Was kommt nach dem Handel?



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Transkript:

Was kommt nach dem Handel? Entwicklung und Perspektiven von Neben- und Stadtteilzentren vor dem Hintergrund des Strukturwandels im Einzelhandel Beschreibung eines Promotionsvorhabens Bearbeiter: Dipl.-Ing. Tilman Sperle Hauptberichter: Prof. Dr.-Ing. Franz Pesch Mitberichter: NN Stand: Oktober 2008 Dipl.-Ing. Tilman Sperle 1

WAS KOMMT NACH DEM HANDEL? Die Frage, was nach dem Handel kommt mag polemisch klingen, angesichts der herausragenden Bedeutung, die der Handel in den städtischen Zentren einnimmt. Seit jeher ist die europäische Stadt eine Handelsstadt, in der Stadt und Handel auf das Engste mit einander verwoben sind. Neben seiner originären Versorgungsfunktion besitzt der Handel in den Innenstädten und den Nebenzentren der Städte stadtgestalterische und soziale Funktionen: der Handel ist das integrierende Medium für Wohnen, Arbeiten, Freizeit, Bildung sowie öffentliche wie private Dienstleistungen. Mit seiner belebenden Wirkung trägt der Handel maßgeblich zur Attraktivität des öffentlichen Raums und damit zum urbanen Leben in den Städten bei. Umgekehrt profitiert der Handel traditionell von den Agglomerationsvorteilen städtischer Zentren. Stadt und Handel waren also bisher existenziell aufeinander angewiesen. So polemisch die Frage klingen mag, so offensichtlich und vielfältig sind die Erosionserscheinungen des Einzelhandels in den Neben- und Stadtteilzentren. Und dies vor dem Hintergrund, dass gerade dort die demografischen, sozioökonomischen und ökologischen Veränderungen von Stadt und Gesellschaft besonders deutlich zutage treten. 1 STADT UND HANDEL EINE GEWACHSENE EINHEIT Die Entwicklung der Städte war unmittelbar mit ihrer Funktion als Marktplatz verbunden. Die Agora in der griechischen Polis, das römische Forum, der mittelalterliche Markt im Schutze von Bischofssitz, Kloster oder Burg waren die zentralen und bedeutendsten Plätze der Städte, deren vielfältige Funktionen weit über die des Handels hinausreichten. Hier entfaltete sich das städtische Leben: Politik, Rechtssprechung, Unterhaltung und Kommunikation waren auf den Markt fokussiert. Am Markt und entlang der auf ihn zuführenden Straßen standen die Wohnhäuser der Stadtbürger, in denen Handel und Handwerk betrieben wurden (Kostof 1993,91ff). Spezialisierungen in Handwerk und Landwirtschaft brachten allmählich spezielle Marktorte hervor und mit dem Wachstum der Städte setzte eine räumliche Differenzierung städtischer Nutzungen ein, die besonders im Zuge der Industrialisierung an Dynamik gewann. Sichtbare Zeichen waren etwa die großen Warenhäuser, die im 19. und 20. Jahrhundert zur Citybildung in den großen Städten beitrugen sowie der gleichzeitige Rückgang der Wohnbevölkerung im Stadtzentrum (Heineberg 2003,169). Die Ausdifferenzierung der Bodenpreise sowie von Standorten städtischer Funktionen machte die City zum (ober-)zentralen Standort für Administration, Handel und Verwaltung. Daneben entstand ein hierarchisches Netz städtischer Zentren und Subzentren, die sowohl Ort für Wohnen und Arbeiten waren, als auch eine kleinteilige und flächendeckende Versorgung der Nachbarschaften sicherstellten. Mit Dipl.-Ing. Tilman Sperle 2

seiner nahezu flächendeckenden Versorgung und seiner Hierarchie der Standorte entsprach dieses Netz am ehesten der Theorie der zentralen Orte, die Christaller in den 1930er Jahren auf Basis seiner Raumbeobachtungen in Süddeutschland formulierte. Ab den 1960er und 1970er Jahren begann sich das hierarchisch aufgebaute System der Versorgungsstandorte massiv zu verändern. Tragende Kräfte dieser Entwicklung waren die Suburbanisierung, die Massenmotorisierung mit dem netzartigen Ausbau der Straßeninfrastruktur sowie das Vordringen neuer großflächigerer Betriebsformen mit Selbstbedienung im Einzelhandel. Dabei entwickelte sich im Laufe der letzen vier Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts am Rande der geschlossenen Bebauung oder in nicht integrierten Lagen (grüne Wiese) ein sekundäres Versorgungsnetz (Kulke 2001,57). 2 STRUKTURWANDEL IM EINZELHANDEL Der Strukturwandel im Einzelhandel wird sowohl von äußeren Einflüssen bestimmt, insbesondere durch die Konsumenten, (handelsexogene Einflüsse) als auch von internen Umstrukturierungen durch Innovation und Rationalisierung (handelsendogene Einflüsse). HANDELSEXOGENE EINFLÜSSE Der Einzelhandel in der Bundesrepublik profitierte in den vergangenen Jahrzehnten vom kontinuierlich gewachsenen Wohlstand der Menschen. Damit verbunden waren insbesondere die Mobilisierung breiter Bevölkerungsschichten und der gewachsene Bedarf an Wohnraum. Dies ermöglichte einerseits den komfortablen Kofferraumeinkauf und steigerte andererseits die Möglichkeiten der häuslichen Vorratshaltung beim Grundbedarf. Insgesamt konnten somit die Einkaufsfrequenzen der Menschen verringert werden (Heinritz et al. 2003,42). Durch die Ansiedlung gleich mehrerer Betriebe und Betriebsformen an einem verkehrsgünstig gelegenen Standort ergeben sich zusätzliche Kopplungseffekte mit anderen Betrieben, die das one-stop-shopping begünstigen. Großeinkäufe wiederum lassen beim Konsumenten die Preisvorteile diskontorientierter Betriebe besonders deutlich werden (ebd.). Die Veränderung individueller Raumnutzungsmuster auf dem Weg zur Arbeit, zur Ausbildung und in der Freizeit sowie ein insgesamt größerer individueller Aktionsradius durch das Automobil erhöhen die Unabhängigkeit von fußläufig oder mit dem ÖPNV zu erreichenden Einzelhandelsstandorten. Die zunehmende Information der Kunden durch die Werbung begünstigen die Neuorientierung bei der Wahl des Einkaufsorts bzw. der Betriebsform (Kulke 2001,58). Der informierte Konsument entwickelt insbesondere beim Alltagseinkauf ein ausgeprägtes Preisbewusstsein, während beim freizeitorientierten Erlebniseinkauf weniger preissensibel agiert wird (ebd.). Dieses hybride Einkaufsverhalten wird überlagert von einer generellen Polarisierung der Einkommensgruppen innerhalb der Bevölkerung sowie der Herausbildung Dipl.-Ing. Tilman Sperle 3

einer Vielzahl unterschiedlicher Lebens- und Konsummodelle. Gleichzeitig sinkt der Anteil des Einzelhandelsumsatzes am privaten Konsum zwischen 1995 und 2006 von 35 auf 29 Prozent, während die Ausgaben für Daseinsvorsorge, Gesundheit, Mobilität, Freizeit und Wohnen steigen (Hauptverband des deutschen Einzelhandels (HDE) 2007). HANDELSENDOGENE EINFLÜSSE Mit der Erhöhung der räumlichen Flexibilität der Bevölkerung beim Einkauf wächst die Freiheit der Händler bei der Wahl des Standorts (Kulke 2001,58). Neben den geringeren Bodenpreisen bieten die Flächen an der Peripherie eine Befreiung von den räumlichen und logistischen Zwängen der bestehenden Stadtstrukturen. Denn gerade das Prinzip der Selbstbedienung und die Ausweitung der Sortimente macht ein kontinuierliches Wachstum der Mindestverkaufsflächen notwendig und die üppigen Parkplätze führen insgesamt zu einem großen Flächen- und Grundstücksbedarf (Heinritz et al. 2003,43ff). Obwohl der Umsatz im Einzelhandel schon seit Jahren stagniert, fordern der Wettbewerb und die Erwartungen der Kunden zusätzlich ein permanentes Ausweiten der Sortimente. Die Abkehr von bedienungsintensiven Verkaufsformen und Kostendruck führen zu einer Substitution von Arbeitskosten durch Verkaufsfläche. In Folge der Flächenexpansion im Einzelhandel ist die durchschnittliche Verkaufsflächenausstattung in der Bundesrepublik auf 1,4 Quadratmetern pro Einwohner angestiegen. Experten schätzen, dass die Überversorgung mit Einzelhandelsflächen auf dem deutschen Markt zwischenzeitlich bei 30 bis 40 Prozent liegt (Handelsverband BAG 2004). Im Zuge der hohen notwendigen Investitionen und des verschärften Wettbewerbs im Einzelhandel ist die Zahl der am Markt tätigen Betriebe kontinuierlich gesunken. Auf der anderen Seite können die großen Betriebe mit ihrer wachsenden Marktmacht bei Einkauf und Organisation deutliche Kostenvorteile realisieren und diese an die Kunden weitergeben. Dies führt zu einem enormen Preiswettbewerb nach unten mit immer geringeren Gewinnmargen (Heinritz et al. 2003,43). Zwischenzeitlich hat dieser Wettbewerb eine enorme Unternehmenskonzentration ausgelöst. Die sieben größten Einzelhandelsunternehmen in Europa kommen inzwischen auf einen Marktanteil von annähernd 40 Prozent. Mit dem Wandel der Betriebsformen wachsen vor allem die flächenintensiven Betriebsformen wie Fachmärkte, SB-Geschäfte und Discounter aber auch der ortsungebundene Versandhandel und der Handel im Internet. Dabei findet die Polarisierung des Kundenverhaltens seine Entsprechung auf Seiten der Betriebsformen. Mittlere Preissegmente, die überwiegend auch vom traditionellen Einzelhandel angeboten wurden, brechen weg. Der inhabergeführte, kleinteilige und betrieblich nicht organisierte Einzelhandel hat dieser Entwicklung aus Kundenverhalten und strategischer Übermacht der Handelskonzerne mit neuen Betriebsformen kaum etwas entgegenzusetzen. Die Folge ist ein schleichender Niedergang, der oftmals nur dadurch verzögert wird, dass sich die Immobilie im Besitz des Dipl.-Ing. Tilman Sperle 4

Händlers befindet (Wüstenrot Stiftung 2008,64). In Verbindung mit der wirtschaftlich unsicheren Situation steht zumeist noch eine ungeklärte Frage der Nachfolge. Ein bestimmter Typus von Händler stirbt damit aus. Zwischen 1970 und 1990 verringerte sich die Zahl der Lebensmittelgeschäfte von 154.000 auf 60.400 (Kulke 2001,58). Von dieser Entwicklung betroffen waren anfangs (und bis zu ihrem Verschwinden) vor allem die Tante-Emma-Geschäfte und heute sind es in erster Linie die verbliebenen inhabergeführten Fachgeschäfte. 3 AUSWIRKUNGEN AUF DIE STANDORTE Der strukturelle Wandel im Einzelhandel hat unmittelbare und tiefgreifende Konsequenzen für die Rolle und Bedeutung der Städte sowie ihrer Zentrensysteme. Durch die Ausweisung neuer Einzelhandelsstandorte an der städtischen Peripherie und die dort vorherrschenden Agglomerationsvorteile ist ein sekundäres und sehr verkehrsgünstig gelegenes Versorgungssystem entstanden, das in direkter Konkurrenz steht zu den traditionellen in die Stadtstruktur integrierten Einzelhandelsstandorten. Heute bieten sich dem Konsumenten eine Vielzahl an Marktplätzen. Die Innenstadt und die städtischen Zentren sind nur noch eine Option unter vielen und die Orte höchster Einzelhandelszentralität sind nicht mehr zwangsläufig die integrierten städtischen Zentren. Dabei hat die Entwicklung neuer Betriebsformen standardisierten Anforderungen an Verkaufsflächenbedarf, Nebenflächen, Erschließung und Größe des Einzugsgebiets hervorgebracht. Werden diese Kriterien nicht erfüllt, was in den Gemengesituationen der Nebenlagen häufig der Fall ist, erfolgt keine Investition (Heinritz 2003,45). KONZENTRATION UND POLARISIERUNG DER STANDORTE Marktaustritte, gerade von den in den Zentren und Nebenzentren beheimateten Klein- und Mittelbetrieben (Kulke 2001,59), das Wachstum flächenintensiver Betriebe in den Innenstädten und an der Peripherie sowie die Verknappung der Einzelhandelsstandorte insgesamt durch restriktive Planung und Wettbewerb (Heinritz et al. 2003,43) haben zu einer Konzentration und Polarisierung der Standorte geführt. Nachdem die städtischen Mitte in den vergangenen Jahren als Einzelhandelsstandort deutlich an Attraktivität hinzu bzw. zurück gewinnen konnten, eröffnet sich zwischen den Innenstädten und den nichtintegrierten Standorten an der Peripherie ein Spannungsfeld, in dem sich das Verhalten der Konsumenten deutlich widerspiegelt: Kofferraumeinkauf auf der grünen Wiese Erlebniseinkauf in der City. LEERSTAND IN DEN NEBENZENTREN Dem Konkurrenzkampf der beiden Standortpole haben die Nebenlagen der Innenstädte, die Neben- und Stadtteilzentren mit ihrer zumeist schlechteren Flächendisposition einerseits und ihrem kleineren Einzelhandelsangebot sowie einer oftmals ungünstigen Erreichbarkeit ande- Dipl.-Ing. Tilman Sperle 5

rerseits wenig entgegenzusetzen. Der schleichende Zentralitäts- und Bedeutungsverlust führt zu einer allmählichen Reduzierung bzw. einer Verschlechterung des Warenangebots (Trading-down). Am Ende stehen insgesamt eine Verlängerung der Versorgungswege und eine Zunahme leerstehender Einzelhandelsflächen. Im Rahmen einer Umfrage des Handelsverbands BAG zu Leerständen im Einzelhandel haben 94 Prozent der befragten Städte das Auftreten regelmäßiger Leerstände angegeben, die in der Regel länger als ein Jahr bestehen (BAG 2004). Am häufigsten genannt wurden die 1b-Lagen der Innenstädte gefolgt von den Stadtteilzentren. Hinzu kommt das vermehrte Auftreten von Leerständen in den Stadtrand- und in den Toplagen der Innenstädte von mittelgroßen Städten (100.000-250.000 Einwohner) und an der Peripherie von Großstädten mit mehr als 500.000 Einwohnern. NEBENZENTREN IN SCHIEFLAGE Dennoch eröffnen sich mit dem Strukturwandel im Handel zunächst gerade in den Nebenlagen neue Perspektiven für eine zumeist lokal verankerte Ökonomie aus kleinen Handwerksbetrieben und Dienstleistern, Gastronomie, ethnischen Ökonomien und Spezialgeschäften. Der Stuttgarter Westen etwa gilt hierfür als ein anschauliches Beispiel (Brombach 2000). Allerdings werden gewerbliche Nutzungen jenseits des klassischen Einzelhandels allein die Lücken nicht schließen können, die dieser hinterlässt. Denn, das legt das Beispiel des Stuttgarter Westens nahe, ohne das Nachfragerpotenzial eines dicht besiedelten und intensiv genutzten Quartiers fehlt einer so vielfältigen Angebotsstruktur die ökonomische Tragfähigkeit. In vielen Neben- und Stadtteilzentren wird der Strukturwandel im Einzelhandel von vielfältigen und vielschichtigen Veränderungen begleitet und bedingt und schwächt diese Standorte zusätzlich. Dazu zählen der Rückzug anderer Frequenzbringer wie Banken, Post, Niederlassungen und Außenstellen öffentlicher Verwaltungen und Behörden sowie der Wegfall kultureller und sozialer Einrichtungen insbesondere der Kirchen und neuerdings sogar der Kirchen selbst. Mit dem Wegbrechen der Nahversorgung verlieren dieses Standorte zumeist auch ihre Kommunikationsplattform. Hinzu kommen ein allgemeiner Modernisierungsbedarf bzw. fehlende stadträumliche Qualitäten und eine oftmals starke verkehrliche Belastung sowie inadäquate Angebote und ein Sanierungsstau im Wohnbereich. Eine ungünstige Sozialstruktur ist die Folge anhaltender sozialer Segregation. So ergab jüngst eine Panelbefragung des BBR, dass für die Top-Standorte (1a-Lagen) weiterhin mit einer hohen Nachfrage und Mietpreissteigerungen für Einzelhandelsflächen gerechnet wird, während in den b-lagen und den Nebenzentren keine positive Entwicklung erwartet wird. Es wird also weiterhin von einer scherenartigen Nachfrage- und Preisentwicklung ausgegangen, die für die b-lagen und Nebenzentren auch weiterhin eher sinkende Dipl.-Ing. Tilman Sperle 6

Mietpreise bringt. Über 50 Prozent der befragten Experten erwarten insgesamt sinkende Marktchancen in den Nebenzentren größerer Städte. In Mittel- und Kleinstädten gelten diese Einschätzungen bereits für die Ränder der Hauptlagen (1b-Lagen) (BBR 2008). 4 STELLENWERT DES THEMAS Die städtischen Neben- und Stadtteilzentren sind neben ihrer Funktion als Standorte der Nah- und Grundversorgung Orte sozialer und kultureller Begegnung und wirken dabei in höchstem Maße identitätsstiftend. Damit ist ihre Funktionsfähigkeit also auch eine gesellschaftliche Frage. Und so stellten Heinritz und Schröder (2000) die Frage, warum Stadtteilzentren, Ladenzeilen und Ausfallstraßen, als die vernachlässigten Geschäftslagen der Städte nicht schon längst die Aufmerksamkeit der Planer und der Forschung erregen, da sie in der Praxis der Stadtplanung doch die eigentlichen Sorgenkinder sind. An Aufmerksamkeit mangelt es den städtischen Zentren zwischenzeitlich nicht mehr, das belegen Bund-Länder-Programme wie etwa Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf Soziale Stadt. Attraktive Innenstädte und Stadtteilzentren besitzen eine herausragende Bedeutung für die Zukunft der Städte und Gemeinden. Diese besondere Bedeutung der Stadtquartiere wurde 2007 mit der Leipzig Charta der europäischen Ministerien für Stadtentwicklung nochmals und mehrfach betont. Vor diesem Hintergrund hat der Staat das städtebauliche Instrumentarium zur Stärkung der Innenentwicklung und zentraler Versorgungsbereiche in jüngster Zeit deutlich ausgebaut. So haben sich Bund und Länder im Rahmen der Städtebauförderung auf ein Programm Aktive Stadt- und Ortsteilzentren verständigt. Bereits heute fließt ein Großteil der Städtebauförderung in die Entwicklung der Stadtteilzentren. Auch das Land Baden-Württemberg hat das Thema der städtischen Zentren aufgegriffen und startet noch im Jahr 2008 die Initiative Mittendrin ist Leben Starke Zentren für Baden-Württemberg. Dies verdeutlicht die Bedeutung des Handlungsfeldes Stadtzentrum. Eine dauerhafte Entwicklung der Städte ist nur durch eine nachhaltige Entwicklung ihrer Zentren möglich. Die Renaissance der europäischen Stadt entscheidet sich in den Neben- und Stadtteilzentren. 5 STAND VON FORSCHUNG UND PRAXIS Das städtische Zentrensystem und der Einzelhandel standen in der Vergangenheit immer wieder im Fokus der Diskussion und waren Gegenstand von Forschung und Studien. Zu nennen wäre etwa auf Bundesebene das ExWoSt-Forschungsfeld Zentren des Bundesamts für Bauwesen und Raumordnung aus dem Jahr 1998 oder auf Landesebene die 2003 entstandene Studie des Städtebau-Instituts der Universität Stuttgart zur Entwicklung der Zentren und Nebenzentren in Nordrhein-Westfalen im Auftrag der Enquetekommission des Dipl.-Ing. Tilman Sperle 7

Landtages NRW. Die Erarbeitung von Zentren- und Quartierskonzepten auf städtischer Ebene unterstreicht die Relevanz des Themas. Als die dennoch von der Forschung vernachlässigten Geschäftslagen der Städte werden die Stadtteilzentren, Ladenzeilen und Ausfallstraßen von Heinritz und Schröder (2000) anhand von Beispielen aus Deutschland und Österreich herausgearbeitet. Tatsächlich sind innerstädtische Zentrensysteme schwierig zu definieren (Heineberg 2003,87) und entziehen sich damit oftmals generellen und verallgemeinernden Untersuchungen. Entsprechende Veröffentlichungen, vor allem in der grauen Literatur, haben daher zumeist konkrete Beispiele zum Gegenstand, etwa vom Arbeitskreis Geographische Handelsforschung. Beispielhaft seien genannt die an der TU Berlin entstandene Arbeit von König (2007), welche die Krise großstädtischer Subzentren am Beispiel des Stadtteils Frankfurt- Höchst darstellt sowie die 2006 an der TU München eingereichte Arbeit von Reichel, die den kleinteiligen Einzelhandel in Stadtrandlagen und dessen Bedeutung für den Stadtraum untersucht. Die Revitalisierung von Geschäftslagen, insbesondere in Ostdeutschland, ist Gegenstand der Untersuchungen des Deutschen Seminars für Städtebau und Wirtschaft (DSSW). Hier stehen vor allem die innerstädtischen Hauptgeschäftslagen im Fokus des Interesses und damit im wesentlichen die Weiternutzung von Ladenlokalen für Einzelhandel. Einen wesentlichen Beitrag zur Revitalisierung von Geschäftslagen kann das aus Nordamerika importierte Konzept der Business Improvement Districts (BID) leisten. Sie wurden von Bloem für das Land Nordrhein-Westfalen untersucht (MSWKS 2001). Die Suche nach neuen Konzepten für leerstehende Ladenlokale wurden im Rahmen des Regionale 2006-Projektes Soziale Stadt Impulse und Innovationen für das Bergische Städtedreieck angestoßen (Stadt Wuppertal 2006). In diesem Fall wurden zwar auch überwiegend neue Geschäftsideen gesucht, allerdings waren sich die Verfasser der Utopie bewusst, die eine ausschließliche Weiternutzung durch Einzelhandel darstellt. Nach eigenen Angaben setzt sich eine deutliche Mehrheit der Städte mit dem Thema Leerstand im Einzelhandel auseinander (BAG 2004). Zumeist verbleiben die Konzepte allerdings auf der Ebene der Bestandsanalyse und der Verwaltung der Leerstände, die oftmals in das städtische Stadt- und Citymarketing eingebunden sind. Seltener sind die Fälle, in denen die Grundeigentümer eingebunden werden bzw. eine aktive Akquise und Existenzgründerförderung betrieben wird. Optisches Kaschieren etwa durch künstlerische Interventionen sowie Zwischennutzungen sind zumeist die Alternative und das Ziel aller Bemühungen bleibt in fast allen Fällen der Erhalt aller Einzelhandelsfunktion am Ort (DSSW 2004). Kaum oder gar nicht diskutiert werden im Rahmen der Stadtplanung hingegen grundlegende strukturelle Veränderungen, die etwa eine Änderung der Nutzung zum Ziel haben. Das, obwohl selbst für den Einzelhandel die Themen Umnutzung und Rückbau längst kein Tabu Dipl.-Ing. Tilman Sperle 8

mehr sind. Bernd Kippig, Vizepräsident des Hauptverbands des Deutschen Einzelhandels HDE, nennt (nach eingehender Analyse) den Nutzungswechsel oder den Rückbau von Flächen als notwendige Maßnahmen im Umgang mit Leerständen im Einzelhandel. Zwei von drei Optionen für leerstehende Ladenlokale haben nach einer Handlungsempfehlung des Handelsverbands BAG nichts mehr mit Einzelhandel als Nutzung zu tun. Neben der Option einer weiteren Einzelhandelsnutzung für eine bestimmte Fläche empfiehlt der BAG die Umnutzung oder den Rückbau bzw. den Abriss (BAG 2004). Zwischenzeitlich wird das Thema auch von Seiten der Stadtplanung erkannt und aufgegriffen. So sprach Kunibert Wachten anlässlich einer Tagung im Mai 2008 zur Vorstellung des Förderprogramms Aktive Stadt- und Ortsteilzentren von der Notwendigkeit einer schmerzhaften Konzentration überdehnter Geschäftslagen und von der dringenden Erfordernis, die Ränder mancher Geschäftslagen zurückzustutzen, denn nur so, so Wachten, könne eine Konsolidierung der betroffenen Standorte erreicht werden. Bereits 2007 lautet der Rat eines städtebaulichen Gutachtens für die Innenstadt von Lemgo: Den Kreis enger ziehen und den Einkaufsbereich räumlich zu konzentrieren sowie in den Randbereichen nach Alternativen zum Handel zu suchen (Pesch, Sperle 2007). 6 THESE: UMNUTZUNG ALS CHANCE Die erste These des Promotionsvorhabens lautet, dass sich für das Gros der leerstehenden Einzelhandelsflächen künftig keine Nachnutzung mehr finden mehr finden wird. Daher reicht es in vielen Neben- und Stadtteilzentren heute nicht mehr aus, Konzepte für einzelne leerstehende Ladenlokale zu entwickeln. Angesichts der Dimensionen, die Trading Down und Leerstand vielerorts reicht haben, sind, so die zweiten These der Arbeit, Einzelhandelsstandorte in Neben- und Stadtteilzentren auf einen tragfähigen Kernbereich zu begrenzen und für die übrigen Flächen alternative Nutzungen zu finden. Schließlich müssen, das ist die dritte These, zukunftsfähige Lösungsansätze die Perspektiven des gesamten Standorts, des gesamten Neben- oder Stadtteilzentrums im Blick haben. So ergibt sich vor dem Hintergrund leerstehender Einzelhandelsflächen die Notwendigkeit zur Neuinterpretation von Neben- und Stadtteilzentren. 7 FRAGESTELLUNGEN Die Polarisierung der Standorte im Einzelhandel führt zu einer Konzentration der Einzelhandelslagen und in der Folge zu Leerständen. Besonders betroffen sind die Neben- und Stadtteilzentren in Ober- und Mittelstädten. Hier sind es in besonderem Maße die 1b- sowie die 2a- und 2b-Lagen, in Mittelstädten und Stadtteilzentren trifft es oftmals schon die Ränder Dipl.-Ing. Tilman Sperle 9

der 1a-Lagen. In der Praxis verfolgen entsprechende Maßnahmen überwiegend das Ziel, den verlorengegangenen Zustand wieder herzustellen. Im Rahmen der Arbeit wird davon ausgegangen, dass sich in vielen Neben- und Stadtteilzentren für die Mehrheit der leerstehenden Ladenlokale keine Handelsfunktion mehr finden wird. Die zentralen Fragestellungen lauten daher: 1. Welche konzeptionellen Ansätze lassen sich für eine Konzentration und Revitalisierung zukunftsfähiger Einzelhandelsstandorte in Neben- und Stadtteilzentren finden? 2. Welche konzeptionellen Ansätze sind denkbar, welche bestehen für den Rückbau und die Umnutzung von Flächen ohne Einzelhandelsperspektive? - Welche Strategien verfolgen die Kommunen? - Welche privatwirtschaftlichen und planungsrechtlichen Implikationen bestehen? - Welche Möglichkeiten ergeben sich für die Integration der Immobilieneigentümer? - Welche weiteren Akteure sind einzubinden (etwa Wirtschaftsförderung)? Angesichts der Leitfunktion des Handel in den Städten ist zu diskutieren, ob und wie der Rückbau und die Umnutzung von Einzelhandelsflächen zu rechtfertigen sind. Immerhin könnten die Flächen als Reserve dienen für ein Entwicklungsszenario, das zentrale Wohnstandorte noch stärker als bisher begünstigt und damit die notwendige Mantelbevölkerung soweit steigt, dass zumindest die Träger der Nahversorgung wieder eine ökonomischen Grundlage hätten. So ist vor dem Hintergrund von demographischer Entwicklung und Reurbanisierung sowie einer möglichen Veränderung des Mobilitätsverhaltens generell zu diskutieren, 3. welche Perspektiven und Risiken der Strukturwandel im Einzelhandel für die Nebenund Stadtteilzentren mit sich bringt und wie die konzeptionellen Ansätze aus 1. und 2. in eine zukunftsfähige Entwicklung des gesamten Standorts einzubeziehen sind? Dipl.-Ing. Tilman Sperle 10

8 AUFBAU UND ORGANISATION DER ARBEIT In einem einleitenden Teil sollen im Rahmen einer Literaturrecherche die wesentlichen theoretischen Grundlagen des Themenkomplexes Stadt und Handel erarbeitet und dargestellt werden. Dabei wird einzugehen sein auf städtische Standort- und Zentrensysteme, den Strukturwandel im Einzelhandel sowie die, durch die Veränderungen im Handel ausgelösten, Standortverschiebungen. Im zweiten Teil soll das Thema Leerstand im Einzelhandel in Neben- und Stadtteilzentren eingehend behandelt werden. Um die Komplexität städtischer Zentren angemessen abzubilden, sind dabei die vielfältigen gesamtgesellschaftlichen und ökonomischen Trends und deren Wechselwirkungen darzustellen, vor deren Hintergrund sich der Strukturwandel im Einzelhandel vollzieht. Der Bedeutungswandel städtischer Zentren sowie neue Entwicklungsperspektiven sollen herausgearbeitet, Nutzungswandel und Neuinterpretation als konzeptioneller Ansatz auf verschiedenen Handlungsebenen untersucht werden. Ergänzend zur Literaturrecherche sind in diesem Teil der Arbeit Expertengespräche zu führen (Einzelhandelsverbände, IHK, Immobilienbranche etc.) Die Analyse dreier Fallbeispiele steht im Zentrum des dritten Kapitels. Durch Sekundäranalyse sowie durch leitfadengestützte Gespräche mit lokalen Experten soll die kommunale Praxis im Umgang mit dem Strukturwandel im Einzelhandel sowie dem dadurch bedingten Bedeutungswandel städtischer Zentren untersucht werden. Die Arbeit schließt in Kapitel vier mit der Diskussion der Erkenntnisse. Darauf aufbauend sollen Empfehlungen für die Planungspraxis ausgesprochen werden. GLIEDERUNGSVORSCHLAG UND ZEITPLANUNG 1 THEORETISCHER TEIL 10/2008 1.1 STADT UND HANDEL Geschichte des Handels in der Stadt 1.2 ZENTREN Hierarchie und Genese städtischer Zentren und Zentrentypen 1.3 EINZELHANDEL Lagedefinitionen im Einzelhandel, Strukturwandel im Einzelhandel 1.4 VERÄNDERUNG DES ZENTRENGEFÜGES Wandel der Standortanforderungen im Einzelhandel und die Auswirkungen auf städtische Zentren Dipl.-Ing. Tilman Sperle 11

2 HANDLUNGSBEDARF UND STRATEGIEN 2.1 LEERSTAND IM EINZELHANDEL Stand der Forschung: Leerstandsmanagement und -monitoring, Umnutzung, Rückbau, (Zentren-) Konzepte, Hemmnisse im Umgang mit Leerständen 2.2 BEDEUTUNGSWANDEL UND ZUKUNFTSPERSPEKTIVEN DER NEBEN- UND STADTTEILZENTREN Gesamtgesellschaftliche Rahmenbedingungen und Trends (Demographie, Mobilität, Energiewende etc.), Störung der Versorgungsfunktion etc. 2.3 STRUKTURWANDEL ALS KONZEPT - Ebene Stadtentwicklung Neudefinition des Zentrengefüges - Ebene Stadtteil Geplanter Funktionswandel, Konzentration der Einkaufsbereiche - Ebene Baustruktur Umnutzung von Ladenflächen, Bedeutung der Erdgeschosszonen - Ebene Immobilienwirtschaft/Einzelhandel Flächenmanagement und Konzentration 3 KOMMUNALE PRAXIS 3.1 3 FALLSTUDIEN Leitfaden gestützte Befragung und/oder Sekundäranalyse von strategischen Ansätzen und Konzepten 3.3 QUERSCHNITTSAUSWERTUNG 4 ERGEBNISSE UND EMPFEHLUNGEN 4.1 HANDLUNGSKONZEPTE Ansätze, Methoden und Strategien 4.2 AUSBLICK Chancen und Grenzen 10/2010 Dipl.-Ing. Tilman Sperle 12

9 ERWARTETE ERGEBNISSE Die derzeitige Entwicklung der gesamtgesellschaftlichen Rahmenbedingungen, etwa die Entwicklung der Mobilitätskosten, lässt zwei extrem polarisierende Szenarien und Entwicklungsperspektiven möglich erscheinen: Szenario A: Die Flächenexpansion und die Konzentration in der Einzelhandelsbranche setzt sich an den beiden Standortpolen Innenstadt und nicht integrierten Lagen weiter fort. Das übrige Standortsystem des Einzelhandels und der Nahversorgung dünnt sich dabei weiter aus. Die Verschärfung der Krisensymptome in Neben- und Stadtteilzentren wären die Folge und ein radikaler Rück- und Umbau mit anschließender Umnutzung ehemaliger Einzelhandelsflächen notwendig. Szenario B: Wachsende Mobilitätskosten und steigendes Durchschnittsalter der Bevölkerung begünstigen eine Rückkehr der Wohnfunktion in die städtischen Zentren sowie eine Renaissance dezentraler Handels- und Versorgungsstrukturen etwa unter dem Stichwort Convenience. Je nach standörtlichen Gegebenheiten wird die tatsächliche Entwicklung entweder in Richtung Szenario A oder in Richtung Szenario B tendieren. Jedoch ist, ungeachtet der beiden möglichen Entwicklungsverläufe, insgesamt mit einem Rückgang der Einzelhandelsstandorte und lagen sowie deren Kontraktion zu rechnen. Im Rahmen der Arbeit sollen Ansätze, Methoden und Strategien für die Umnutzung ehemaliger Einzelhandelsflächen untersucht werden. Dies vor der Kulisse weitreichender sozialer, demographischer und ökonomischer Veränderungen in den Neben- und Stadtteilzentren sowie deren Bedeutungswandel im gesamtstädtischen Kontext. Damit ist der spezielle Erkenntnisgewinn vor dem Hintergrund zukünftiger Entwicklungsstrategien für Neben- und Stadtteilzentren zu diskutieren, die auf eine Stärkung der Wohnfunktion, die Konzentration und Stabilisierung des bestehenden Einzelhandels sowie die Sicherung einer fußläufigen Nahversorgung abzielen. Die gewonnenen Erkenntnisse sind also als ein integraler Bestandteil nachhaltiger Quartiers- und Zentrenkonzepte zu verstehen. Dipl.-Ing. Tilman Sperle 13

10 LITERATUR: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL) (Hrsg.) 2006: Großflächiger Einzelhandel als Herausforderung. Raumordnungspolitischer Handlungsbedarf zur Sicherung der Lebensqualität durch verbrauchernahe Grundversorgung im Einzelhandel; Positionspapier Nr. 67; Hannover: Selbstverlag Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL) (Hrsg.) 2006: Folgen des demographischen Wandel für Städte und Regionen in Deutschland Handlungsempfehlungen; Positionspapier Nr. 62; Hannover: Selbstverlag BAG Einzelhandelsverband 2004: Leerstände im Einzelhandel Was tun? Analyse, Bewertung, Handlungsempfehlungen; in Internet: www.bag.de; 18.05.2008 Bauriedl, Sybille; Schindler, Delia; Winkler, Matthias (Hrsg.) 2008: Stadtzukünfte denken. Nachhaltigkeit in europäischen Stadtregionen; München oekom Verlag Blotevogel, Hans H. (Hrsg.) 2002: Fortentwicklung des Zentrale-Orte-Konzepts. Hannover: Verlag der ARL Brake, Klaus; Dangschat, Jens S.; Herfert, Günter (Hrsg.) 2001: Suburbanisierung in Deutschland. Aktuelle Tendenzen; Opladen: Leske + Budrich Bretschneider, Betül 2007: Remix City. Nutzungsmischung: Ein Diskurs zu neuer Urbanität; Frankfurt a. M.: Peter Lang GmbH Europäischer Verlag der Wissenschaften Brombach, Karoline 2000: Gentrification in Stuttgart?; Diplomarbeit am Institut für Wohnen und Entwerfen, Universität Stuttgart; Stuttgart: Selbstverlag Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) 2008: Einschätzungen der Marktakteure - BBR-Expertenpanel Gewerbeimmobilienmark; in Internet: http://www.bbr.bund.de/cln_005/nn_21210/de/forschenberaten/wohnungswesen/wo hnungsmarkt/monitoringgewerbeimmobilienmarkt/expertenpanel/01 EinschaetzungenMarkt akteure.html? nnn=true; 13.05.2008 Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) (Hrsg.) 2007a: Innerstädtische Raumbeobachtung: Methoden und Analysen; Berichte Bd. 25; Bonn: Selbstverlag Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) (Hrsg.) 2007b: Private Eigentümer im Stadtumbau. Viele einzelne Eigentümer und unterschiedliche Eigentumsverhältnisse: Chancen oder Hemmnis beim Stadtumbau West?; Werkstatt: Praxis Heft 47; Bonn: Selbstverlag Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) (Hrsg.) 2006: ExWoSt-Forschungsfeld Stadtquartiere im Umbruch Arbeitsbaustein D; Zwischenbericht 03/2006; Bonn: Selbstverlag Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) (Hrsg.) 1998: Zentren. Auf dem Weg zur europäischen Innenstadt; IzR Heft 2/3; Bonn: Selbstverlag Deutsches Seminar für Städtebau und Wirtschaft (DSSW) (Hrsg.) 2007: Angebotsorientierte Flächenentwicklung. Zwischenbericht zu Standortanforderungen von Unternehmen aus dem Einzelhandel, der Gastronomie und Hotellerie; Berlin: Selbstverlag Deutsches Seminar für Städtebau und Wirtschaft (DSSW) (Hrsg.) 2006: Funktion und Entwicklung innerstädtischer Frequenzbringer; Berlin: Selbstverlag Deutsches Seminar für Städtebau und Wirtschaft (DSSW) (Hrsg.) 2004: Möglichkeiten der Behebung und Verwertung von innerstädtischen Leerständen in Deutschland; Seminararbeit von Monika Dammer vorgelegt am Institut für Handel & Internationales Marketing; DSSW-Materialien; Berlin: Selbstverlag Flagge, Ingeborg; Pesch, Franz (Hrsg.) 2004: Stadt und Wirtschaft; Darmstadt: Verlag Das Beispiel Geographisches Institut der Humboldt-Universität zu Berlin (Hrsg.) 2004: Ökologie, Einkauf, Verkehr; Berichte des Arbeitskreises Geographische Handelsforschung; Heft 15; 07/2004; Berlin: Selbstverlag Giseke, Undine; Spiegel, Erika (Hrsg.) 2007: Stadtlichtungen. Irritationen, Perspektiven, Strategien Handelsverband BAG (Hrsg.) 2003: Auswertung BAG-Umfrage zu Leerständen im Einzelhandel; Berlin: Selbstverlag Dipl.-Ing. Tilman Sperle 14

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