3. Die Eigenschaften der reellen Zahlen II: Geordnete Körper



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Transkript:

32 Andreas Gathmann 3. Die Eigenschaften der reellen Zahlen II: Geordnete Körper Wir haben bisher von den reellen Zahlen nur die Körpereigenschaften, also die Eigenschaften der vier Grundrechenarten ausgenutzt und dabei z. B. in Beispiel 2.7 (b) gesehen, dass es außer den reellen Zahlen auch noch ganz andere Mengen (in der Tat sehr sehr viele andere Mengen) gibt, die diese Eigenschaften ebenfalls erfüllen. Wir müssen also noch weitere Eigenschaften auflisten, um die reellen Zahlen eindeutig zu charakterisieren. Dies wollen wir in diesem Kapitel tun. Eine Eigenschaft der reellen Zahlen, die wir bisher völlig vernachlässigt haben, ist, dass man sie ordnen kann, also dass man zwei Zahlen der Größe nach vergleichen kann. Die Eigenschaften dieser Ordnungsrelation werden im Begriff des sogenannten geordneten Körpers formalisiert: Definition 3.1 (Geordnete Körper). Ein Körper K heißt geordneter oder angeordneter Körper, wenn in ihm eine Menge P K (die Menge der positiven Zahlen ) ausgezeichnet ist, so dass die folgenden drei Eigenschaften gelten: (a) Für alle x K gilt genau eine der drei Eigenschaften x = 0, x P oder x P. (Im zweiten Fall nennt man x eine positive Zahl, im dritten eine negative Zahl.) (b) Für alle x,y P ist x + y P ( die Summe zweier positiver Zahlen ist positiv ). (c) Für alle x,y P ist xy P ( das Produkt zweier positiver Zahlen ist positiv ). In diesem Fall schreibt man x < y oder y > x falls y x P, und x y oder y x falls y x P oder y = x. (Insbesondere ist also x > 0 genau dann wenn x P, und x < 0 genau dann wenn x P; außerdem gilt nach (a) für x,y K stets genau eine der Aussagen x < y, y < x oder x = y.) Beispiel 3.2. (a) R und Q sind geordnete Körper (was wir hier wiederum axiomatisch voraussetzen wollen). (b) Der Körper Z 2 aus Beispiel 2.7 (b) kann nicht zu einem geordneten Körper gemacht werden: das Element 1 = u ist nicht gleich 0, also müsste nach Definition 3.1 (a) genau eine der beiden Eigenschaften 1 P und 1 P gelten. Das ist aber unmöglich, da in Z 2 die Gleichung 1 = 1 gilt. Wie schon bei den Körpern wollen wir auch hier für die geordneten Körper die wichtigsten Eigenschaften ableiten, die aus der Definition folgen (und die euch für die reellen Zahlen sicher bekannt sind): Lemma 3.3. Für alle x,y,z in einem geordneten Körper K gilt: (a) (Transitivität) Ist x < y und y < z, so gilt auch x < z. (b) Ist x < y, so folgt x +z < y +z. Ist zusätzlich z > 0, so folgt auch xz < yz; ist jedoch z < 0, so dreht sich das Ungleichheitszeichen um und es gilt xz > yz. (c) Ist x 0, so ist x 2 > 0. Insbesondere ist also 1 > 0. (d) Ist 0 < x < y, so folgt 0 < y 1 < x 1. (Entsprechende Aussagen gelten natürlich auch für die nicht-strikten Ungleichungen bzw..) Beweis. (a) Ist x < y und y < z, also y x P und z y P, so ist nach Definition 3.1 (b) auch z x = (z y) + (y x) P, also x < z.

3. Die Eigenschaften der reellen Zahlen II: Geordnete Körper 33 (b) Es sei x < y, also y x P. Zunächst einmal folgt dann natürlich (y + z) (x + z) = y x P, also x + z < y + z. Ist außerdem z > 0, also z P, so gilt nach Definition 3.1 (c) auch (y x)z = yz xz P, also xz < yz. Ist hingegen z < 0, also z P, so gilt diesmal (y x)( z) = xz yz P, also yz < xz. (c) Ist x P, so ist natürlich auch x 2 P nach Definition 3.1 (c). Ist x P, so folgt genauso x 2 = ( x) 2 P. Also ist für x 0 in jedem Fall x 2 > 0. Insbesondere ist damit 1 = 1 1 > 0. (d) Ist x P, so folgt aus (c) und Definition 3.1 (c) zunächst x 1 = x (x 1 ) 2 P, also x 1 > 0. Genauso ergibt sich y 1 > 0. Ist nun x < y, so folgt aus (b) durch Multiplikation mit der positiven Zahl x 1 y 1 die Ungleichung xx 1 y 1 < yx 1 y 1, also y 1 < x 1, was zu zeigen war. Notation 3.4 (Intervalle und Betrag). Die folgenden Notationen verwendet man häufig in einem geordneten Körper K: (a) Sind a,b K mit a b, so definiert man die folgenden Teilmengen von K: [a,b] := {x K : a x b} (abgeschlossene Intervalle); (a,b) := {x K : a < x < b} (offene Intervalle); [a,b) := {x K : a x < b} (halboffene Intervalle); [a, ) := {x K : a x} (uneigentliche Intervalle); und analog natürlich (a,b], (a, ), (,b] und (,b). Wenn wir derartige Intervalle im Fall K = R graphisch darstellen, deuten wir wie im Bild unten meistens durch Rundungen an den Intervallgrenzen an, ob die Randpunkte mit dazugehören sollen oder nicht. (b) Für x K definieren wir den Betrag von x als { x falls x 0, x := x falls x 0. Im Fall K = R sieht die Betragsfunktion natürlich wie im folgenden Bild rechts aus. x a (a,b) b R a [a, ) R 1 1 x Die wichtigsten beiden Eigenschaften der Betragsfunktion sind ihre Verträglichkeit mit Addition und Multiplikation: Lemma 3.5 (Eigenschaften der Betragsfunktion). Für alle x,y in einem geordneten Körper K gilt (a) xy = x y ; (b) x + y x + y. Diese Ungleichung bezeichnet man als Dreiecksungleichung wir werden in Bemerkung 4.10 (a) sehen, warum. Beweis. (a) Wir machen eine Fallunterscheidung je nach Vorzeichen von x und y. Ist z. B. x 0 und y 0, so ist xy 0 und damit nach Definition des Betrages x = x, y = y und xy = xy. Zusammensetzen dieser Gleichungen ergibt die Behauptung xy = xy = x ( y) = x y. Die anderen Fälle der möglichen Vorzeichenverteilungen beweist man genauso. (b) Es gilt stets x x, denn für x 0 ist sogar x = x, und für x < 0 ist x negativ und x positiv. Genauso folgt y y und damit x + y x + y. (1)

34 Andreas Gathmann 06 Auf die gleiche Art ergibt sich x x = x und y y = y und damit ebenso x y x + y. (2) Aber x + y ist in jedem Fall eine der beiden Zahlen x + y oder x y. Damit folgt die Behauptung x + y x + y aus (1) und (2). Bemerkung 3.6 (Dreiecksungleichung nach oben und unten). Die Dreiecksungleichung aus Lemma 3.5 (b) schätzt den Betrag x + y einer Summe nach oben ab. Offensichtlich gilt im Allgemeinen keine Gleichheit, wie das Beispiel x = 1, y = 1 zeigt: hier ist x + y = 0 < 2 = x + y. Möchte man auch eine Abschätzung nach unten haben, so kann man diese erhalten, indem man in der Dreiecksungleichung x = a+b und y = b setzt: dann erhält man nämlich a+b b a+b + b und damit a + b a b für alle a,b K. Schreibt man dies wieder in den Variablen x und y, so sehen wir, dass für alle x,y K die Abschätzungen gelten. x y x + y x + y Eine weitere Anwendung der Eigenschaften eines geordneten Körpers ist die folgende Ungleichung, die oftmals dann nützlich ist, wenn die Größe von Potenzen x n mit der von Produkten n x verglichen werden soll. Satz 3.7 (Bernoullische Ungleichung). Es sei K ein geordneter Körper, x K mit x 1, und n N. Dann gilt (1 + x) n 1 + nx. Beweis. Wir zeigen die Aussage mit Induktion über n. Das Bild rechts unten veranschaulicht die Ungleichung im Fall K = R und n = 2. Der Induktionsanfang für n = 0 ist klar: dann sind beide Seiten gleich 1, die Ungleichung ist dann also erfüllt. Für den Induktionsschritt nehmen wir nun an, dass (1 + x) n 1 + nx für alle x 1 und ein gegebenes n N gilt. Nach Lemma 3.3 (b) können wir diese Ungleichung mit der nach Voraussetzung nicht-negativen Zahl 1+x multiplizieren und erhalten (1 + x) n+1 (1 + nx)(1 + x) = 1 + (n + 1)x + nx 2. 1 1 (1 + x) 2 1 + 2x x Nach Lemma 3.3 (c) ist nun nx 2 0 und damit (1 + x) n+1 1 + (n + 1)x, was zu zeigen war. Aufgabe 3.8. (a) Für welche x,y R gilt die Ungleichung 2xy x + y x + y 2? (b) Zeige, dass 2 (1 + 1 n )n < 3 für alle n N >0. Aufgabe 3.9. Für welche n N gilt ( n 3 ) n < n! < ( n 2 ) n? (Diese beiden Ungleichungen die für die meisten natürlichen Zahlen gelten, wie ihr herausbekommen solltet geben somit eine recht brauchbare Näherung der Fakultät durch Potenzfunktionen.) Natürlich kann man in einem geordneten Körper K auch das Maximum und Minimum von zwei Elementen x,y K auf die offensichtliche Art definieren, nämlich durch { { x falls x y, x falls x y, max(x,y) := bzw. min(x, y) := y falls y x y falls y x.

3. Die Eigenschaften der reellen Zahlen II: Geordnete Körper 35 Für unsere Anwendungen wird es jedoch wichtig sein, die Begriffe von Maximum und Minimum nicht nur für zwei Elemente, sondern auch für eine evtl. unendliche Teilmenge M von K betrachten zu können. Dabei müssen wir jedoch aufpassen: während z. B. das abgeschlossene Intervall M = [0,1] R natürlich die 1 als größtes Element und damit als Maximum dieser Menge besitzt, gibt es im Fall des offenen Intervalls M = (0,1) R keine größte Zahl in M, da die Elemente von M zwar beliebig nahe an 1 heran kommen, diesen Wert aber nicht erreichen. Wie dies für beliebige Teilmengen M aussieht, wollen wir nun formal exakt untersuchen. Definition 3.10 (Beschränkte Mengen). Es sei M eine Teilmenge eines geordneten Körpers K. (a) Ein Element s K heißt obere Schranke für M, wenn x s für alle x M. Existiert eine solche obere Schranke für M, so nennt man M nach oben beschränkt. Analog definiert man den Begriff einer unteren Schranke bzw. einer nach unten beschränkten Menge. (b) Die Menge M heißt beschränkt, wenn sie nach oben und unten beschränkt ist, oder äquivalent dazu wenn die Menge ihrer Beträge beschränkt ist, also wenn es ein s K gibt mit x s für alle x M. Beispiel 3.11. Das Intervall M = (,0) R ist nicht nach unten, wohl aber nach oben beschränkt, z. B. durch die obere Schranke 0. Man beachte, dass dies nach unserer Definition aber nicht die einzige obere Schranke ist: die 1 oder 2, oder jede andere Zahl größer als 0 ist genauso gut eine obere Schranke für M. Natürlich sind diese oberen Schranken nicht so gut wie die 0, und in der Tat interessiert man sich bei beschränkten Mengen oft für möglichst gute Schranken, d. h. möglichst kleine obere und möglichst große untere Schranken. Solche Schranken haben eigene Namen: Definition 3.12 (Supremum und Infimum). Es sei M eine Teilmenge eines geordneten Körpers K. Eine Zahl s K heißt Supremum von M, wenn s eine kleinste obere Schranke für M ist, d. h. wenn gilt: (a) s ist eine obere Schranke für M; und (b) für jede obere Schranke s für M gilt s s. Analog heißt s K ein Infimum von M, wenn s eine größte untere Schranke für M ist, also wenn s eine untere Schranke für M ist und keine größeren unteren Schranken für M existieren. Bemerkung 3.13. (a) Wenn die Menge M ein Supremum besitzt, dann ist es natürlich eindeutig bestimmt: sind nämlich s 1 und s 2 zwei kleinste obere Schranken, so folgt nach Definition 3.12 (b) sofort s 1 s 2 (weil s 1 Supremum und s 2 auch eine obere Schranke ist) und s 2 s 1 (weil s 2 Supremum und s 1 auch eine obere Schranke ist), also s 1 = s 2. Falls ein Supremum existiert, können wir also von dem Supremum von M reden. Wir bezeichnen es dann mit supm. Analog ist natürlich auch das Infimum von M eindeutig bestimmt, falls es existiert; wir bezeichnen es dann mit infm. (b) Da sich Ungleichheitszeichen beim Multiplizieren mit 1 nach Lemma 3.3 (b) umdrehen, ist es klar, dass man ein Infimum immer auch als Supremum ausdrücken kann: ist M K und M := { x : x M}, so gilt infm = sup( M). Alles, was wir im Folgenden über das Supremum sagen werden, gilt damit analog auch für das Infimum. Beispiel 3.14. (a) Für M = (,0] R ist supm = 0: natürlich ist 0 eine obere Schranke für M, und für jede beliebige obere Schranke s von M gilt 0 s, weil 0 ja ein Element von M ist. (b) Wir betrachten nun M = (,0) und behaupten, dass immer noch supm = 0 gilt. Da 0 natürlich weiterhin eine obere Schranke für M ist, müssen wir dazu nur noch Eigenschaft (b) aus Definition 3.12 nachweisen. Es sei also s R eine beliebige obere Schranke für M. Angenommen, s wäre so wie im Bild rechts dargestellt kleiner als 0. M s x 0 R

36 Andreas Gathmann Dann wäre die Zahl x = s 2, also der Mittelpunkt zwischen s und 0, einerseits kleiner als 0 (d. h. es wäre x M), andererseits aber auch größer als s. Dies ist ein Widerspruch, da s dann ja doch keine obere Schranke für M wäre. Also war unsere Annahme falsch, d. h. es existiert keine kleinere obere Schranke als 0 und es gilt somit supm = 0. Dies sollte natürlich auch anschaulich klar sein, denn wenn wir unsere Schranke von 0 auch nur ein ganz klein wenig nach links zu legen versuchen, werden wir natürlich sofort Punkte in M bekommen, die rechts davon liegen. (c) Die Menge M = (0, ) hingegen ist nach oben unbeschränkt: für jedes s R finden wir natürlich noch ein x M, etwa x = s + 1, mit x > s. Also besitzt M auch kein Supremum. Wir sehen an Beispiel 3.14 (b), dass das Supremum einer Menge M (falls es existiert) nicht unbedingt ein Element von M sein muss. Wenn wir jedoch wie in Beispiel 3.14 (a) ein Element von M finden, das eine obere Schranke für M ist, so ist dies bereits das Supremum: Lemma und Definition 3.15 (Maximum und Minimum). Es sei M eine Teilmenge eines geordneten Körpers K. Ist dann ein Element s von M eine obere Schranke für M, so ist bereits supm = s M. In diesem Fall nennt man s das Maximum von M und schreibt s = maxm. Analog bezeichnet man das Infimum als Minimum minm von M, wenn es bereits ein Element von M ist. Beweis. Wir müssen nur die Bedingung (b) aus Definition 3.12 für s überprüfen. Dies ist aber klar: ist s K eine beliebige obere Schranke für M, so gilt wegen s M natürlich s s. Besitzt eine Menge M ein Maximum, so hat sie also auch ein Supremum, und es gilt maxm = supm. Wie man an Beispiel 3.14 sieht, gibt es jedoch Mengen, die kein Supremum (und damit auch kein Maximum) besitzen, und solche, die zwar ein Supremum, aber kein Maximum haben: Beispiel 3.16. Für die Mengen aus Beispiel 3.14 gilt: (a) M = (,0] hat das Maximum und Supremum maxm = supm = 0. (b) M = (,0) hat das Supremum supm = 0, besitzt aber kein Maximum. (c) M = (0, ) ist nach oben unbeschränkt und besitzt damit weder ein Supremum noch ein Maximum. Aufgabe 3.17. (a) Bestimme Supremum, Infimum, Maximum und Minimum (sofern sie existieren) der Menge { } m + n M = mn : m,n N >0 R. (b) Es seien A,B R zwei Mengen; wir setzen A + B := {x + y : x A,y B}. Man beweise: Sind A und B nicht leer und nach oben beschränkt, so gilt sup(a + B) = supa + supb. Wir wollen nun wieder zum eigentlichen Ziel dieses Kapitels zurück kommen: die reellen Zahlen zu charakterisieren. Dazu wissen wir bereits, dass R ein geordneter Körper ist. Aber die rationalen Zahlen erfüllen alle Eigenschaften eines geordneten Körpers ebenfalls wir brauchen also noch mehr, um die reellen Zahlen eindeutig zu charakterisieren. In der Tat fehlt uns noch eine Eigenschaft, die R von Q (und allen anderen geordneten Körpern) unterscheiden wird und die wir jetzt behandeln wollen. Anschaulich ist natürlich klar, was R von Q unterscheidet: während R die Menge aller Punkte auf einer Geraden ist, gibt es in den rationalen Zahlen Löcher wie z. B. 2, also Punkte, die auf der Zahlengeraden existieren, die aber keine rationale Zahl darstellen. Für die formal exakte Formulierung dieser Eigenschaft hilft uns der gerade eingeführte Begriff des Supremums. Um dies zu sehen, ändern wir unser Beispiel 3.14 etwas ab: Beispiel 3.18. Es sei K ein geordneter Körper und M = {x K : x 2 < 2} K. Natürlich besitzt M eine obere Schranke, z. B. 2: für x > 2 ist nämlich x 2 > 4 > 2, also x / M. Wir wollen nun sehen, was die kleinste obere Schranke, also das Supremum von M ist.

3. Die Eigenschaften der reellen Zahlen II: Geordnete Körper 37 (a) Für K = R können wir M unter Verwendung von Quadratwurzeln natürlich als das offene Intervall M = ( 2, 2) schreiben. Insbesondere ist also supm = 2 mit der gleichen Begründung wie in Beispiel 3.14 (b). (b) Im Fall K = Q kann natürlich nicht einfach das gleiche herauskommen, weil in diesem Körper keine Wurzel aus 2 existiert (wie wir gleich der Vollständigkeit halber in Lemma 3.19 auch noch formal beweisen werden). Man könnte nun denken, dass man statt 2 dann einfach die nächstgrößere oder nächstkleinere rationale Zahl nehmen muss. So etwas existiert aber nicht und in der Tat werden wir gleich in Lemma 3.20 zeigen, dass supm auch keine andere Zahl als 2 sein kann. Die Folgerung daraus ist einfach, dass die Menge M im Fall K = Q zwar nach oben beschränkt ist, aber dennoch keine kleinste obere Schranke, also kein Supremum besitzt weil gerade die Zahl, die wir als Supremum bräuchten, in unserem Körper fehlt, d. h. weil Q an dieser Stelle ein Loch auf der Zahlengeraden hat. Wir wollen nun die beiden eben angekündigten Aussagen beweisen: Lemma 3.19 (Irrationalität von 2). Es gibt keine rationale Zahl x Q mit x 2 = 2 (oder anders ausgedrückt: die reelle Zahl 2 liegt nicht in Q). Beweis. Angenommen, es gäbe eine rationale Zahl x Q mit x 2 = 2. Wir können x als gekürzten Bruch x = p q (mit p,q Z und q 0) schreiben und erhalten x 2 = p2 q 2 = 2, also p2 = 2q 2. ( ) Also muss p 2 und damit auch p selbst eine gerade Zahl, d. h. durch 2 teilbar sein. Wir können daher p = 2r für eine ganze Zahl r Z setzen. Einsetzen in ( ) liefert (2r) 2 = 2q 2, also q 2 = 2r 2. Aber dann muss auch q 2 und damit q eine gerade Zahl sein was ein Widerspruch dazu ist, dass die Darstellung von x als Bruch p q als gekürzt vorausgesetzt worden ist. Lemma 3.20. Es sei K ein geordneter Körper, a K mit a > 0, und M = {x K : x 2 < a}. Falls das Supremum s := supm dieser Menge existiert, so gilt s > 0 und s 2 = a. Beweis. Wegen 0 M ist natürlich s 0. Wir zeigen s 2 a und s 2 a getrennt, woraus dann s 2 = a (und somit auch s 0, d. h. s > 0) folgt. : Angenommen, es wäre s 2 > a, insbesondere also s > 0. Die Idee ist, dass s dann für eine kleinste obere Schranke für M zu groß ist, also dass wir wie im Bild rechts noch eine kleinere obere Schranke s für M finden können. In der Tat gibt es eine solche: wir setzen M s s K s := s s2 a 2s = s2 + a 2s Natürlich ist dann s < s. Aber s ist auch eine obere Schranke für M, denn für alle x K mit x > s gilt ( ) 2 ( x 2 > (s ) 2 = s s2 a s = s 2 (s 2 2 ) 2 a a) + a 2s 2s } {{ } 0 und damit x / M. Also kann s nicht die kleinste obere Schranke gewesen sein ein Widerspruch. > 0.

38 Andreas Gathmann : Angenommen, es wäre s 2 < a. In diesem Fall ist die Idee analog zu Beispiel 3.14 (b), dass s dann für eine obere Schranke für M zu klein ist, also dass wir eine Zahl x > s finden können, die noch in M liegt. In der Tat gibt es ein solches x: wir setzen ( 1 x = s + h mit h := min 2, a ) s2. 2s + 1 Dann ist sicher h > 0 und damit auch x > s. Darüber hinaus gilt M s x K x 2 = s 2 + 2sh + h 2 < s 2 + 2sh + h (wegen h 1 2 ist h < 1 und damit h2 < h) s 2 + (2s + 1) a s2 2s + 1 = a (wegen h a s2 2s + 1 ) und daher x M. Also kann s keine obere Schranke für M sein, was wieder ein Widerspruch ist. Bemerkung 3.21. Ihr werdet euch sicherlich fragen, wo die komischen Werte von s und h in den beiden Beweisteilen von Lemma 3.20 herkommen. Wenn wir den Beweis des Lemmas durchgehen, können wir natürlich jeden einzelnen Schritt nachvollziehen und sehen, dass es mit den angegebenen Werten von s und h funktioniert, aber wie kommt man darauf? Nun, in Wirklichkeit habe ich das ganze rückwärts gerechnet, bevor ich angefangen habe, den Beweis aufzuschreiben. Betrachten wir das ganze einmal am Beispiel des zweiten Teils des Beweises. Wir haben hier angenommen, dass s 2 < a, das Supremum also zu klein ist, und mussten demzufolge ein x > s finden, das noch in M liegt. Setzen wir x = s + h, so suchen wir also ein h > 0 mit (s + h) 2 = s 2 + 2sh + h 2 < a. Man könnte jetzt auf die Idee kommen, einfach diese quadratische Ungleichung in h zu lösen und nachzusehen, ob die Lösungsmenge positive Zahlen enthält. Dummerweise brauchen wir für unsere bekannte Lösungsformel für quadratische Gleichungen aber Wurzeln, und wir haben ja gerade in Lemma 3.19 gesehen, dass die nicht unbedingt existieren müssen. In der Tat werden wir in dieser Vorlesung noch oft auf Ungleichungen stoßen, von denen wir aus dem einen oder anderen Grund nicht die exakte Lösungsmenge bestimmen können. Wenn man aber so wie hier gar nicht an der exakten Lösungsmenge interessiert ist, sondern nur zeigen möchte, dass eine Lösung für die Ungleichung existiert, so kommt man dennoch oft weiter, indem man geeignete Abschätzungen vornimmt und evtl. sogar noch weitere Zusatzbedingungen stellt. Hier könnte das z. B. so aussehen: an der Ungleichung s 2 + 2sh + h 2 < a für h stört uns vor allem der quadratische Term h 2 ein linearer wäre hier sicher viel schöner. Wie können wir das erreichen? Nun, da wir aus unserer ursprünglichen Idee wissen, dass wir letztlich sowieso an kleinen Werten für h interessiert sein werden, macht es ja sicher nichts, wenn wir zusätzlich noch h < 1 verlangen. Das hat den Vorteil, dass dann h 2 = h h < h 1 = h ist jetzt reicht es also, die Ungleichung s 2 + 2sh + h a zu erfüllen, denn in diesem Fall ist ja erst recht s 2 + 2sh + h 2 < s 2 + 2sh + h a. Diese lineare Ungleichung ist nun aber leicht zu lösen: sie ist offensichtlich äquivalent zu h 2s+1 a s2. Wir sehen also, dass wir eine Lösung für h haben, wenn wir sicher stellen, dass h sowohl kleiner als 1 als auch höchstens gleich 2s+1 a s2 ist und die im Beweis angegebene Zahl leistet einfach genau dies. Man muss jetzt sozusagen nur noch unsere eben gemachte Rechnung rückwärts aufschreiben (wie wir es oben getan haben), und alles wird dann nach Konstruktion genau so hinkommen, wie wir es wollen. Und wie kommt man jetzt darauf, dass man den quadratischen Term h 2 genau durch ein h abschätzen und h < 1 verlangen muss? Dazu sollten wir zunächst einmal festhalten: man muss das nicht. Dies

3. Die Eigenschaften der reellen Zahlen II: Geordnete Körper 39 ist nur eine Lösung, die zum Ziel führt natürlich gibt es viele Werte von h, die das Gewünschte leisten, und auch viele Arten von Abschätzungen, die genauso gut funktionieren. Aber ihr habt schon Recht, dass man bei solchen Abschätzungen oft irgendeine geschickte und vielleicht nicht ganz offensichtliche Idee braucht. Leider sind derartige Abschätzungen ein ganz wesentlicher Bestandteil der Analysis, und so werden wir in diesem Skript noch viele von ihnen sehen. Am Anfang ist das sicher ungewohnt, aber im Laufe der Zeit werdet ihr ein gewisses Gefühl dafür entwickeln, welche Art von Abschätzung in welchen Fällen sinnvoll sein könnte. Aber so oder so für das reine Nachvollziehen einer Abschätzung, die jemand anders gefunden hat (wie z. B. wenn ihr den Beweis von Lemma 3.20 lest und verstehen wollt), sind derartige Ideen natürlich nicht notwendig. Aber zurück zu unserem Beispiel 3.18: wir haben dort gesehen, dass sich die fehlenden Punkte in Q derart äußern, dass es Teilmengen von Q gibt, die zwar nach oben beschränkt sind, aber trotzdem keine kleinste obere Schranke besitzen: die Menge M = {x Q : x 2 < 2} könnte nach Lemma 3.20 als Supremum nur eine Zahl haben, deren Quadrat gleich 2 ist nach Lemma 3.19 gibt es eine solche Zahl in Q aber nicht. In R dagegen gibt es diese Probleme nicht. Wir machen daher die folgende Definition: Definition 3.22 (Supremumsaxiom). Wir sagen, dass ein geordneter Körper das Supremumsaxiom erfüllt, wenn jede nicht leere, nach oben beschränkte Menge ein Supremum besitzt. (Natürlich besitzt dann nach Bemerkung 3.13 (b) auch jede nicht leere, nach unten beschränkte Menge ein Infimum.) Beispiel 3.23. (a) Wie wir gerade gesehen haben, erfüllt Q das Supremumsaxiom nicht. (b) Die reellen Zahlen R erfüllen das Supremumsaxiom das werden wir in dieser Vorlesung axiomatisch voraussetzen, und das ist nun endlich auch die letzte Eigenschaft der reellen Zahlen, die wir benötigen. Wenn wir dieses und das vorangegangene Kapitel zusammenfassen, setzen wir insgesamt also über die reellen Zahlen voraus: 07 R ist ein geordneter Körper, der das Supremumsaxiom erfüllt. Wie schon in Notation 1.15 gesagt, kann man die Existenz der reellen Zahlen auch aus den Axiomen der Logik und Mengenlehre herleiten in diesem Fall ist es natürlich ein beweisbarer Satz, dass R ein geordneter Körper ist, der das Supremumsaxiom erfüllt. Man kann sogar noch mehr zeigen, nämlich dass diese Eigenschaften die reellen Zahlen auch vollständig charakterisieren: R ist in der Tat der einzige geordnete Körper, der das Supremumsaxiom erfüllt. Der Beweis dieser Aussage ist jedoch sehr schwierig und soll hier nicht gegeben werden, zumal wir diese Aussage auch nicht benötigen werden. Bemerkung 3.24. Nach dem Supremumsaxiom existiert das Supremum sup M für jede nicht leere, nach oben beschränkte Teilmenge M R. Um diese Notation auf beliebige nicht-leere Teilmengen von R zu erweitern, schreibt man für nach oben unbeschränkte Teilmengen M von R oft formal supm =. Dies hat den Vorteil, dass viele Aussagen über Suprema wie z. B. Aufgabe 3.17 (b) auch für den Fall solcher Mengen gelten, wenn man die erwarteten formalen Rechenregeln für definiert (wie z. B. + = und + x = für alle x R, siehe auch Bemerkung 5.17). Analog schreibt man dann natürlich infm = für nach unten unbeschränkte Teilmengen von R. Am Schluss dieses Kapitels wollen wir nun noch zwei einfache und oft benötigte Folgerungen aus dem Supremumsaxiom ziehen. Die erste betrifft die Existenz der oben schon betrachteten Quadratwurzeln. Lemma 3.25 (Existenz von Quadratwurzeln in R). Es sei a R 0. Dann gibt es genau ein s R 0 mit s 2 = a. Man nennt diese Zahl die Wurzel aus a und schreibt sie als a. Beweis. Für a = 0 ist diese Aussage natürlich klar (mit 0 = 0). Für a > 0 betrachten wir die Menge M = {x R : x 2 < a}. Diese Menge ist natürlich nicht leer (denn 0 M) und nach oben beschränkt

40 Andreas Gathmann (z. B. durch a+1, denn für x > a+1 ist x 2 > (a+1) 2 = a 2 +2a+1 > a, also x / M). Damit existiert s := supm R nach dem Supremumsaxiom, und nach Lemma 3.20 ist s > 0 und s 2 = a. Da s und s nun Nullstellen der quadratischen Polynomfunktion x x 2 a sind, müssen dies nach Satz 2.24 (b) dann auch bereits die einzigen Nullstellen sein. Also ist s auch die einzige positive Zahl mit s 2 = a. Aufgabe 3.26. (a) Man zeige: Für alle x,y Z und k,n N ist (x + y k) n + (x y k) n Z. (b) Bestimme die 100. Nachkommastelle (im Dezimalsystem) von (2 + 5) 2011. Aufgabe 3.27 (Existenz höherer Wurzeln in R). In dieser Aufgabe wollen wir die Aussage von Lemma 3.20 und 3.25 auf höhere Wurzeln verallgemeinern. Es sei dazu wieder K ein geordneter Körper, a K mit a > 0 und n N >1. Zeige, dass dann für die Menge M := {x K : x n < a} gilt: (a) M ist nach oben beschränkt. (b) Besitzt M ein Supremum s, so ist s n = a. Schließe daraus, dass in R jede nicht-negative Zahl eine eindeutige nicht-negative n-te Wurzel besitzt. (In Aufgabe 5.27 werden wir noch einen anderen Beweis dieser Aussage sehen.) Bemerkung 3.28. Natürlich erfüllt die Wurzel aus Lemma 3.25 die Gleichung xy = x y für alle x,y 0, denn x y ist eine nicht negative Zahl, deren Quadrat gleich xy ist, und muss nach Lemma 3.25 daher gleich xy sein. Die zweite Folgerung aus dem Supremumsaxiom, die wir hier kurz behandeln wollen, ist die, dass es zu jeder reellen Zahl eine größere natürliche Zahl gibt, dass also N nach oben unbeschränkt ist. Das erscheint zwar vielleicht selbstverständlich, man kann allerdings geordnete Körper konstruieren, in denen diese Aussage falsch ist, in denen es also Elemente gibt, die größer sind als jede Zahl, die man durch fortlaufendes Aufaddieren der 1 erhalten kann. Lemma 3.29 (Unbeschränktheit von N). Die Teilmenge N = {0,1,2,...} R ist nach oben unbeschränkt. Beweis. Angenommen, N wäre nach oben beschränkt. Dann würde nach dem Supremumsaxiom s := supn R existieren. Da s die kleinste obere Schranke ist, ist s 1 keine obere Schranke; es gibt also ein n N mit n > s 1. Dann ist aber n + 1 N mit n + 1 > s, im Widerspruch dazu, dass s eine obere Schranke für N ist. Aufgabe 3.30. Zeige, dass jedes (nicht-leere) offene Intervall in R unendlich viele rationale und unendlich viele irrationale Zahlen enthält.