Ihr Einsatz lohnt sich 1 aber für wen? Gudrun Born



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Transkript:

Ihr Einsatz lohnt sich 1 aber für wen? Gudrun Born Die Pflegeversicherung wurde 1995 nach 20 jähriger Vorarbeit eingeführt. Sie gilt - neben der Kranken-, Renten-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung - als fünfte Säule der gesetzlichen Sozialversicherung und wird unter dem Dach der Krankenversicherungen (Pflegekassen) verwaltet. Mit dieser Neuerung übernahm Deutschland eine nationale Vorreiterrolle. Und was ist daraus geworden? Pflegende Angehörige leisten einen immensen gesellschaftlichen Beitrag Zitat: 2 Die Pflege durch nahestehende Menschen ist ein tragender Pfeiler der sozialen Pflegeversicherung. Rund 70 Prozent aller Betroffenen werden durch Angehörige, Freunde und Nachbarn zu Hause gepflegt. Legte man für deren durchschnittlichen Zeitaufwand den Mindestlohn zugrunde, so käme man auf eine Arbeitsleistung von rund 29 Milliarden Euro. Die Ausgaben der Pflegeversicherung insgesamt umfassen aktuell rund 23 Milliarden. Nach einer anderen Studie 3 leisten pflegende Angehörige pro Jahr ca. 4,9 Milliarden Stunden Pflege, das entspricht 3,2 Millionen Vollzeitarbeitsplätzen und volkswirtschaftlich einem Wert von ca. 44 Milliarden. Alle Mitglieder der sozialen Pflegeversicherung haben bei nachgewiesenem Hilfebedarf einen Rechtsanspruch auf Leistungen, allerdings nur als Teilkaskoschutz 4. Aber trotz des unübersehbaren gesellschaftlichen Wandels der letzten 20 Jahre setzt der Gesetzgeber weiterhin auf ambulant vor stationär. Einige Details: Die Geldleistung (je nach Pflegestufe 244, 458 und 728 pro Monat) erhalten die Pflegebedürftigen zur Verwendung nach eigenem Ermessen, vorausgesetzt sie finden eine private Pflegeperson, die mindestens die im SGB XI festgelegten Hilfeleistungen erbringt (neuerdings nennt man sie informell Pflegende, zu ihnen zählen nicht nur Angehörige, sondern auch Lebensgefährten, Freunde oder Nachbarn). Sie sind in Ausübung ihrer Tätigkeiten gesetzlich unfallversichert, aber das persönliche, finanzielle und gesundheitliche Risiko einer häuslichen Pflege ist ihre Privatsache. Die Sachleistung (je nach Pflegestufe 468, 1.144 und 1.612 pro Monat) soll notwendig werdende fachliche Hilfeleistungen sicherstellen. Werden sie nur teilweise in Anspruch genommen, nennt man sie Kombileistung, bei voller Ausschöpfung wird das Pflegegeld ganz gestrichen. Das ist für Menschen mit geringem Einkommen ein herber Einschnitt, denn ihnen bleibt kein Geld mehr für Zuzahlungen zu Hilfsmitteln oder techn. Geräten (z.b. Rollator), zur Bezahlung von nicht kassenfinanzierten Medikamenten, ergänzenden Hilfskräften oder Fahrtkosten. Der für die Sachleistung angesetzte Betrag ist gut doppelt so hoch wie das Pflegegeld, das weckt zunächst Hoffnungen auf umfassende Hilfe. Aber Preisübersichten der Pflegedienste enthalten meist nur Pflegemodule, daraus ist nicht ohne weiteres zu entnehmen, wie viele Hilfestunden die Sachleistung tatsächlich umfasst. Rechnet man aber die Module in Stunden um, tritt Ernüchterung ein, denn der Stundensatz liegt bei mindestens bei 25. 1 Rente für Pflegepersonen: Ihr Einsatz lohnt sich, Broschüre der Dt. Rentenversicherung, Nr. 403 6/2015 2 http://www.aok-bv.de/presse/medienservice/politik/index_13380.html beim Dt. Pflegetag 2015 3 Wenn die Töchter nicht mehr pflegen, WISO Diskurs Friedrich-Ebert-Stiftung, Sept. 2009, Gender in der Pflege, Gertrud M. Backes, Seite 12 ff 4 DAK Pflegereport 2015 Gesundheit: So pflegt Deutschland und Prof. Thomas Klie, Freiburg

Dividiert man die zur Verfügung stehende Gesamtsumme zusätzlich durch 5 Werktage dann ergibt die Hilfeleistung der Fachkräfte pro Woche (je nach Pflegestufe) max. 4, 9 oder 13 Stunden. Das sind (bei Inanspruchnahme von Pflegegeld) 10, 12 oder 22 Stunden weniger als sie von den informell Pflegenden zu erbringen sind, trotzdem ist natürlich die tägliche Pflege sicher zu stellen. So verteilten sich die Leistungen auf die einzelnen Pflegestufen: Tabelle 1 Leistungsempfänger der soz. Pflegeversicherung im Jahre 2014: 5 Auszug Pflegestufe I II III gesamt ambulant 63,0% 28,7% 8,2% 1.818.052 = 70.77% stationär 42,8% 37,4% 19,8% 750-884 = 29,23% alle Hilfen zusammen 57,1% 31,3% 11,6% 2.568.936 = 100,00% Teil II: Renten-Pflichtbeiträge für private Pflegepersonen Die Bundesregierung legt jährlich in Zusammenarbeit mit der Dt. Rentenversicherung die aktuelle Bezugsgröße aller Renten fest, ein Durchschnittswert, der aus der Höhe aller Arbeitnehmerverdienste im vorletzten Jahr errechnet wird. Da informell Pflegende kein Arbeitsentgelt beziehen, werden ihrer Arbeitsleistung - je nach Pflegeeinstufung fiktive Einnahmen zu Grunde gelegt. Multipliziert man die Bezugsgröße mit den ebenfalls vorgegebenen Prozentsätzen, ergibt sich die Höhe der Renten-Pflichtbeiträge. Sofern informell Pflegende (neben weiteren Bedingungen) weniger als 30 Stunden pro Woche erwerbstätig und noch keine 65 Jahre alt sind, zahlen die Pflegekassen Pflichtbeiträge auf deren Rentenkonten. Beitragsbemessungsgrundlage 2014/1015 lag sie bei 6 Tabelle 2 Bezugsgröße 2.835 West und 2.425 Ost x Prozentsatz der Bezugsgröße = fiktives Einkommen Einteilung der Pflegestufen I = erheblich pflegebedürftig II = schwer pflegebedürftig Mindest- Pflegezeiten pro Woche 10,5 Std. ab 14 Std. ab 14 Std. ab 21 Std. Monatliche fiktive Einnahmen der Pflegenden Prozentsatz der Bezugsgröße 0 26,6667 35,5555 53,3333 West 0 756,00 1.008,00 1.512,00 Ost 0 644,00 858,67 1.288,00 III = schwerst pflegebedürftig 14 20 Std. 40 1.134,00 966,00 21 27 Std. ab 28 Std. 60 80 1.701,00 2.268,00 1.449,00 1.932,00 ist gestrichen plus Härtefall ab 35 Std. 100 2.835.00 2.425,00 5 BMG Zahlen und Fakten, Soziale Pflegeversicherung Leistungsempfänger nach Leistungsarten und Pflegestufen 6 Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Ratgeber zur Rente, Seite 65 2

Aus dem fiktiven Einkommen werden die Pflichtbeiträge errechnet 1 : Tabelle 3 fiktive Einnahme x 18,7% (für 2015) = Pflichtbeitrag Mindeststundenpro Woche Monatlich zu zahlende Pflichtbeiträge der Pflegekassen 7 auf die Rentenkonten der Pflegenden Deutschland West Deutschland Ost Stufe I Stufe II Stufe III Stufe I Stufe II Stufe III ab 14 = (pro Tag 2 Std.) 141,37 188,50 212,06 120,43 160,57 180,64 ab 21 = (pro Tag 3 Std.) -- 282,74 318,09 -- 240,86 270,96 ab 28 = (pro Tag 4 Std.) -- -- 424,11 -- -- 361,28 ab 35 = ( pro Tag 5 Std.) gefordert und regelmäßig in Beratungsgesprächen kontrolliert Dazu einige kritische Anmerkungen: In Stufe III wurden die von der Pflegeperson verbindlich zu erbringenden Stunden (im Verhältnis 4 Std. Körperpflege : 1 Std. hauswirtschaftliche Hilfe) einfach auf 28 reduziert, wobei die Arbeit der Pflegenden in regelmäßigen Abstände in sogenannten Beratungsgesprächen kontrolliert wird. Bei Inanspruchnahme der Kombileistung wird nicht nur die Geldleistung der Pflegebedürftigen herabgesetzt oder ganz gestrichen, auch die Rentenbeiträge der informell Pflegenden werden auf eine niedrigere Stufe gesenkt. Und wie sieht diese Beitragskürzung konkret aus? Auskunft der Pflegekasse: Sie werden in dem Umfang gesenkt, in dem die Pflegekraft die Arbeit der Angehörigen ersetzt. Wie bitte?, fragen Betroffene irritiert zurück. Sie empfinden eine für wenige Stunden anwesende Fachkraft nicht als Ersatz, sondern als Unterstützung ihrer eigenen Arbeit (z.b. beim Betten, Duschen, Heben oder bei der Hausarbeit). In der Regel sind die Pflegepersonen während der Arbeit der Pflegekraft anwesend oder arbeiten sogar konkret mit. Eine Kürzung der Rente so meinen sie ist allenfalls berechtigt, wenn die pflegende Bezugsperson komplett von einer Fachkraft vertreten wird, z.b. bei eigener Abwesenheit, Krankheit oder Erholung. Und wie wird der reduzierte Renten-Pflichtbeitrag ermittelt? Auskunft der Pflegekasse: Wir ersehen aus den Rechnungen der Pflegedienste, was privat Pflegende durch die Fachkräfte an Zeit einsparen. Danach richtet sich der veränderte Pflichtbeitrag zur Rente. Der Maßstab für die Beitragsberechnung ist das Gutachten des MDK. Stimmt! Danach legen die Kassen fest, wie viele Pflegestunden zur Versorgung eines Kranken gebraucht werden. Eine Momentaufnahme der Pflegesituation entscheidet also über die Höhe der Geld- oder Sachleistung an die Pflegebedürftigen und auch über die Alterssicherung der informell Pflegenden (sofern sie noch in erwerbsfähigem Alter sind). Da drängt sich doch der Gedanke auf: Die Ärzte des MDK kommen im Auftrag der Krankenkassen. Wessen Interessen vertreten sie eigentlich? Bei Ihrer Einschätzung wird jede Pflegeminute hinterfragt, die eine niedrigere Einstufung rechtfertigt. Haben die Gutachter wenigstens ansatzweise auch die Belastung der Pflegepersonen im Blick? 7 Rente aus häuslicher Pflege wer bekommt sie wirklich? Gudrun Born, www.pflegebalance.de 1 BMG Zahlen und Fakten, Soziale Pflegeversicherung Leistungsempfänger nach Leistungsarten und Pflegestufen 3

Zur Veranschaulichung ein Auszug aus Tabelle 1 in Zahlen: Leistungsempfänger der soz. Pflegeversicherung im Jahr 2014 8 (Auszug aus der Statistik des Bundesministeriums für Gesundheit) Pflegestufen > 0 I I erhöht II II erhöht III III erhöht insgesamt Pflegegeld 78.748 603.157 168.744 192.117 123.453 87.526 0 1.253.745 Rentenbeiträge? nein nein ja ja ja ja nein 2014 wurde 603.157 Antragstellern Pflegestufe I mit 10,5 Hilfestunden/Woche zuerkannt. Damit bekommen sie das Pflegegeld von 244, aber die Pflegenden haben kein Anrecht auf Rentenpflichtbeiträge. Nur 168.744 Personen (das sind 22%) wurden in Pflegestufe I 14 Stunden bewilligt und damit Rentenpflichtbeiträge. Tatsache ist, dass die Einschätzung der Gutachter oft (z.b. anhand von Pflegetagebüchern) korrigiert werden muss. Tatsache ist aber auch, dass die Mehrzahl der Antragsteller/innen die zuerkannte Pflegestufe einfach hinnimmt, denn die meisten kennen nicht die Details oder scheuen zusätzliche Arbeit mit einem Widerspruchsverfahren. Und was wird bei Inanspruchnahme der Sachleistung an den Renten-Pflichtbeiträgen abgezogen? Die Geldsumme, die die Kasse an den Pflegedienst zahlt? Oder die von der Fachkraft geleisteten Stunden? Das ist ein erheblicher Unterschied, denn nur die Stunden sind vergleichbar. Finanziell entspricht eine Stunde der Fachkraft (à 25 ) fünf Einsatzstunden der Angehörigen Gibt es Höchstgrenzen für kassenfinanzierte Stundensätze? In München kostet z.b. eine Fachkraft 42 /Std., entsprechend weniger Hilfen umfasst die Sachleistung). Hilfebedarf, der darüber hinausgeht, muss privat finanziert werden. Wie können Pflegende überprüfen, ob ihre Rentengutschriften korrekt sind? Wenn das Pflegegeld gekürzt oder gestrichen wird, merkt man das sofort. Das heißt aber nicht, dass auch der Rentenpflichtbeitrag korrekt gutgeschrieben wurde. Viele der übersandten Abrechnungen sind unverständlich, dann müssen die Pflegenden die korrekte Verbuchung ihrer Rentenbeiträge erst durchsetzen, notfalls mit juristischer Unterstützung. So verändert sich bei Inanspruchnahme der Sachleistung die Kostenverteilung: Tabelle 4 Kosten der Pflegekassen bei voller Inanspruchnahme der Sachleistung Beispiel: West Pflegestufe II Pflegestufe III pro Woche sind gefordert Pflegekasse zahlt Euro pro Woche sind gefordert Pflegekasse zahlt Euro Pflegegeld / Monat 21 Std. = 458 0,00 28 Std. = 728 0,00 35 Std. ignoriert Sachleistung / Monat 1.144,00 1.612,00 Renten-Pflichtbeitrag für 14 Std. 188,50 für 14 Std. 212,06 Pflegekasse zahlt 1.332,50 1.824,06 Bei Heimunterbringung vollstationär Härtefall 1.330,00 1.612,00 1.995,00 Indem man das Pflegegeld streicht und die Rentenbeiträge auf den Mindestsatz senkt, entsprechen die Kosten der informell Pflegenden den (Teilkasko)-Zuschüssen bei Unterbringung der Kranken in einem Pflegeheim. 8 BMG Zahlen und Fakten, Soziale Pflegeversicherung Leistungsempfänger nach Leistungsarten und Pflegestufen 4

Unter einem lohnenden Einsatz verstehen die Verantwortlichen: 9 Tabelle 5 Wer 2015 ohne jede Inanspruchnahme der Kombi- oder Sachleistung und ohne Unterbrechung durch eigene Erholung oder längere Krankheit des/der Gepflegten 1 Jahr gepflegt hat, erwirbt als monatliche Rentenanwartschaft in Stufe I in Stufe II in Stufe III erheblich pflegebedürftig pro Mt. max. 7,42 West bzw. 6,83 Ost schwer pflegebedürftig pro Mt. max. 14,83 West bzw. 13,66 Ost schwerst pflegebedürftig pro Mt. max. 22,25 West bzw. 20,48 Ost Kein Zweifel: Für die Gepflegten lohnt es sich, bis zuletzt in häuslicher Umgebung gepflegt zu werden und natürlich lohnt sich ambulant vor stationär auch für die Sozialkassen und die Beitragszahler der Pflegeversicherung. Aber für diejenigen, denen eine angemessene Alterssicherung in Aussicht gestellt wird, ist die erreichbare Altersunterstützung mehr als enttäuschend. Teil III: Änderungen durch das Pflegestärkungsgesetz (einige wichtige Punkte): An erster Stelle gehört dazu die Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes. Diesmal werden 5 Bedarfsgrade ermittelt (anstelle von 3 Pflegestufen). Der Beurteilungsmaßstab ist nicht mehr wobei jemand Hilfe braucht, sondern wie weit er oder sie in der Lage ist, das eigene Leben selbst zu gestalten, unabhängig von der Art einer gesundheitlichen Einschränkung oder Erkrankung. Erfasst werden: 1. Mobilität, 2. kognitive (geistige) und kommunikative Fähigkeiten; 3. Verhaltensweisen und psychische Problemlagen (= Aggression. Angst, nächtliche Unruhe etc.); 4. Selbstversorgung (= Körperpflege, essen, trinken, Toilettengang); 5. Medizinische Selbstversorgung (= Bewältigung von krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen / Belastungen und selbständiger Umgang damit); 6. Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte. Die zur Beurteilung notwendigen Einzelheiten werden von Mitarbeitern des MDK ermittelt und nach einem komplizierten System aus Modulen, Punkten und Prozentzahlen in die 5 Bedarfsgrade umgerechnet. Finanziert werden diese Änderungen (wie alle vorherigen) durch eine Beitragserhöhung der Pflegeversicherung (auf voraussichtlich 2,8%). Das Pflegestärkungsgesetz II wird zum 1.1.2017 eingeführt Für Personen, die vor dem festgelegten Stichtag einen Antrag gestellt haben oder pflegebedürftig waren, gilt die alte Rechtslage. Wenn eine Neubegutachtung notwendig wird (z. B. bei gesundheitlichen Veränderungen), wird die neue Regelung übernommen, sofern sich daraus keine Schlechterstellung ergibt. Für alle, die nach dem festgesetzten Stichtag pflegebedürftig werden, gelten die neuen Bestimmungen. 9 Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Ratgeber zur Rente, Seite 6 5

Finanzielle Veränderungen für die Pflegebedürftigen: Den bisherigen Pflegestufen 1, 2 und 3 entsprechen dann die e 2, 3 und 4. Das Pflegegeld (zuvor Geldleistung) wird in den en 2 und 3 etwas angehoben, nicht aber für die Schwerstpflege in Grad 4 und 5. Auch künftig entfällt die finanzielle Unterstützung der Pflegebedürftigen durch das Pflegegeld ganz, sobald die Pflegehilfe (zuvor Sachleistung) voll ausgeschöpft ist. Die Pflegehilfe (zuvor Sachleistung) in den en 2 und 3 wird leicht angehoben, das wirkt sich positiv auf die mögliche Hilfe durch Fachkräfte aus. Werden aber deren Gehälter erhöht (was seit langem gefordert wird und in Zukunft vermutlich unumgänglich ist), dann sinkt die zeitliche Entlastung der informell Pflegenden und sie erhalten für den festgesetzten Betrag der Pflegehilfe weniger Entlastungsstunden. Ein Vergleich zwischen Pflegestärkungsgesetz I und II: e statt Pflegestufen (Vergleichszahlen aus PSG I in rot) Tabelle 6 PFLEGESTÄRKUNGSGESETZ II PSG II: PFLEGEGRADE (zuvor Pflegestufen) PFLEGEGELD (zuvor Geldleistung) PSG I PFLEGEHILFE (zuvor Sachleistung) PSG I Einsatzstunden der Fachkräfte (errechnet aus der Geldsumme geteilt durch 25 /Std. : 25 Werktage) gering 1 (Stufe 0) BEEINTRÄCHTIGUNG DER SELBSTÄNDIGKEIT erheblich 2 (Stufe I) 316 (244 ) 689 (468 ) 1,1 Std. tgl. (0,8 tgl.) schwer 3 (Stufe II) 545 (458 ) 1.298 (1.144 ) 2,1 Std. tgl. (1,8 tgl.) schwerst 4 (Stufe III) 728 (728 ) 1.612 (1.612 ) 2,6 Std. tgl. (2,6 tgl.) Ab PSG II werden keine Stundenzahlen mehr genannt schwerst 5 (Härtefall) 901 (901 ) 1.995 1.995 3,2 Std. tgl. 901 Stunden der pfl. Angehörigen: zuvor verpflichtend mindestens? (2 Std. tgl.)? (3 Std. tgl.)? (5 Std. tgl.)? (6 Std. tgl.) Auswirkungen auf die Renten Pflichtbeiträge der informell Pflegenden : Im Pflegestärkungsgesetz II werden für die Arbeit der informell Pflegenden keine Anzahl von Hilfestunden mehr genannt, denn der Hilfebedarf wird dann nicht mehr nach Zeit ermittelt. Gleichzeitig wird angegeben, dass künftig bereits ab 10 Hilfestunden/Woche Rentenpflichtbeiträge gezahlt werden! Aber die konkrete Arbeit kann nur in Stunden ermittelt und abgerechnet werden. Ein Grund, keine Stundenzahlen mehr zu nennen, könnte auch sein: Bisher kann man aus Pflegegeldsummen und verbindlich geforderten Stundenzahlen errechnen, welchen Wert der Gesetzgeber der Arbeitsleistung der informell Pflegenden zumisst (nämlich 5 /Std.). Doch seit Einführung des Mindestlohns ist diese Vergleichsmöglichkeit eher unerwünscht, schließlich könnten daraus Forderungen entwickelt werden? In 5 ist erstmalig ein Prozentsatz von 100% genannt, er kommt allerdings nur bei schwerster Beeinträchtigung mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung zur Anwendung. Und da gerade in der Schwerstpflege fachliche Hilfe oft unumgänglich ist, wird auch mit Einführung des PSG II kaum eine private Pflegeperson einen Renten-Pflichtbeitrag von 100% erreichen. Die Beitragsabschläge bei Inanspruchnahme fachlicher Hilfe sind künftig von vornherein prozentual festgelegt, das kann die Rentenabrechnungen vereinfachen. 6

Allerdings haben die großen Wohlfahrtsverbände gegen diese Abschläge generell Einspruch erhoben. Sie nennen es ein falsches Signal, wenn jede Entlastung der informell Pflegenden zu geringeren Rentenbeiträgen führt. Ob dieser Vorschlag aber durchkommt, ist offen. Sicher ist dagegen, dass informell Pflegende bei Unterstützung einer Fachkraft kaum frei haben, schon gar nicht in den en 4 und 5. Sie haben Tag und Nacht Präsenzpflicht und arbeiten an der Grenze ihrer eigenen Belastbarkeit. Diese Arbeit hätte eine angemessene Berücksichtigung verdient!! Veränderte Renten-Pflichtbeiträge ab PSG II (Vergleichszahlen PSG I in rot) Tabelle 7 PFLEGESTÄRKUNGSGESETZ II West und Ost gleich PSG I Bei Bezug von Pflegegeld PSG I West maximal Bei Bezug der Kombileistung *) das sind PSG I: nicht vergleichbar Bezug volle Pflegehilfe das sind PSG I: nicht vergleichbar gering 1 FIKTIVES EINKOMMEN ALS GRUNDLAGE DER RENTENBEITRÄGE erheblich 2 wie Stufe I 26,7% (26,7) 756,95 756,00 22,7% (- 4%) 18,7% (- 8%) schwer 3 wie Stufe II 38,0% (35,6 53,3) 1.077.30 1.512,00 32,3% (- 5,7%) 26,6% (- 11,4%) 1.008,00 schwerst 4 wie Stufe III 66,0% (40, 60, 80%) 1.871,10 2.268,00 56,1% (- 9,9%) 46,2% (-19,8%) 1.134,00 schwerst + 5 Härtefall 100% 2.835,00 85% (- 15%) 70% (- 30%) *) unter Zugrundlegung der Bezugsgröße von 2015 Abschließend: Wie bewerten die Pflegenden selbst ihre Situation?, das versuchte die Technikerkrankenkasse mit einer Umfrage zu erkunden 10. Das Ergebnis zeigt unter anderem, dass mit dem gesellschaftlichen Wandel (veränderten Lebensformen und Wertvorstellungen, zunehmender Frauen-Erwerbstätigkeit und weit entfernt wohnenden Familienmitgliedern) die Pflegebereitschaft jüngerer Menschen deutlich abnimmt. Das ist nicht verwunderlich, denn inzwischen benennen in Rundfunk- und Fernsehinterviews, auf Facebook und Twitter, in Büchern und Zeitschriften viele Betroffene offen die finanziellen Risiken oder gesundheitlichen Nebenwirkungen einer langjährigen Pflegeübernahme. Bei einer durchschnittlichen Pflegedauer von 9,3 Jahren haben immer mehr Pflegende nur die Wahl zwischen Berufsaufgabe und Verlegung des/der Kranken in eine Pflegeeinrichtung. Schon heute gibt es gut 185.000 informell Pflegende in erwerbsfähigem Alter, deren Lebensgrundlage wegen einer Pflegeübernahme nicht mehr gesichert ist. Sie werden gezwungen, zunächst alle eigenen Rücklagen aufzubrauchen und danach werden sie in ALG II eingestuft und als Arbeitssuchende behandelt (trotz ihrer intensiven Pflegearbeit, die in Wahrheit viel mehr als täglich 2, 3 oder 5 Stunden umfasst). Nach dem Tod der/des Gepflegten endet für ALG II-Bezieher übergangslos die Zahlung von Rentenbeiträgen und viele haben keine Chance mehr, in ihren Beruf zurückzukehren. 10 Pflegen: Belastung und sozialer Zusammenhalt, Beate Bestmann, Elisabeth Wüstholz, Frank Verheyen, wissenschaft liches Institut für Nutzen und Effizienz im Gesundheitswesen, Techniker Krankenkasse Gesund in die Zukunft 7

Die Dt. Rentenversicherung legt für informell Pflegende in Stufe II und III ein fiktives Einkommen zwischen monatlich 1.512 und 2.268 zu Grunde. Gleichzeitig wird aber jede Möglichkeit genutzt, die damit verbundenen Renten-Pflichtbeiträge zu reduzieren (beginnend mit minimalen Prozentzahlen bei der Berechnung des fiktiven Einkommens bis hin zur Kürzungen bei Inanspruchnahme fachlicher Unterstützung. Die offensichtlichen Benachteiligungen von informell Pflegenden (und deren Auswirkungen auf ihre Familien) werden dazu führen, dass künftig weniger jüngere Menschen bereit sind, um einer Pflege willen ihre Erwerbstätigkeit aufzugeben. Vielmehr werden sie alles daransetzen, die drohende Einstufung in ALG II und die damit verbundene Altersarmut zu vermeiden zu Recht! Forderungen an die zuständigen Politiker: 1) Informell Pflegende, deren Lebensunterhalt pflegebedingt nicht mehr gesichert ist, brauchen (zumindest in den en 3, 4 und 5) einen finanziellen Ausgleich, der sie dem fiktiven Einkommen nahe bringt. Häusliche Pflege darf kein Armutsrisiko sein. 2) Informell Pflegenden in erwerbsfähigem Alter sind (in den en 3, 4 und 5) die vollen Rentenbeiträge der entsprechenden e zuzuerkennen. 3) Um diese Ziele zu erreichen, müssen alle Mitglieder der sozialen Pflegeversicherung höhere Beiträge einkalkulieren, schließlich wollen auch alle bei eigener Pflegebedürftigkeit gut versorgt werden. Bisher zahlen vor allem die informell Pflegenden den Preis für die Einlösung des Grundprinzips ambulant vor stationär. Wenn sich auf dem Verhandlungsweg keine grundlegende PFLEGEREFORM erreichen lässt, dann werden die rückläufige Pflegebereitschaft jüngerer Menschen und die demografisch bedingte Verdoppelung des Hilfe- und Pflegebedarfes eine gerechtere Bewertung der häuslichen Pflege- und Sorgearbeit erzwingen, denn sie ist ein tragender Pfeiler der sozialen Pflegeversicherung 11 Referat Oktober 2015: Gudrun Born, Frankfurt, Mail: born@pflegebalance.de Der Text Ihr Einsatz lohnt sich aber für wen? kann unter www.pflegebalance.de kostenlos heruntergeladen werden. 11 http://www.aok-bv.de/presse/medienservice/politik/index_13380.html beim Dt. Pflegetag 2015 8