Realität Virtualität Wirklichkeit

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Transkript:

Realität Virtualität Wirklichkeit 8. Vorlesung (12.06.12): Virtualisierung der Kommunikation Christoph Hubig

Modell des Kommunikationssystems (Waever, McGuire) Nachrichtenquelle Sender Kanal (3) Empfänger Nachrichtenziel (1) (2) (4) (5) Nachricht Signal empfang- Nachricht enes Signal Auswahl Codierung Störquelle Decodierung Prozess- oder Zustandsveränderung Aktivität des Empfängers: Aufmerksamkeit (Nachrichtenquelle), Nachgeben /Sich-Einlassen (Kanal), Decodieren/ Verstehen, Speichern/ Behalten, Agieren (Nachrichtenziel) soll für menschliche, tierische und maschinelle Kommunikation gelten Prof. Dr. Ch. Hubig Institut f. Philosophie FG Philosophie der wissenschaftlich-technischen Kultur 2

Natürliche (face-to-face) Kommunikation Raumzeitidentität (Echtzeit/Echtraum) Identifikation (unmittelbar, wechselseitig als Partner) Multimodalität, Rückkanalfähigkeit Rollenwechsel Beeinflussbarkeit (metakommunikativ) Körpergedächtnis (immediates Lernen zur Leitung von Erwartungen, Gestaltung der Kommunikation) Prof. Dr. Ch. Hubig Institut f. Philosophie FG Philosophie der wissenschaftlich-technischen Kultur 3

Funktionen natürlicher Kommunikation Mitteilungsfunktion: (Signal-, Informations-, Bedeutungs- und Wissenstransfer (Ist, Kann, Soll) zur Beeinflussung Von Zuständen und Prozessen des Empfängers + Identifizierungsfunktion: Aufbau, Fortschreibung und Korrektur des Ego- und Alter-Modells + Reglementierungs-/ Institutionalisierungsfunktion: Aufbau, Fortschreibung und Korrektur der Codes a) durch direkte Kommunikation (Dialektik Regel Regelbefolgung) - Anreicherung/Ausweitung oder Reduktion/ Einschränkung von Codes b) durch höherstufige Parallelund Metakommunikation - Reflexion des institutionellen und des Systemvertrauens (N. Luhmann) Prof. Dr. Ch. Hubig Institut f. Philosophie FG Philosophie der wissenschaftlich-technischen Kultur 4

(1) Gestische Interaktion Stufen natürlicher Kommunikationsgenese und Identitätsbildung (G.H. Mead) vom Me zum I als Me Signifikanz und Bedeutung von Gesten Entstehung eines Ego-/Alter-Modells als Emittenten Erste Abduktion auf Code (deskriptiv: Regelmäßigkeit der Reaktion) (2) Wettkampf Validierung von Aktionen quantitativ, Immunisierung/Kompensation von Störquellen (Hegel, Das geistige Tierreich) Ego-/Alter-Modelle der Leistungsträgerschaft (3) Spiel Abduktion auf Codes (normativ: Regeln, Ansprüche) Ego-/Alter-Modell der Trägerschaft von Anerkennung (4) Gesellschaft als generalisiertes Alter Validierung der Codes Ego-/Alter-Modell der Trägerschaft von Regelkompetenz Prof. Dr. Ch. Hubig Institut f. Philosophie FG Philosophie der wissenschaftlich-technischen Kultur 5

Zwei Paradigmen Kommunikation als Oberbegriff (Prozess, der Prozess beeinflusst) Man kann nicht nicht kommunizieren (P. Watzlawik) Interaktion als Oberbegriff (Kriterium de Wirklichkeit) Interaktion als spezifisch intentionales Geschehen (Kriterium für Wirklichkeit des Menschen)? Sprache als Paradigma (Lesbarkeit der Welt, Buch der Natur) Apriori der Kommunikation! Kommunikation als spezifische Interaktion der Verständigung über Wirklichkeit (Ist, Kann, Soll) Prof. Dr. Ch. Hubig Institut f. Philosophie FG Philosophie der wissenschaftlich-technischen Kultur 6

Virtualisierung der Kommunikation schwach: Artifizialisierung der Übertragung: Virtualisierung von Nachrichtenquelle Sender Kanal being in effect, not in real appearance stark: Simulationsbasierung/Formalisierung des Kommunikationsprozess Mensch-Rechner-(Mensch) Virtualisierung von Teilnehmern/Quelle/Ziel Kontexten Sender/Empfänger Kanal Sprache Medium als Prothese natürlicher Medialität Medium konstitutiv ist (partiell) die Botschaft (McLuhan) Prof. Dr. Ch. Hubig Institut f. Philosophie FG Philosophie der wissenschaftlich-technischen Kultur 7

Konsequenzen (1) schwache Virtualisierung Erschwernis von Korrigieren, Kompensieren, Relativieren, Kritisieren, Verstärken, Abschwächen, Hervorheben, Ironisieren etc. Aufhebung der Raumzeitidentität Erschwernis der Identifikation Einschränkung der Multimedialität (der Anmutungsqualitäten Entsinnlichung) Einschränkung des Rollenwechsels/des Turn-Taking (d. Spontaneität von Rückfrage, Kontrolle etc.) Metakommunikation nur additiv/ ex post, aber noch bidirektional Gedächtnis nur explizit (Archiv) kontextneutrale Multifunktionsinterfaces/Verlust der Anmutungsqualitäten der Interfaces Allgegenwart von Vergangenem und Zukünftigem Permanente Erreichbarkeit/ Einschränkung geschützter Zeiten und Räume/ reflexionsermöglichender Distanz Prof. Dr. Ch. Hubig Institut f. Philosophie FG Philosophie der wissenschaftlich-technischen Kultur 8

Konsequenzen (2) starke Virtualisierung Echtzeit/Kunstraum (Dekontextualisierung) Identifikation nur über Modellbildung Einschränkung der Multimodalität Rollenwechsel nur explizit nach Code Metakommunikation nur monodirektional oder bidirektional nach virtuellem Code Gedächtnis nur explizit (Archiv) Beispiel Prof. Dr. Ch. Hubig Institut f. Philosophie FG Philosophie der wissenschaftlich-technischen Kultur 9

Beispiel (1) Max (Wachsmuth 2008, 2010, S. 140; Kopp et al. 2004) Prof. Dr. Ch. Hubig Institut f. Philosophie FG Philosophie der wissenschaftlich-technischen Kultur 10

Beispiel (2) Intentionen : auf der Basis von beliefs und desires (als Repräsentationen) wählt Max unter einer Kontrollarchitektur seine Aktionen aus Selbstwissen : Modell des Selbst, integriert in Weltmodell propriorezeptive Sensorik physische Repräsentation des Selbst als Objekt Selbsttoken Selbstrepräsentationstoken als Marker des Selbsttokens (automatische Markierung der somatorezeptiven Information Genese des Selbstwissens (Beckermann 2003): (1) Max führt Namen für Objekte ein + Repräsentation ihrer Eigenschaften (2) Max lernt, dass Eigenschaften bestimmter Objekte davon abhängen, wie diese Repräsentationen aufbauen, die auch er hat Bildung von Metarepräsentationen über Repräsentationen anderer Objekte andere Agenten Glaubt Objekt 111 (Farbe Objekt 7 grün) (Sitzen auf Objekt 7) wünscht Objekt 111 Prof. Dr. Ch. Hubig Institut f. Philosophie FG Philosophie der wissenschaftlich-technischen Kultur 11

Beispiel (3) (3) Max muss Objektnamen (Objekt 100) für sich einführen, um Repräsentationen von 111 über ihn zu repräsentieren. (4) Wenn seine agentzentrierten Repräsentationen ausschließlich mit seinen Objekt-100 Repräsentationen korrespondieren, wird Objekt-100 zum Selbstsymbol (5) Über dieses Objekt sind nun Metarepräsentationen zu bilden Prof. Dr. Ch. Hubig Institut f. Philosophie FG Philosophie der wissenschaftlich-technischen Kultur 12

Leistungen und Grenzen virtualisierter Kommunikation Leistungen: zunehmende Annäherung an Leistungsbilanz natürlicher Kommunikation im Felde formeller, strategischer Kommunikation und Metakommunikation (Kommunikation als Transport) Grenzen: Verbleib im Modus des Wirklichen (vs mittelbare Darstellung des Möglichen) im Felde von Gesetzmäßigkeiten (vs Regeln) des Erkennens (vs des Anerkennens von Autonomie) des Expliziten (vs des Impliziten: Atmosphäre, Kontext, ästhetische Anmutung) des Formellen (vs des Informellen, Elliptischen, Kreativ- Metaphorischen) Prof. Dr. Ch. Hubig Institut f. Philosophie FG Philosophie der wissenschaftlich-technischen Kultur 13