Der Arbeitsmarkt im Aufschwung Mehr Schatten als Licht?

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Transkript:

Der Arbeitsmarkt im Aufschwung Mehr Schatten als Licht? Prof. Dr. Gerhard Bäcker Universität Duisburg-Essen Institut Arbeit und Qualifikation Veranstaltung des DGB Baden-Württemberg Fair statt prekär Perspektiven für gute Arbeit 04.07.2012

1.Positive Arbeitsmarktentwicklung - Seit 2005: Deutliche Zunahme der Zahl der Erwerbstätigen, - Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009: In Deutschland (!) moderate Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt - Hintergrund: Exportgetriebenes Wirtschaftswachstum, oberhalb der Produktivitätsschwelle - Günstige Lage der Sozialversicherungshaushalte - Allerdings: Schwächere Zunahme der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung des Arbeitsvolumens (gemessen in Stunden) >> Teilzeitarbeit

Bruttoinlandsprodukt, Arbeitsproduktivität, Erwerbstätige, Arbeitsvolumen und Arbeitszeit 1991-2011 Indexdarstellung (1991 = 100) 130 134,8 130,3 Produktivität je Erwerbstätigenstunde Bruttoinlandsprodukt real 120 110 106,2 Erwerbstätige 100 96,6 Arbeitsvolumen 90 91,0 Arbeitszeit je Erwerbstätigen 80 2011 2010 2009 2008 2007 2006 2005 2004 2003 2002 2001 2000 1999 1998 1997 1996 1995 1994 1993 1992 1991 BIP preisbereinigt Quelle: IAB (2012), Daten zur kurzfristigen Entwicklung von Wirtschaft und Arbeitsmarkt, Nürnberg

2.Rückgang der Arbeitslosigkeit - Deutlicher Rückgang der registrierten Arbeitslosigkeit 06/12: 2,8 Mio. bzw. 6,6 % - Sonderrolle von Deutschland in Europa - Allerdings. auch in Deutschland: extreme regionale Abweichungen Konzentration auf Langzeitarbeitslosigkeit Rund zwei Drittel aller Arbeitslosen im Bereich des SGB II schwacher Rückgang der SGB II-Empfänger, SGB II-Quote: 10,1 %

Arbeitslosenquoten im europäischen Vergleich Mai 2012 Österreich Niederlande Deutschland Belgien V. Königreich Frankreich Italien Zypern Bulgarien Slowakische Rep. Irland Portugal Griechenland Spanien 0 5 10 15 20 25 Quelle: Eurostat

Langzeitarbeitslose 1) 1993-2011 absolut und in % aller Arbeitslosen 2.400.000 Anteil der Langzeitarbeitslosen an allen Arbeitslosen (rechte Achse) 48 2.000.000 1.600.000 1.200.000 800.000 27,8 950.308 31,3 31,1 1.158.358 1.124.872 30,2 1.195.933 33,5 1.466.983 37,4 37,3 37,4 1.599.270 1.530.453 1.454.189 35,1 1.354.166 33,7 1.369.388 34,8 1.521.410 38,4 1.680.945 36,2 1.758.920 41,6 1.864.491 43 1.722.376 40,7 1.324.224 33,3 1.135.064 34,9 35,4 1.129.890 1.051.603 40 32 24 16 in % aller Arbeitslosen 400.000 Langzeitarbeitslose (linke Achse) 8 0 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 0 1) Langzeitarbeitslosigkeit: bisherige Dauer der Arbeitslosigkeit länger als 12 Monate Quelle: Bundesagentur für Arbeit (2012), Analytikreport: Arbeitsmarkt in Deutschland - Zeitreihen bis 2011.

3.Einkommensverteilung: Zu Lasten der Arbeitnehmer - Anstieg der Bruttolöhne bleibt hinter Anstieg des BIP dauerhaft zurück - Deutlicher Rückgang der Nettorealverdienste - Demgegenüber: Anstieg der Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen - Hohes Niveau an Niedriglöhnen (weniger als 2/3 des Durchschnitts) - Konzentration von Niedriglöhnen auf bestimmte Beschäftigtengruppen - Überlange Arbeitszeiten -

Entwicklung von Sozialprodukt und Arbeitnehmereinkommen 2000-2011 Indexdarstellung (2000 = 100) 130 125 125,5 Bruttoinlandsprodukt 120 115 110 115,6 115,4 Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnemer Nettolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer 105 100 96,6 Nettorealverdienste je Arbeitnehmer 95 90 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 Quelle: Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2012), Statistisches Taschenbuch 2011; eigene Berechnungen

Entwicklung der strukturbereinigten Bruttolohnquote 1) 1995-2011 76 74 72 70 73,5 73,3 72,6 71,9 72,0 71,6 71,2 71,5 71,7 in % des Volkseinkommens 68 66 64 62 68,7 67,5 64,7 62,8 63,6 66,8 64,8 64,7 60 58 56 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007* 2008* 2009* 2010* 1. Hj. 1) Strukturbereinigte Lohnquote = Bruttoeinkommen aus unselbstständiger Arbeit in % des Volkseinkommens, bereinigt um die 2011* Veränderung der Erwerbstätigenstruktur *) vorläufige Ergebnisse Quelle: Schäfer, Claus (2011), WSI-Verteilungsbericht 2011, In: WSI-Mitteilungen 12/2011

4.Anhaltende Zunahme prekärer Beschäftigung - Ein sinkender Anteil der Beschäftigten arbeitet im sog. Normalarbeitsverhältnis - Kriterien Vollzeitarbeit oder vollzeitnahe Teilzeitarbeit Kontinuierliche, unbefristete Arbeitsverhältnisse Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung Arbeitsentgelt oberhalb der Grundsicherungsschwelle (Einzelperson) Geltung der arbeitsrechtlichen Standards und von Mitbestimmungsregelungen Tarifliche Entgeltregelung Eingliederung in die betrieblichen Strukturen

4.1 Mini-Jobs - 7,2 Mio. = rund ein Fünftel aller Beschäftigungsverhältnisse - Anreize für Beschäftigung im unteren Stundenbereich - Konzentration in den Branchen Handel, Gastgewerbe, Reinigung Fehlorientierung der Frauenbeschäftigung starke Zunahme der Nebenbeschäftigung Verdrängungseffekte von regulärer Beschäftigung Fehlende Anwendung arbeitsrechtlicher Standards Extreme Verbreitung von Niedriglöhnen Keine Brücke in reguläre Beschäftigung Fehlende eigenständige soziale Absicherung

4.2 Leiharbeit - Bedeutungszuwachs nach den Hartz-Gesetzen (Deregulierung) - vor allem nach der Krise 2008/2009 steiler und ungebrochener Anstieg - Konzentration auf bestimmte Branchen und Großbetriebe - Grundsätze von Equal Pay und Equal Treatment werden systematisch verletzt - Konzentration von Niedriglöhnen und überlangen Arbeitszeiten - Druck auf die regulär Beschäftigten, Verdrängungseffekte - Keine Brücke in reguläre Beschäftigung - Unsichere, kurzfristige Beschäftigung, keine Absicherung durch ALGI - Umgehung der (tariflichen) Re-Regulierung durch Werkverträge u. Scheinselbstständigkeit

4.3 Befristete Beschäftigung - Bedeutungszuwachs nach den Hartz-Gesetzen (Deregulierung) - Ebenfalls starker Anstieg - Konzentration auf bestimmte Branchen und Altersgruppen - Unsichere, kurzfristige Beschäftigung, keine Absicherung durch ALGI - Aushebelung von arbeitsrechtlichen Ansprüchen - Fehlende Zukunftsperspektiven von jungen Menschen

Befristungsquoten für Beschäftigte nach ausgewählten Wirtschaftsbereichen

5.Ursachen für die Ausweitung prekärer Beschäftigung und. - Flexibilitätsstrategien der Unternehmen (interne und externe Flexibilität) - Ausbau des Dienstleistungssektors, - Privatisierung im öffentlichen Bereich, - Outsorcing-Strategien, - Druck der Arbeitslosigkeit, Machtüberhang der Arbeitgeber - Schwächung der Gewerkschaften, rückläufige Tarifbindung - Neue gesetzliche Regelungen (Deregulierung) im Rahmen der Hartz- Gesetze - Abbau der sozialen Absicherung bei Arbeitslosigkeit - (Zumutbarkeit jeglicher Arbeit: Fast jede Arbeit ist besser als keine )

und die Folgen - Spaltung des Arbeitsmarktes, Spaltung der Belegschaften, - Verdrängung regulärer Beschäftigung, Belastung der SV-Träger - Verbreitung von working poor: 1,2 Mio. Aufstocker, - Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit zu Lasten >> der Beschäftigten >> der europäischen Nachbarländer -

6.Handlungsbedarf überdeutlich - Re-Regulierung von Arbeitsverhältnissen (Mini-Jobs, Leiharbeit, Befristung, Werkverträge) - Einführung von Mindestlöhnen - Stärkung von tarifvertraglichen Regelungen, Allgemeinverbindlichkeit - Kontrolle von gesetzlichen Regelungen - aktive Rolle der betrieblichen Interessenvertretungen - Abbau von Anreizen, die Frauen auf kleinteilige Arbeitsverhältnisse orientieren - bessere soziale Absicherung bei Arbeitslosigkeit