG Rz 82. 5

Der Umfang des Schutzes des Arbeitnehmers richtet sich nach der Verkehrsauffassung bzw der betrieblichen Übung. 11 Es muss eine Interessensabwägung zwischen den Interessen des Arbeitgebers und den Interessen der Arbeitnehmer erfolgen. 12 (siehe Kapitel 4.2.) Eine Verletzung der Fürsorgepflicht durch den Arbeitgeber berechtigt den Arbeitnehmer in schweren Fällen zur Verweigerung der Arbeitsleistung. Auch Schadenersatzansprüche im Rahmen des allgemeinen Schadenersatzrechts sind möglich. 13 2.3. Individualarbeitsrechtliche Regelungsmöglichkeiten zur Einführung von Kontrollmaßnahmen Wie können nun Arbeitsbedingungen, insbesondere die Durchführung von Kontrollmaßnahmen, zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbart werden? 2.3.1. Regelungen im Arbeitsvertrag Die individuellen Vertragsbeziehungen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer werden im Arbeitsvertrag geregelt. Gem 1151 ABGB entsteht ein Dienstvertrag, wenn sich jemand auf gewisse Zeit zur Dienstleistung für einen anderen verpflichtet. Es ist somit ein Dauerschuldverhältnis, das die Erbringung der Arbeitsleistung zum Inhalt hat. Der Arbeitsvertrag kommt durch übereinstimmende Willenserklärung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer zustande. Der Abschluss ist formfrei, kann also mündlich, schriftlich oder konkludent erfolgen. Ein Merkmal des echten Dienstverhältnisses ist die persönliche Abhängigkeit des Arbeitnehmers. Er hat die Arbeit selbst durchzuführen, kann sich nicht vertreten lassen. Er ist in den Betrieb eingeordnet und unterliegt der Weisungsgebundenheit. Arbeitszeit und Arbeitsort werden durch den Arbeitgeber vorgeschrieben, der Dienstnehmer verwendet die Arbeitsmittel, die vom Arbeitgeber bereit gestellt werden. Wie die 11 Mosler in ZellKomm 18 AngG Rz 7. 12 OGH 8 ObA 269/95 ARD 4700/11/95. 13 Mosler in ZellKomm 18 AngG Rz 129, 132. 6

1153, 1155 ABGB bestimmen, hat der Arbeitnehmer die Pflicht leistungsbereit zu sein, er schuldet ein sorgfältiges Bemühen, keinen Erfolg. Er ist wirtschaftlich abhängig, bestreitet also mit dem verdienten Arbeitseinkommen seinen Lebensunterhalt. 14 Arbeitsbedingungen können durchaus im Rahmen des Arbeitsvertrages näher geregelt werden, soweit dies nicht gesetz- oder sittenwidrig ist. Auch darf kein Verstoß gegen kollektivarbeitsrechtliche Quellen (Kollektivvertrag, Betriebsvereinbarung) vorliegen. 15 2.3.2. Die Weisung Diese Art der Gestaltung wird auch Direktionsrecht genannt und dient dazu, die Arbeitspflicht zu konkretisieren legt also neue Pflichten des Arbeitnehmers fest. Es ist ein einseitiges Rechtsgeschäft und besteht aus einer Willenserklärung des Arbeitgebers. 16 Bei wiederholtem Verstoß und darauf folgender Abmahnung durch den Dienstgeber gegen eine Weisung kann ein Entlassungstatbestand isd 27 Z1 oder 4 AngG verwirklich sein. 17 Grenzen des Weisungsrechts liegen im Vertrag, in Betriebsvereinbarungen, im Kollektivvertrag oder im Gesetz. Weisungen, die gegen höherrangige Bestimmungen verstoßen, sind nichtig und müssen nicht befolgt werden. Beharrt der Arbeitgeber dennoch auf der vertragswidrigen Weisung, kann dies als Vertragsverletzung von seiner Seite gesehen werden. 18 Werden Kontrollmaßnahmen isd 96 ArbVG durch Weisung eingeführt, obwohl diese der Mitbestimmungspflicht des Betriebsrates unterliegen, muss diese nicht befolgt werden. Es wird dadurch kein Entlassungsgrund verwirklicht. 14 Reissner, Arbeitsrecht 3 2ff. 15 Reissner, Alkohol am Arbeitsplatz aus arbeitsrechtlicher Sicht, in Wachter/Burger (Hrsg), Aktuelle Entwicklungen im Arbeits- und Sozialrecht 2008. Schwerpunkt Arbeitszeitrecht (vs 2008) 217ff. 16 Reissner, Arbeitsrecht 3 153. 17 Dellisch, Private E-mail und Internetnutzung am Arbeitsplatz, ASoK 2001, 317. 18 Rebhahn in ZellKomm 1151 ABGB Rz 103. 7

Spricht der Arbeitgeber dennoch die Kündigung aus, ist eine Anfechtung durch den Arbeitnehmer möglich. 19 Man unterscheidet zwischen persönlichen und sachlichen Weisungen. Bei den persönlichen werden Arbeitsort, -zeit oder -abläufe konkretisiert. Die sachlichen legen den Inhalt der Arbeitspflicht, wie zb die Arbeitsaufgabe oder die Art der Erledigung, fest. 20 Ein Beispiel für eine Weisung wäre das Untersagen der privaten Nutzung der Betriebsmittel des Dienstgebers (zb privates Internetsurfen). Ein Verstoß wäre als Verletzung der Arbeitnehmerpflichten zu sehen. 21 19 OGH 8 ObA 340/94 ARD 4661/10/95. 20 Rebhahn in ZellKomm 1151 ABGB Rz 105. 21 Brodil, ecolex 2001, 853. 8

3. KOLLEKTIVARBEITSRECHTLICHE GRUNDLAGEN Auch auf kollektiver Ebene ist es wie im Folgenden dargestellt möglich, eine Durchführung von Kontrollmaßnahmen in Form einer Betriebsvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat abzuschließen. 3.1. Der Betriebsrat In einem Betrieb, in dem dauernd mindestens fünf Arbeitnehmer beschäftigt werden, ist gem 40 Abs 1 Satz 1 ArbVG ein Betriebsrat zu bilden. Der Betriebsrat ist ein Organ zur Vertretung der Arbeitnehmer. Die Wahl des Betriebsrates erfolgt aufgrund des gleichen, unmittelbaren und geheimen Wahlrechts mit einer persönlichen Stimmabgabe. Die Tätigkeitsdauer des Betriebsrates beträgt 4 Jahre. Ihm stehen folgende Rechte zu: 22 Überwachungsrechte: zb Einsichtnahme in Lohn- und Gehaltslisten Interventionsrechte: zb Vorschläge zur Verbesserung von Arbeitsbedingungen Informationsrechte: Der Betriebsinhaber informiert den Betriebsrat über alle Angelegenheiten, welche die personellen Interessen der Arbeitnehmer betreffen (zb Kündigungs- und Entlassungsschutz) Beratungsrechte: Ein Meinungsaustausch zwischen Betriebsrat und Betriebsinhaber findet statt Rechte zur imparitätischen Mitentscheidung: Mitwirkung an Unternehmenssachen zb im Aufsichtsrat 22 Reissner, Arbeitsrecht 3 453ff. 9

Rechte zur paritätischen Mitentscheidung: Der Betriebsrat kann Entscheidungen gleichberechtigt mit dem Betriebsinhaber treffen zb notwendige Mitbestimmung bei Kontrollmaßnahmen. 3.2. Die Betriebsvereinbarung im Allgemeinen Eine genauere Festlegung von Arbeitsbedingungen kann auf kollektiver Ebene durch Betriebsvereinbarung erfolgen. Die Parteien müssen zur Schaffung einer Betriebsvereinbarung durch Gesetz oder Kollektivvertrag ermächtigt sein. 23 Betriebsvereinbarungen sind Vereinbarungen, die zwischen Betriebsinhaber und Belegschaftsorgan abgeschlossen werden. Zur Gültigkeit bedarf diese Vereinbarung der Schriftform. Die übereinstimmende Willenserklärung erfolgt durch Unterzeichnung beider Parteien. Man unterscheidet zwischen erzwingbaren, fakultativen und notwendigen Betriebsvereinbarungen. Bei erzwingbaren Betriebsvereinbarungen kann die Zustimmung falls eine Einigung zwischen den Parteien nicht zustande kommt auf Antrag einer Partei von der Schlichtungsstelle ersetzt werden. Sie dient zb zur Regelung von allgemeinen Ordnungsvorschriften gem 97 Abs 1 Z 1 ArbVG. Die fakultative Betriebsvereinbarung kann hingegen nicht von einer Partei erzwungen werden, sie regelt zb gem 97 Abs 1 Z 10 ArbVG die Aufstellung von Grundsätzen über den Urlaubsverbrauch. 24 3.3. Die Betriebsvereinbarung zur Einführung von Kontrollmaßnahmen Soll eine Vereinbarung über Kontrollmaßnahmen abgeschlossen werden, bedient man sich der notwendigen Betriebsvereinbarung. Notwendig bedeutet hier, dass eine Regelung durch eine untergeordnete Rechtsquelle unzulässig und rechtsunwirksam ist. Solche Maßnahmen können daher nur in Form einer 23 Reissner in Wachter/Burger, Alkohol 217ff. 24 Reissner, Arbeitsrecht 3 401ff. 10

Betriebsvereinbarung abgeschlossen werden. Die Zustimmung des Betriebsrates kann nicht durch die Entscheidung einer Schlichtungsstelle ersetzt werden. 25 Inhalt einer notwendigen Betriebsvereinbarung sind nicht alle Arten von Kontrollmaßnahmen, sondern lediglich solche, die die Menschenwürde berühren. Die Menschenwürde verletzende Kontrollmaßnahmen sind immer unzulässig, dieser Umstand kann auch nicht durch den Abschluss einer Betriebsvereinbarung geheilt werden. Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung zu einer notwendigen Betriebsvereinbarung, kann dies nicht durch Regelung im Einzelarbeitsvertrag oder durch eine Weisung saniert werden. Diese Regelung stärkt die Stellung des Betriebsrats. Er kann somit Maßnahmen verhindern, bzw den Arbeitgeber zu Verhandlungen veranlassen, um möglichst günstige Bedingungen für die Arbeitnehmer zu erreichen. 26 25 Reissner, Arbeitsrecht 3 414. 26 Preiss in Cerny/Gahleitner/Preiss/Schneller, Arbeitsverfassungsrecht III³ (2005) 96 ArbVG Erl 1. 11

4. GRUNDRECHTSKONFLIKT DURCH EINE KONTROLLMAßNAHME 4.1. Eingriff in die Grundrechte Erfolgt ein Eingriff in die Rechte des Arbeitnehmers durch eine Kontrollmaßnahme, stehen die betrieblichen Interessen des Arbeitgebers den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten des Arbeitnehmers (Grundrechte) gegenüber. Im Speziellen betrifft dies auf Arbeitnehmerseite das Grundrecht auf Schutz des Privatbereichs und der Geheimsphäre, auf Seiten des Arbeitgebers steht das Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums (Art 5 StGG). 27 Die Grundrechte (zb Privatsphäre) der Bürger gelten grundsätzlich im Verhältnis Staat Bürger, im Privatrecht wirken sie in Form der mittelbaren Drittwirkung über 16 ABGB. Diese Gesetzesstelle besagt: jeder Mensch hat angeborene, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte, und ist daher als Person zu betrachten. 28 Bei der Arbeit im Betrieb müssen die Würde des Menschen, die freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Gleichbehandlung der Arbeitnehmer ebenso gewährleistet sein, wie im staatlichen Bereich. Der Arbeitgeber übt Macht im Betrieb aus, die mit der staatlichen Gewalt vergleichbar ist. Dies kommt darin zum Ausdruck, dass einerseits ein Arbeitsvertrag zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer besteht, andererseits muss sich der Arbeitnehmer auch innerbetrieblichen Ordnungsvorschriften unterwerfen. Somit ist es die Pflicht des Arbeitgebers die freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Würde zu erhalten. 29 27 OGH 8 ObA 288/01p DRdA 2003, 365 = ARD 5359/3/2002 = ecolex 2002, 904. 28 Aicher in Rummel (Hrsg), Kommentar zum Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch I 3 (2000) 16 Rz 30. 29 Söllner, Arbeitsrecht in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes (1994) 23. 12

4.2. Interessensabwägung Bei Grundrechtseingriffen im Arbeitsverhältnis ist immer eine Interessensabwägung durchzuführen. Es ist hier der bestehende Arbeitvertrag einzubeziehen, der die Treuepflicht des Arbeitnehmers enthält. Dadurch verpflichtet er sich zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Arbeitsleistung. Eingriffe durch den Dienstgeber sind im Rahmen seiner Fürsorgepflicht auf schonende und zielführende Weise durchzuführen. Es ist zu berücksichtigen, dass dem Arbeitgeber zwar grundsätzlich ein Recht auf Kontrolle zusteht. Die Persönlichkeitsrechte, die auch im dienstlichen Bereich gelten, sind aber zu beachten. Sie schützen den Arbeitnehmer insb vor Erniedrigung, Ungleichbehandlung und Willkür. Eine Kontrolle, die aber über den Kontrollzweck hinausgeht, kann die Menschenwürde isd 96 Abs 1 Z 3 ArbVG berühren. 30 4.3. Verhältnismäßigkeitsprinzip Weiters ist auch das Prinzip der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Das Persönlichkeitsrecht darf nicht weiter beschränkt werden, als es zweckmäßig ist. Kontrollen, die zur Zweckerreichung inadäquat sind, führen zur Beeinträchtigung der Menschenwürde. Es ist das jeweils schonendste Mittel einzusetzen. Gibt es einen anderen Weg, um das Kontrollziel zu erreichen, ist dieser vorzuziehen. Kontrollmaßnahmen mit einer übersteigerten Intensität also jene, die das Maß übersteigen, die für Arbeitsverhältnisse der betreffenden Art typisch und geboten sind, berühren die Menschenwürde und lösen die Mitbestimmung des Betriebsrates aus. 31 30 OGH 8 ObA 288/01p DRdA 2003, 365 = ARD 5359/3/2002 = ecolex 2002, 904. 31 VwGH 92/01/0927 RdW 1994, 16. 13

5. DIE GESETZLICHEN GRUNDLAGEN Die Einführung von Kontrollmaßnahmen im Betrieb unterliegt verschiedenen gesetzlichen Beschränkungen. Es finden sich sowohl Regelungen im ArbVG als auch im AVRAG. Gemäß 96 Abs 1 Z 3 ArbVG bedarf die Einführung von Kontrollmaßnahmen und technischen Systemen zur Kontrolle der Arbeitnehmer, sofern diese Maßnahmen und Systeme die Menschenwürde berühren, der Zustimmung des Betriebsrates. 10 AVRAG erachtet die Einführung und Verwendung von Kontrollmaßnahmen und technischen Systemen, welche die Menschwürde berühren, als unzulässig, es sei denn, diese Maßnahmen werden durch eine Betriebsvereinbarung isd 96 Abs 1 Z 3 ArbVG geregelt. Ist kein Betriebsrat vorhanden, muss jeder Arbeitnehmer zustimmen. Über Kontrollmaßnahmen, welche die Menschenwürde berühren, ist somit eine schriftliche Vereinbarung in Form einer notwendigen Betriebsvereinbarung abzuschließen ( 96 Abs 1 Z 3 ArbVG). Ist kein Betriebsrat eingerichtet, muss die Zustimmung jedes einzelnen Arbeitnehmers eingeholt werden ( 10 AVRAG). 32 5.1. Kontrollmaßnahmen, die die Menschenwürde berühren, im Kontext des 96 (1) Z 3 ArbVG Was wollte der Gesetzgeber mit diesen Gesetzesstellen bezwecken, welche Maßnahmen sind erfasst? Durch die Auslegung der Signalwörter im Gesetzestext soll ein Eindruck darüber vermittelt werden. 32 Strasser/Jabornegg, Arbeitsverfassungsgesetz 3 (1999) 96 Anm 5. 14

5.1.1. Der Begriff der Einführung Erfasst sind die Einführung und Aufrechterhaltung von Überwachungsmaßnahmen. 33 Auch Änderungen und Erweiterungen von bereits bestehenden Kontrollmaßnahmen sind zustimmungspflichtig. 34 Die Zustimmung zur Einführung muss im Vorhinein erteilt werden, ohne Zustimmung getroffene Maßnahmen sind rechtsunwirksam. 35 5.1.2. Kontrollmaßnahmen und technische Systeme Im Allgemeinen bezeichnet Kontrolle den Vergleich bestimmter tatsächlich vorliegender Fakten mit dem gewünschten Sollzustand. 36 Maßnahmen von Seiten des Dienstgebers, die objektiv dazu geeignet sind, Arbeitnehmer beim Betreten oder Verlassen des Betriebes oder bestimmten Betriebsteilen, während der Arbeitsleistung oder überhaupt während des Aufenthaltes im Betrieb zu überprüfen, nennt man betriebliche Kontrollmaßnahmen. 37 Die Kontrolle kann mechanisch erfolgen, durch den Arbeitgeber selbst, durch Arbeitskollegen oder betriebsfremde Personen (zb Detektive). Auch kann die Überprüfung mit technischen Mitteln (zb Kameras) erfolgen. 38 Das Kontrollsystem muss ebenso objektiv bzw abstrakt dazu geeignet sein, Kontrollen durchzuführen. Auf die subjektive Absicht des Betriebsinhabers mit 33 Strasser/Jabornegg, ArbVG 3 96 Anm 8. 34 Binder in Tomandl (Hrsg), Arbeitsverfassungsgesetz (2007) 96 ArbVG Rz 64. 35 Strasser/Jabornegg, ArbVG 3 96 Anm 4. 36 Reissner, Performance Management Konzepte und betriebliche Mitbestimmung, DRdA 2003, 503; vgl auch Reissner in ZellKomm 96 ArbVG Rz 21. 37 Strasser/Jabornegg, ArbVG 3 96 Anm 16. 38 Schwarz/Löschnigg, Arbeitsrecht 10 (2003) 714. 15

diesem System tatsächlich Kontrollen durchzuführen, ist nicht zu achten. Auch ob je eine tatsächliche Kontrolle erfolgt, ist ohne Bedeutung. 39 Erfasst sind generelle Regelungen. Einzelmaßnahmen, dh solche die sich auf individuell konkrete Arbeitnehmer beziehen, unterliegen nicht der Mitbestimmung des Betriebsrates gem 96 ArbVG. 40 Reissner unterscheidet zwischen singulären, spontanen ad-hoc-kontrollen und planmäßig, generell angelegten Kontrollen. Singuläre ad-hoc-kontrollen werden in einem konkreten ungeplanten Einzelfall mit oder ohne Verdacht erfolgen und sind individualrechtlich zu beurteilen. Diese Kontrollen dürfen nicht generell für alle Mitarbeiter durchgeführt werden, weil ansonsten die Mitbestimmung des Betriebsrates ausgelöst wird. Planmäßige Kontrollen werden entweder auf alle Mitarbeiter ausgedehnt, oder umfassen einen im Vorhinein nicht bestimmten Kreis von Arbeitnehmern. Wird die Menschenwürde durch die Kontrollmaßnahme berührt, ist darüber eine Betriebsvereinbarung zu schließen. Ist kein Betriebsrat vorhanden, muss jeder einzelne Arbeitnehmer zustimmen. 41 Die Kontrollmaßnahmen müssen grundsätzlich eine gewisse Dauerhaftigkeit aufweisen 42, es ist aber auch durchaus möglich auf einen konkreten Anlassfall mittels einer ad-hoc-kontrolle zu reagieren. 43 Auch Preiss will kurzzeitige generelle Einmal-Kontrollen einbeziehen, sie bedürfen nur dann nicht der Zustimmung, wenn sie keinen generellen Charakter haben. 44 Binder in Tomandl vertritt jedoch die Meinung, dass ad-hoc-kontrollen nicht in den Anwendungsbereich des 96 Abs 1 Z 3 ArbVG fallen und somit nicht der Mitbestimmung unterliegen. 45 Binder sieht weiters nur generell angelegte betriebliche Kontrollmaßnahmen der Mitbestimmung des Betriebsrates unterworfen. Der Arbeitgeber darf individuelle Kontrollen zb bei konkretem Verdacht einer strafbaren Handlung oder Spontankontrollen ohne Zustimmung 39 OLG Wien 9 Ra 123/95 ARD 4714/17/96. 40 Strasser/Jabornegg, ArbVG 3 96 Anm 2. 41 Reissner in Wachter/Burger, Alkohol 217ff. 42 Strasser/Jabornegg, ArbVG 3 96 Anm 16. 43 Schwarz/Löschnigg, Arbeitsrecht 10 714. 44 Preiss in Cerny/Gahleitner/Preiss/Schneller, Arbeitsverfassungsrecht III 3 96 ArbVG Erl 7. 45 Binder in Tomandl (Hrsg), ArbVG 96 Rz 53. 16