Öffentliches Verfahrensrecht (Master) Komplexe Verwaltungsverfahren (Planungs-/Enteignungsverfahren, Massen-/Sammelverfahren) 2. Mai 2017 Prof. Dr. Stefan Vogel 1
Vorbereitung/Grundlagen KIENER/RÜTSCHE/KUHN, Rz. 409-413, 518-524, 878-885, 948-997 KÖLZ/HÄNER/BERTSCHI, Rz. 408-410, 454, 534 f., 1940-1955 RHINOW/u.a., Rz. 1205, 1239, 1317-1325 Prof. Dr. Stefan Vogel 2
Koordinationspflicht materielle: Abstimmung aller auf den konkreten Fall anwendbaren materiellen Vorschriften formelle: Harmonisierung der verschiedenen Verfahren zwei Modelle Konzentrationsmodell Koordinationsmodell Prof. Dr. Stefan Vogel 3
Verfahrenskonzentration Hauptverfahren (Leitbehörde) EBG, LFG, NSG USG, NHG, GSchG, WaG, etc. EntG Prof. Dr. Stefan Vogel 4
Plangenehmigungsverfahren Ablauf Plangenehmigungsgesuch (inkl. Enteignungsbegehren) Leitbehörde (Plangenehmigungsverfahren) Anhörung Kantone Prüfung Vollständigkeit Einbezug Fachbehörden Plangenehmigungsentscheid Publikation/öff. Auflage Einsprachen evt. Bereinigungsverfahren Einigungsverhandlung Bundesverwaltungsgericht Bundesgericht ESchK (Schätzungsverfahren) Prof. Dr. Stefan Vogel 5
Sachplan vorgelagerte Sachplanung Prof. Dr. Stefan Vogel 6
Koordination auf Stufe Bund (vgl. Art. 62a f. RVOG) Leitbehörde Bereinigungsphase Anhörungsphase Entscheid Fachbehörden Prof. Dr. Stefan Vogel 7
Bereinigungsverfahren Bund Art. 62b RVOG Bereinigungsgespräch, falls dieses misslingt Entscheid Departement (intern), beteiligte Departemente setzen sich ins Einvernehmen (übergreifend) Wiedergabe Stellungnahmen in Begründung Gegenüber Kantonen ist Differenzbereinigung nicht vorgesehen Prof. Dr. Stefan Vogel 8
Im Verhältnis Bund-Kantone Bund Kantone Prof. Dr. Stefan Vogel 9
Eidg. Schätzungskommission(en) 13 Schätzungskreise (Art. 58 EntG) Organisation (Art. 59 EntG) Präsident, 2 Stellvertreter (gewählt vom BVGer) 5 Mitglieder (gewählt vom Bundesrat) 3-5 Mitglieder (gewählt von jeweiligen Kantonsregierungen) Verhandlung und Beschlussfassung in 3er-Besetzung (Art. 60 EntG) -> Spezialverwaltungsgericht Prof. Dr. Stefan Vogel 10
Verfahrensbesonderheiten EntG Kostenerhebung + Parteientschädigung im Enteignungsverfahren (Art. 114 ff. EntG) Art. 78 EntG sieht Anschlussbeschwerde vor BVGer wird unterstützt durch Oberschätzungskommission (Art. 80 ff. EntG) Prof. Dr. Stefan Vogel 11
Massen- und Sammelverfahren Massenverfahren Sammelverfahren Vielzahl von Verfügungen Verfügung mit Vielzahl von Adressaten Prof. Dr. Stefan Vogel 12
Massenverfahren (1/2) verfahrensrechtliche Mittel zur Verfahrensbewältigung/-beschleunigung: Formularpflicht herabgesetzte Beweispflicht Einsprache besondere Mitwirkungspflichten erleichterte Formvorschriften Behandlungsfristen Prof. Dr. Stefan Vogel 13
Massenverfahren (2/2) In Enteignungsverfahren im Besonderen: Pilotverfahren Teilentscheide Prof. Dr. Stefan Vogel 14
Sammelverfahren (1/2) «Die für die Legitimation erforderliche Beziehungsnähe zur Streitsache ist in erster Linie dann gegeben, wenn der Bau oder Betrieb der projektierten Anlage mit Sicherheit oder grosser Wahrscheinlichkeit zu Immissionen führt und die Einsprecher durch diese seien es Lärm-, Staub-, Erschütterungs-, Licht- oder andere Einwirkungen betroffen werden. Sind solche Beeinträchtigungen zu erwarten, ändert auch der Umstand, dass eine grosse Anzahl von Personen betroffen ist, nichts an der Einsprache- und Beschwerdebefugnis» (BGE 120 Ib 379, 387 E. 4c). Prof. Dr. Stefan Vogel 15
Sammelverfahren (2/2) Art. 11a VwVG: Obligatorische Vertretung Art. 30a VwVG: Besondere Einwendungsverfahren Art. 36 lit. c und d VwVG: Amtliche Publikation Prof. Dr. Stefan Vogel 16
Fälle/Diskussion (1/5) Koordinationsfunktion der Sachplanung: «Wie das Bundesgericht schon mehrfach entschieden hat, stellt die fehlende sach- und richtplanerische Grundlage keinen Hinderungsgrund für notwendige Anpassungen der flugbetrieblichen Belange dar ( ). Als notwendig anerkannt wurden neben sicherheitsrelevanten Änderungen auch Massnahmen zum Ausgleich der von Deutschland einseitig angeordneten Überflugbeschrän- kungen. Zulässig sind überdies umweltschutzrechtlich bedingte Änderungen (insbesondere Sanierungsmassnahmen). ( ) Andere Änderungen mit erheblichen Auswirkungen auf Raum und Umwelt können dagegen nicht bewilligt werden, solange das SIL-Objektblatt nicht vorliegt und die Richtplanung nicht angepasst worden ist, auch wenn sie für den Flugbetrieb wünschenswert erscheinen. Dies gilt namentlich für Massnahmen, welche die Kapazität des Flughafens erhöhen.» (vgl. BGE 137 II 58, 72 f.). Überzeugt Sie die Argumentation des BGer? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus? Prof. Dr. Stefan Vogel 17
Fälle/Diskussion (2/5) Im Verhältnis Bund-Kanton: Gestützt auf eine Vereinbarung von 2001 ermächtigte das (kantonale) Amt für Landschaft und Natur (ALN) die Flughafen Zürich AG mit Verfügung vom 27. August 2012 auf Zusehen hin, längstens jedoch bis zum 31. März 2017, zum Abschuss einzelner Mäusebussarde auf dem eingezäunten Gelände des Flughafens Zürich. Mit Verfügung vom 27. März 2013 hob das ALN die Verfügung vom 27. August 2012 mit sofortiger Wirkung wieder auf, weil sich trotz enormen Abgangszahlen die Situation auf dem Flughafenareal nicht verbessert habe. Die Abschüsse hätten ausser Reklamationen von verschiedenen Seiten zu keinem messbaren Erfolg geführt. Das BAZL hat man vor der Aufhebungsverfügung nicht weiter begrüsst und Fragen der Flugsicherheit wurden nicht vertieft geprüft. (vgl. VGer ZH VB.2014.00351) Ist das ALN korrekt vorgegangen? Prof. Dr. Stefan Vogel 18
Fälle/Diskussion (3a/5) Anfechtbarkeit eines Zwischenentscheids (1/2): «Unter diesem Aspekt kann es ausnahmsweise verfassungsrechtlich geboten sein, bereits auf eine Beschwerde gegen einen Zwischenentscheid einzutreten, wenn es rechtsstaatlich unzumutbar wäre, die Parteien auf die Anfechtung des Endentscheids zu verweisen ( ). Vorliegend geht es um ein Massenverfahren. Vor BVGer führten 1'093 Gesuchsteller Beschwerde gegen 17 Entscheide der ESchK. In allen diesen Verfahren stellt sich für die Beurteilung der Ent- schädigungsbegehren die Frage der Unvorhersehbarkeit der Lärmimmissionen und des dafür massgeblichen Stichdatums. Dieser Frage massen die Parteien und die ESchK so grosse Bedeutung zu, dass sie das Verfahren zunächst auf die Festlegung des Stichdatums für die Vorhersehbarkeit beschränkt haben. In der Tat wäre es sinnlos, die weiteren Anspruchsvoraussetzungen und die Höhe einer allfälligen Entschädigung zu prüfen, bevor feststeht, ob die Gesuchsteller, die ihre Liegenschaften (von wenigen, noch streitigen Ausnahmen abgesehen) nach dem 1. Januar 1961 erworben haben, überhaupt Entschädigungsansprüche wegen unvorhersehbarer Lärmimmissionen geltend machen können. (->) Prof. Dr. Stefan Vogel 19
Fälle/Diskussion (3b/5) Anfechtbarkeit eines Zwischenentscheids (2/2): Diese Frage muss daher letztinstanzlich geklärt werden können, bevor das Verfahren vor der ESchK fortgesetzt wird. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Enteignungsverfahren bereits seit über 6 Jahren hängig sind, und noch geraume Zeit bis zum Vorliegen eines vor Bundesgericht anfechtbaren Endentscheids vergehen wird. Unter dem Aspekt der angemessenen Verfahrensdauer (Art. 29 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK) erscheint es unzumutbar, die Beschwerdeführer auf eine Anfechtung des Endentscheids zu verweisen, mit dem Risiko, dass dem Verfahren nachträglich, durch Abänderung des Stichdatums für die Vorhersehbarkeit, die Grundlage entzogen wird. Nach dem Gesagten ist ein nicht wieder gutzumachender Nachteil anzunehmen, weshalb auf alle Beschwerden, welche das Stichdatum für die Vorhersehbarkeit betreffen, einzutreten ist». (BGer 1C_284/2009, 1C_288/2009, 1C_290/2009, E. 2.3) Erachten Sie die Vorgehensweise des BGer für gerechtfertigt?. Prof. Dr. Stefan Vogel 20
Fälle/Diskussion (4/5) Verzicht auf Bereinigungsverfahren: Das BAZL war im Verfahren betreffend das Vorläufige Betriebsreglement am Flughafen Zürich mit den Stellungnahmen des BUWAL (heute BAFU) und des ARE teilweise nicht einverstanden. Es ging in seiner Genehmigungsverfügung vom 29. März 2005 (Sachverhalt Ziff. 8.13) aber davon aus, dass es aufgrund der erfolgten Bereinigung mit dem UVEK, das seinerseits die Stellungnahmen des ARE und BAFU gekannt habe, auf ein Bereinigungsgespräch mit diesen Ämtern habe verzichten dürfen. (vgl. BGer 1C_58/2010 u.a., E. 2.3) War dieses Vorgehen korrekt? Prof. Dr. Stefan Vogel 21
Fälle/Diskussion (5/5) Verschiedene Lärmarten: Anfang 2010 reichten die SBB dem BAV das Projekt Lärmsanierung Rapperswil-Jona zur Genehmigung ein. Gegen das Sanierungsprojekt erhoben eine Betroffene sowie die Stadt Rapperswil-Jona Einsprache und in der Folge Beschwerde ans BVGer. Sie machten u.a, geltend, der Eisenbahnlärm sei gesamthaft zu untersuchen, unter Berücksichtigung der durch abgestellte Züge verursachten Immissionen. Der betreffende Lärm wird durch auf den Fahrzeugen installierte Geräte (Ventilatoren, Transformatoren, Ladeeinheiten und Kompressoren) verursacht, welche während der Abstellzeit teilweise in Betrieb bleiben. Die SBB räumten dazu ein, man habe diesen Emissionen bisher offensichtlich zu wenig Beachtung geschenkt. Die Emissionen abgestellter Züge seien jedoch als Industrie- und Gewerbelärm i.s.v. Anhang 6 LSV getrennt vom vorliegenden Sanierungsprojekt zu beurteilen. (vgl. BVGer A-4918/2011, A-4924/2011) Wie ist vorzugehen/zu entscheiden? Prof. Dr. Stefan Vogel 22