POSTANSCHRIFT Bundesministerium für Gesundheit, 53107 Bonn An die Damen und Herren Mitglieder der Fraktionen von CDU/CSU und SPD im Deutschen Bundestag HAUSANSCHRIFT POSTANSCHRIFT TEL FAX E-MAIL Hermann Gröhe Bundesminister Mitglied des Deutschen Bundestages Rochusstraße 1, 53123 Bonn 53107 Bonn +49 (0)228 99 441-1003 +49 (0)228 99 441-1193 poststelle@bmg.bund.de Bonn, 13. November 2015 Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Pflege ist ein Thema, das uns alle angeht. Das sagen nicht nur nahezu 100 Prozent in einer aktuellen Infratest-dimap-Umfrage, nein, dies erleben wir alle in unserem persönlichen Umfeld und in unseren Wahlkreisen. Das sollte uns Ansporn sein, die größte Reform der Pflegeversicherung seit ihrer Einführung vor 20 Jahren in dieser Wahlperiode weiter kraftvoll voranzubringen und umzusetzen. Mit dem zweiten Pflegestärkungsgesetz (PSG II), das wir heute im Deutschen Bundestag beschlossen haben, gehen wir dabei den nächsten wichtigen Schritt. Bereits zum Jahresbeginn hat das PSG I die Situation von Pflegebedürftigen, ihren Angehörigen sowie von Pflegekräften deutlich verbessert. Beide Gesetze bauen aufeinander auf, ergänzen sich und sorgen für eine lange schon überfällige fachliche Weiterentwicklung der Pflegeversicherung. Wenn sich im nächsten Monat der Bundesrat unserer heutigen Entscheidung anschließt, dann hat die lange erwartete Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs endlich eine gesetzliche Grundlage sowie einen ganz konkreten Termin, nämlich den 1. Januar 2017. Gerne möchte ich einige Wegmarken näher beleuchten:
Seite 2 von 7 Was haben wir bereits getan? Anfang dieses Jahres haben wir mit dem PSG I zunächst umfangreiche Verbesserungen der Leistungen der Pflegeversicherung eingeführt, die ich Ihnen in den wesentlichsten Punkten noch einmal darstellen möchte: Erstmalig wurden die Leistungsbeträge um 4 % dynamisiert. Alle ambulanten Leistungen können einfacher und passgenauer miteinander kombiniert werden. Wir haben neue Leistungen zur Entlastung eingeführt, die gerade den Angehörigen helfen sollen. In den stationären Einrichtungen unterstützen seit Januar dieses Jahres deutlich mehr Betreuungskräfte die Pflegekräfte und machen den Alltag in den Pflegeeinrichtungen abwechslungsreicher, anregender und damit hoffentlich lebenswerter. Und mit der Einführung eines Pflegeunterstützungsgeldes, das durch das PSG I finanziert wird, erleichtern wir den Angehörigen die Vereinbarkeit von Familie, Pflege und beruflicher Tätigkeit. Zudem haben wir einen Pflegevorsorgefonds eingerichtet, der mögliche Beitragssteigerungen in Zukunft abfedern und die Pflege nachhaltig sichern soll. In Form eines Sondervermögens wird dieser Fonds von der Bundesbank verwaltet. Mit 2015 beginnend werden rund 1,2 Milliarden Euro pro Jahr in den Fonds eingezahlt und dort bis zum Jahr 2034 angesammelt. Ab dann kann ein bestimmter Teil des angesammelten Kapitals verwendet werden, um Beitragssteigerungen abzufedern und die Leistungen der Pflegeversicherung weiter auf hohem Niveau zu finanzieren, wenn die geburtenstarken Jahrgänge in größerem Maße pflegebedürftig werden. Was folgt jetzt und was ist daran neu? Mit dem neuen PSG II tritt nun folgender Grundsatz in Kraft: Alle Pflegebedürftigen haben künftig gleichberechtigten Zugang zur Pflegeversicherung egal, ob sie sogenannte körperlich bedingte oder psychisch/geistig bedingte Einschränkungen haben. Was sich inzwischen wie eine Binsenweisheit anhören mag, ist dennoch eine kleine Revolution in unserer bisherigen Pflegeversicherung.
Seite 3 von 7 Wir schaffen die Pflegestufen ab und führen fünf Pflegegrade ein. Bei der Begutachtung der Pflegebedürftigkeit werden die noch vorhandenen Fähigkeiten ebenso wie deren Beeinträchtigung körperlich, geistig und psychisch und der Grad der Selbständigkeit erfasst. Sie haben damit Einfluss auf den Pflegegrad, je nach ihrer Schwere. Wir fragen nicht mehr, wie lange es dauert, wenn jemand gepflegt werden muss. Wir fragen, was kann sie oder er noch, was braucht es an Unterstützung und zwar so früh wie möglich. Daneben erweitert auch das zweite Pflegestärkungsgesetz die Leistungen: Pflegerische Betreuungsmaßnahmen zur Bewältigung und Gestaltung des alltäglichen Lebens im häuslichen Umfeld werden jetzt als Regelleistung der Pflegeversicherung zusätzlich zu körperbezogenen Pflegemaßnahmen und Hilfen bei der Haushaltsführung eingeführt. Aber auch in stationären Pflegeeinrichtungen gibt es Verbesserungen für alle Pflegebedürftigen. Ab 2017 gilt in jeder vollstationären Pflegeeinrichtung ein einheitlicher pflegebedingter Eigenanteil für die Pflegegrade 2 bis 5. Dieser Eigenanteil wird nicht mehr steigen, wenn jemand in seiner Pflegeeinrichtung in einen höheren Pflegegrad eingestuft werden muss. Jeder versicherte Pflegebedürftige in voll- und teilstationären Pflegeeinrichtungen erhält dort Anspruch auf zusätzliche Betreuungsangebote. Die Finanzierung erfolgt wie bisher vollständig durch die soziale Pflegeversicherung. Die Pflegeversicherung wird für mehr pflegende Angehörige Rentenbeiträge entrichten. Dabei kommt es darauf an, in welchem Umfang die Pflege durch Pflegepersonen erbracht wird und in welchen Pflegegrad der Pflegebedürftige eingestuft ist. Auch die soziale Sicherung der familiär Pflegenden in der Arbeitslosen- und der Unfallversicherung wird verbessert. Jemand, der seine Berufstätigkeit oder den Bezug von Arbeitslosengeld unterbricht, um einen Angehörigen zu pflegen, behält seine Ansprüche gegenüber der Arbeitslosenversicherung.
Seite 4 von 7 Jede und jeder der 2,7 Millionen Pflegebedürftigen wird zum 1. Januar 2017 automatisch in einen der neuen Pflegegrade übergeleitet. Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen werden automatisch von ihrer Pflegestufe in den nächst höheren Pflegegrad übergeleitet. Menschen, bei denen eine dauerhafte erhebliche Einschränkung der Alltagskompetenz festgestellt wurde, werden in den übernächsten Pflegegrad überführt. Und was uns auch besonders wichtig war: Niemand, die/der vorher schon von der Pflegeversicherung Leistungen erhalten hat, wird zukünftig schlechter gestellt. Viele erhalten hingegen mehr Leistungen oder müssen weniger zuzahlen als heute. Die Vereinbarungspartner haben für die Pflegeheime im Hinblick auf den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff und die fünf neuen Pflegegrade bis zum 30. September 2016 neue Pflegesätze zu vereinbaren. Ebenso sind mit Blick auf die Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs die Personalstruktur und die Personalrichtwert- Vereinbarungen zu prüfen und auf die neuen Pflegegrade hin anzupassen. Darüber hinaus wird die Selbstverwaltung verpflichtet, bis Mitte 2020 ein wissenschaftlich abgesichertes Verfahren zur Personalbedarfsbemessung zu entwickeln. Damit soll künftig festgestellt werden, wie viele Pflegekräfte die Einrichtungen für eine gute Pflege benötigen. Wie geht es jetzt weiter? Die Selbstverwaltung in der Pflege hat jetzt gut ein Jahr Zeit, die Umsetzung in die Praxis vorzubereiten, damit jeder der gut 2,7 Millionen Pflegebedürftigen zum 1. Januar 2017 die neuen Leistungen erhält. Insgesamt stehen ab 2017 jährlich rund fünf Milliarden Euro zusätzlich für die Pflege zur Verfügung. Die gesetzlich vorgeschriebene Dynamisierung der Leistungen wird um ein Jahr auf 2017 vorgezogen und in die Reform integriert. Damit stehen bereits 2017 weitere rund 1,2 Milliarden Euro für bessere Leistungen der Pflegeversicherung bereit.
Seite 5 von 7 Umfragen zeigen, dass nicht nur diese Leistungsausweitungen, sondern auch die damit einher gehende moderate und paritätisch finanzierte Beitragssatz-Erhöhung hohe Akzeptanz in der Bevölkerung genießen. Zugleich unterstreichen wir den Grundsatz der aktivierenden Pflege. Vorhandene Fähigkeiten sollen einbezogen und so Hilfe zur Selbsthilfe bieten. Deshalb legen wir auch einen deutlichen Schwerpunkt auf die Rehabilitation: Einerseits wird das neue Begutachtungsverfahren mehr Informationen darüber liefern, welche Rehabilitationspotenziale eine pflegebedürftige Person aufweist. Wir verbessern also die Informationsgrundlagen für diejenigen, die über die Beantragung von Reha-Maßnahmen mit entscheiden. Andererseits verpflichten wir die Kranken- und Pflegekassen, ein einheitliches und klar gegliedertes Verfahren zur Erfassung und Weitergabe des Rehabilitationsbedarfs anzuwenden. Wir gehen davon aus, dass damit die Zahl der Reha-Maßnahmen bei drohender oder bereits eingetretener Pflegebedürftigkeit weiter deutlich erhöht werden kann. Denn diese Vorsorge kommt derzeit leider immer noch zu kurz. Durch Rehabilitation kann Pflegebedürftigkeit verhindert, vermindert oder hinausgezögert werden. Und das nützt allen, fördert vor allem die Lebensqualität, leistet aber auch einen Beitrag zur nachhaltigen Finanzierbarkeit. Erlauben Sie mir bitte, Sie auch noch auf weitere wichtige Verbesserungen hinzuweisen, die im Sinne der Betroffenen und ihrer Angehörigen bereits zum 1. Januar 2016 in Kraft treten: Die Beratung Pflegebedürftiger und ihrer Angehörigen wird verbessert. Die Pflegekassen benennen feste Ansprechpartner für die Pflegeberatung. Pflegende Angehörige erhalten einen eigenen Beratungsanspruch. Die Zusammenarbeit aller Beratungsstellen vor Ort wird gestärkt. Patientinnen und Patienten, die nicht dauerhaft pflegebedürftig sind, erhalten nach einer Krankenhaus-Behandlung Anspruch auf Übergangspflege (häusliche Krankenpflege, Haushaltshilfe sowie Kurzzeitpflege) als Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung durch Regelungen im Krankenhausstrukturgesetz.
Seite 6 von 7 Die ärztliche Versorgung der Menschen, die in Pflegeheimen wohnen, wird verbessert. Stationäre Pflegeeinrichtungen werden durch eine Regelung im Hospiz- und Palliativgesetz verpflichtet, Kooperationsvereinbarungen mit niedergelassenen Haus-, Fach- und Zahnärzten zu schließen. Der Zugang von Pflegebedürftigen zu Maßnahmen der Rehabilitation wird gestärkt, indem die Pflegekassen und Medizinischen Dienste wirksame Verfahren zur Klärung des Rehabilitationsbedarfs anwenden müssen und hierbei zielgerichtet im Sinne des Grundsatzes Rehabilitation vor Pflege zusammenarbeiten müssen. Die Pflegekassen werden zur Erbringung von sogenannten primärpräventiven Leistungen in stationären Pflegeeinrichtungen verpflichtet. Dabei ist es das Ziel, die gesundheitliche Situation der Pflegebedürftigen zu verbessern und gesundheitliche Fähigkeiten zu stärken. Hierzu sollen die Ausgaben der Pflegekassen im Jahr 2016 insgesamt rund 21 Millionen Euro umfassen. Dies sieht eine Regelung im bereit in Kraft befindlichen Präventionsgesetz vor. Die Qualitätsmessung, Qualitätssicherung und Qualitätsdarstellung in der Pflege wird weiter entwickelt. Dabei wird der sogenannte Pflege-TÜV grundsätzlich überarbeitet. Dazu wird wissenschaftlicher Sachverstand herangezogen. Seit Ende 2014 unterstützt der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und Patienten und Bevollmächtigte für Pflege, Staatssekretär Karl-Josef Laumann, die flächendeckende Einführung einer vereinfachten Pflegedokumentation in ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen. Mögliche Entlastungen durch das neue Modell sollen den Pflegekräften mehr Zeit für die Pflege ermöglichen (Entbürokratisierung) und dürfen nicht zu Personalkürzungen führen. Das stellen wir im zweiten Pflegestärkungsgesetz mit klar. Mit einem breit angelegten Fachdialog, der noch in diesem Jahr beginnen soll, wollen wir in den nächsten Monaten in den Regionen Deutschlands die vielfältigen Verbesserungen und Veränderungen erläutern und mit Praktikerinnen und Praktikern erörtern. Wir wollen, dass unsere Pflegestärkungsgesetze in der Praxis wirksam sind und Betroffene, deren Angehörige und die Pflegekräfte wirksam stärken.
Seite 7 von 7 Liebe Kolleginnen und Kollegen, anhand der beigelegten Übersicht können Sie nochmals die vielen großen und kleinen Schritte im Zeitverlauf bis ins Jahr 2017 sehen, die notwendig sind, damit der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff Wirklichkeit wird. Ich danke Ihnen dafür, dass Sie beide Gesetzgebungsvorhaben mit großem Engagement unterstützt haben. Gemeinsam gestalten und stärken wir die Pflege, denn, gute Pflege darauf kommt es an. Mit freundlichen Grüßen Anlage