DE/GON/1117/0107, 02/2018 Merck Freeze all Ein neuer Trend in der IVF/ICSI-Therapie? Die Konzepte der Kryokonservierung von Gameten wurden in den letzten Jahren zunehmend erfolgreich weiterentwickelt und etabliert. Sogenannte freeze all Konzepte sind heute etabliert bei fertilitätsprotektiven Maßnahmen, zur Vermeidung von Überstimulationen und bei PID. Auch in Deutschland steigt die Anzahl der Kryozyklen kontinuierlich an (1). Aktuell wird diskutiert, ob eine geplante Kryokonservierung aller Gameten auch bei nichtbestehender medizinischer Indikation und der spätere Transfer im nicht stimulierten Zyklus zu einer höhere Schwangerschaftsrate führen kann. Eine randomisierte kontrollierte Studie konnte eine statistisch signifikant höhere Geburtsrate im freeze all Konzept bei Patientinnen mit PCOS zeigen (2). Viele Fragen sind jedoch noch offen: - Ist die Schwangerschaftschance wirklich höher? - Sind Schwangerschaftsrisiken seltener? - Profitieren alle Patientinnen bzw. welche selektiven Patientinnen profitieren? Aktuelle Studien beschäftigen sich mit dieser Fragestellung. Wang et al. (3) untersuchten die Implantations- und Schwangerschaftsraten in freeze only versus fresh transfer cycles in einer retrospektiven Studie. Ausgewertet wurden Daten von 12 US-Fertilitätszentren aus den Jahren 2009 bis 2015. Die Autoren verglichen die Implantations- und Schwangerschaftsraten in Zyklen mit Embryo(nen)transfer im Stimulationszyklus (fresh) und Zyklen, in denen alle Embryonen kryokonserviert und später transferiert wurden (freeze only). Behandlungszyklen mit Kryokonservierung überzähliger Embryonen, abgebrochene Behandlungszyklen und Zyklen mit PID oder PGS wurden ausgeschlossen. Alle Varianten der ovariellen Stimulation, IVF und ICSI-Therapien wurden eingeschlossen. Transfers und Kryokonservierungen erfolgten ausschließlich im Blastozystenstadium. Kryokonservierte Blastozysten wurden im natürlichen oder substituierten Zyklus (Estrogen und Progesteron) transferiert. Indikationen für das freeze only Protokoll waren u. a. Progesteronanstieg, Überstimulation und Patientenwunsch. 1
13.791 Zyklen (1.455 freeze only und 12.336 fresh) standen für die Auswertung zur Verfügung. Für die Vergleichbarkeit der Gruppen wurden die Zyklen gematched nach Parametern, die den Erfolg einer IVF-Therapie beeinflussen: Alter, BMI, Diagnose, Parität, Gravidität, AFC, FSH Tag 3, Estradiol, LH und Therapieparametern wie Gonadotropindosis, Progesteronkonzentration am Tag der Ovulationsinduktion, Anzahl gewonnener Eizellen, Anzahl entwicklungsfähiger Embryonen und Anzahl transferierter Embryonen. Nach Matching waren alle Parameter in beiden Gruppen vergleichbar (Tab. 1). Insgesamt wurden 2.910 Zyklen (1.455 fresh und 1.455 freeze only) in die Auswertung eingeschlossen. Die Implantations- und Schwangerschaftsraten waren statistisch signifikant höher in den freeze only im Vergleich zu den fresh Zyklen: - Implantationsrate = Nachweis einer sonografisch intakten Schwangerschaft in der 8. 12. SSW: OR 1,21 (95% CI 1,05 1,41; P value <.01) - Schwangerschaftsrate = Anzahl positiver Herzaktionen dividiert durch die Anzahl transferierter Embryonen: OR 1,31 (95% CI 1,13 1,51; P value <.001). Die Schwangerschaftsrate war in der freeze only Gruppe mit 52,0% (95% CI 49,4% 54,6%) 6,7% höher im Vergleich zur fresh Gruppe mit 45,3% (95% CI 42,7% 47,9%; P value <.001). Gleiches wurde auch für die Implantationsrate berechnet: freeze only Gruppe 46,8% (95% CI 44,2%-49,4%) und fresh Gruppe 42,0% (95% CI 39,5%-44,5%; P value <.01). Zusätzlich erfolgten detaillierte Auswertungen nach Progesteronspiegel am Tag der Ovulationsinduktion und Alter in den Gruppen. In Behandlungszyklen mit Progesteron 1,0 ng/ml unterschieden sich die Schwangerschaftsraten unabhängig vom Alter zwischen fresh und freeze only Zyklen nicht (Tab. 2). In allen fresh Zyklen konnte eine Abnahme der Schwangerschaftschance bei Progesteron > 1,0 ng/ml im Vergleich zu Progesteron 1,0 ng/ml (OR 0,66; 95% CI 0,53 0,82; P value <.001), unabhängig vom Alter beobachtet werden. Der Progesteronspiegel zeigte keinen Einfluss auf die Erfolgschance im folgenden Kryozyklus in den freeze only Zyklen (Progesteron > 1,0 ng/ml: OR 0,98; 95% CI 0,79 1,22; P =,85). Für Behandlungszyklen mit Progesteron > 1,0 ng/ml konnten statistisch signifikant höhere Schwangerschaftsraten im freeze only Konzept in beiden Altersgruppen berechnet werden. Bei Frauen 35 Jahre und Progesteron > 1,0 ng/ml betrug der Unterschied in der Schwangerschaftsrate 8,0% und für Frauen > 35 Jahre und Progesteron > 1,0 ng/ml 13,2 % (Tab. 2). Die Autoren schlussfolgern, dass freeze only Protokolle eine statistisch signifikant höheren Implantation- und Schwangerschaftsrate im Vergleich zu fresh Transferzyklen haben, insbesondere bei Progesteronspiegeln > 1,0 ng/ml am Tag der Ovulationsinduktion und bei älteren Patientinnen. 2
Magdi et al. (4) untersuchten das freeze all Konzept bei wiederholtem Implantationsversagen. 171 Frauen mit wiederholtem Implantationsversagen wurden im Rahmen einer prospektiven Studie in zwei Gruppen eingeteilt: freeze all (n = 81) oder fresh Embryotransfer (n = 90). Die eingeschlossen Frauen waren jünger als 38 Jahre. Wiederholtes Implantationsversagen wurde definiert als fehlender Schwangerschaftseintritt nach 3 Behandlungszyklen mit Transfer von mindestens 4 Embryonen von sehr guter Qualität (keine Kryozyklen). Frauen mit Uterusfehlbildungen und vorausgehenden Schwangerschaften wurden ausgeschlossen. Transfers und Kryokonservierungen erfolgten im Blastozystenstadium. Kryotransfers erfolgten im natürlichen Zyklus mit Progesterongabe. Die klinische Schwangerschaftsrate definiert als sonografisch nachweisbare intakte Schwangerschaft mit Herzaktion 4 oder mehr Wochen nach Transfer war in der freeze all Gruppe (42 von 81; 51,9%) statistisch signifikant höher als in der fresh Transfergruppe (26 von 90; 28,9%; OR 2,65; 95% CI 1,41 4,98). Auch die fortlaufende Schwangerschaftsrate nach der 20. SSW war in der freeze all Gruppe (33 von 81; 40,7%) höher im Vergleich zur fresh Transfergruppe (19 von 90; 21,1%; OR 2,57; 95% CI 1,31 5,04). Die Autoren sehen im freeze all Konzept eine Möglichkeit zur Verbesserung der Schwangerschaftschance bei wiederholtem Implantationsversagen. Coutifaris et al. (5) empfiehlt in der aktuellen Fertility Sterilty das freeze all Konzept nach aktueller Studienlage für folgende Patientinnengruppen: - Risiko für OHSS - PID - PCOS - Progesteronanstieg am Tag der Ovulationsinduktion (genauer Grenzwert kann aktuell nicht definiert werden!) Nicht beantwortet werden kann derzeit die Bedeutung isoliert hoher Estradiolspiegel. Zusammenfassend zeigen die aktuellen Daten, dass nur ein individualisiertes therapeutisches Vorgehen der richtige Weg ist. Es kann keine generelle Empfehlung zum freeze all Protokoll für alle Patientinnen ausgesprochen werden. Die Studie von Wang et al. bestätigt den negativen Effekt des vorzeitigen Progesteronanstiegs am Tag der Ovulationsinduktion auf die Implantationsrate. Ein erhöhter Progesteronspiegel kann zu einer Verschiebung des Implantationsfensters führen, ein exakter Grenzwert kann nicht definiert werden. 3
Im Klinischen Alltag müssen auch die emotionale Belastung und die höheren Kosten des freeze all Konzepts berücksichtig werden, sollten bei vorhandener klinische Indikation jedoch nicht von der Durchführung abhalten. Tab. 1 Baseline characteristics of fresh and freeze-only cohorts after propensity score matching. Metric Fresh Freeze-only P value N 1,455 1,455 Age (y) 34.1 (4.0) 34.1 (4.3).98 BMI 24.8 (4.8) 25.0 (5.1).21 Parity 0.2 (0.6) 0.2 (0.6).58 Gravidity 0.7 (1.2) 0.7 (1.2).78 Basal AFC 17.8 (9.4) 17.9 (9.5).78 Day 3 FSH 6.7 (2.1) 6.9 (2.1).11 E 2 51.5 (22.8) 51.4 (22.5).91 LH 7.3 (4.1) 7.4 (4.5).57 Gonadotropin dose 2,536.5 (1,698.7) 2,563.8 (1,589.9).66 P at trigger 1.5 (1.1) 1.5 (1.0).19 Oocytes retrieved 20.8 (10.3) 21.2 (11.4).37 No. of usable 5.6 (3.9) 5.7 (3.9).57 embryos Endometrial 10.2 (2.2) 10.0 (2.3).46 thickness (mm) No. of embryos 1.5 (0.5) 1.5 (0.5).76 transferred % ICSI 93.7% 91.6%.94 Clinic distribution a.82 Diagnosis DOR 8.5% 7.8%.59 Endometriosis 6.0% 5.7%.81 Idiopathic 4.3% 3.6%.45 Male factor 20.8% 18.7%.16 None provided 3.2% 3.3% 1 Other 18.8% 19.7%.57 Ovulatory 13.3% 15.0%.2 dysfunction PCOS 6.3% 6.3% 1 Tubal 17.9% 19.0%.5 Uterine 1.0% 0.9%.85 Note: Mean ( standard deviation) is shown for continuous variables, and percentages are shown for dichotomous variables. AFC ¼ antral follicle count; BMI ¼ body mass index; DOR ¼ diminished ovarian reserve; FSH ¼ follicle-stimulating hormone; E 2 ¼ estradiol; LH ¼ luteinizing hormone; P ¼ progesterone; PCOS ¼ polycystic ovary syndrome. a P value is the result of a chi-square test for the difference in distribution of clinics between protocols. Wang. Freeze-only versus fresh transfer cycle success. Fertil Steril 2017. Tab. 2 Ongoing pregnancy rates comparison between freeze-only and fresh cycles by progesterone and age strata in matched data. P at trigger Age (y) Fresh Freeze-only n OPR (%) n OPR (%) Odds ratio (Freeze-only vs. Fresh) P value %1 %35 302 56.4 (51.6, 61.2) 284 54.6 (49.7, 59.5) 0.93 (0.70, 1.23).61 >35 203 45.1 (39.8, 50.5) 198 48.9 (43.5, 54.3) 1.17 (0.86, 1.58).33 >1 %35 576 46.1 (42.3, 49.9) 578 54.1 (50.3, 57.9) 1.38 (1.11, 1.71) <.01 >35 374 35.2 (31.0, 39.5) 395 48.4 (44.0, 52.8) 1.73 (1.34, 2.24) <.0001 Note: Values in parentheses are 95% confidence interval. OPR ¼ ongoing pregnancy rates; P ¼ progesterone. Wang. Freeze-only versus fresh transfer cycle success. Fertil Steril 2017. 4
Abkürzungen CI - 95% confidence interval Quellen: 1. http://www.deutsches-ivfregister.de/perch/resources/downloads/dirjahrbuch2015d.pdf. 2. Chen Z-J et al. Fresh versus frozen embryos for infertility in the polycystic ovary syndrome. N Engl J Med 2016;375: 523 33. 3. Wang A et al. Freeze-only versus fresh embryo transfer in a multicenter matched cohort study: contribution of progesterone and maternal age to success rates. Fertil Steril 2017;108:254 61. 4. Magdi Y et al. Revisiting the management of recurrent implantation failure through freeze-all policy. Fertil Steril 2017;108:72 7. 5. Coutifaris C. Freeze-only in vitro fertilization cycles for all? http://dx.doi.org/10.1016/j.fertnstert.2017.06.028. 5